Entscheidungsstichwort (Thema)
Zeitpunkt des Bestehens der Abschlußprüfung
Leitsatz (amtlich)
Nach § 5 Nr. 1, 3 des Abkommens für Auszubildende in Berufsausbildung in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie des Saarlandes i.d.F. vom 10. Mai 1990 besteht ein Anspruch auf den Facharbeiterlohn ab dem auf den Tag der Feststellung des Prüfungsergebnisses folgenden Tag.
Normenkette
BBiG § 14 Abs. 2, §§ 17, 41, 25; Musterprüfungsordnung 1971 für die Durchführung von Abschlußprüfungen für anerkannte Ausbildungsberufe § 21 Abs. 1, 5; Abkommen für Auszubildende in der Berufsausbildung in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie des Saarlandes vom 29. April 1987 i.d.F. vom 10. Mai 1990 § 5; Industrielle Metall-Ausbildungsverordnung vom 15. Januar 1987 § 14 Abs. 6
Verfahrensgang
Tenor
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger für die Zeit zwischen der letzten Prüfungsleistung und dem Tag der Feststellung des Prüfungsergebnisses durch den Prüfungsausschuß den tariflichen Lohn anstatt der Ausbildungsvergütung zu zahlen.
Der Kläger wurde bei der Beklagten zum Industriemechaniker ausgebildet. Laut Berufsausbildungsvertrag sollte das Ausbildungsverhältnis am 28. Februar 1992 enden. Beide Parteien sind tarifgebunden.
Der Kläger bestand die Abschlußprüfung vor diesem Zeitpunkt. Tag der letzten Prüfungsleistung war der 18. Dezember 1991. Das Prüfungsergebnis wurde am 16. Januar 1992 festgestellt. Dem Kläger wurde am 16. Januar 1992 eine “Bescheinigung (gemäß § 21 Abs. 5 der Prüfungsordnung)” ausgehändigt, die wie folgt lautet:
“Der Prüfungsteilnehmer hat die Kenntnisprüfung mit 81 Punkten bestanden Fertigungsprüfung mit 79 Punkten bestanden 18.12.91 Tag der letzten Prüfungsleistung 16.01.92 Datum der Feststellung des Prüfungsergebnisses.”
Am 15. Januar 1992 schlossen die Parteien einen “Einstellungsvertrag”, wonach der Kläger für die “Tätigkeit allgemeine Rohbauarbeiten” unter Eingruppierung in die Lohngruppe 3 eingestellt wurde. In dem Arbeitsvertrag heißt es u.a.:
Das Beschäftigungsverhältnis beginnt mit dem Tag der Arbeitsaufnahme. Die Arbeitsaufnahme erfolgt am: 17.01.1992, 6.00 Uhr.
Besondere Vereinbarungen:
Übernahme vom Ausbildungsverhältnis in ein Lohnempfänger-Arbeitsverhältnis.
Die Prüfungsordnung für die Durchführung von Abschlußprüfungen der Industrie- und Handelskammer des Saarlandes vom 3.4.1973 (PrüfO) enthält u.a folgende Regelungen:
In der Verordnung über die Berufsausbildung in den industriellen Metallberufen (Industrielle Metall-Ausbildungsverordnung – IndMetAusbV) vom 15. Januar 1987 (BGBl. I, S. 274) heißt es u.a.:
In dem Abkommen für Auszubildende in der Berufsausbildung in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie des Saarlandes vom 29. April 1987 in der Fassung vom 10. Mai 1990 (AusbAbk) ist u.a. folgendes bestimmt:
§ 4 des Lohnrahmentarifvertrages für die Arbeiter in der weiterverarbeitenden Eisen-, Metall- und Elektroindustrie des Saarlandes vom 10. Mai 1990 (LohnRTV) lautet auszugsweise:
Lohngruppeneinteilung
Lohngruppe 3
Körperlich erschwerte Arbeiten, die eine Zweckausbildung oder ein systematisches Anlernen von 3 Monaten und berufliche Fertigkeit, Übung und Erfahrung verlangen.
