Entscheidungsstichwort (Thema)
Abwicklung nach Einigungsvertrag
Normenkette
Einigungsvertrag Art. 13, 20 Abs. 1; Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 2
Verfahrensgang
LAG Berlin (Urteil vom 06.04.1992; Aktenzeichen 12 Sa 4/92) |
ArbG Berlin (Urteil vom 22.10.1991; Aktenzeichen 77 Ca 11543/91) |
Tenor
1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 6. April 1992 – 12 Sa 4/92 – wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob das Arbeitsverhältnis der Klägerin gemäß Art. 20 Abs. 1 Einigungsvertrag in Verbindung mit Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 2 Satz 2 und 5 (im folgenden Nr. 1 Abs. 2 EV) mit Ablauf des 30. Juni 1991 geendet hat und die Beklagte zur Zahlung der Differenz zwischen erhaltenem Wartegeld und vertraglicher Vergütung verpflichtet ist.
Die Klägerin war ab Juni 1979 als Projektantin für landschaftsgärtnerische Gestaltung in der Versorgungseinrichtung des Ministerrates der DDR (VEM) beschäftigt. Ihr Monatsgehalt betrug zuletzt DM 1.855,00 brutto. Das Aufgabengebiet der VEM bestand in der Betreuung und Versorgung von Gästen und Nomenklaturkadern des Zentralkomitees der SED, des Staatsrats der DDR, des Ministerrats der DDR und der vom Leiter des Sekretariats des Ministerrats, vom Leiter der Abteilung Betriebe und Einrichtungen des Sekretariats des Ministerrats sowie vom Leiter der Protokollabteilung des Sekretariats des Ministerrats eingewiesenen Gäste. Die VEM war in Abteilungen und Direktionsbereiche untergliedert. Die Klägerin war im Direktionsbereich „Gebäudewirtschaft I” tätig, der im wesentlichen mit dem Bau, der Verwaltung und der Erhaltung von Immobilien befaßt war.
Mit Wirkung vom 4. Oktober 1990 wurde als unselbständiger Bestandteil der Oberfinanzdirektion Berlin die „Grundstücksverwaltung Mitte” aus den dem Referat 25 des Amtes des Ministerpräsidenten der DDR nachgeordneten Verwaltungen gebildet.
Nachdem die Entscheidung über die Abwicklung oder Fortführung der dem früheren Amt des Ministerpräsidenten der DDR nachgeordneten Betriebe und Einrichtungen bis letztlich zum 31. Dezember 1990 hinausgeschoben worden war, entschied das Bundesministerium der Finanzen mit Erlaß vom 11. Dezember 1990, die Betriebe und Einrichtungen des früheren Amtes des Ministerpräsidenten der DDR nicht in die Verwaltung des Bundes zu überführen.
Der Klägerin wurde mitgeteilt, daß sie sich ab 1. Januar 1991 im Wartestand befinde. Sie wurde ab Januar 1991 nicht mehr beschäftigt. Von den per 31. Dezember 1990 noch im Direktionsbereich „Gebäudewirtschaft” beschäftigten 105 Arbeitnehmern hat die Beklagte insgesamt 58 Arbeitnehmer auf der Grundlage befristeter Arbeitsverträge weiterbeschäftigt. Mit Wirkung zum 31. Dezember 1991 wurde die Grundstücksverwaltung Mitte aufgelöst. Die Betreuung der noch zu verwaltenden Liegenschaften wurde dem zuständigen Bundesvermögensamt übertragen. Während dem Direktionsbereich „Gebäudewirtschaft I” der ehemaligen VEM auch größere Bauausführungen oblagen, vergibt die Oberfinanzdirektion größere Arbeiten an den Grundstücken grundsätzlich an private Firmen und beschäftigt lediglich einige Verwaltungsarbeiter, wie Hausmeister und Handwerker, die in den Dienstgebäuden kleinere Reparaturarbeiten ausführen können.
Die Klägerin hat geltend gemacht, die VEM sei tatsächlich auf die Beklagte überführt worden, so daß ihr Arbeitsverhältnis nicht mit Ablauf des 30. Juni 1991 geendet habe. Außerdem hat die Klägerin den Differenzbetrag zwischen ihrem Arbeitsentgelt und dem an sie gezahlten Wartegeld verlangt.
Die Klägerin hat beantragt
- festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien über den 30. Juni 1991 hinaus fortbesteht,
- die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 3.799,02 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den daraus folgenden Nettobetrag seit dem 15. Juni 1991 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat behauptet, die über den 31. Dezember 1990 hinaus weiterbeschäftigten Arbeitnehmer seien lediglich zur Gebäudeerhaltung, zur Gewährleistung der Verkehrssicherheit und zur Auflösung des Komplexes „Gebäudewirtschaft” eingesetzt worden.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Klägerin Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das Berufungsgericht hat die Klage zu Recht als unbegründet abgewiesen.
