Entscheidungsstichwort (Thema)
Wegfall der Liquidationsmöglichkeiten einer Chefärztin
Normenkette
BGB §§ 133, 157, 611, 242
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Urteil vom 22.11.1990; Aktenzeichen 7 (8) Sa 1087/89) |
ArbG Duisburg (Urteil vom 17.08.1989; Aktenzeichen 4 Ca 1180/89) |
Tenor
1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 22. November 1990 – 7 (8) Sa 1087/89 – wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin einen Ausgleich für den Wegfall von Liquidationseinnahmen in der rechtlichen Gestalt einer jährlichen Mindest-Liquidationseinnahmengarantie zu gewähren.
Die beklagte Körperschaft ist ein Krankenhauszweckverband. Sie unterhält die beiden Betriebsstätten S.-Hospital und M. hospital. Die Klägerin ist bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin seit dem 1. Oktober 1968 als leitende Anästhesistin (Chefärztin) im S.-Hospital tätig. Grundlage der Rechtsbeziehungen der Parteien ist der Formluar-Dienstvertrag vom 16. Dezember 1968. Danach ist die Klägerin in die VergGr. 1 b der Anlage 1 zu den Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR) eingestuft. § 6 des Dienstvertrages verweist wegen des Liquidationsrechts der Klägerin auf eine dem Vertrag als Anlage beigefügte Sonderregelung. In dieser – ebenfalls vom 16. Dezember 1968 datierenden – Sonderregelung ist folgende Vereinbarung getroffen:
„Im Rahmen der Anästhesieleistungen hat Frau Dr. M. das Liquidationsrecht für die rein ärztlichen Leistungen bei der stationären Behandlung der selbstzahlenden Patienten der I. und II. Pflegeklasse; der selbstzahlenden Patienten der III. Pflegeklasse nur, soweit die Ausübung des Liquidationsrechtes mit den Bestimmungen des § 10 Abs. 2 der Gemeinnützigkeitsverordnung vom 24. Dezember 1953, der Landespflegesatzverordnung Nordrhein-Westfalen und den Verträgen des Krankenhauses mit den Kostenträgern im Einklang steht.”
Seit dem 1. Januar 1979 betreut die Klägerin in ihrer vertraglichen Eigenschaft als leitende Anästhesistin auch das M. hospital.
Nach 1985 gingen die Einnahmen der Klägerin aus Wahlleistungen erheblich zurück. Ursache hierfür war die – aufsichtsbehördlich angeordnete – Schließung bzw. Verkleinerung mehrerer Abteilungen: Zum 30. September 1986 wurden die im S.-Hospital zusammengefaßten gynäkologischen Abteilungen geschlossen. Zum 30. August 1988 folgte die Schließung der 1975 im S.-Hospital zusammengelegten chirurgischen Abteilungen. Zum Ende des Jahres 1988 wurde die Bettenzahl der Abteilung Urologie – die entsprechenden Abteilungen der beiden Krankenhäuser waren 1985 vereinigt worden – von 70 auf 50 verringert. Zum gleichen Zeitpunkt wurde die HNO-Belegstation des S.-Hospitals geschlossen. Die HNO-Abteilung des M. hospitals war bereits 1982 geschlossen worden. Die kleine orthopädische Abteilung des S.-Hospitals war schon vorher eingestellt worden.
Die Einnahmen der Klägerin aus Wahlleistungen, für die sie seit dem 1. Januar 1986 15 % pauschal (statt vorher 12,5 % pauschal) als Kostenerstattung an die Beklagte abzuführen hat, haben sich nach Darstellung der Klägerin wie folgt entwickelt:
1984 |
273.454,40 DM |
1985 |
264.130,77 DM |
1986 |
229.487,62 DM |
1987 |
268.909,19 DM. |
Die Klägerin hat vorgetragen, in der Zeit von Januar bis August 1988 hätten ihre Liquidationseinnahmen durchschnittlich ca. 19.000,– DM monatlich betragen, für die Zeit von September bis Dezember jedoch nur noch durchschnittlich ca. 5.800,– DM monatlich. Im Jahre 1989 habe sie insgesamt nur noch Einnahmen von 105.099,– DM erzielen können.
Die Klägerin hat geltend gemacht, die Beklagte sei verpflichtet, ihr hinsichtlich der Einnahmen aus Wahlleistungen eine Mindestgarantie zu erteilen. Da die Beklagte verschiedene Abteilungen geschlossen habe, seien die Möglichkeiten zur Liquidation aus Wahlleistungen wesentlich beschränkt worden. Diesen erheblichen Nachteil müsse die Beklagte aus dem rechtlichen Gesichtspunkt des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ausgleichen. Anhaltspunkt sei der Durchschnittsbetrag der Liquidationseinnahmen aus den Jahren 1986 bis 1988. Dieser belaufe sich – hochgerechnet – auf 216.983,36 DM. Für das Jahr 1988 sei die Beklagte daher verpflichtet, ihr einen Ausgleichsbetrag von 33.760,– DM zu zahlen.
