Entscheidungsstichwort (Thema)
Widerspruch gegen den Übergang des Arbeitsverhältnisses
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei einem Wechsel des Betriebsinhabers kann der Arbeitnehmer dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den Betriebsnachfolger widersprechen (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, Vergleiche zuletzt Urteil des Senats vom 6. Februar 1980 5 AZR 275/78 = AP Nr 21 zu § 613a BGB).
2. Ein Widerspruch kommt jedoch nicht mehr in Frage, wenn sich der Arbeitnehmer mit dem bisherigen Arbeitgeber darüber einig war, daß das Arbeitsverhältnis auf den Betriebsnachfolger übergehen solle.
3. Der Widerspruch kann gegen Treu und Glauben verstoßen und deshalb unbeachtlich sein, wenn der Arbeitnehmer zuvor erklärt hatte, er werde dem Übergang des Arbeitsverhältnisses nicht widersprechen, und wenn der bisherige Arbeitgeber auf diese Erklärung seines Arbeitnehmers vertraut hat.
Orientierungssatz
Zusammenstellung des Meinungsstandes in der Literatur zu diesem Problem vergleiche Seiter, Betriebsinhaberwechsel, Schriften zur AR-Blattei, Band 9, Seite 65f.
Normenkette
BGB §§ 242, 613a Abs. 4, 1 S. 1
Verfahrensgang
LAG Düsseldorf (Entscheidung vom 17.02.1982; Aktenzeichen 12 Sa 1396/81) |
ArbG Düsseldorf (Entscheidung vom 16.09.1981; Aktenzeichen 4 Ca 3572/81) |
Tatbestand
Die Klägerin will festgestellt wissen, daß das zwischen den Parteien begründete Arbeitsverhältnis über den 24. Juli 1981 hinaus bis zum 30. September 1981 bestand. Die Beklagte macht geltend, das Arbeitsverhältnis sei nach § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB auf den Erwerber des Betriebes übergegangen.
Die Klägerin war bei der Beklagten ab 1. April 1980 als Verkäuferin in mehreren Boutiquen in Düsseldorf beschäftigt. Sie erhielt 1.900,-- DM brutto Lohn monatlich und 2 % Provision auf ihren Umsatz.
Im März 1981 trug die Beklagte sich mit dem Gedanken, die Boutique "Armani", in der die Klägerin zu dieser Zeit arbeitete, an den Kaufmann B zu veräußern. Diese Pläne erwähnte die Ehefrau des Geschäftsführers der Beklagten, Frau F , auch gegenüber der Klägerin. Sie bot der Klägerin für den Fall des Verkaufes der Boutique "A " die Weiterbeschäftigung in der Boutique "K " an. Vom 3. bis 27. Juli 1981 war die Klägerin in Urlaub. Am 28. Juli 1981 morgens erfuhr die Klägerin, daß die Beklagte nicht nur die Boutique "A ", sondern auch die Boutique "K " zwischenzeitlich an den Kaufmann B veräußert habe. Sie begab sich daraufhin zu einer dritten Boutique der Beklagten "S ". Von dort aus telefonierte die Klägerin mit der Frau des Geschäftsführers der Beklagten, Frau F . Sie lehnte dabei eine Tätigkeit für den Kaufmann B ab. Frau F verwies daraufhin die Klägerin an ihren Anwalt. Vom 28. Juli bis 31. Juli 1981 war die Klägerin in der Boutique "S " tätig. Am 31. Juli 1981 teilte Frau F der Klägerin mit, diese Boutique werde zum 1. August 1981 geschlossen.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihr Arbeitsverhältnis sei nicht nach § 613 a BGB auf den Kaufmann B übergegangen. Sie habe dem Übergang rechtzeitig und rechtswirksam widersprochen. Sie hat - soweit für die Revision noch von Bedeutung - beantragt,
festzustellen, daß das Arbeitsverhält-
nis der Parteien über den 24. Juli 1981
hinaus bis zum 30. September 1981 fort-
bestanden hat.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Kaufmann B sei neuer Arbeitgeber der Klägerin geworden. Die Klägerin habe dem Übergang des Arbeitsverhältnisses nicht wirksam widersprochen, weil sie kein schutzwürdiges Interesse am Fortbestand des alten Arbeitsverhältnisses gehabt habe. Im übrigen sei die Klägerin noch im Juni 1981 mit dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf den Kaufmann B einverstanden gewesen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage nur für den Zeitraum vom 24. bis 31. Juli 1981 stattgegeben; den weitergehenden Antrag der Klägerin (August und September 1981) hat es abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist ohne Erfolg geblieben. Mit der Revision verfolgt sie ihren Klageantrag, soweit er abgewiesen wurde, weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet. Die Begründung, mit der das Berufungsgericht die Klage abgewiesen hat, hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Zur weiteren Sachaufklärung muß der Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.
I. Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, daß der Kaufmann B in die Rechte und Pflichten aus dem am 24. Juli 1981 zwischen den Parteien bestehenden Arbeitsverhältnis nach § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB eingetreten wäre, wenn die Klägerin dem Übergang des Arbeitsverhältnisses nicht wirksam widersprochen hätte. Die Boutique "A ", in der die Klägerin bis zum Beginn ihres Urlaubs am 3. Juli 1981 beschäftigt wurde, war ein Betriebsteil im Sinne von § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB. Diesen Betriebsteil hat der Kaufmann B am 24. Juli 1981 übernommen. Die Voraussetzungen des § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB waren daher an sich erfüllt.
II. Die Entscheidung hängt in diesem Rechtsstreit deshalb nur davon ab, ob die Klägerin dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf den Kaufmann B rechtswirksam widersprochen hatte.
1. Das Berufungsgericht hat grundsätzliche Bedenken geäußert, einem Arbeitnehmer das Recht einzuräumen, bei einem Betriebsübergang dem Übergang auch seines Arbeitsverhältnisses auf einen neuen Arbeitgeber zu widersprechen. Zumindest habe die Klägerin im vorliegenden Fall keinen vernünftigen Grund gehabt, dem Übergang des Arbeitsverhältnisses auf den Kaufmann B zu widersprechen. Der Kaufmann B habe das Arbeitsverhältnis zu unveränderten Arbeitsbedingungen fortsetzen wollen. Die Beklagte selbst habe die Klägerin in anderen Boutiquen im Raum Düsseldorf nicht mehr weiterbeschäftigen können. Da eine Kündigung aus Anlaß des Betriebsübergangs unzulässig sei (§ 613 a Abs. 4 BGB), müsse das Arbeitsverhältnis auf den Erwerber des Betriebes oder Betriebsteils in jedem Falle übergehen.
2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts geht bei einem Betriebsinhaberwechsel das Arbeitsverhältnis eines im Betrieb oder Betriebsteil beschäftigten Arbeitnehmers nicht auf den Betriebserwerber über, wenn der Arbeitnehmer diesem Übergang des Arbeitsverhältnisses rechtzeitig und rechtswirksam widerspricht. Ein solches Widerspruchsrecht hat der Senat in ständiger Rechtsprechung anerkannt (BAG Urteil vom 2. Oktober 1974 - BAG 26, 301, 304 f. = AP Nr. 1 zu § 613 a BGB, zu II und III der Gründe; Urteil vom 17. November 1977 - 5 AZR 618/76 - AP Nr. 10 zu § 613 a BGB, zu I 1 der Gründe; Urteil vom 6. Februar 1980 - 5 AZR 275/78 - AP Nr. 21 zu § 613 a BGB, zu II 2 und III der Gründe). Dieser Auffassung hat sich der Dritte Senat des Bundesarbeitsgerichts angeschlossen.
Der Senat hält trotz kritischer Einwände der Literatur (vgl. Zusammenstellung des Meinungsstandes bei Seiter, Betriebsinhaberwechsel, Schriften zur AR-Blattei, Bd. 9, S. 65 f.) an seiner Auffassung fest. Mit der Kritik an seiner Rechtsprechung hat er sich in den beiden zuletzt genannten Entscheidungen ausführlich auseinandergesetzt; hierauf kann er im vorliegenden Fall Bezug nehmen. Herschel, der zunächst die Auffassung des Senats im Falle der Übertragung eines Betriebsteils für vertretbar ansah (Anm. zum Urteil des Senats vom 2. Oktober 1974, AuR 1975, 382 ff.) meint jetzt, bei § 613 a BGB handele es sich um einen "ex lege eintretenden arbeitsrechtlichen Reflex" der Betriebsübernahme, der sich außerhalb der Willensbildung sämtlicher Beteiligter vollziehe (Anm. zur Entscheidung des Senats vom 6. Februar 1980, AP Nr. 21 zu § 613 a BGB). Mit dem wichtigsten Argument des Senats, der persönlichen Natur der Arbeitsleistung (§ 613 Satz 2 BGB) setzt sich Herschel aber nicht auseinander. Entgegen seiner Auffassung hat der Senat auch nie ausschließlich auf Arbeitnehmerinteressen abgestellt. Er hat vielmehr auf den mit § 613 a Abs. 1 BGB bezweckten Schutz der Arbeitnehmer hingewiesen. Die Entstehungsgeschichte dieser Norm zeigt, daß allein die Freiheit des Betriebserwerbers beseitigt werden sollte, die Übernahme einzelner Arbeitnehmer abzulehnen. Schließlich können die beteiligten Arbeitgeber ihre Interessen dadurch sichern, daß sie Arbeitnehmer, die von einem Betriebsübergang betroffen sind, vertraglich binden.
