Entscheidungsstichwort (Thema)
Teilkündigung eines angestellten Arztes
Orientierungssatz
Ein einseitiger isolierter Widerruf eines Zusatzvertrages zu einem Arbeitsvertrag ist nur hinsichtlich solcher Abreden möglich, die weder die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers noch die Gegenleistung des Arbeitgebers betreffen. Bezieht sich der Widerrufsvorbehalt demgegenüber auf wesentliche Elemente der beiderseitigen arbeitsvertraglichen Beziehungen, so ist dies grundsätzlich als unzulässige Teilkündigung anzusehen.
Verfahrensgang
LAG Berlin (Entscheidung vom 24.07.1989; Aktenzeichen 9 Sa 47/89) |
ArbG Berlin (Entscheidung vom 14.03.1989; Aktenzeichen 17 Ca 141/88) |
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Kündbarkeit (Widerruflichkeit) eines Zusatzvertrages zum Arbeitsvertrag.
Der am 11. September 1949 geborene Kläger ist seit dem 1. April 1987 als Augenarzt bei der Beklagten in deren Ambulatorium tätig. Grundlage des Arbeitsverhältnisses sind zwei Verträge vom 16. Februar 1987. In dem "Arbeitsvertrag" heißt es unter anderem:
".....
Die ersten 6 Monate der Tätigkeit gelten als Pro-
bezeit im Sinne des § 5 BAT/Ortskrankenkassen.
Die Vergütung wird nach der Gruppe I b BAT/O ge-
zahlt.
.....
§ 2
Vor Ablauf der Probezeit kann das Beschäftigungs-
verhältnis mit einer Frist von 2 Wochen zum Mo-
natsschluß gekündigt werden (§ 53 Abs. 1 BAT/O).
§ 3
Für das Beschäftigungsverhältnis sind die Bestim-
mungen des Bundes-Angestelltentarifvertrages/
Ortskrankenkassen (BAT/O) mit den jeweiligen Än-
derungen und Ergänzungen sowie die übrigen für
die Tarifangestellten der AOK Berlin geltenden
Tarifverträge maßgebend. Mündliche Nebenabreden
gelten nur, wenn sie schriftlich bestätigt sind.
...."
Im "Zusatzvertrag zum Arbeitsvertrag" (im folgenden kurz ZV) ist unter anderem folgendes vereinbart:
"§ 1
Die dienstplanmäßige wöchentliche Arbeitszeit
einschließlich der Ruhepausen, jedoch ausgenommen
die Wochenend- und Nachtdienste, beträgt 44 Stun-
den.
§ 2
Die wöchentliche Sprechstundenzeit beträgt 24 1/2
Stunden. Ein Tag in der Woche ist Operations- und
Bestelltag.
§ 3
Das Zusatzhonorar beträgt monatlich DM 1.500,--,
soweit sich nicht aus § 4 Abweichungen ergeben,
jedoch mit der Maßgabe, daß eine nachträgliche
Erhöhung erfolgt, wenn in der Praxis ein Über-
schuß erzielt wird. Die Nachzahlung erfolgt bis
zur Höhe von 80 % des Praxisüberschusses.
.....
§ 5
(1) Dieser Vertrag gilt vom 1. April 1987 bis zum
31. Dezember 1987. Er verlängert sich jeweils um
ein weiteres Jahr, wenn er nicht spätestens sechs
Monate vor dessen Beginn widerrufen wird.
(2) Dieser Vertrag endet automatisch mit der Be-
endigung des Beschäftigungsverhältnisses zur All-
gemeinen Ortskrankenkasse Berlin oder bei Beendi-
gung der ärztlichen Tätigkeit in den Behandlungs-
und Beratungeinrichtungen der Allgemeinen Orts-
krankenkasse Berlin.
....."
Am 22. Juni 1988 schrieb die Beklagte dem Kläger folgendes:
"Die Einführung des neuen einheitlichen Bewer-
tungsmaßstabes (EBM, § 368 g RVO) hat erhebliche
Auswirkungen auf die Ertragslage unserer Eigen-
einrichtungen. Es wird erforderlich, die Zusatz-
honorare und die damit verbundenen Regelungen bei
den Ärzten unserer Eigeneinrichtungen neu zu ord-
nen. Dies soll im Laufe des zweiten Halbjahres
1988 geschehen.
Sie werden von mir in diesen Angelegenheiten
rechtzeitig vor Ablauf dieses Jahres angespro-
chen.
Aus den genannten Gründen widerrufe ich den mit
Ihnen abgeschlossenen Zusatzvertrag zum Arbeits-
vertrag fristgemäß zum Ablauf dieses Jahres."
