Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifliches 13. Monatseinkommen. Herabsetzung durch Sanierungstarifvertrag
Normenkette
Tarifvertrag über die tarifliche Absicherung eines Teiles eines 13. Monatseinkommens in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalens vom 11. Dezember 1996 § 2; Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung 1997 in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens vom 11. Dezember 1996 § 6; Sanierungstarifvertrag betreffend die Unternehmen des Schaltbau-Konzerns vom 4. November 1999 §§ 2, 5
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 7. Februar 2001 – 4 Sa 1404/00 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über ein 13. Monatseinkommen.
Der Kläger ist bei der Beklagten, die dem Schaltbau-Konzern angehört, als Maschinenschlosser beschäftigt. Er ist Betriebsratsvorsitzender. Auf das Arbeitsverhältnis sind die Vorschriften der Tarifverträge in der Eisen-, Metall-, Elektro- und Zentralheizungsindustrie Nordrhein-Westfalens kraft beiderseitiger Verbandszugehörigkeit anwendbar, die die Beklagte auch auf die Nichttarifgebundenen anwendet, sofern sie nicht ausdrücklich außertarifliche Vereinbarungen getroffen hat.
Der Kläger erhielt in der Vergangenheit Leistungen nach dem „Tarifvertrag über die tarifliche Absicherung eines Teiles eines 13. Monatseinkommens” vom 11. Dezember 1996 (im folgenden: TV 13. ME). Der zum 1. Januar 1997 in Kraft getretene TV 13. ME lautet auszugsweise:
„§ 2
Voraussetzungen und Höhe der Leistungen
1. Arbeitnehmer und Auszubildende, die jeweils am Auszahlungstag in einem Arbeitsverhältnis bzw. Ausbildungsverhältnis stehen und zu diesem Zeitpunkt dem Betrieb ununterbrochen 6 Monate angehört haben, haben je Kalenderjahr einen Anspruch auf betriebliche Sonderzahlungen.
Ausgenommen sind Arbeitnehmer und Auszubildende, die zu diesem Zeitpunkt ihr Arbeitsverhältnis bzw. Ausbildungsverhältnis gekündigt haben.
2.2. Treffen die Betriebsparteien über die Ausgestaltung der Sonderzahlungen nach § 2 Nr. 2.1 keine Regelung, werden die Sonderzahlungen nach folgender Staffel gezahlt:
|
Ab 1997 |
nach 6 Monaten Betriebszugehörigkeit |
25 % |
nach 12 Monaten Betriebszugehörigkeit |
25 % |
nach 24 Monaten Betriebszugehörigkeit |
45 % |
nach 36 Monaten Betriebszugehörigkeit |
55 % |
eines Monatsentgelts bzw. einer Monatsvergütung.
3. Diese Leistungen gelten als Einmalleistung im Sinne der sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften.
…
6. Anspruchsberechtigte Arbeitnehmer bzw. Auszubildende, deren Arbeitsverhältnis bzw. Ausbildungsverhältnis im Kalenderjahr kraft Gesetzes oder Vereinbarung ruht, erhalten keine Leistungen. Ruht das Arbeitsverhältnis bzw. Ausbildungsverhältnis im Kalenderjahr teilweise, so erhalten sie eine anteilige Leistung.
Anspruchsberechtigte Arbeitnehmer, die wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit, wegen Erreichens der Altersgrenze oder aufgrund Kündigung zwecks Inanspruchnahme eines vorgezogenen Altersruhegeldes aus dem Beruf ausscheiden, erhalten die volle Leistung.
§ 3
Zeitpunkt
1. Der Zeitpunkt der Auszahlung wird durch Betriebsvereinbarung geregelt.
2. Falls dieser Zeitpunkt durch Betriebsvereinbarung nicht geregelt ist, gilt als Auszahlungstag im Sinne des § 2 Nr. 1 der 1. Dezember ….”
Ebenfalls zum 1. Januar 1997 trat der Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung 1997, abgeschlossen zwischen der IG Metall, Bezirksleitung Nordrhein-Westfalen, und dem Verband der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalen e.V., in Kraft (im folgenden: TV Besch). Dieser lautet in § 6:
„§ 6
Sonderfallregelung
Die Tarifvertragsparteien werden sich, wie bisher, in besonders gravierenden Fällen, z.B. zur Abwendung einer Insolvenz, darum bemühen, für einzelne Unternehmen Sonderregelungen zu finden, um damit einen Beitrag zum Erhalt der Unternehmen und der Arbeitsplätze zu leisten.”
