Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufsausbildungsverhältnis. Prüfungstermin nach vereinbarter Ausbildungszeit. Verlängerung
Orientierungssatz
1. Ein Arbeitsverhältnis nach § 24 BBiG durch Beschäftigung über das Ende des Berufsausbildungsverhältnisses hinaus entsteht nicht, wenn das Berufsausbildungsverhältnis im Anschluss an die vereinbarte Ausbildungszeit verlängert wird. Der Auszubildende wird dann gerade nicht “im Anschluss” an das Berufsausbildungsverhältnis beschäftigt.
2. Das Berufsausbildungsverhältnis wird nicht kraft Gesetzes automatisch verlängert, wenn die Prüfung erst nach Ende der vereinbarten Ausbildungszeit abgelegt wird. Es bleibt offen, ob in erweiternder oder entsprechender Anwendung von § 21 Abs. 3 BBiG in diesen Fällen der Auszubildende eine Verlängerung bis zur Bekanntgabe des Prüfungsergebnisses verlangen kann.
3. Eine Verlängerung kann der Auszubildende im öffentlichen Dienst in diesen Fällen nach § 16 Abs. 2 iVm. § 16 Abs. 1 Satz 2 TVAöD verlangen. Diese tarifliche Regelung begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
Normenkette
BBiG §§ 21, 24; Tarifvertrag für Auszubildende des öffentlichen Dienstes (TVAöD) § 16 Abs. 1; Tarifvertrag für Auszubildende des öffentlichen Dienstes (TVAöD) § 16 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 20. April 2007 – 13 Sa 330/07 – wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten der Revision hat der Kläger zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob zwischen ihnen im Anschluss an ein Berufsausbildungsverhältnis durch Weiterbeschäftigung des Klägers ein Arbeitsverhältnis begründet wurde.
Der Kläger wurde in der Stadtverwaltung der Beklagten auf der Grundlage eines Berufsausbildungsvertrages vom 8. Mai 2003 zum Verwaltungsfachangestellten ausgebildet. Der Vertrag lautet ua.:
“Berufsausbildungsvertrag
…
§ 2
Beginn und Dauer der Ausbildung, Probezeit
(1) Die Berufsausbildung beginnt am 18. August 2003 und endet am 17. August 2006.
…
(3) Besteht der Auszubildende vor Ablauf der nach Absatz 1 vereinbarten Ausbildungszeit die Abschlussprüfung, so endet das Berufsausbildungsverhältnis mit Bestehen der Abschlussprüfung.
§ 3
Grundsätzliches über das Rechtsverhältnis
Das Berufsausbildungsverhältnis bestimmt sich nach dem Berufsbildungsgesetz vom 14. August 1969 in seiner jeweiligen Fassung sowie nach den Vorschriften des Manteltarifvertrages für Auszubildende vom 5. März 1991 und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträgen in der für den Bereich
…
der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA)
jeweils geltenden Fassung.
…”
In Bezug genommen war damit der seit dem 1. Oktober 2005 geltende “Tarifvertrag für Auszubildende des öffentlichen Dienstes” (hiernach: TVAöD), den auch die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände als Tarifvertragspartei abgeschlossen hat. Dort ist die Beendigung des Ausbildungsverhältnisses wie folgt geregelt:
Ҥ 16
Beendigung des Ausbildungsverhältnisses
(1) Das Ausbildungsverhältnis endet mit Ablauf der Ausbildungszeit; abweichende gesetzliche Regelungen bleiben unberührt. Im Falle des Nichtbestehens der Abschlussprüfung verlängert sich das Ausbildungsverhältnis auf Verlangen des Auszubildenden bis zur nächstmöglichen Wiederholungsprüfung, höchstens um ein Jahr.
(2) Können Auszubildende ohne eigenes Verschulden die Abschlussprüfung erst nach beendeter Ausbildungszeit ablegen, gilt Abs. 1 Satz 2 entsprechend.
