Entscheidungsstichwort (Thema)
Widerruf übertariflicher Zulagen
Normenkette
BGB §§ 611, 315; BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 10
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 19. April 1999 – 16 Sa 562/98 – wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über den Widerruf einer übertariflichen Zulage.
Die Beklagte ist ein Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie mit insgesamt mehr als 1.000 Arbeitnehmern. Sie ist verbandsgebunden und wendet die einschlägigen Tarifverträge an. Die Beklagte befaßt sich mit sog. Antriebstechnik und unterhält Betriebe in E und A. In E stellt sie mechanische Getriebe, Kupplungen und Bremsen sowie Kleinmotoren her, sie unterhält dort auch einen Kundendienst. In A sind die Geschäftsfelder Elektronik und Motorenfertigung angesiedelt, daneben gleichfalls ein Kundendienst. A war bis 1994 ein selbständiges Unternehmen. In E beschäftigte die Beklagte im April 1998 ca. 740 Arbeitnehmer. In beiden Betrieben sind Betriebsräte gewählt.
Die Klägerin ist seit 1969 bei der Beklagten in E beschäftigt. Im Arbeitsvertrag vom 7. Juni 1972 ist als „freiwillige Zulage” auch eine Treueprämie von 3 % auf den Effektivlohn nach dreijähriger Firmenzugehörigkeit ausgewiesen. Hierzu heißt es weiter, eine Treueprämie sei eine freiwillige und widerrufliche Sonderzulage. Die Klägerin erhielt dementsprechend nach dreijähriger Beschäftigung eine Zulage gezahlt. Die Beklagte gewährte diese Zulage allen in E beschäftigten Arbeitnehmern.
In der Folgezeit vereinbarten die Parteien mehrere Vertragsänderungen. Anlaß hierfür war im wesentlichen die Übertragung anderer Tätigkeiten, die zu einer Änderung der Tarifgruppe führten. Die formalisierten schriftlichen Änderungsvereinbarungen enthalten jeweils neben der Festlegung der neuen Tätigkeit und der entsprechenden Tarifgruppe eine Aufgliederung der Positionen, aus denen sich das neue Gehalt zusammensetzt. Unter den übertariflichen Zulagen war dabei jeweils auch die Treueprämie aufgeführt, allerdings ohne Erwähnung des Widerrufsvorbehalts. Im Anschluß an die Gehaltsaufgliederung findet sich der Hinweis, daß damit die bisherige Gehaltsaufgliederung ungültig wird.
Die Beklagte erlitt in den Geschäftsjahren 1990/91 bis 1995/96 Verluste i.H.v. insgesamt ca. 39 Mio. DM. 1990/91 wurde – begleitet von einem Sozialplan – die Belegschaft in E um rund 200 Beschäftigte abgebaut. Im März 1996 wurden in E erneut 70 Arbeitnehmer auf Grund eines Interessenausgleichs und Sozialplans entlassen.
Mit Schreiben vom 16. bzw. 19. September 1996 widerrief die Beklagte gegenüber der Klägerin sowie allen anderen Mitarbeitern des Werkes E die Treueprämie unter Einhaltung der individuellen Widerrufsfrist (31. März 1997). In der Begründung erklärte sie, der Widerruf erfolge insbesondere wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage des Unternehmens. Am Standort A, wo die Beklagte die gleiche Treueprämie nicht auf Grund vertraglicher Vereinbarungen, sondern auf Grund einer Betriebsvereinbarung zahlte, kündigte sie diese Betriebsvereinbarung zum 30. September 1996; die Treueprämie wird seither auch in A nicht mehr gezahlt. Hierüber informierte die Beklagte die Arbeitnehmer des Werkes E in dem Widerrufsschreiben vom 16. bzw. 19. September 1996.
Der Gesamtbetrag der in E im September 1996 gezahlten Treueprämie betrug 98.245,42 DM; der Gesamtbetrag für das Jahr 1997 hätte sich auf ca. 750.000 DM, für 1998 auf ca. 1,1 Mio. DM belaufen.