Lohngruppe 5
Facharbeiten, die neben beruflicher Handfertigkeit und beruflichen Kenntnissen einen Ausbildungsstand verlangen, der durch eine fachentsprechende Berufslehre mit abgelegter Facharbeiterprüfung erzielt wird oder der ein gleichzubewertendes Können voraussetzt, das den Ausführenden befähigt, aufgrund langjähriger Erfahrungen alle Arbeiten des betreffenden Lehrberufs auszuführen.
Der Kläger beansprucht für die Zeit vom 19. Dezember 1991 bis zum 16. Januar 1992 die Differenz zwischen der tariflichen Ausbildungsvergütung und dem tariflichen Facharbeiterlohn (Lohngruppe 5).
Er hat die Auffassung vertreten, dieser Anspruch ergebe sich aus § 21 Abs. 5 PrüfO in Verbindung mit § 5 Abs. 1 und 2 AusbAbk. Er hat vorgetragen: Er sei ab 19. Dezember 1991 mit Facharbeitertätigkeiten betraut gewesen. Da § 5 AusbAbk die Anspruchsgrundlage sei, könne hier offenbleiben, ob § 17 BBiG die Kenntnis des Arbeitgebers von der Beendigung des Ausbildungsverhältnisses voraussetze.
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.173,78 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 30. April 1992 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen: Nach den heutigen Prüfungsabläufen sei § 21 Abs. 5 PrüfO so zu verstehen, daß die Prüfung erst mit der Feststellung des Prüfungsergebnisses durch die Prüfungskommission bestanden sei. Der Kläger sei zudem bis zum 16. Januar 1992 nach dem Ausbildungsplan beschäftigt worden und habe sogar die Berufsschule besucht. Ihm sei schon längere Zeit vorher angekündigt gewesen, daß er als angelernter Arbeiter (Lohngruppe 3) übernommen werde. Im übrigen sei das “Datum der Bescheinigung” im Sinne des § 5 Nr. 3 AusbAbk das Datum, unter dem die Bescheinigung ausgestellt werde, nicht aber das Datum, das in dieser Bescheinigung (sozusagen nachrichtlich) außerdem noch aufgeführt worden sei.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten blieb erfolglos. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Der Kläger hat für die Zeit bis zum 16. Januar 1992 keinen Anspruch auf eine Vergütung, die höher ist als die ihm zuletzt gewährte Ausbildungsvergütung.
I. Das Landesarbeitsgericht hat seine der Klage stattgebende Entscheidung wie folgt begründet:
Das Berufsausbildungsverhältnis des Klägers habe im Sinne des § 14 Abs. 2 BBiG am 18. Dezember 1991 geendet, da der Kläger an diesem Tag die Abschlußprüfung bestanden habe. Dies ergebe sich aus dem eindeutigen Wortlaut des § 21 Abs. 5 Satz 3 der aufgrund § 41 BBiG erlassenen Prüfungsordnung, obwohl das zu dem schwer einsichtigen Ergebnis des rückwirkenden Bestehens der Prüfung führe. Gleichwohl sei für die Zeit bis zum 16. Januar 1992 kein Arbeitsverhältnis gem. § 17 BBiG zustande gekommen, weil diese Vorschrift die Kenntnis des Ausbildenden von der Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses voraussetze und diese vor dem 16. Januar 1992 nicht gegeben gewesen sei. Das in der Zeit vom 18. Dezember 1991 bis zum 16. Januar 1992 bestehende Rechtsverhältnis sei als faktisches Arbeitsverhältnis zu qualifizieren, weil der Kläger in dieser Zeit ohne Arbeitsvertrag für die Beklagte Arbeit geleistet habe. In diesem faktischen Arbeitsverhältnis richteten sich die Rechte und Pflichten grundsätzlich nach den Vorschriften, die für ein wirksames Arbeitsverhältnis gelten würden; hinsichtlich der Lohnansprüche bestünde ein Anspruch auf den angemessenen, üblichen oder den bisher vereinbarten Lohn. Dabei könne dahingestellt bleiben, ob der Kläger Facharbeiten oder Ausbildungsarbeiten ausgeführt habe. Erstenfalls erhalte er den geltend gemachten Betrag aufgrund §§ 3, 5 des LohnRTV, andernfalls stehe ihm der zugesprochene Betrag nach § 5 Abs. 1, 3 AusbAbk in Verbindung mit § 4 LohnRTV Lohngruppe 5 zu.