A. Das Landesarbeitsgericht hat im wesentlichen ausgeführt:
Das Arbeitsverhältnis der Klägerin habe mit Ablauf des 30. Juni 1991 geendet, denn die Beklagte habe die ehemalige VEM weder ganz noch teilweise im Sinne von Nr. 1 Abs. 2 EV überführt. Insbesondere sei keine Teileinrichtung der VEM – vor allem nicht der ehemalige Direktionsbereich „Gebäudewirtschaft” – auf die Beklagte überführt worden. Dies gelte nicht nur dann, wenn auf die verlautbarte Entscheidung, sondern auch dann, wenn auf die tatsächlichen Abläufe abgestellt werde. Die Beklagte habe den Direktionsbereich „Gebäudewirtschaft” tatsächlich aufgelöst und abgewickelt. Sie habe die VEM mit ihrer bisherigen Struktur aufgelöst und die bisher wahrgenommenen Aufgaben durch Übertragung auf Dritte und andere organisatorische Einheiten abgewickelt. Die weitere Nutzung und Verwaltung von Liegenschaften durch die öffentliche Hand stehe der Annahme der Auflösung nicht entgegen, weil die organisatorische und personelle Zusammenfassung der Liegenschaftsverwaltung geordnet aufgelöst worden sei. Die hierzu notwendige befristete Weiterbeschäftigung früherer Mitarbeiter der VEM rechtfertige nicht den Schluß, es sei eine Einrichtung überführt worden, denn diese Weiterbeschäftigung habe der Abwicklung gedient.
B. Das angefochtene Urteil ist in seiner tragenden Begründung rechtsfehlerfrei.
1. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat gemäß Nr. 1 Abs. 2 Satz 5 EV mit Ablauf des gesetzlichen Ruhenszeitraumes geendet, denn die Klägerin gehörte zu den übrigen Arbeitnehmern der öffentlichen Verwaltung der DDR im Sinne von Nr. 1 Abs. 2 Satz 2 EV, deren Arbeitsverhältnisse wegen unterbliebener Überführung der Beschäftigungseinrichtung kraft Gesetzes ruhten und endeten.
2. Wurde bis zum 3. Oktober 1990 keine positive Überführungsentscheidung getroffen, trat kraft Gesetzes die Auflösung der Einrichtung bzw. der nicht überführten Teile ein. Wurde ein überführungsfähiger Teil überführt, erfaßte die Abwicklung den Rest der früheren Gesamteinrichtung. Die Abwicklung diente der Umsetzung dieser Auflösung und war auf die Liquidation der Einrichtung oder der nicht überführten Teile gerichtet. In diesem Falle ruhten die Arbeitsverhältnisse der in der abzuwickelnden (Teil-)Einrichtung Beschäftigten gemäß Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 2 EV grundsätzlich ab dem 3. Oktober 1990. Dieser Ruhensbeginn konnte um bis zu drei Monate hinausgeschoben werden. Die Kündigungsvorschriften des Mutterschutzrechts durften allerdings nicht durchbrochen werden.
Die Überführung einer Einrichtung gemäß Art. 13 EV bedurfte einer auf den verwaltungsinternen Bereich zielenden Organisationsentscheidung der zuständigen Stelle. Diese Überführungsentscheidung konnte eine Einrichtung als ganze oder als eine Teileinrichtung betreffen, die ihre Aufgabe selbständig erfüllen konnte (BAG Urteil vom 3. September 1992 – 8 AZR 45/92 – AP Nr. 1 zu Art. 13 Einigungsvertrag, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Die Überführungsentscheidung war mangels außenwirksamer Regelung kein Verwaltungsakt (BAG, a.a.O.; BVerwG Urteil vom 12. Juni 1992 – 7 C 5/92 – ZIP 1992, 1275).
Eine Einrichtung oder Teileinrichtung wurde im Sinne von Art. 13 EV überführt, wenn der Träger öffentlicher Verwaltung die (Teil-)Einrichtung unverändert fortführte oder er sie unter Erhaltung der Aufgaben, der bisherigen Strukturen sowie des Bestandes an sächlichen Mitteln in die neue Verwaltung eingliederte (BAG Urteil vom 28. Januar 1993 – 8 AZR 169/92 – zur Veröffentlichung vorgesehen). Die Überführung im Sinne von Art. 13 EV erforderte nicht nur die vorübergehende, sondern eine auf Dauer angelegte Fortsetzung der Verwaltungstätigkeit. Wurde die (Teil-)Einrichtung nur vorläufig mit dem Ziele der Auflösung fortgeführt, lag hierin keine Überführung im Sinne von Art. 13 EV (Urteil vom 28. Januar 1993 – 8 AZR 169/92 – a.a.O.).