Der Betriebsrat in E wurde bei dem Widerruf nicht beteiligt. Die Beklagte zahlte nach Widerruf der Treueprämie in E noch an insgesamt 19 Arbeitnehmer eine übertarifliche Zulage in unterschiedlicher Höhe und aus unterschiedlichen Gründen weiter.
In dem am 30. April 1997 abschließenden Geschäftsjahr 1996/97 erzielte die Beklagte in beiden Werken zusammen einen Überschuß von ca. 8,7 Mio. DM, im Geschäftsjahr 1997/98 von ca. 34 Mio. DM. 1998 zahlte sie an alle Mitarbeiter wegen der positiven Geschäftsentwicklung einen einmaligen Bonus.
Die Klägerin hat den Widerruf der Treueprämie für unwirksam gehalten. Auch wenn man von einem ursprünglich vereinbarten Widerrufsvorbehalt ausgehe, sei dieser durch die Änderungsvereinbarungen aufgehoben worden. Damit sei die Treueprämie zu einem unwiderruflichen und nur durch Änderungskündigung zu beseitigenden Lohnbestandteil geworden.
Der Widerruf sei auch deshalb rechtswidrig, weil er nicht den Grundsätzen billigen Ermessens entspreche. Angesichts des im Geschäftsjahr 1996/97 erzielten Gesamtgewinns könne die Beklagte sich nicht auf wirtschaftliche Gründe berufen. Dabei sei auf die Situation des Unternehmens und nicht allein auf diejenige des Betriebes E abzustellen. Im übrigen sei das Einsparvolumen auch nicht geeignet, wirtschaftliche Schwierigkeiten greifbar zu mildern. Zumindest hätte auch eine nur befristete Aussetzung der Prämie erwogen werden müssen.
Unabhängig davon sei der Widerruf auch deshalb unwirksam, weil der Betriebsrat nicht beteiligt worden sei. Die übertariflichen Zulagen seien nicht vollständig abgebaut worden.
Die Klägerin hat beantragt
- festzustellen, daß der Widerruf der Treueprämie gem. dem Schreiben der Beklagten vom 19. September 1996 rechtsunwirksam ist,
- die Beklagte zu verpflichten, ihm über den 31. März 1997 hinaus eine Treueprämie i.H.v. 3 % auf den Effektivlohn zu zahlen,
- die Beklagte zu verurteilen, an sie 116,57 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 1. Mai 1997 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Der wirksam vereinbarte Widerrufsvorbehalt sei nicht nachträglich abbedungen worden. Die Vertragsänderungen hätten nur die neue Zusammensetzung des Gehalts auf der Grundlage des Arbeitsvertrages dargestellt. Der Widerruf sei auch sachlich gerechtfertigt. Im Geschäftsjahr 1996/97 habe sie zunächst von Mai bis Juni einen Verlust i.H.v. ca. 4 Mio. DM erwirtschaftet. Erst die im September noch nicht voraussehbare positive Entwicklung im Bereich Elektronik in der Zeit von Januar bis April 1997 habe zur Verbesserung des Gesamtergebnisses geführt. Dies sei aber ausschließlich auf Produkte zurückzuführen, die in E weder hergestellt noch verkauft würden. Im Betrieb E habe nur das Geschäftsfeld Kundendienst 1996/97 einen Gewinn erzielt, alle anderen Geschäftsfelder hätten im Geschäftsjahr und auch darüber hinaus mit Verlust gearbeitet.
Der Widerruf sei nicht mitbestimmungspflichtig gewesen, da die Zulage insgesamt und vollständig widerrufen worden sei. Die für 19 Arbeitnehmer verbleibenden Zulagen seien an persönliche Merkmale gebunden und hätten mit der Treueprämie nichts zu tun.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Es hat den Antrag zu 2) als unzulässig angesehen, die Anträge zu 1) und 3) als unbegründet.
Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin die Anträge zu 1) und 3) weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin war zurückzuweisen. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
A. Das mit dem Antrag zu 1) verfolgte Feststellungsbegehren ist unbegründet.
I. Der Feststellungsantrag ist allerdings zulässig. Die Klägerin hat an der begehrten Feststellung ein rechtliches Interesse (§ 256 ZPO). Die Feststellungsklage kann auf einzelne Beziehungen und Folgen aus einem Rechtsverhältnis beschränkt werden. Streiten die Parteien darüber, ob der Arbeitgeber auf Grund seines Direktionsrechts oder auch eines vorbehaltenen Widerrufsrechts eine Änderung der Arbeitsbedingungen herbeiführen konnte, kann der Arbeitnehmer dies nach ständiger Rechtsprechung im Wege der Feststellungsklage klären lassen (siehe nur BAG 11. Februar 1998 – 5 AZR 472/97 – AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 54 = EzA BGB § 325 Nr. 48).
Dem steht nicht entgegen, daß die Klägerin zugleich eine Leistungsklage erhoben hat (Antrag zu 3). Diese betrifft nur den für bestimmte Monate zu zahlenden Betrag; eine Entscheidung hierüber führte auch nur für diesen Zeitabschnitt zu einer rechtskräftigen Klärung. Demgegenüber ist die Feststellungsklage ein geeignetes Mittel, die Streitfrage einer grundlegenden Klärung zuzuführen.
II. Der Antrag zu 1) ist jedoch unbegründet. Der mit Schreiben vom 19. September 1996 erklärte Widerruf der Treueprämie ist wirksam. Die Beklagte hat sich den Widerruf im Arbeitsvertrag vorbehalten (1.). Der Vorbehalt ist nicht nachträglich aufgehoben worden (2.). Der Widerruf verstößt nicht gegen die Grundsätze billigen Ermessens (3.). Er war auch nicht mitbestimmungspflichtig (4.).
1. Die Beklagte hatte sich den Widerruf der Treueprämie im Arbeitsvertrag ausdrücklich vorbehalten. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist eine derartige Vereinbarung, die dem Arbeitgeber vertraglich das Recht zur einseitigen Änderung einzelner Vertragsbedingungen einräumt, grundsätzlich zulässig. Sie darf nur nicht zur Umgehung zwingender Kündigungsvorschriften führen. Das ist in der Regel dann der Fall, wenn wesentliche Elemente des Arbeitsvertrages einer einseitigen Änderung unterliegen sollen, durch die das Gleichgewicht zwischen Leistung und Gegenleistung grundlegend gestört würde (vgl. nur BAG 28. Mai 1997 – 5 AZR 125/96 – BAGE 86, 61, zu A I 2 a der Gründe; siehe allgemein KR-Rost 5. Aufl. § 2 KSchG Rn. 47, 48 mit Nachweisen).
Diese Grenze ist im Streitfall nicht berührt. Es handelt sich um eine Zusatzleistung i.H.v. 3 %, der gegenüber dem vereinbarten Tariflohn keine den Vertrag prägende Wirkung zukommt. Der kündigungsrechtlich geschützte Kernbereich des Arbeitsverhältnisses ist nicht angetastet. Das Bundesarbeitsgericht hat die variable Ausgestaltung von Lohnbestandteilen selbst noch in Größenordnungen von 25–30 % als zulässig angesehen (vgl. KR-Rost a.a.O. § 2 KSchG Rn. 48 a).
2. Der Widerrufsvorbehalt ist nicht nachträglich aufgehoben worden.
Das Landesarbeitsgericht hat die nachträglichen Vertragsänderungen dahin ausgelegt, daß diese nur die neue Zusammensetzung des Gehalts ausweisen, nicht aber den Charakter der einzelnen Gehaltsbestandteile verändern. Dem ist zuzustimmen.
Die Auslegung des Landesarbeitsgerichts ist zwar uneingeschränkt überprüfbar, da es sich bei den Vertragsänderungen um typisierte Willenserklärungen handelt, wie schon aus der mehrfachen formularmäßigen Vereinbarung mit der Klägerin selbst, aber auch aus den vom Senat entschiedenen Parallelverfahren ersichtlich (vgl. Senat 17. November 1998 – 1 AZR 147/98 – AP BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 162 = EzA BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 79 = SAE 2000, 129 mit Anmerkung von Herrmann). Dieser Überprüfung hält aber das angefochtene Urteil stand. Anlässe der Vertragsänderungen waren im wesentlichen Änderungen der Tätigkeit oder der Vergütungsgruppe bei unveränderter Tätigkeit. Insoweit bestand Grund für eine konstitutive vertragliche Neuregelung. Die Struktur des Gehalts änderte sich dadurch aber jedenfalls hinsichtlich der Treueprämie, die unabhängig von Tätigkeit und Vergütungsgruppe an alle Arbeitnehmer gezahlt wurde, nicht. Deshalb bestand auch kein Anlaß, den im Arbeitsvertrag vereinbarten Widerrufsvorbehalt aufzugeben.