Auf Grund wirtschaftlicher Schwierigkeiten traten die Industriegewerkschaft Metall, die Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands und der Vorstand der Schaltbau AG in Verhandlungen. Unter dem Datum des 4. November 1999 wurden die Ergebnisse der Sanierungsverhandlungen schriftlich festgehalten. Das „Verhandlungsergebnis” hat auszugsweise folgenden Inhalt:
„Präambel:
Der Schaltbau-Konzern ist durch Umstände, die nicht Arbeitnehmer/innen zu vertreten haben, in eine außerordentlich schwierige Ertrags- und Liquiditätssituation gelangt, der dringend durch kurzfristige Maßnahmen begegnet werden muß, um den Bestand der Konzernunternehmen zu sichern und eine möglichst hohe Zahl von Arbeits- und Ausbildungsplätzen zu erhalten und zukunftsfähig zu machen.
Dies vorausgeschickt, wird folgendes vereinbart:
1) Geltungsbereich:
Der Ergänzungstarifvertrag gilt für die Beschäftigten aller Betriebe des Schaltbau-Konzerns.
2) Laufzeit:
Dieser Tarifvertrag unterliegt einer zeitlichen Befristung ohne Nachwirkung. Dieser umfaßt den Zeitraum vom
11. November 1999 bis zum 31. Dezember 2001.
3) Tarifliche Teile eines 13. Monatseinkommens
Die Teile eines 13. Monatseinkommens der Jahre 1999/2000 und 2001 wird abweichend von den geltenden tarifvertraglichen Bestimmungen wie folgt geregelt:
Jeder Arbeitnehmer erhält anstelle der bisherigen tarifvertraglichen Regelung jährlich einen pauschalierten Teil eines 13. Monatseinkommens von DM 1.000,00. Teilzeitbeschäftigte erhalten anteilige Beträge.
Zwischen den Vertragsparteien besteht Übereinstimmung darin, daß alle Vorstandsmitglieder, Geschäftsführer und AT-Angestellte analog der Regelung für die Tarifbeschäftigten behandelt werden. Der Vorstand stellt sicher, daß die jeweiligen vertraglichen Vereinbarungen mit dem genannten Personenkreis getroffen oder außerordentliche Änderungskündigungen ausgesprochen werden.
Der Vorstandsvorsitzende des Schaltbau-Konzerns erstellt eine Aufstellung der getroffenen Vereinbarungen bzw. Änderungskündigungen. Diese wird dem Konzernbetriebsratsvorsitzenden zur Einsicht und Kontrolle vorgelegt. …
6) Ab dem 01.01.2002 gelten für alle Betriebe im Geltungsbereich dieser Vereinbarung uneingeschränkt die Bestimmungen des jeweils regionalen Flächentarifvertrages.
15) Zwischen der Konzernleitung der Schaltbau AG und der IG-Metall Bezirksleitung München werden möglichst zeitnah die Ergebnisse dieser Vereinbarung in einen entsprechenden Ergänzungstarifvertrag gebracht.”
Die Vereinbarung ist unterzeichnet von dem Bezirksleiter der IG Metall, Bezirk München, Werner Neugebauer, vom Vorstandsvorsitzenden der Schaltbau AG und dem Prozeßbevollmächtigten der Beklagten.
In einer Betriebsversammlung am 11. November 1999 wurde die Belegschaft der Beklagten über den Inhalt dieses Verhandlungsergebnisses informiert.
Unter dem Datum des 4. November 1999 wurde ein „Sanierungstarifvertrag” abgeschlossen, der mit Wirkung zum 11. November 1999 in Kraft treten sollte (im folgenden: TV-San). Der TV-San, der am 20. oder 22. Februar 2000 im Tarifregister veröffentlicht wurde, ist mit Ausnahme einer Regelung zur Alterssicherung und geringfügiger redaktioneller Abweichungen mit dem Inhalt des „Verhandlungsergebnisses” identisch. Zum 13. Monatsgehalt ist folgendes geregelt:
„§ 2 Tariflich abgesicherter Teil eines 13. Monatseinkommens/betriebliche Sonderzahlung
Abweichend von den Bestimmungen der jeweiligen regionalen Flächentarifverträge erhalten die Arbeitnehmer/innen in den Jahren 1999, 2000 und 2001 als Teil eines 13. Monatseinkommens/betriebliche Sonderzahlung einen pauschalen Betrag von je DM 1.000,–.