Der Anspruch aus § 5 Abs. 1 AusbAbk sei zu bejahen, weil der Kläger auch im Tarifsinne am 18. Dezember 1991 die Abschlußprüfung bestanden habe. Die Tarifvertragsparteien hätten in § 5 Abs. 1, 3 AusbAbk den Begriff des Bestehens der Abschlußprüfung gebraucht. Dieser sei im Sinne des § 14 Abs. 2 BBiG zu verstehen. § 5 AusbAbk stelle nicht auf die Ausführung der Facharbeiten ab, sondern auf die einschlägige Lohngruppe. Maßgeblich sei nicht die ausgeübte Tätigkeit, sondern die mögliche Tätigkeit nach Abschluß der Ausbildung.
II. Dem kann nicht gefolgt werden. Ein Anspruch auf den Facharbeiterlohn ergibt sich weder aus § 5 Abs. 1, 3 AusbAbk noch aus § 17 BBiG in Verbindung mit § 612 Abs. 2 BGB und den §§ 3, 5 LohnRTV oder den Grundsätzen über das faktische Arbeitsverhältnis. Der Kläger hat die Abschlußprüfung erst am 16. Januar 1992 bestanden. Das gilt sowohl im Hinblick auf § 5 Abs. 1, 3 AusbAbk, als auch im Hinblick auf § 14 Abs. 2 BBiG.
1.a) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen. Dabei ist jedoch der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen, ohne am Buchstaben zu haften. Soweit der Tarifwortlaut nicht eindeutig ist, ist der in den tariflichen Normen zum Ausdruck kommende wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mitzuberücksichtigen. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefern und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Läßt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (vgl. BAG Urteil vom 23. September 1992 – 4 AZR 66/92 – AP Nr. 8 zu § 1 TVG Tarifverträge: Großhandel, zu I 2a der Gründe, m.w.N.). Weiter ist folgender Auslegungsgrundsatz zu beachten: Wenn die Tarifvertragsparteien ein Wort verwenden, das in der Rechtsterminologie einen festen Inhalt hat, ist im Zweifel davon auszugehen, daß sie dies in demselben Sinn verstanden wissen wollen (BAG in ständiger Rechtsprechung, vgl. Urteil vom 28. Januar 1977 – 5 AZR 145/76 – AP Nr. 1 zu § 1 TVG Tarifverträge: Ziegelindustrie; BAGE 46, 61, 66 – AP Nr. 3 zu § 9 TVG 1969).
b) Nach § 5 Abs. 1 AusbAbk ist “Auszubildenden, die vor Beendigung der vereinbarten Ausbildungszeit die Abschlußprüfung bestanden haben, … mit dem auf das Bestehen der Prüfung folgenden Arbeitstag die ihrer Lohn- bzw. Gehaltsgruppe entsprechende Vergütung zu zahlen”. Gemäß § 5 Abs. 3 AusbAbk gilt ” die Abschlußprüfung … als bestanden, sobald das Prüfungsergebnis durch die Prüfungskommission festgestellt wurde”. Maßgebend ist danach “das Datum der Bescheinigung, die dem Auszubildenden nach Abschluß der Prüfung von dem Prüfungsausschuß ausgestellt wird”.
Beide Absätze sind im Zusammenhang zu sehen. Wann die Abschlußprüfung bestanden im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 ist, haben die Tarifvertragsparteien in Abs. 3 definiert. Sie haben damit entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts gerade nicht den in § 14 Abs. 2 BBiG verwandten Begriff des Bestehens der Abschlußprüfung übernommen, sondern eine eigenständige Regelung geschaffen.
Dies ist zulässig. Die Tarifvertragsparteien können im Rahmen ihrer Regelungskompetenz bestimmen, ab wann einem (ehemaligen) Auszubildenden die erhöhte Vergütung zu zahlen ist. Dies kann auch der Tag sein, der im Prüfungsdokument als Zeitpunkt des Bestehens der Abschlußprüfung angegeben ist (BAG Urteil vom 25. Juli 1973 – 4 AZR 508/72 – AP Nr. 2 zu § 611 BGB Ausbildungsverhältnis).