Daß der Widerrufsvorbehalt generell Bestandteil der Treueprämie war, verdeutlicht der Umstand, daß diese schon in der ursprünglichen Gehaltsaufgliederung aufgeführt war, obwohl dort eine Bezifferung noch gar nicht möglich war, weil die Klägerin die Anspruchsvoraussetzungen noch nicht erfüllte. In den Vertragsänderungen sind demgegenüber jeweils die Beträge eingesetzt, entsprechend dem Zweck, die Höhe des (derzeitigen) neuen Gehalts nach seinen einzelnen Bestandteilen zu dokumentieren. In der in § 2 des Arbeitsvertrages enthaltenen Gehaltsaufgliederung ist der Widerruf in Erläuterungen aufgeführt, in denen allgemeine Lohngrundsätze festgehalten sind. Solche allgemeinen Erläuterungen weisen die Vertragsänderungen nicht auf, sie beschränken sich auf die Darstellung der Änderungen in Tätigkeit und Vergütungsgruppe und die daraus folgende rechnerische Zusammensetzung des neuen Gehalts.
Schließlich wäre ein an den Wechsel der Tätigkeit oder der Vergütungsgruppe geknüpfter Verzicht auf den Widerrufsvorbehalt auch kaum verständlich angesichts des für die Klägerin erkennbaren betrieblichen Systems, die Treueprämie generell mit einem Widerrufsvorbehalt zu verbinden. Der in den Änderungsvereinbarungen jeweils enthaltene Hinweis, hiermit werde die bisher geltende Gehaltsaufgliederung ungültig, bezieht sich vor diesem Hintergrund ersichtlich nur auf die Änderung des Zahlenwerks.
3. Der Widerruf der Treueprämie entspricht billigem Ermessen, § 315 BGB. Auch insoweit ist dem Landesarbeitsgericht zuzustimmen.
a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Widerruf sei auf Grund der schlechten wirtschaftlichen Situation der Beklagten sachlich gerechtfertigt gewesen. Dabei seien die Verhältnisse im Zeitpunkt seines Ausspruchs, also im September 1996, zugrunde zu legen. Daß das Geschäftsjahr 1996/97 für das Unternehmen insgesamt mit einem Gewinn abgeschlossen worden sei, sei nicht entscheidend.
Dem ist im Ergebnis und teilweise auch in der Begründung zu folgen.
b) Das Widerrufsrecht der Beklagten ist zwar nach dem Wortlaut des Arbeitsvertrages an keine Voraussetzungen geknüpft. Zwischen den Parteien besteht aber kein Streit darüber, daß es nur nach billigem Ermessen ausgeübt werden sollte und konnte. Dies folgt schon aus der Auslegungsregel des § 315 Abs. 1 BGB. Unabhängig davon wird die Vereinbarung eines völlig freien Widerrufs nach ständiger Rechtsprechung jedenfalls als unzulässig angesehen, soweit er sich auf laufende Vergütungsbestandteile erstreckt (siehe schon BAG 13. Mai 1987 – 5 AZR 125/86 – BAGE 55, 275; 10. Juli 1996 – 5 AZR 977/94 – ZTR 1997, 39).