Mit Schreiben vom 14. November 1988 an die Beklagte wandte der Kläger sich zunächst nur gegen die Höhe der Kürzung der Zulage und später gegen eine Änderung der Anwesenheits- und Sprechstundenzeiten. Unter dem 5. Dezember 1988 erklärte die Beklagte sich gesprächsbereit und bot dem Kläger schließlich mit Schreiben vom 19. Dezember 1988 die Zahlung eines Zusatzhonorars von künftig 1.300,-- DM brutto monatlich an.
Mit seiner am 30. Dezember 1988 eingereichten Klage verfolgt der Kläger die Feststellung, daß sein Arbeitsverhältnis unverändert fortbesteht. Er hat vorgetragen, er sei nicht bereit gewesen, für eine Vergütung nach der VergGr. I b BAT/O tätig zu werden; daher sei in § 3 ZV eine zusätzliche Vergütung vereinbart worden. Der Zusatzvertrag sei ein wesentlicher Teil der Vertragsbeziehungen der Parteien und daher einem Widerruf nicht zugänglich. Im anderen Falle müsse er, der Kläger, die gleiche Leistung bei geringerer Vergütung erbringen. Dann wäre das Gleichgewicht zwischen Leistung und Gegenleistung grundlegend gestört. Die Parteien seien bei Vertragsabschluß davon ausgegangen, es komme künftig nur eine Erhöhung, nicht aber eine Verminderung des Zusatzhonorars in Betracht. Das ergebe sich auch aus § 3 ZV. Der nach Meinung der Beklagten widerrufliche Teil seines Gehalts betrage mehr als 25 % seines sonstigen Einkommens.
Außerdem fehle es an einem sachlichen Grund, der die Kürzung rechtfertigen könne. Selbst bei rückläufiger Einnahmenentwicklung im Ambulatorium und Annahme eines Widerrufsrechts hätte die Beklagte billiges Ermessen nicht gewahrt.
Der Kläger beantragt festzustellen,
daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien
zu den Bedingungen des Arbeitsvertrages und des
Zusatzvertrages zum Arbeitsvertrag, jeweils vom
16. Februar 1987, über den 31. Dezember 1988 hin-
aus unverändert fortbestehe.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, sie habe ein Widerrufsrecht wirksam vereinbart. Das Arbeitsverhältnis werde abschließend durch den Arbeitsvertrag in Verbindung mit dem BAT gestaltet. Im Zusatzvertrag sei nur eine Zulage vereinbart worden. Der Kläger habe gewußt, daß die ihrem Ambulatorium eingegliederte Praxis einen Überschuß erwirtschaftet habe, der dem leitenden Arzt zu 80 % zugute gekommen sei. Aufgrund dieser Erfahrung sei die Zulage von 1.500,-- DM vereinbart worden. Aus §§ 3 und 4 des Zusatzvertrages ergebe sich die Koppelung zwischen Zulage und Ertragslage. Bei schlechter Ertragslage könnten Zulagen - bei entsprechendem Vorbehalt - widerrufen werden.
Weiter hat die Beklagte vorgetragen, sie habe den Widerruf nach billigem Ermessen ausgeübt. Der Leistungswert der Augenpraxis des Klägers habe sich vom ersten Halbjahr 1987 zum ersten Halbjahr 1988 um 23,12 % verschlechtert. Bei genauer Anpassung ergäbe sich eine Kürzung von 346,80 DM. Die Kürzung der Zulage um nur 200,-- DM sei daher angemessen, denn sie belaufe sich nur auf 13,33 %. Selbst bei völligem Wegfall des Zusatzhonorars würde die Kürzung der Gesamtvergütung des Klägers weniger als 20 % ausmachen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision, mit der die Beklagte ihr Ziel der Klageabweisung weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet, weil die Beklagte nicht berechtigt war, den Zusatzvertrag isoliert zu widerrufen.
I. Das Landesarbeitsgericht hat das Schreiben der Beklagten vom 22. Juni 1988 als unzulässige Teilkündigung angesehen. Bei dem Zusatzvertrag handele es sich nicht um eine Nebenabrede gemäß § 4 Abs. 2 BAT/O, vielmehr enthalte dieser alle notwendigen Elemente eines Arbeitsvertrages und nicht nur solche Abreden, die weder die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers noch die Gegenleistung des Arbeitgebers beträfen. Der Widerrufsvorbehalt stelle die rechtlich nicht zulässige Vereinbarung einer Teilkündigung dar, die sich auf wesentliche Elemente der beiderseitigen arbeitsvertraglichen Beziehungen erstrecke. Eine solche Vereinbarung sei nichtig, weil sie zur Umgehung zwingenden Kündigungsrechts führe.