§ 5 Außertarifliche Angestellte, leitende Angestellte, Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder
(wegen eines redaktionellen Übertragungsfehlers ergänzt und sprachlich bereinigt durch eine Protokollnotiz vom 22. März 2000)
Zwischen den Parteien dieses Tarifvertrages besteht Übereinstimmung darin, daß alle außertariflichen Angestellte, leitende Angestellte, Geschäftsführer und Vorstandsmitglieder analog den Regelungen in § 2, § 3 und § 4 für die Tarifbeschäftigten behandelt werden. Die Vorstände bzw. zuständigen Geschäftsleitungen der Unternehmen des Schaltbau-Konzerns stellen sicher, dass die jeweiligen einzelvertraglichen Vereinbarungen mit dem genannten Personenkreis getroffen oder außerordentliche Änderungskündigungen ausgesprochen werden. …”
Der Tarifvertrag ist unterzeichnet für die Industriegewerkschaft Metall und die Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands von Werner Neugebauer, IG Metall Bezirksleitung München, für die Arbeitgeberverbände von Herrn Georg Feldmeier vom Verband der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie e. V. und für den Schaltbau-Konzern von dessen Vorstandsvorsitzenden Dr. Kreher.
Die Beklagte wandte sich unter Hinweis auf den TV-San an ihre außertariflichen Mitarbeiter und unterbreitete Vorschläge für die Umsetzung eines Sanierungsbeitrags. In den vergangenen Jahren hatte die Beklagte die Einkommen dieser Mitarbeiter jeweils zum Ausgleich der Inflation und zur Anpassung an gestiegene Tarifgehälter erhöht. 1999 bis 2001 unterblieb eine Anpassung. Diese Mitarbeiter erhielten 1999 ein ungekürztes 13. Monatseinkommen.
Die Beklagte zahlte an den Kläger als 13. Monatseinkommen für das Jahr 1999 1.000,00 DM. Mit seiner am 28. Februar 2000 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage verlangt der Kläger den Differenzbetrag zu der Sonderzahlung aus dem TV 13. ME.
Der Kläger meint, er habe gemäß § 2 TV 13. ME einen Anspruch auf Zahlung von 1.745,00 DM brutto. Entsprechend der Bezeichnung und der vorgesehenen anteiligen Zahlung in bestimmten Fällen handele es sich nicht um eine reine Gratifikation. Bei Bekanntgabe des Verhandlungsergebnisses habe bereits ein durch Art. 14 GG vor rückwirkenden Eingriffen geschützter Anspruch bestanden. Das „Verhandlungsergebnis” sei kein Tarifvertrag. Wegen fehlender Unterschriften am 11. November 1999 habe der Kläger darauf vertrauen können, daß noch keine abschließende Vereinbarung zustande gekommen sei. Der TV-San sei erst am 22. Februar 2000 veröffentlicht worden. Jedenfalls habe er einen Anspruch nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz, da ohne sachlichen Grund tarifgebundene und außertarifliche Mitarbeiter ungleich behandelt worden seien. Die Handlungsvorgaben des § 5 TV-San seien in der Praxis nicht allen Mitarbeitern gegenüber analog umgesetzt worden. Es fehle ein gleichwertiger Beitrag im Rahmen der Zahlung des 13. Monatseinkommens. Hierüber könnten auch anderweitige Einbußen nicht hinwegtäuschen. Zudem hätten Nichttarifgebundene bereits keinen Anspruch auf eine Gehaltserhöhung und somit auf nichts verzichtet.