Eine Leistungsbestimmung entspricht dann billigem Ermessen, wenn die wesentlichen Umstände des Falles berücksichtigt und die beiderseitigen Interessen angemessen abgewogen sind. Dabei kommt dem Revisionsgericht ein uneingeschränktes Überprüfungsrecht zu (BAG 23. Juni 1993 – 5 AZR 337/92 – AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 42 = EzA BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 13; 10. Juli 1996 a.a.O.; 29. Oktober 1997 – 5 AZR 573/96 – AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 51 = EzA BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 19).
c) Das Landesarbeitsgericht ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, daß sich die Entscheidung der Beklagten in diesem Rahmen hält.
aa) Die Beklagte konnte den Widerruf auf die zum Zeitpunkt seines Ausspruchs bestehende wirtschaftliche Lage des Unternehmens insgesamt stützen. Es kann deshalb letztlich dahingestellt bleiben, ob – wie das Landesarbeitsgericht angenommen hat – für die Beurteilung der Interessen der Beklagten nur auf die Verhältnisse des Betriebes in E abzustellen ist (vgl. dazu aber auch Senat 17. November 1998 – 1 AZR 147/98 – AP BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 162 = EzA BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 79 = SAE 2000, 129 mit Anmerkung Herrmann).
Die Geschäftsentwicklung des Unternehmens insgesamt hatte sich 1996 zunächst negativ gestaltet, weshalb auch die Kündigung der Betriebsvereinbarung im Betrieb A zum 30. September 1996 erfolgte. Von dieser wirtschaftlichen Situation ging die Beklagte im Zeitpunkt des Widerrufs aus. Dieser Zeitpunkt ist auch maßgeblich für die Beurteilung der Ermessensentscheidung.
Die Klägerin kann demgegenüber nicht mit Erfolg einwenden, daß das bis April 1997 laufende Geschäftsjahr letztlich dann doch noch mit Gewinn abgeschlossen wurde. Die nachträgliche Entwicklung hebt das bei Erklärung des Widerrufs bestehende berechtigte Interesse der Beklagten nicht auf. Die Verbesserung der wirtschaftlichen Lage stand zu diesem Zeitpunkt weder fest, noch war sie auch nur einigermaßen sicher voraussehbar.
Die Anforderungen an eine sachgerechte Ermessensausübung sind insoweit nicht zu vergleichen mit den Anforderungen etwa an eine i.S.d. § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigte Änderungskündigung. Eine Kündigung greift in die Vertragsgrundlage ein und führt zu deren dauerhafter Beendigung oder Abänderung. Allein dies rechtfertigt die Anlegung eines strengeren Maßstabes. Demgegenüber entspricht es dem Zweck eines von vornherein unter Widerrufsvorbehalt gestellten zusätzlichen variablen Lohnbestandteiles, daß der Arbeitgeber die Möglichkeit haben soll, sich von ihm (leichter) wieder zu lösen. Hiermit kann und muß der Arbeitnehmer – anders als bei einer festen vertraglichen Vereinbarung – jederzeit rechnen. Eine Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse ist nie ausgeschlossen, sie ist regelmäßig sogar das Ziel des Abbaus variabler Lohnbestandteile. Deren Vereinbarung – anstelle einer unbedingten Leistung – soll dem Arbeitgeber auch die Möglichkeit belassen zu entscheiden, ob er eine spätere positive Entwicklung zum Anlaß nimmt, erneut eine Zusatzleistung anzubieten. Dies hat die Beklagte im übrigen mit dem 1998 gezahlten Sonderbonus dann auch getan.
Eine hier nicht zu entscheidende Frage ist es, ob auch eine im Zeitpunkt des Widerrufs erkennbar nur vorübergehende wirtschaftliche Verschlechterung ausreicht, den Widerruf überhaupt zu rechtfertigen oder ob es dem Arbeitgeber zuzumuten ist, einen befristeten Ertragseinbruch hinzunehmen (vgl. insoweit zur Änderungskündigung BAG 20. August 1998 – 2 AZR 84/98 – AP KSchG 1969 § 2 Nr. 50 = EzA KSchG § 2 Nr. 31). Daß es im September 1996 erkennbar gewesen wäre, daß sich die wirtschaftliche Situation in absehbarer Zeit verbessern würde, ist nicht festgestellt und auch nicht ersichtlich. Vor allem kann nicht von einem nur kurzfristigen und vorübergehenden Einbruch ausgegangen werden, weil die Beklagte bereits seit etwa 1990 in E mit negativem Ergebnis gewirtschaftet hatte. Unter Berücksichtigung der über Jahre hingenommenen Verluste, auf die sie zunächst nicht mit einer Streichung der Zulage reagierte, erscheint es aus der Interessensicht der Beklagten nicht unangemessen, wenn sie trotz Hoffnung – nicht Sicherheit – auf eine spätere Besserung der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens im Jahr 1996 schließlich die Zulage widerrief.