c) Eine solche Regelung enthält der Tarifvertrag aber nicht. Nach § 5 Abs. 3 Satz 1 AusbAbk kommt es darauf an, wann das Prüfungsergebnis festgestellt worden ist. Dies wird in Satz 2 dahin konkretisiert, daß es auf das “Datum der Bescheinigung” ankommt. Zwar trifft es zu, daß in der Bescheinigung mehrere Daten aufgeführt sein können und im Streitfall auch sind. Entscheidend ist aber das in der Bescheinigung aufgeführte Datum der Feststellung des Ergebnisses und nicht das in der Bescheinigung auch noch aufzuführende Datum des Tages der letzten Prüfungsleistung. Das gilt zumindest für den hier vorliegenden Fall, in dem das Datum der Feststellung ausdrücklich bezeichnet wird. Die Auslegung des Landesarbeitsgerichts würde – worauf die Revision zutreffend hinweist – darauf hinauslaufen, daß § 5 Abs. 3 Satz 1 AusbAbk durch dessen Satz 2 wieder aufgehoben wird. Es ist nicht anzunehmen, daß die Tarifvertragsparteien das gewollt haben.
Hier wurde das Prüfungsergebnis am 16. Januar 1992 festgestellt; dieser Tag ist auch als Datum der Feststellung in der Bescheinigung nach § 21 Abs. 5 Satz 2 PrüfO angegeben.
Ob das in der Bescheinigung angegebene Datum auch dann maßgebend ist, wenn es nicht das Datum der Feststellung des Prüfungsergebnisses ist und auch nicht als solches ausgewiesen ist, bedarf hier keiner Entscheidung. Es liegt aber nahe, daß nach dem Willen der Tarifvertragsparteien das “Datum der Bescheinigung” nur dann maßgebend sein soll, wenn es als Datum der Feststellung des Prüfungsergebnisses bezeichnet ist. Das ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang der Sätze 1 und 2. Andernfalls hinge die Beantwortung der Frage, ob der volle Tariflohn geschuldet wird, von der von den Parteien des Ausbildungs- oder Arbeitsverhältnisses nicht beeinflußbaren Praxis der Industrie- und Handelskammern bei der Ausstellung der Bescheinigungen nach § 21 Abs. 5 Satz 2 PrüfO ab.
2. Der Anspruch auf den vollen Tariflohn ergibt sich auch nicht aus § 17 BBiG in Verbindung mit § 612 Abs. 2 BGB und den tarifvertraglichen Vorschriften. Denn das Berufsausbildungsverhältnis endete erst am 16. Januar 1992. Erst zu diesem Zeitpunkt hat der Kläger seine Abschlußprüfung bestanden.
a) § 17 BBiG bestimmt, daß dann, wenn “der Auszubildende im Anschluß an das Berufsausbildungsverhältnis beschäftigt (wird), ohne daß hierüber ausdrücklich etwas vereinbart worden ist, … ein Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Zeit als begründet” gilt. Diese Bestimmung knüpft also an das Ende des Berufsausbildungsverhältnisses nach § 14 BBiG an.
b) Nach § 14 Abs. 1 BBiG endet das Berufsausbildungsverhältnis mit dem Ablauf der Ausbildungszeit. Besteht der Auszubildende vor Ablauf der Ausbildungszeit die Abschlußprüfung, so endet das Berufsausbildungsverhältnis nach § 14 Abs. 2 BBiG “bereits mit Bestehen der Abschlußprüfung”. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist die Abschlußprüfung erst dann bestanden, wenn das Prüfungsverfahren abgeschlossen und das Ergebnis der Prüfung mitgeteilt worden ist (BAG Urteil vom 7. Oktober 1971 – 5 AZR 265/71 – AP Nr. 1 zu § 14 BBiG; Urteil vom 31. Oktober 1985 – 6 AZR 557/84 – BAGE 50, 79 = AP Nr. 15 zu § 78a BetrVG 1972). Diese Voraussetzung ist in der Regel dann erfüllt, wenn der Prüfungsausschuß über das Ergebnis der Prüfung einen Beschluß gefaßt und diesen bekannt gegeben hat. Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn die gemäß § 41 BBiG von der zuständigen Stelle erlassene Prüfungsordnung einen anderen Zeitpunkt festlegt, zu dem die Abschlußprüfung als “bestanden” anzusehen ist (BAG Urteil vom 5. April 1984 – 2 AZR 54/83 – EzB BBiG § 14 Abs. 2 Nr. 18). Im Hinblick auf eine gleichlautende Formulierung wie § 21 Abs. 5 Satz 3 der Prüfungsordnung der IHK des Saarlandes vom 3. April 1973 hat der Zweite Senat in seinem Urteil vom 5. April 1984 (aaO) ausgeführt, diese Regel sei “klar und eindeutig” in dem Sinne, daß “für den Zeitpunkt des Bestehens der Abschlußprüfung allein der Tag der letzten Prüfungsleistung maßgebend (ist) und nicht das Datum der schriftlichen Bescheinigung oder deren Aushändigung”. Danach ergäbe sich im Streitfall, daß der Kläger seine Abschlußprüfung bereits am 17. Dezember 1991 bestanden hätte und damit das Berufsausbildungsverhältnis beendet wäre.