Der Kläger hat zuletzt beantragt
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.745,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem entsprechenden Nettobetrag seit dem 13. März 2000 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Tarifnormen sei stets ein Änderungsvorbehalt immanent. Mit dem TV-San sei eine zulässige rückwirkende Regelung auch zum Nachteil der Arbeitnehmer getroffen worden. Da der Kläger jedenfalls seit der Bekanntgabe des „Verhandlungsergebnisses” am 11. November 1999 von dem bevorstehenden Wegfall des Anspruchs informiert gewesen sei, habe er nicht auf die Fortgeltung des TV 13. ME vertrauen können. Das Verhandlungsergebnis sei mit dem TV-San umgesetzt worden. Auf die Veröffentlichung des Tarifvertrags komme es nicht an. Der Gleichbehandlungsgrundsatz rechtfertige den Anspruch nicht, da ein möglicher Verstoß nicht zur Unwirksamkeit des Tarifvertrags führe. Der Großteil der außertariflichen Mitarbeiter und der Führungskräfte hätten eine proportional dem TV-San entsprechende Kürzung der Sonderzahlung für 2000 und 2001 akzeptiert. Im übrigen seien Änderungskündigungen ausgesprochen worden. Soweit für 1999 eine rückwirkende Reduzierung nicht mehr umzusetzen gewesen sei, sei ein Sanierungsbeitrag in Form einer für 1999 bis 2001 unterbliebenen Gehaltserhöhung abverlangt worden.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen zuletzt gestellten Antrag weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Der Kläger hat für das Jahr 1999 keinen Anspruch auf Zahlung eines über den erhaltenen Betrag in Höhe von 1.000,00 DM hinaus gehenden 13. Monatseinkommens.
I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet:
Zwar sei im Arbeitsvertrag nur die Geltung des „zur Zeit gültigen Manteltarifvertrags” vereinbart worden, doch habe die Beklagte auch dem Kläger gegenüber stets die jeweiligen Vorschriften des TV 13. ME angewendet. Für den Kläger gelte damit nichts anderes wie für die Arbeitnehmer, mit denen die Geltung aller „jeweils gültigen Tarifverträge” vereinbart worden sei. Tarifnormen sei der Vorbehalt einer Änderung immanent. Dies gelte auch für vertraglich in Bezug genommene Tarifnormen. Mit dem TV-San sei der Anspruch wirksam reduziert worden. Mit der Bekanntgabe des „Verhandlungsergebnisses” am 11. November 1999 sei ein Vertrauen des Klägers in den Fortbestand seines Anspruchs zerstört worden, unabhängig davon, wann der TV-San veröffentlicht worden sei. Nach dem Wortlaut und Zweck des TV 13. ME werde nicht allein eine synallagmatische Zusatzvergütung gewährt, so daß auch kein anteiliger Anspruch bestehe. Weder der TV-San noch dessen Umsetzung verstießen gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Selbst wenn eine analoge Umsetzung der Sanierungsmaßnahmen bei außertariflichen Mitarbeitern nicht durchgeführt worden sei, eröffne dies dem Kläger keinen Anspruch. Er sei mit außertariflichen Mitarbeitern nicht vergleichbar.
II. Diesen rechtlichen Erwägungen folgt der Senat im Ergebnis und teilweise in der Begründung.
Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat für das Jahr 1999 weder einen vollen noch einen anteiligen Anspruch auf ein 13. Monatseinkommen auf der Grundlage des TV 13. ME. Sein Anspruch richtet sich vielmehr nach dem TV-San. Auch der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz begründet den Anspruch des Klägers nicht.
1. Zu Recht geht das Landesarbeitsgericht in seiner Entscheidung davon aus,
daß der TV-San während seiner zeitlichen Geltungsdauer die Vorschriften des TV 13. ME verdrängt, ohne daß sich der Kläger auf ein schutzwertes Vertrauen auf den Fortbestand seines Anspruchs berufen kann.
a) Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden auf Grund der beiderseitigen Verbandszugehörigkeit der TV 13. ME und der TV-San unmittelbar Anwendung (§ 3 Abs. 1 TVG).
b) Für das Jahr 1999 ist eine tarifliche Regelung in Kraft getreten, die den Anspruch auf das 13. Monatseinkommen auch für den Kläger auf 1.000,00 DM begrenzte.