Der Kläger habe sein Klagerecht auch nicht verwirkt. Aufgrund seiner wiederholten Erinnerungen habe die Beklagte nicht davon ausgehen können, der Kläger wolle es bei der Hinnahme der Kürzung belassen.
Dem ist im Ergebnis wie auch in der Begründung zu folgen.
II.1. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist entscheidendes Merkmal einer Teilkündigung die einseitige Änderung von Vertragsbedingungen gegen den Willen der anderen Vertragspartei. Während die Kündigung, auch die Änderungskündigung, das Arbeitsverhältnis in seinem ganzen Bestand erfaßt, ist die Teilkündigung dadurch gekennzeichnet, daß sie nur einzelne Rechte oder Pflichten aus dem Arbeitsvertrag lösen, den Arbeitsvertrag selbst aber aufrecht erhalten will (vgl. nur BAGE 57, 344, 361 = AP Nr. 18 zu § 611 BGB Arzt-Krankenhaus-Vertrag, zu A III 3 c aa der Gründe, m. w. N.).
Der Rahmen des zulässigen einseitigen Eingriffs in das wechselseitige Geflecht von Rechten und Pflichten eines Arbeitsvertrages wird weitgehend durch die Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes bestimmt. Danach ist der Bestand des Arbeitsverhältnisses durch § 1 KSchG, aber auch der Inhalt des Vereinbarten durch § 2 KSchG geschützt (vgl. Herschel/Löwisch, KSchG, 6. Aufl., § 2 Rz 3). Die einseitige Änderung einzelner Vertragsbedingungen durch Teilkündigung ist, da sie das vereinbarte Ordnungs- und Äquivalenzgefüge stört, grundsätzlich unzulässig. Ausnahmsweise ist sie dann zulässig, wenn einem Vertragspartner das Recht hierzu durch Vertrag vorbehalten oder durch Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag eingeräumt ist (Widerrufsvorbehalt, vgl. BAGE 57, 344, 362 = AP, aaO; BAGE 40, 199, 207 = AP Nr. 5 zu § 620 BGB Teilkündigung, zu III 1 b der Gründe). Allerdings darf sie nicht zu einer Umgehung von zwingenden Kündigungsvorschriften führen (BAGE 47, 314 = AP Nr. 6 zu § 2 KSchG 1969; BAGE 55, 275, 280 f. = AP Nr. 4 zu § 305 BGB Billigkeitskontrolle, zu II 2 der Gründe; Gumpert, BB 1969, 409; vgl. weiter KR-Wolf, 3. Aufl., Grunds. Rz 149; Wank in: Hromadka, Änderung von Arbeitsbedingungen, 1. Aufl., S. 35, 49). Statthaft ist die einseitige Änderung von Arbeitsbedingungen grundsätzlich insbesondere dann, wenn ein Gesamtvertragsverhältnis sich aus mehreren Teilverträgen zusammensetzt und diese Teilverträge selbst nach dem Gesamtbild des Vertrages jeweils für sich als nach dem Vertrag selbständig lösbar angesprochen sind und von vornherein eindeutig als selbständig lösbar aufgefaßt werden müssen (BAGE 5, 44, 50 f. = AP Nr. 2 zu § 242 BGB Betriebliche Übung, zu II der Gründe).
2. Die entscheidende Frage des Rechtsstreits ist daher, ob die Regelungen des Zusatzvertrages in der Weise mit dem Arbeitsvertrag verbunden sind, daß die zugelassene einseitige Gestaltungsmöglichkeit einen wesentlichen Eingriff in das Ordnungs- und Äquivalenzgefüge des gesamten Arbeitsverhältnisses bedeutet. Diese Frage ist zu bejahen.
Bei dem Zusatzhonorar handelte es sich um einen festen Vergütungsbestandteil. Dieser knüpft nicht etwa an zusätzliche Aufgaben an, die der Kläger neben seinen dienstlichen Verpflichtungen wahrnehmen sollte. Vielmehr geben die §§ 1 und 2 des Zusatzvertrages Umfang und Inhalt der dienstlichen Tätigkeit des Klägers wieder. Der Kläger war nicht bereit, lediglich zu der tariflichen Vergütung tätig zu werden. Die Beklagte hebt selbst hervor, die Parteien seien sich einig gewesen, daß sie den Arbeitsvertrag nicht ohne den Zusatzvertrag abgeschlossen hätten. Dann kann aber bei der Zusatzvergütung nicht von einer Sondervergütung im eigentlichen Sinne gesprochen werden, sondern um einen festen Vergütungsteil. Für die Einheitlichkeit des Vertrages spricht auch, daß der Zusatzvertrag automatisch mit der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses oder mit der Beendigung der ärztlichen Tätigkeit in den Verhandlungs- und Beratungseinrichtungen der Beklagten enden soll.