c) Dabei bliebe jedoch unberücksichtigt, daß der Tag der letzten Prüfungsleistung im Streitfall – anders als in dem der Entscheidung vom 5. April 1984 (aaO) zugrundeliegenden Sachverhalt – vor dem Tag der Feststellung des Gesamtergebnisses der Prüfung liegt. § 41 BBiG ermächtigt die zuständigen Stellen nicht dazu, den Zeitpunkt des Bestehens der Prüfung auf einen Tag vor Feststellung des Gesamtergebnisses der Prüfung festzulegen.
aa) Die Frage, wann die Abschlußprüfung bestanden ist, hat erhebliche praktische Bedeutung. Auszubildende und Ausbildende haben andere Rechte und Pflichten als Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Die Pflichten des Ausbildenden ergeben sich insbesondere aus §§ 6 f. BBiG. Nach § 6 Abs. 2 BBiG dürfen “dem Auszubildenden … nur Verrichtungen übertragen werden, die dem Ausbildungszweck dienen und seinen körperlichen Kräften angemessen sind”. Nach § 7 BBiG hat der Ausbildende den Auszubildenden für die Teilnahme am Berufsschulunterricht und an Prüfungen freizustellen. Die Pflichten des Auszubildenden ergeben sich aus § 9 BBiG. Er ist insbesondere auch verpflichtet, am Berufsschulunterricht teilzunehmen.
Weiter ist die Frage, wann die Prüfung bestanden ist, auch für die Begründung eines sich daran anschließenden Arbeitsverhältnisses und u.U. die Höhe der Vergütung maßgebend. Gesetzliche Vorschriften wie § 17 BBiG, tarifvertragliche und individualrechtliche Abreden knüpfen häufig an die Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses an.
bb) Für das Bestehen der Abschlußprüfung kommen verschiedene Zeitpunkte in Betracht: die Bekanntgabe des Prüfungsergebnisses, die Feststellung des Gesamtergebnisses der Prüfung oder die Erbringung oder die Bewertung der letzten Prüfungsleistung. Bei der Bekanntgabe des Prüfungsergebnisses könnte unterschieden werden nach der mündlichen oder schriftlichen Bekanntgabe oder nach dem Adressaten der Bekanntgabe, dem Auszubildenden oder dem Ausbilder. Schließlich könnten dafür auch noch Formerfordernisse aufgestellt werden.
Die praktische Bedeutung des Zeitpunktes, zu dem die Abschlußprüfung bestanden ist, ist je nach Prüfungsart unterschiedlich. Früher schloß die Abschlußprüfung regelmäßig mit einer mündlichen Prüfung ab; das Ergebnis wurde in aller Regel am selben Tag zumindest mündlich mitgeteilt. Regelmäßig fielen also die letzte Prüfungsleistung, die Feststellung des Gesamtergebnisses der Prüfung und die Bekanntmachung auf einen Tag. Unter Umständen folgte nur die schriftliche Mitteilung (an den Arbeitgeber) später. Die Bedeutung der Frage, wann die Abschlußprüfung als bestanden gilt, war also relativ gering.