Der mit dem EG-Anpassungsgesetz vom 13. August 1980 eingefügte § 613 a Abs. 4 BGB rechtfertigt ebenfalls keine andere Beurteilung. Nach dieser Bestimmung ist nur die vom Arbeitgeber erklärte Kündigung unwirksam, die allein wegen des Übergangs eines Betriebs oder Betriebsteils ausgesprochen wird. Da das Recht zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus anderen Gründen unberührt bleibt (§ 613 a Abs. 4 Satz 2 BGB), kann der bisherige Arbeitgeber aus betriebsbedingten Gründen kündigen, falls er den Arbeitnehmer nach Veräußerung des Betriebs oder Betriebsteils nicht mehr beschäftigen kann. Eher spricht der Umstand, daß der Gesetzgeber § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB unverändert gelassen hat, dafür, daß er diese Bestimmung in der Auslegung weiter angewendet wissen will, die sie durch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts seit 1974 erfahren hatte.
3. Das Widerspruchsrecht eines Arbeitnehmers kann nicht davon abhängen, ob er, wie das Berufungsgericht meint, dafür einen "beachtlichen Grund" hat. Für die Berechtigung eines Widerspruchs gibt es keinen allgemeingültigen Maßstab. Darüber, ob er dem Übergang des Arbeitsverhältnisses widersprechen will, entscheidet allein der Arbeitnehmer. Er muß die Gründe und das mit einem Widerspruch verbundene Risiko eigenverantwortlich beurteilen.
Richtig ist, wie das Berufungsgericht meint, daß der Arbeitsvertrag der Klägerin mit der Beklagten dieser keine zusätzlichen Vorteile im Vergleich zu einem Arbeitsvertrag mit dem Kaufmann Bruccoleri gewährte. Das ist immer so. Das Gesetz geht davon aus, daß sich der Inhalt des Arbeitsverhältnisses durch den Übergang auf einen neuen Arbeitgeber nicht ändert. Dennoch läßt es den Widerspruch zu. Die Gründe, aus denen der Arbeitnehmer dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses widerspricht, brauchen nicht wirtschaftlicher Art zu sein, auch Gründe in der Person des neuen Arbeitgebers kommen in Betracht. Selbstverständlich geht ein Arbeitnehmer, der dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf einen neuen Arbeitgeber widerspricht, ein Risiko ein. Er muß damit rechnen, daß der bisherige Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis kündigt, weil er den Arbeitnehmer nicht mehr weiterbeschäftigen kann. Auch das rechtfertigt aber noch nicht, jedem Arbeitnehmer das Widerspruchsrecht zu nehmen mit der Begründung, er habe sich "der Wohltat des § 613 a BGB begeben".
4. Danach muß das angefochtene Urteil, das der Klägerin das Recht zum Widerspruch gegen den Übergang ihres Arbeitsverhältnisses nicht zugebilligt hat, aufgehoben werden.
III. Ob die Klägerin dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf den Kaufmann B rechtswirksam widersprochen hat, steht noch nicht fest. Dazu sind weitere tatsächliche Feststellungen erforderlich.