bb) Ist also ein berechtigtes Interesse der Beklagten am Abbau der Treueprämie anzuerkennen, sind demgegenüber die Interessen der Klägerin nicht derart einschneidend berührt, daß der Widerruf deshalb sachwidrig wäre. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, daß die Prämie mit 3 % vom Effektivlohn einen nur geringen Anteil an der Gesamtvergütung ausmachte. Die Klägerin hat die Zulage zwar über einen langen Zeitraum hin erhalten. Andererseits hat sie die Beklagte zunächst über Jahre weitergezahlt trotz erheblicher Verluste. Das Landesarbeitsgericht hat auch zu Recht auf den kollektiven Charakter der Zulage und des Widerrufs verwiesen, von dem alle Arbeitnehmer in gleicher Weise betroffen werden. Wenn die Beklagte keine Differenzierung etwa nach Jahren gestaffelt vorgenommen hat, ist das allein nicht sachwidrig.
cc) Ist danach davon auszugehen, daß die wesentlichen Umstände des Falles berücksichtigt und die beiderseitigen Interessen angemessen abgewogen sind, ist der Widerruf individualrechtlich wirksam. Die von der Beklagten eingehaltene Widerrufsfrist ist nicht im Streit.
4. Der Widerruf ist nicht etwa deshalb unwirksam, weil die Beklagte den Betriebsrat nicht beteiligt hat. Das Landesarbeitsgericht hat ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG zu Recht verneint.
a) § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG gibt dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, insbesondere der Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen und der Einführung und Anwendung von neuen Entlohnungsmethoden sowie deren Änderung. Die Beteiligung des Betriebsrats in diesem Bereich soll die Angemessenheit und Durchsichtigkeit des innerbetrieblichen Lohngefüges sowie die Lohngerechtigkeit gewährleisten. Mitbestimmungsfrei ist hingegen die Festsetzung der Lohnhöhe. Widerruft der Arbeitgeber eine freiwillige Zulage gänzlich, ist für eine anderweitige Verteilung, damit aber auch für eine Mitbestimmung kein Raum. Der Widerruf ist dann mitbestimmungsfrei (grundlegend BAG Großer Senat 3. Dezember 1991 – GS 2/90 – BAGE 69, 134).
b) Die Beklagte hat die Treueprämie gegenüber allen Arbeitnehmern im Betrieb E widerrufen. Damit blieb kein Spielraum mehr für eine Verteilung eines Zulagenvolumens. Dieses war nicht mehr vorhanden.
aa) Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Umstand, daß die Beklagte an 19 (von im April 1998 insgesamt 740) Arbeitnehmer Zulagen in unterschiedlicher Höhe und aus unterschiedlichen Gründen weiterzahlt. Das Landesarbeitsgericht hat es zu Recht abgelehnt, alle Zulagen einem „Topf” zuzuordnen. Die 19 Zulagen verfolgten keinen erkennbar einheitlichen und insbesondere keinen erkennbar mit der Treueprämie übereinstimmenden Zweck, der eine zusammengefaßte Betrachtung rechtfertigen könnte.
Der Arbeitgeber ist nicht nur frei in der Frage, ob er überhaupt eine Zulage gewähren will, er kann mitbestimmungsfrei auch den mit der Zahlung verfolgten Zweck und den abstrakt begünstigten Personenkreis festlegen (Senat 14. Juni 1994 – 1 ABR 63/93 – BAGE 77, 86, zu B II 1 der Gründe). Das gebietet eine Differenzierung auch hinsichtlich der Mitbestimmungspflichtigkeit des Abbaus der Zulagen. Verfolgen diese in zulässiger Weise unterschiedliche Zwecke, ist es nicht Inhalt des Beteiligungsrechts darüber zu entscheiden, ob nicht uU statt des vorgesehenen gänzlichen Wegfalles der einen zweckgebundenen Zulage diese teilweise aufrechterhalten und stattdessen eine andere zweckgebundene Zulage abgebaut wird. Die zweckunterschiedlichen Leistungen sind vielmehr jeweils für sich zu betrachten.