…”
Der Kläger erbrachte am 27. Juni 2006 seine letzte Prüfungsleistung, die mündliche Prüfung. Anschließend wurde er über den 17. August 2006 hinaus bis zum 31. August 2006 von der Beklagten beschäftigt. Das Prüfungsergebnis wurde ihm erstmalig am 31. August 2006 mitgeteilt. Zugleich wurde ihm das Zeugnis übergeben. Der Kläger teilte dies noch am selben Tag der Beklagten mit. Die Beklagte erklärte, sie wolle mit dem Kläger kein Arbeitsverhältnis begründen. Daran hielt sie auch später fest.
Im vorliegenden Verfahren macht der Kläger das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses seit dem 18. August 2006 geltend. Er hat die Auffassung vertreten, da er über das vertragsgemäß mit dem 17. August 2006 festgelegte Ende seiner Ausbildungszeit hinaus beschäftigt worden sei, gelte ein Arbeitsverhältnis gemäß § 24 BBiG als begründet.
Der Kläger hat zuletzt beantragt
festzustellen, dass zwischen ihm und der Beklagten seit dem 18. August 2006 ein Arbeitsverhältnis besteht.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat behauptet, vor dem 31. August 2006 vom Prüfungsergebnis keine Kenntnis gehabt zu haben. Nach § 24 BBiG komme ein Arbeitsverhältnis nur dann zustande, wenn der Auszubildende nach Abschluss des Prüfungsverfahrens weiterbeschäftigt werde.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter. Die Beklagte begehrt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Die Klage ist zulässig, sie ist jedoch unbegründet, da zwischen den Parteien kein Arbeitsverhältnis zustande gekommen ist.
I. Gegen die Zulässigkeit der Klage bestehen keine Bedenken.
Dahingestellt bleiben kann, ob ein Schlichtungsausschuss iSv. § 111 Abs. 2 ArbGG gebildet ist. Dieser muss nach § 111 Abs. 2 ArbGG nur dann angerufen werden, wenn ein Berufsausbildungsverhältnis besteht. Der Ausschuss ist nicht zuständig, wenn das Berufsausbildungsverhältnis – wie hier – bereits beendet ist (BAG 13. März 2007 – 9 AZR 494/06 – zu A I der Gründe, AP BBiG § 14 Nr. 13 = EzA BBiG § 14 Nr. 14).
Für die Klage besteht auch ein Feststellungsinteresse (§ 256 Abs. 1 ZPO), da die Beklagte das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses leugnet.
II. Zwischen den Parteien ist kein Arbeitsverhältnis zustande gekommen.
1. Die Voraussetzungen des § 24 BBiG sind nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift gilt ein Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit als begründet, wenn Auszubildende im Anschluss an das Berufsausbildungsverhältnis beschäftigt werden, ohne dass hierüber ausdrücklich etwas vereinbart worden ist. Der Kläger wurde nicht im Anschluss an sein Berufsausbildungsverhältnis beschäftigt, vielmehr bestand bis zum 31. August 2006, dem letzten Tag der Beschäftigung des Klägers, zwischen den Parteien ein Berufsausbildungsverhältnis.
a) Nach § 21 Abs. 1 und 2 BBiG endet das Ausbildungsverhältnis mit dem Ablauf der Ausbildungszeit oder vor deren Ablauf mit der Bekanntgabe des Ergebnisses durch den Prüfungsausschuss, falls der Auszubildende die Abschlussprüfung besteht. Das entspricht der Regelung in § 16 Abs. 1 Satz 1 TVAöD sowie in § 2 Abs. 3 des Berufsausbildungsvertrages der Parteien.
Danach würde das Berufsausbildungsverhältnis der Parteien an sich mit dem 17. August 2006 enden, dem im Berufsausbildungsvertrag vorgesehenen Beendigungszeitpunkt. Ein vorzeitiges Ende nach diesen Regelungen trat nicht ein, da der Kläger zwar die Prüfungsleistungen vor Abschluss der Ausbildungszeit erbracht hat, ihm das Ergebnis jedoch erst später verbindlich mitgeteilt worden ist (BAG 16. Juni 2005 – 6 AZR 411/04 – zu II 1 der Gründe, AP BBiG § 14 Nr. 12 = EzA BBiG § 14 Nr. 13).
b) Das Berufsausbildungsverhältnis der Parteien hat sich jedoch über diesen Zeitpunkt hinaus verlängert.
aa) Dahingestellt bleiben kann, ob eine derartige Verlängerung bereits auf der Grundlage des § 21 BBiG eingetreten ist.