Weil die gesetzliche Folge der Abwicklung immer dann eintrat, wenn es an einer positiven, gegebenenfalls auch konkludenten Überführungsentscheidung fehlte, war nur durch sie die Abwicklung der Einrichtung zu verhindern.
Die ruhenden Arbeitsverhältnisse endeten kraft Gesetzes nach Ablauf von sechs bzw. neun Monaten Wartezeit, wenn nicht der einzelne Arbeitnehmer weiterverwendet wurde. Macht ein Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes der ehemaligen DDR geltend, sein Arbeitsverhältnis sei gemäß Nr. 1 Abs. 2 Satz 1 EV auf die Bundesrepublik Deutschland oder nach Nr. 1 Abs. 3 auf ein Bundesland übergegangen und bestehe als aktives fort, hat er die Überführung seiner Beschäftigungs(teil-)einrichtung darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen (BAG Urteil vom 15. Oktober 1992 – 8 AZR 145/92 – AP Nr. 2 zu Art. 13 Einigungsvertrag, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).
3. Die Beklagte hat weder die VEM noch eine etwaige Teileinrichtung der VEM im Sinne von Art. 13 EV in ihre Trägerschaft überführt. Dies hat das Landesarbeitsgericht mit zutreffender Begründung richtig erkannt. Die hiergegen erhobenen Rügen der Revision greifen nicht durch.
Das Berufungsgericht ist aufgrund des festgestellten Sachverhalts zu dem Ergebnis gelangt, die Beklagte habe die eine Einrichtung im Sinne von Art. 13 EV darstellende Organisation aufgelöst und deren Aufgaben geordnet „abgewickelt”. Revisionsrechtlich erhebliche Rügen enthält die Revisionsbegründung diesbezüglich nicht. Die Revision bezeichnet keinen substantiierten Sachvortrag, den das Berufungsgericht bei seiner Entscheidung übergangen habe.
Entgegen der Auffassung der Klägerin rechtfertigt der Fortbestand einzelner Aufgaben der VEM und deren Erledigung durch Behörden der Beklagten nicht die Annahme einer Überführung der VEM. Vielmehr ist, wie oben unter B 2 ausgeführt, nach Art. 13 Abs. 2 EV die Überführung der Organisation einschließlich ihrer wesentlichen Aufgaben entscheidungserheblich. Insofern hat aber das Berufungsgericht zutreffend erkannt, daß es zu keiner auf Dauer angelegten Fortführung bestehender Organisationseinheiten gekommen ist. Jedenfalls begründete die vorläufige, auf Abwicklung gerichtete Tätigkeit einzelner Bereiche keine Überführung im Rechtssinne. Nach den Bestimmungen des Einigungsvertrages ergibt sich für die zulässige Dauer notwendiger Abwicklungsarbeiten keine bestimmte Zeitgrenze. Diese wird sich im wesentlichen aus der Natur der Sache ergeben müssen. Es ist deshalb nicht zu beanstanden, wenn das Berufungsgericht aus dem Abschluß nicht nur kurzfristiger Zeitverträge keine Folgerungen auf das Vorliegen einer Überführungsentscheidung gezogen hat.
Da es nach den Feststellungen des Berufungsgerichts zu keiner Fortführung der früheren Gesamtorganisation „VEM” oder ihres Teilbereiches „Gebäudewirtschaft” gekommen ist, ist es für die Entscheidung des Rechtsstreits ohne Belang, ob der Direktionsbereich „Gebäudewirtschaft I” eine Teileinrichtung im Sinne von Art. 13 Abs. 2 EV bildete oder nicht. Ebenso ist es für den Streitgegenstand des vorliegenden Rechtsstreits unerheblich, ob der Klägerin die Hinausschiebensentscheidung ordnungsgemäß bekanntgemacht worden ist. In jedem Falle kam es wegen der unterbliebenen Überführung der Beschäftigungs(teil-)einrichtung kraft Gesetzes zum Ruhen des Arbeitsverhältnisses. Dies wurde der Klägerin auch mitgeteilt. Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses trat spätestens mit Ablauf des 30. Juni 1991 ein, denn die Klägerin wurde nicht innerhalb von sechs Monaten weiterverwendet (Nr. 1 Abs. 2 Satz 5 EV). Dementsprechend ist die Klage sowohl hinsichtlich des Feststellungsantrages als auch hinsichtlich des vom aktiven Fortbestand des Arbeitsverhältnisses abhängigen Zahlungsantrages unbegründet.
C. Die Klägerin hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.
Unterschriften
Dr. Ascheid, Dr. Müller-Glöge, Dr. Mikosch, Morsch, Rosendahl
Fundstellen