Die Klägerin hat beantragt,
festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist,
- ihr Jahreseinnahmen aus Liqudationen aus Wahlleistungen von Selbstzahlern in einer jährlichen Höhe von 216.000,– DM, beginnend mit dem 1. Januar 1988, zu garantieren;
- mit ihr unter Anrechnung der aus Wahlleistungen erzielten Einnahmen quartalsweise jeweils bis zum 20. des auf den letzten Quartalsmonat folgenden Monat abzurechnen;
- die Beklagte zu verurteilen, an sie für 1988 33.760,– DM nebst 4 % Zinsen seit dem 21. Januar 1989 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, die Klägerin könne keine Einkommensgarantie verlangen, da ihr bestimmte Garantiesummen aus den Liquidationserlösen nicht in Aussicht gestellt worden seien. Die Liquidation der Klägerin sei eine gleichsam selbständige Tätigkeit gewesen. Ein Wegfall der Geschäftsgrundlage liege nicht vor. Das Äquivalenzverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung in den Rechtsbeziehungen der Parteien sei nicht gestört, da die Klägerin ihre Leistungen nunmehr nur noch teilweise zu erbringen brauche.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision, mit der die Klägerin ihr Klageziel weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe
Die Revision bleibt ohne Erfolg.
I. Das Landesarbeitsgericht hat eine Anspruchsgrundlage für das Klagebegehren verneint. Es hat angenommen, die zwischen den Parteien getroffenen Abmachungen enthielten keinen Anhaltspunkt dafür, daß die aus den Wahlleistungen erzielbaren Einnahmen der Klägerin in einem bestimmten Verhältnis zu der Höhe ihrer Grundvergütung stehen müßten und daß die Beklagte aus diesem Grunde verpflichtet sei, der Klägerin eine bestimmte Einkommenshöhe aus dem ihr eingeräumten Liquidationsrecht zu garantieren. Weiter hat das Landesarbeitsgericht angenommen, Schadenersatzansprüche der Klägerin müßten ausscheiden, weil die Beklagte im Zusammenhang mit der Schließung bzw. Verkleinerung der Krankenhausabteilungen ihre Vertragspflichten gegenüber der Klägerin nicht schuldhaft verletzt habe. Schließlich hat das Landesarbeitsgericht einen Anspruch der Klägerin aus dem Gesichtspunkt des Wegfalls der Geschäftsgrundlage verneint. Dabei hat es die Voraussetzungen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage hinsichtlich der Liquidationsmöglichkeiten der Klägerin teilweise als erfüllt angesehen, ist dann aber zu dem Endergebnis gelangt, eine Anpassung des Dienstvertrages der Klägerin, etwa in Gestalt der Zahlung eines Ausgleichsbetrages, scheitere daran, daß der Beklagten eine solche Leistung nicht zumutbar wäre.
Dem vom Landesarbeitsgericht gefundenen Ergebnis ist beizupflichten.
II.1. Aus dem Formular-Dienstvertrag der Parteien nebst seinem Nachtrag ist der von der Klägerin erhobene Anspruch auf eine Mindestgarantie ihrer Liquidationseinnahmen nicht herzuleiten. Die Vergütung der Klägerin setzt sich zusammen aus einem festen Vergütungsbestandteil (Gehalt nach VergGr. 1 b der Anlage 1 zu den AVR) und aus einem der Höhe nach nicht bestimmten, variablen Bestandteil (Liquidationsrecht). Die Vertragsregelungen geben keinen Anhaltspunkt dafür, daß die Parteien von einer bestimmten Höhe der durch Privatliquidationen zu erreichenden Einkünfte der Klägerin ausgegangen sind, auch nicht, soweit es das Verhältnis zwischen Liquidationserlösen und Grundgehalt angeht. Vertrag und Nachtrag bestimmen Tätigkeitsbereich, Einstufung und Liquidationsrecht der Klägerin, ohne dabei nähere Einzelheiten festzulegen. Die Parteien haben auch nicht zu erkennen gegeben, daß sie von einer bestimmten Größe der von der Klägerin zu versorgenden Abteilungen ausgegangen sind. Der Vertrag besagt nur, daß die Klägerin bei der medizinischen Versorgung der Patienten eine näher bezeichnete Funktion wahrzunehmen hat und daß ihr dafür ein festes Gehalt sowie ein besonderes Vergütungsrecht bei Wahlleistungen zustehen soll. Die Größe der Abteilungen ist nicht in Bezug genommen worden.