Nach § 21 Abs. 1 Satz 1 BBiG endet es mit Ablauf der Ausbildungszeit, nach Abs. 2 vor Ablauf der Ausbildungszeit mit Bekanntgabe des Prüfungsergebnisses, falls der Auszubildende die Abschlussprüfung besteht. Nach § 21 Abs. 3 BBiG verlängert sich das Berufsausbildungsverhältnis auf Verlangen des Auszubildenden bis zur nächstmöglichen Wiederholungsprüfung, höchstens um ein Jahr, wenn der Auszubildende die Abschlussprüfung nicht besteht.
Ob diese Regelungen abschließend sind, ist bislang in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht abschließend geklärt. In seinem Urteil vom 30. September 1998 (– 5 AZR 58/98 – zu II der Gründe, BAGE 90, 24) hat das Bundesarbeitsgericht die § 21 Abs. 3 BBiG nF entsprechende Bestimmung des § 14 Abs. 3 BBiG aF analog auf den Fall angewandt, in dem der Auszubildende wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit an der Prüfung nicht teilnehmen konnte und nach dem vereinbarten Ende des Ausbildungsverhältnisses dessen Verlängerung verlangte. Andernfalls würden sich die Chancen des Auszubildenden, die Prüfung beim nächsten Termin zu bestehen oder eine gute Note zu erreichen, verschlechtern. Nach dem Urteil vom 23. September 2004 (– 6 AZR 519/03 – BAGE 112, 72) kommt eine ergänzende Auslegung der Vorschrift in Betracht, wenn der Auszubildende die Abschlussprüfung erst nach Ablauf der vereinbarten Ausbildungszeit nicht besteht. In diesem Falle wäre eine “Verlängerung” des Ausbildungsverhältnisses an sich begrifflich nicht möglich. Voraussetzung für die Verlängerung ist jedoch, dass der Auszubildende den Verlängerungswunsch unverzüglich geltend macht.
Nach dem Urteil vom 13. März 2007 (– 9 AZR 494/06 – zu B I 2, B III der Gründe, AP BBiG § 14 Nr. 13 = EzA BBiG § 14 Nr. 14) kommt eine Verlängerung des Berufsausbildungsverhältnisses durch dessen Fortsetzung nur dann in Betracht, wenn der Ausbildende den Auszubildenden nach Ablauf der Ausbildungszeit weiter “beschäftigt” oder das Berufsausbildungsverhältnis “fortsetzt”. Das setze aber voraus, dass der Auszubildende weiterhin an seiner betrieblichen Ausbildungsstätte erscheint und dort tätig wird. Weiterer Besuch der Berufsschule nach dem vereinbarten Ablauf der Ausbildungszeit genüge dafür nicht. Eine ergänzende Auslegung des Berufsbildungsgesetzes scheide aus.
Nach Ansicht des Senats ist eine ergänzende Auslegung des § 21 Abs. 3 BBiG dahingehend, dass sich das Berufsausbildungsverhältnis immer dann verlängert, wenn das Prüfungsergebnis erst nach Abschluss der vereinbarten Ausbildungszeit bekannt gegeben wird, nicht geboten. Dies entspräche, wie im Urteil vom 13. März 2007 (– 9 AZR 494/06 – zu B III 3 der Gründe, aaO) ausgeführt, auch nicht den Belangen des Auszubildenden. Dieser kann nämlich ein Interesse daran haben, sich auf die Prüfung vorzubereiten, ohne durch die Verpflichtung zu Verrichtungen im Betrieb (§ 13 Satz 2 Nr. 1 BBiG) daran gehindert zu werden, oder als “Ausgebildeter” einer Arbeit nachzugehen, die besser als die Fortsetzung der Ausbildung vergütet wird.