Es kann dahinstehen, ob bereits die mit „Verhandlungsergebnis” überschriebene Vereinbarung einen Unternehmenstarifvertrag darstellt, der zwischen dem bevollmächtigten Vertreter der IG Metall und dem Konzernvorstandsvorsitzenden abgeschlossen wurde. Jedenfalls der auf Grund dieses Verhandlungsergebnisses abgeschlossene TV-San enthielt eine Regelung bezüglich des 13. Monatseinkommens, die für den Kläger wirksam war. Hierbei kann ebenfalls dahinstehen, ob es sich um einen „firmenbezogenen Verbandstarifvertrag” oder um einen Firmentarifvertrag handelt. Jedenfalls werden während der Geltungsdauer des TV-San die gleichrangigen Regelungen des TV 13. ME verdrängt. Handelt es sich um einen Verbandstarifvertrag, abgeschlossen zwischen denselben Tarifvertragsparteien des TV 13. ME, so gilt im Verhältnis zwischen beiden gleichrangigen Tarifnormen das Ablösungsprinzip (Zeitkollisionsregel). Innerhalb seiner zeitlichen Geltungsdauer ändert der TV-San die bis dahin tarifvertraglich geltende Rechtslage. Handelt es sich um einen Firmentarifvertrag, wäre auch dieser wirksam. Insbesondere steht die Regelung des § 6 TV Besch nicht entgegen (BAG 24. Januar 2001 – 4 AZR 655/99 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Metallindustrie Nr. 173 = EzA TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 14). Konkurrieren die Vorschriften eines Firmentarifvertrages mit den Regelungen eines Verbandstarifvertrages, gilt nach den Grundsätzen der Tarifkonkurrenz der Firmentarifvertrag als die speziellere Regelung (BAG 20. April 1999 – 1 AZR 631/98 – BAGE 91, 244; 16. Mai 2001 – 10 AZR 357/00 – EzA TVG § 3 Nr. 23; 4. April 2001 – 4 AZR 237/00 – AP TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 26 = EzA TVG § 3 Nr. 22).
c) Die ablösende Wirkung des TV-San erfaßte auch den streitigen Anspruch des Klägers für das Jahr 1999 in vollem Umfang. Insoweit enthält der TV-San eine ausdrückliche Regelung.
aa) Unerheblich ist, wann der TV-San unterzeichnet wurde. Das Landesarbeitsgericht hat diesbezüglich festgestellt, daß der auf den 4. November 1999 datierte Tarifvertrag erst nach diesem Termin im einzelnen verfaßt und am 20. (oder 22.) Februar 2000 im Tarifregister gemäß § 6 TVG bekannt gemacht worden sei. Unklar ist, ob der TV-San vor dem oder am Tag seines Inkrafttretens am 11. November 1999 unterzeichnet worden ist oder erst später. Ein Tarifvertrag wird im Normalfall mit formgültiger Unterzeichnung durch die Tarifvertragsparteien wirksam (Wiedemann/Wank TVG 6. Aufl. § 4 Rn. 5). Die Rechtswirksamkeit von Tarifverträgen ist nicht von der Eintragung im Tarifregister gemäß § 6 TVG abhängig (BAG 16. Mai 1999 – 3 AZR 535/94 – BAGE 80, 139; Wiedemann/Oetker TVG 6. Aufl. § 6 Rn. 19 m.w.N.), auch nicht vom Aushang im Betrieb gem. § 8 TVG. Entscheidender Stichtag für das Entstehen und Fälligwerden der tariflichen Sonderzahlung nach dem TV 13. ME war gem. § 3 der 1. Dezember 1999. Sollte der TV-San vor diesem Zeitpunkt unterschrieben worden und damit wirksam geworden sein, wäre der Sonderzahlungsanspruch des Klägers nicht rückwirkend geändert worden, sondern vor Fälligkeit des Anspruchs.
Aber auch bei einer Unterschrift nach dem 1. Dezember 1999 hätte der TV-San zulässigerweise zurückgewirkt und den ursprünglichen Anspruch aus dem TV 13. ME wirksam beschränkt. Auch bereits entstandene und fällig gewordene, noch nicht abgewickelte Ansprüche, die aus einer Tarifnorm folgen (sogenannte wohlerworbene Rechte), können während der Laufzeit des Tarifvertrags rückwirkend verändert, also auch gesenkt werden (BAG 17. Mai 2000 – 4 AZR 216/99 – BAGE 94, 349 m.w.N.). Der aus einer Tarifnorm erwachsene Anspruch trägt die immanente Schwäche seiner auch rückwirkenden Herabsetzung in sich. Eine solche stellt keine Enteignung i.S.d. Art. 14 GG dar (BAG 23. November 1994 – 4 AZR 879/93 – BAGE 78, 309).