Will der Arbeitgeber also etwa eine Leistungszulage ersatzlos wegfallen lassen, ist es nicht Gegenstand des Mitbestimmungsrechts zu prüfen, ob eine entsprechende Einsparung nicht auch durch Abbau einer Treueprämie zu erreichen ist (vgl. auch Senat 19. September 1995 – 1 ABR 20/95 – AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 81 = EzA BetrVG 1972 § 87 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 53, zu B II 3 b der Gründe).
bb) Hiervon ausgehend war der Widerruf der Treueprämie von der Fortzahlung der 19 Zulagen zu trennen. Mit der Treueprämie verfolgte die Beklagte die Belohnung einer längeren Betriebszugehörigkeit, wie sich nicht nur aus der Bezeichnung, sondern auch aus der Voraussetzung einer mindestens dreijährigen Betriebszugehörigkeit ergibt. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts liegen den verbleibenden Zulagen andere Zwecke zugrunde, jedenfalls keine der Treueprämie vergleichbaren Zwecke. Die Zulagen entsprechen schon von der Bemessung her nicht der Treueprämie, zum Teil werden sie als Pauschalbeträge gezahlt. Zum Teil haben sie ihren Ursprung im Wechsel des Arbeitnehmers von A nach E und dienen dem Ausgleich des Tarifgefälles zwischen Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, zum Teil sind sie als Leistungszulagen ausgewiesen. Es wäre Sache der Klägerin gewesen darzulegen, warum trotz dieser unterschiedlichen Zweckbestimmungen die 19 verbleibenden Zulagen (oder wenigstens ein Teil von ihnen) in gleicher Weise die Belohnung der Betriebstreue verfolgten wie die hier streitige Prämie. Dies ist nicht geschehen.
c) Ein Mitbestimmungsrecht folgt auch nicht aus dem Umstand, daß die Beklagte 1998 (also über ein Jahr später) auf Grund der (wieder) guten Geschäftslage einen Sonderbonus an alle beteiligten Arbeitnehmer ausgeworfen hat. Richtig ist, daß der Widerruf einer Zulage und die spätere Zahlung einer neuen übertariflichen Leistung ausnahmsweise insgesamt mitbestimmungspflichtig sein können, wenn beide Schritte auf ein von vornherein bestehendes einheitliches Konzept zurückgehen (Senat 17. Januar 1995 – 1 ABR 19/94 – BAGE 79, 96; 14. Februar 1995 – 1 ABR 41/94 – AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 72 = EzA BetrVG 1972 § 87 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 49). Für ein solches einheitliches Konzept fehlt es hier aber an jeglichen Anhaltspunkten. Es ist nicht ersichtlich, daß die Beklagte schon bei Ausübung des Widerrufs entschlossen gewesen wäre, das eingesparte Volumen oder einen Teil davon 1998 als Sonderbonus wieder auszuschütten. Wird eine übertarifliche Zulage aus wirtschaftlichen Gründen widerrufen, liegt es in der Natur der Sache, daß ein Arbeitgeber sich die Möglichkeit offenhält, bei Besserung der wirtschaftlichen Situation uU erneut eine übertarifliche Leistung anzubieten. Diese wäre dann hinsichtlich der Verteilungsgrundsätze wieder mitbestimmungspflichtig. Eine solche selbstverständliche Möglichkeit der späteren „Neuauflage” der übertariflichen Leistung ist aber noch nicht mit einem Konzept gleichzusetzen, mit dem der Arbeitgeber von vornherein eine Umgestaltung der freiwilligen Leistungen in zwei Schritten plant.
B. Unbegründet ist damit auch der Leistungsantrag zu 3), mit dem die Klägerin die Treueprämie für den Monat April 1997 geltend macht. Der Klägerin steht die Treueprämie nach den Ausführungen unter A. der Gründe nicht mehr zu.
Unterschriften
Wißmann, Hauck, Rost, Klebe, Spiegelhalter
Fundstellen