Eine erweiternde oder analoge Anwendung der Vorschrift liegt jedoch nahe, wenn der Auszubildende die Verlängerung des Berufsausbildungsverhältnisses bis zur Bekanntgabe des Prüfungsergebnisses verlangt. Steht nicht fest, ob die Prüfung bestanden ist, muss der Auszubildende damit rechnen, sie wiederholen zu müssen. Die Verlängerung des Berufsausbildungsverhältnisses würde die lückenlose Fortsetzung ermöglichen und damit die Chance für das Bestehen einer etwa erforderlichen Wiederholungsprüfung erhöhen.
bb) Einer abschließenden Entscheidung dieser Frage bedarf es aber im Streitfall nicht; denn das Berufsausbildungsverhältnis der Parteien hat sich jedenfalls nach § 16 Abs. 2 iVm. § 16 Abs. 1 Satz 2 TVAöD verlängert.
(1) Nach § 16 Abs. 2 TVAöD gilt Abs. 1 Satz 2 der Regelung entsprechend, wenn Auszubildende ohne eigenes Verschulden die Abschlussprüfung erst nach beendeter Ausbildungszeit ablegen. Diese Voraussetzung liegt hier vor. Erst mit Bekanntgabe des Ergebnisses ist das Prüfungsverfahren tatsächlich abgeschlossen und damit die Prüfung abgelegt. Einer anderen Ansicht stünde der Charakter der Prüfung als rechtliches geordnetes Verfahren (§§ 37 ff. BBiG) entgegen. Damit wurde – ohne dass den Kläger ein Verschulden träfe – das Prüfungsverfahren am 31. August 2006 beendet. Auf die Frage, wann die Prüfungsleistungen erbracht werden, kommt es nicht an.
Die danach entsprechend anzuwendende Regelung in § 16 Abs. 1 Satz 2 TVAöD sieht vor, dass im Falle des Nichtbestehens der Abschlussprüfung sich das Ausbildungsverhältnis auf Verlangen des Auszubildenden bis zur nächstmöglichen Wiederholungsprüfung, höchstens um ein Jahr verlängert. Da Abs. 2 der Regelung alle Fälle erfasst, in denen die Prüfung nach Ablauf der Ausbildungszeit endet, ist bei der entsprechenden Anwendung der in Bezug genommenen Norm nicht auf eine Wiederholungsprüfung, sondern auf die erstmalige Prüfung abzustellen. Das Ausbildungsverhältnis verlängert sich also bis zum Abschluss des Prüfungsverfahrens, wenn der Auszubildende dies verlangt.
(2) Der Kläger hat im Sinne der tariflichen Regelung auch die Verlängerung seines Berufsausbildungsverhältnisses verlangt.
Das ergibt sich daraus, dass er nach Erbringung der Prüfungsleistungen und nach dem vereinbarten Ende der Ausbildungszeit bei der Beklagten erschien und beschäftigt wurde, während ihm – wie die Beklagte offenbar wusste – noch nicht bekannt war, ob er die Prüfung bestanden hatte. Unter derartigen Umständen kann ein weiteres Erscheinen des Auszubildenden im Betrieb – soweit keine besonderen Umstände des Einzelfalls vorliegen – nur so ausgelegt werden, dass er bis zur Bekanntgabe des Prüfungsergebnisses als Auszubildender weiterbeschäftigt werden und abwarten will, ob er die Prüfung wiederholen muss. Besondere Umstände des Einzelfalls sind hier weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
(3) Rechtliche Bedenken gegen dieses Ergebnis bestehen nicht. Insbesondere verstößt der Tarifvertrag nicht gegen § 25 BBiG, wonach Vereinbarungen, die zu Ungunsten des Auszubildenden ua. von § 21 BBiG abweichen, nichtig sind. Selbst wenn das Gesetz dem Auszubildenden keinen Anspruch auf Verlängerung des Ausbildungsverhältnisses für den Fall einräumt, dass das Prüfungsergebnis erst nach Abschluss der Ausbildungszeit bekannt gegeben wird, wäre die Schaffung einer derartigen Wahlmöglichkeit durch Tarifvertrag jedenfalls für den Auszubildenden günstiger, als wenn er sie nicht hätte.
2. Dass aus sonstigen Gründen ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien zustande gekommen ist, macht der Kläger nicht geltend. Es ist auch nicht ersichtlich.
Unterschriften
Reinecke, Kremhelmer, Zwanziger, Oberhofer, Stemmer
Fundstellen