bb) Die Gestaltungsfreiheit der Tarifvertragsparteien zur rückwirkenden Änderung tarifvertraglicher Regelungen ist lediglich durch den Grundsatz des Vertrauensschutzes beschränkt. Insoweit gelten die gleichen Regelungen wie nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Rückwirkung von Gesetzen. Hiernach ist der Normunterworfene unter anderem dann nicht schutzwürdig, wenn und sobald dieser mit Änderungen der bestehenden Normen rechnen mußte. Dabei macht es keinen Unterschied, ob der Tarifvertrag für das Arbeitsverhältnis kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit der Parteien gilt oder ob dessen Anwendung in seiner jeweiligen Fassung vertraglich vereinbart ist (BAG 17. Mai 2000 – 4 AZR 216/99 – a.a.O.).
Der Kläger mußte spätestens seit dem 11. November 1999 mit dem Wegfall seines Anspruchs auf ein volles 13. Monatseinkommen rechnen. An diesem Tag wurde der Belegschaft in einer Betriebsversammlung der Inhalt des „Verhandlungsergebnisses” vom gleichen Tag bekannt gegeben. Die Belegschaft wußte damit, daß auf Grund der bedrohlichen wirtschaftlichen Situation der Beklagten Verhandlungen mit den Gewerkschaften geführt wurden und daß das gefundene „Verhandlungsergebnis” umgehend in Form eines Tarifvertrags Geltung erhalten solle. Den Arbeitnehmern war daher bekannt, daß für 1999 lediglich ein Pauschalbetrag als 13. Monatseinkommen zu erwarten sei. Maßgebend ist allein, daß damit ein schutzwertes Vertrauen beseitigt wurde, ohne daß es auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens des TV-San oder den Rechtscharakter des „Verhandlungsergebnisses” und dessen Unterzeichnung ankommt (BAG vom 23. November 1994 – 4 AZR 879/93 – a.a.O.).
2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf anteilige Zahlung eines 13. Monatseinkommens für den Zeitraum von Januar bis zum 11. November 1999. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht die hier streitige Sonderzahlung nicht für einen synallagmatischen Entgeltanspruch gehalten, der „pro rata temporis” vom Kläger hätte erworben werden können. Dies ergibt die Auslegung der §§ 2 und 3 TV 13. ME. Ausgehend vom Tarifwortlaut, wonach ein Teil eines „13. Monatseinkommens” tariflich abgesichert werden soll und dies als betriebliche Sonderzahlung bezeichnet wird, ist festzustellen, daß es sich um eine zusätzliche Entgeltleistung handelt. Zum Entgelt gehören alle Arten von Vergütung, die ein Arbeitgeber auf Grund des Arbeitsverhältnisses einem Arbeitnehmer mittelbar oder unmittelbar gewährt. Entgeltleistungen können aber grundsätzlich unter weitere Bedingungen als die Erbringung der reinen Arbeitsleistung gestellt werden. Aus den tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für den Anspruch ermitteln sich Zweck und Motiv der Leistung. So können Sonderzahlungen sowohl geleistete Dienste in der Vergangenheit belohnen und/oder einen Anreiz für zukünftige Betriebstreue bieten (BAG 10. Mai 1995 – 10 AZR 648/94 – AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 174 = EzA BGB § 611 Gratifikation, Prämie Nr. 125). Solche anderen Zwecke gehen aus § 2 Ziff. 1 TV 13. ME hervor. Voraussetzung für die Entstehung des Anspruchs zum 1. Dezember eines Kalenderjahres ist eine ununterbrochene Betriebszugehörigkeit von sechs Monaten und ein zum Zeitpunkt der Auszahlung ungekündigtes Arbeitsverhältnis. Die Höhe der Zuwendung ist entsprechend der bisherigen Betriebszugehörigkeit gestaffelt. Damit sollen sowohl vergangene Dienste in einem langjährigen Arbeitsverhältnis honoriert werden wie auch ein Anreiz für künftige Betriebstreue gegeben werden. Die Tarifvertragsparteien haben weiterhin die Zahlung ausdrücklich als Einmalleistung bezeichnet. Dies spricht dagegen, daß der Anspruch hierauf ratierlich nach der erbrachten Arbeitsleistung im Kalenderjahr erwachsen soll. Wenn darüber hinaus in § 2 Ziff. 6 TV 13. ME für bestimmte, genau definierte Ausnahmefälle eine anteilige Sonderzahlung vorgesehen ist, folgt daraus, daß die Tarifvertragsparteien in anderen, nicht geregelten Fällen gerade keine anteilige Zahlung vorsehen wollen (BAG 16. Mai 2001 – 10 AZR 357/00 – a.a.O.).
