Entscheidungsstichwort (Thema)
Altersteilzeit. Konkurrenz von Firmen- und Verbandstarifvertrag. Bezugnahme auf Tarifvertrag. Allgemeine Geschäftsbedingungen. betriebsverfassungsrechtlicher Gleichbehandlungsgrundsatz
Leitsatz (redaktionell)
1. Zur Klärung der Frage, ob eine Vereinbarung die Rechtsqualität eines Tarifvertrags aufweist, sind nicht die vom BAG aufgestellten Regeln für die Auslegung des normativen Teils von Tarifverträgen anzuwenden. Maßgeblich sind die allgemeinen Regeln über das Zustandekommen und die Auslegung schuldrechtlicher Verträge gemäß §§ 133, 157 BGB.
2. Die Abgrenzung zwischen Firmentarifvertrag und Betriebsvereinbarung richtet sich nicht nach der bloßen Bezeichnung oder dem Umstand, ob neben Arbeitgeber und Gewerkschaft auch der (Gesamt-) Betriebsrat die Vereinbarung unterzeichnet hat. Allerdings ist es ein Anzeichen für einen tariflichen Regelungswillen, wenn tariffähige Parteien die Vereinbarung als Tarifvertrag bezeichnen.
3. Die Rechtsetzungsbefugnis der Tarifvertragsparteien umfasst grundsätzlich auch das Recht, auf jeweils andere tarifliche Vorschriften zu verweisen, sofern deren Geltungsbereich mit dem Geltungsbereich der verweisenden Tarifnorm in einem engen sachlichen Zusammenhang steht.
4. Die Weite der Verweisung (Auswirkungen von Änderungen des tariflichen Lohnes bzw. Gehaltes während des gesamten Altersteilzeitverhältnisses auf das Arbeitsentgelt), die spätere Verbandstarifverträge erfasst, hindert die Wirksamkeit der Bezugnahme nicht.
5. Ein Firmentarifvertrag ist gegenüber einem Verbandstarifvertrag wegen seiner größeren räumlichen, betrieblichen, fachlichen und persönlichen Nähe zum Betrieb stets die speziellere Regelung
6. Eine außerordentliche Kündigung ist wegen der Rechtsnatur eines Tarifvertrags als Dauerrechtsverhältnis selbst dann möglich, wenn der Tarifvertrag befristet ist.
7. Die Zeitkollisionsregel des Ablösungsprinzips ist nicht nur anzuwenden, wenn Normen derselben Normgeber aufeinanderfolgen, sondern auch, wenn ein Verbands- auf einen Firmentarifvertrag folgt.
8. Die Bezugnahme auf das Tarifwerk einer bestimmten Branche oder eines bestimmten Einzelarbeitgebers kann über ihren Wortlaut hinaus nur dann als sog. große dynamische Verweisung, dh. als Bezugnahme auf den jeweils für den Betrieb fachlich und betrieblich geltenden Tarifvertrag ausgelegt werden, wenn sich dies aus besonderen Umständen ergibt. Während sich die Dynamik bei der sog. kleinen dynamischen Bezugnahmeklausel auf das zeitliche Moment beschränkt, wirkt die “große dynamische Verweisung” oder “Tarifwechselklausel” auch betrieblich und fachlich dynamisch.
9. Die Ausnahmeregelung des § 310 Abs. 4 S. 1 BGB gilt nur für Tarifverträge selbst, nicht für arbeitsvertragliche Bezugnahmeklauseln, die auf Tarifverträge verweisen.
Normenkette
GG Art. 3, 9, 20; ArbGG § 73; BetrVG §§ 50, 75, 77, 87; BGB §§ 133, 139, 157, 305, 305c, 307-308, 310, 626; TVG §§ 1, 3-4; ZPO §§ 253, 293, 314, 551, 557, 559, 563; Gesamtbetriebsvereinbarung der VG Nicolaus GmbH vom 19. Januar 2005 Nrn. 5, 9
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 11. September 2006 – 6 Sa 582/06 – aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Gründe
Von der Darstellung des Tatbestands und der Entscheidungsgründe wird abgesehen (§ 313a Abs. 1 ZPO).
Unterschriften
Düwell, Krasshöfer, Gallner, Neumann, Starke
Fundstellen