1. Das Berufungsgericht wird davon ausgehen können, daß die Klägerin den Widerspruch rechtzeitig erklärt hat. Zwar kommt im Regelfall ein Widerspruch nur bis zu dem Zeitpunkt in Frage, zu dem der Betrieb auf den neuen Inhaber übergeht (vgl. BAG Urteil vom 17. November 1977 - 5 AZR 618/76 - AP Nr. 10 zu § 613 a BGB, zu I 2 a der Gründe). Ein späterer Widerspruch ist dann unbeachtlich. Dabei setzt der Senat jedoch voraus, daß der Arbeitgeber den Arbeitnehmer rechtzeitig von dem bevorstehenden Betriebsübergang unterrichtet und eine Erklärungsfrist in Gang setzt. Hier hatte die beklagte Arbeitgeberin die Klägerin erst am 28. Juli 1981 davon unterrichtet, daß der Betriebsteil, in dem sie bisher beschäftigt wurde, nämlich die Boutique "A " auf einen neuen Inhaber übergegangen sei. Diese verspätete Unterrichtung hatte sicher ihre Ursache darin, daß die Klägerin zuvor drei Wochen in Urlaub war. Das kann ihr aber nicht zum Nachteil gereichen. Sie ist auf die Unterrichtung durch den Arbeitgeber angewiesen. Als sie unterrichtet wurde, hat sie sofort widersprochen. Das war also in jedem Falle rechtzeitig.
2. Bedenken gegen die Wirksamkeit des Widerspruchs ergeben sich jedoch aus Gründen, die das Berufungsgericht bisher noch nicht erörtert hat.
a) Ein Widerspruch kommt nicht mehr in Frage, wenn sich der Arbeitnehmer und der bisherige Arbeitgeber darüber einig waren, daß das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers auf den neuen Betriebsinhaber übergehen soll. Eine solche Vereinbarung schließt einen späteren Widerspruch des Arbeitnehmers aus. Die gleiche Wirkung könnte auch eine einseitig vom Arbeitnehmer erklärte Zusage haben, er werde dem Übergang des Arbeitsverhältnisses auf den neuen Betriebsinhaber nicht widersprechen. Mit einem entgegen dieser Zusage später erklärten Widerspruch würde sich der Arbeitnehmer mit voraufgegangenen eigenen Erklärungen in Widerspruch setzen. Dies wäre ein Verstoß gegen Treu und Glauben, wenn sich der Arbeitgeber auf die voraufgegangene zustimmende Erklärung des Arbeitnehmers verlassen durfte und sich darauf auch eingerichtet hatte (§ 242 BGB).
Schließlich kann der Übergang des Arbeitsverhältnisses auch zwischen dem Arbeitnehmer und den beiden Arbeitgebern vereinbart werden. Diese Gestaltungsmöglichkeit, wie sie vor dem Inkrafttreten des § 613 a BGB bestand, bleibt den Parteien neben § 613 a BGB und außerhalb seines Anwendungsbereichs (vgl. zu den rechtlichen Möglichkeiten vor Inkrafttreten des § 613 a BGB Urteil des Senats vom 2. Oktober 1974 - BAG 26, 301, 305 = AP Nr. 1 zu § 613 a BGB, zu III 2 der Gründe).
b) Ob die Klägerin ihren Widerspruch vom 28. Juli 1981 danach noch rechtswirksam erklären konnte, wird das Berufungsgericht noch zu prüfen haben. Dabei wird es zunächst klären müssen, welche Behauptungen die Beklagte dazu im einzelnen aufstellen will; der bisherige Sachvortrag ist in sich widersprüchlich. Erst dann wird das Berufungsgericht tatsächlich feststellen können, ob und wie sich die Klägerin in der Vergangenheit zu einem möglichen Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf den Kaufmann B geäußert hatte, und ob sie wegen dieser früheren Erklärungen am 28. Juli 1981 gehindert war, dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses zu widersprechen.
Dr. Thomas Dr. Heither Michels-Holl
Arntzen Nipperdey
Fundstellen
BAGE 45, 140-145 (LT1-3) |
BAGE, 140 |
BB 1984, 2266-2267 (LT1-3) |
DB 1984, 1403-1404 (LT1-3) |
ARST 1984, 99-100 (LT1-3) |
BlStSozArbR 1984, 260-261 (T) |
NZA 1984, 32-33 (LT1-3) |
AP § 613a BGB (LT1-3), Nr 37 |
AR-Blattei, Betriebsinhaberwechsel Entsch 54 (LT1-3) |
AR-Blattei, ES 500 Nr 54 (LT1-3) |
EzA § 613a BGB, Nr 39 (LT1-3) |
MDR 1984, 699-699 (LT1-3) |