3. Der Kläger kann seinen Anspruch nicht auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz stützen.
a) Der TV-San verstößt nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG. Ein Tarifvertrag wirkt normativ nur für die beteiligten Tarifvertragsparteien und ihre Mitglieder. Entsprechend dieser beschränkten Regelungskompetenz kann der Tarifvertrag nicht dadurch gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen, daß er lediglich die Ansprüche der tarifgebundenen Arbeitnehmer regelt. Nicht tarifgebundene Mitarbeiter unterliegen nicht der Tarifmacht der Tarifvertragsparteien. Soweit die Tarifvertragparteien in § 5 TV-San ausführen, daß zwischen ihnen Einigkeit darin bestehe, daß außertarifliche Mitarbeiter analog der für die Gewerkschaftsmitglieder getroffenen Regelungen in den §§ 2 bis 4 behandelt werden sollen, entfaltet diese Vorschrift für die außertariflichen Mitarbeiter keine unmittelbare Wirkung. Durch diese Norm verpflichtet sich die Geschäftsführung, die jeweils erforderlichen vertragsrechtlichen Maßnahmen gegenüber den nicht tarifgebundenen außertariflichen Mitarbeitern zu treffen. Hierbei handelt es sich um eine schuldrechtliche Verpflichtung, aus der die einzelnen Arbeitnehmer keine unmittelbaren Ansprüche erwerben können. Sollten die vertragsschließenden Gewerkschaften der Ansicht sein, die Arbeitgeberseite habe die ihr aus dieser Vorschrift zukommende Verpflichtung nicht genügend ausgeübt, könnten sie dies nur innerhalb eines eigenen Anspruchs auf Durchführung der schuldrechtlichen Verpflichtung geltend machen. Der Tarifvertrag macht auch die an die Arbeitnehmer zu leistende Sonderzuwendung nicht von der Behandlung der außertariflichen Angestellten abhängig.
b) Im übrigen stellt die Differenzierung zwischen normativ bzw. vertraglich tarifunterworfenen Mitarbeitern und solchen, mit denen die Beklagte eine ausdrückliche außertarifliche Vereinbarung getroffen hat, keinen Verstoß gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz dar, da sie nicht sachwidrig ist. Es ist weder festgestellt noch vorgetragen, nach welchen Kriterien die Beklagte außertarifliche Vereinbarungen getroffen hat. Handelt es sich um frei ausgehandelte Entgeltzahlungen, so hat der Grundsatz der Vertragsfreiheit Vorrang vor dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz und eröffnet den schlechter gestellten Tarifgebundenen keinen Anspruch auf Gleichstellung. Sollte die Beklagte eine pauschalierende Entscheidung dergestalt getroffen haben, daß 1999 einheitlich an die Gruppe der außertariflichen Angestellten eine ungekürzte Zuwendung gezahlt, den Tarifgebundenen die Leistung unter Bezugnahme auf den TV-San jedoch versagt wurde, hat sie einen vernünftigen, sich aus der Natur der Sache ergebenden Differenzierungsgrund vorgetragen, nämlich daß das Volumen des von den außertariflichen Angestellten verlangten Sonderopfers dem Volumen der Kürzung des 13. Monatseinkommens entsprochen habe. Der Gleichbehandlungsgrundsatz gebietet nicht, daß der Ausgleich nur im Bereich der Sonderzahlungen und in einem rechnerisch exakt der Differenz entsprechenden Umfang erfolgen darf (BAG 30. März 1994 – 10 AZR 681/92 – AP BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 113 = EzA BGB § 611 Gratifikation, Prämie Nr. 110).
III. Die Kosten der Revision hat der Kläger zu tragen (§ 97 ZPO).
Unterschriften
Dr. Freitag, Fischermeier, Marquardt, Tirre, Frese
Fundstellen