Wenn § 3 ZV das Zusatzhonorar auf 1.500,-- DM festlegt und daneben eine nachträgliche Erhöhung dieses Betrages vorsieht, soweit in der Praxis ein Überschuß erzielt wird, läßt dies den Schluß zu, daß es sich bei dem genannten Betrag um einen unantastbaren Sockelbetrag handeln soll. Anderenfalls würde gerade der Wunsch des Klägers, nicht lediglich zu der tariflichen Vergütung tätig zu werden, umgangen. Andererseits findet die Auffassung der Beklagten, die Höhe des als Zusatzhonorar vereinbarten Gehaltsbestandteils sei im Hinblick auf die wirtschaftliche Ertragslage des Praxisanteils und den entsprechenden vorjährigen Erfahrungen festgelegt worden, im Vertragstext keine Stütze. Dabei ist zu beachten, daß geringere Einnahmen infolge verringerter Inanspruchnahme nicht etwa zu einer Verminderung der Arbeitszeit des Klägers führen sollten. Selbst wenn die Höhe des Zusatzhonorars unter Berücksichtigung der Erfahrungswerte früherer Praxisjahre festgelegt wurden und man § 3 ZV dahin versteht, eine Erhöhung des Zusatzhonorars solle erst bei Überschreitung des Umsatzanteiles erfolgen, der der Ermittlung des Betrages von 1.500,-- DM zugrundelag, ergibt sich daraus nicht, daß eine rückläufige wirtschaftliche Entwicklung eine Kürzung unter den errechneten Betrag rechtfertigt. Eine derartige Vertragsauslegung, die im Ergebnis das Zusatzhonorar zu einer Verlust- und Gewinnbeteiligung mit allen wirtschaftlichen Risiken macht, verbietet der eindeutige Wortlaut des Vertrages. Im übrigen wäre eine derartige Vereinbarung unwirksam (Senatsurteile vom 10. Oktober 1990 - 5 AZR 404/89 -, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen und vom 21. März 1984 - 5 AZR 462/82 -, n. v.).
Der vereinbarte Widerrufsvorbehalt gibt daher der Beklagten nicht das Recht, die finanzielle Gegenleistung für den Kläger unterhalb des Sockelbetrages von tariflicher Vergütung nach VergGr. I b BAT/O zuzüglich 1.500,-- DM brutto festzulegen. Ein entsprechender einseitiger Eingriff in die Hauptleistungspflichten des Vertrages gegen den Willen des Vertragspartners stellt daher eine unzulässige Teilkündigung dar.
3. Diesem Ergebnis steht nicht entgegen, daß die Parteien den Zusatzvertrag als Nebenabrede nach § 4 Abs. 2 BAT/O bezeichnet haben. Nach ständiger Rechtsprechung gelten als Nebenabreden im Sinne des § 4 Abs. 2 BAT nur solche arbeitsvertraglichen Vereinbarungen, die weder die Arbeitsleistungen des Arbeitnehmers noch die Gegenleistung des Arbeitgebers unmittelbar betreffen (BAGE 37, 228 = AP Nr. 8 zu § 4 BAT; BAG Urteil vom 12. Juli 1983 - 3 AZR 129/81 - AP Nr. 9 zu § 17 BAT). Der Inhalt der Vertragsurkunde wie der auch ihrem Vortrag zu entnehmende Wille der Vertragsparteien weisen aber darauf hin, daß der Zusatzvertrag untrennbar mit dem Arbeitsvertrag verbunden sein sollte und damit einen wesentlichen Bestandteil der gegenseitigen Hauptleistungspflichten darstellt.
III. Dem Kläger kann nicht entgegengehalten werden, er habe sein Klagerecht verwirkt. Die Beklagte hat in ihrem Widerrufsschreiben selbst weitere Verhandlungen angekündigt. Der Kläger konnte daher weitere Erklärungen der Beklagten abwarten, die dann tatsächlich auch im Dezember 1988 abgegeben wurden. Unter diesen Umständen sind die Voraussetzungen einer Verwirkung schon allgemein zu verneinen.
Dr. Thomas Dr. Gehring Dr. Olderog
Dr. Müller Kähler
Fundstellen