Eine Veränderung der Abteilungen und damit auch der Liquidationsmöglichkeiten der Klägerin konnte durch die verschiedensten Umstände eintreten. So konnte sich der allgemeine oder besondere Ruf des Krankenhauses durch die dort tätigen Fachärzte wandeln wie auch die Bereitschaft der leitenden Ärzte, auf die anästhesiologische Mitwirkung der Klägerin zurückzugreifen. Die äußerst knappe Ausgestaltung des Vertragswerkes mit dem Fehlen jeder Garantiezusage räumt keinen vertraglichen Anspruch auf die von der Klägerin vorgestellte Mindestgarantie ein.
2. Der Klaganspruch ist auch nicht aus dem rechtlichen Gesichtspunkt des Wegfalls der Geschäftsgrundlage gerechtfertigt. Der Senat hat diese Grundsätze mehrfach auf Fallgestaltungen angewandt, welche die Anpassung eines Chefartzvertrages mit Liquidationsbefugnis für Leistungen im Belegarztbereich gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung betrafen (vgl. BAGE 42, 336 = AP Nr. 12 zu § 611 BGB Arzt-Krankenhaus-Vertrag; weiter in der nicht veröffentlichten Entscheidung vom 17. Februar 1988 – 5 AZR 575/86 –).
Von den Fällen des Verlustes des Liquidationsrechts im Belegarztbereich unterscheidet sich die vorliegende Fallkonstellation jedoch in einem wesentlichen Punkte. Während in den früheren Fällen das Liquidationsrecht für einen bestimmten Arbeitsbereich völlig entfiel, die im Dienste des Krankenhauses erbrachte Tätigkeit aber ohne Einschränkung weiter verrichtet werden mußte, liegt im Falle der Klägerin kein vollständiger oder teilweiser Entzug des Liquidationsrechts vor. Eine Einkommensminderung hat sich für die Klägerin jedoch dadurch ergeben, daß aufgrund der Krankenhausplanung des Landes die Beklagte durch aufsichtsbehördliche Anordnungen bestimmte Abteilungen ihrer Krankenanstalten entweder ganz schließen oder zumindest verkleinern mußte. In den früher vom Senat entschiedenen Fällen ist den Klägern außerdem nicht der volle Differenzbetrag zwischen dem ursprünglichen und dem späteren Einkommen zuerkannt, vielmehr ist ihnen nur ein Ausgleich durch Anpassung eingeräumt worden.
Vorliegend sind die Voraussetzungen für den Wegfall der Geschäftsgrundlage des Dienstvertrages der Klägerin jedoch nicht erfüllt. Die Klägerin könnte mit ihrer Klage nur dann teilweise Erfolg haben, wenn zur Geschäftsgrundlage ihres Dienstvertrages entweder die Vorstellung einer bestimmten Einkommenshöhe im Bereich der Liquidationsregelung oder die Vorstellung gehörte, die bei Vertragsabschluß bestehenden Abteilungen des Krankenhauses würden unverändert bestehen bleiben.
Daß die Parteien von einer bestimmten Einkommenshöhe bei den Wahlleistungen ausgegangen wären, ist nicht festgestellt und auch nicht ersichtlich. Der Vertrag sagt dazu nichts. Er gibt, ohne auf Anzahl und Größe der Abteilungen des Krankenhauses Bezug zu nehmen, nur ein Liquidationsrecht bei bestimmten fachärztlichen Leistungen. Ebensowenig ist aus dem Vertrag aber auch zu erkennen, daß die Parteien von der Vorstellung ausgegangen sind, die Abteilungen würden ohne jede organisatorische oder durch andere Umstände bedingte Veränderung bestehen bleiben.
Selbst wenn man aber wegen der umfänglichen Änderung der Krankenhausabteilungen von einer Änderung der Geschäftsgrundlage des Dienstvertrages der Klägerin ausgehen wollte, könnte eine Vertragsanpassung nur dann in Betracht kommen, wenn der Klägerin das weitere Festhalten am Vertrag nicht mehr zumutbar wäre. Zuzugeben ist der Klägerin, daß ihre Liquidationsmöglichkeiten durch Umstände, die außerhalb jeder Einflußmöglichkeit der Parteien lagen, in ganz erheblichem Umfange eingeschränkt worden sind. Bei der Zumutbarkeitsfrage darf aber nicht unberücksichtigt bleiben, daß die Liquidationshöhe in entscheidendem Maße erreicht worden ist durch die Tätigkeit von Oberärzten und Fachärzten. Berücksichtigt man weiter, daß mit den aufsichtsbehördlichen Änderungen eine Kostendämpfung im Gesundheitswesen angestrebt wurde, so ergibt sich, daß die Einkommensminderung der Klägerin noch nicht so erheblich ist, daß man ihr das Festhalten am Vertrag billigerweise nicht mehr zumuten könnte.
Unterschriften
Dr. Thomas, Dr. Gehring, Dr. Olderog, Dr. Koffka, Hecker
Fundstellen