Heute dagegen ist die mündliche Prüfung nicht mehr die Regel. Neuere Ausbildungsordnungen wie die hier einschlägige Verordnung über die Berufsausbildung in den industriellen Metallberufen (Industrielle Metall-Ausbildungsverordnung – IndMetAusbV) vom 15. Januar 1987 (BGBl. I S. 274) sehen sie nur bei Vorliegen besonderer Umstände vor. Aber auch außerhalb des Anwendungsbereiches derartiger Bestimmungen wird heute auf die Durchführung mündlicher Prüfungen häufig verzichtet. Werden die Prüfungsleistungen nicht sofort bewertet und wird darüber, ob eine mündliche Prüfung stattfindet, erst an dem Tag entschieden, an dem sie durchgeführt werden sollte und an dem das Gesamtergebnis der Prüfung festgestellt wird, können der Tag der letzten Prüfungsleistung und der Tag der Feststellung des Prüfungsergebnisses und der seiner Mitteilung erheblich auseinanderfallen. Damit ist die praktische Bedeutung der Frage, wann die Abschlußprüfung bestanden ist, heute erheblich größer als früher.
cc) Liegt der Tag der letzten Prüfungsleistung vor dem der Feststellung des Gesamtergebnisses der Prüfung (und dem der ersten Bekanntmachung) und wäre ersterer gleichwohl für das Bestehen der Prüfung maßgebend, so stünde für den dazwischen liegenden Zeitraum erst im Nachhinein fest, ob es sich noch um ein Ausbildungs- oder schon um ein Arbeitsverhältnis handelte. Wird keine mündliche (Ergänzungs) Prüfung durchgeführt, könnte ein Arbeitsverhältnis vorliegen; fände eine mündliche Prüfung statt, würde es sich (weiterhin) um ein Ausbildungsverhältnis handeln. Im Vorhinein stünde nicht fest, wie das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien zu qualifizieren ist. Die Parteien wären sich über ihre Rechte und Pflichten nicht im klaren und könnten es vor Feststellung des Prüfungsergebnisses auch nicht sein. Die Rückabwicklung eines durchgeführten Vertragsverhältnisses ist aber allenfalls hinsichtlich der finanziellen Folgerungen möglich.
dd) Der Gesetzgeber hat die zuständigen Stellen in § 41 BBiG nicht ausdrücklich ermächtigt, den Zeitpunkt des Bestehens der Prüfung im Sinne des § 14 Abs. 2 BBiG festzulegen. Dies gehört nicht zu den Gegenständen, die die nach § 41 BBiG zu erlassende Prüfungsordnung regeln muß. Die Ermächtigung dazu, einen anderen als den sich aus § 14 Abs. 2 BBiG ergebenden Zeitpunkt festzulegen, zu dem die Abschlußprüfung als bestanden anzusehen ist, ist aber mit dem Urteil des Zweiten Senats vom 5. April 1984 (– 2 AZR 54/83 – EzB BBiG § 14 Abs. 2 Nr. 18) im Grundsatz zu bejahen. Diese Ermächtigung ist jedoch begrenzt. Es kann dahinstehen, ob der Gesetzgeber die zuständigen Stellen (Kammern) ermächtigen könnte, als Zeitpunkt des Bestehens der Prüfung den Tag der letzten Prüfungsleistung auch für den Fall festzusetzen, daß dieser vor dem Tag der Feststellung des Gesamtergebnisses der Prüfung liegt. Denn es fehlt jeder Anhaltspunkt dafür, daß der Gesetzgeber den Kammern eine derartige Ermächtigung hat erteilen wollen. Eine so weit reichende Ermächtigung könnte – wenn überhaupt – nur ausdrücklich erteilt werden. Daran fehlt es hier.
§ 41 BBiG ist also so auszulegen, daß die zuständigen Stellen ermächtigt sind, den Zeitpunkt des Bestehens der Prüfung auf einen Zeitpunkt vor der Mitteilung des Prüfungsergebnisses festzusetzen, dieser aber nicht vor dem Tag der Feststellung des Gesamtergebnisses der Prüfung liegen darf.
§ 21 Abs. 5 Satz 3 PrüfO ist also insoweit unwirksam, als danach der Tag der letzten Prüfungsleistung auch dann der Tag des Bestehens der Prüfung sein soll, wenn dieser vor dem Tag der Feststellung des Prüfungsergebnisses liegt. Im übrigen bleibt die Bestimmung gültig. Das bedeutet im Ergebnis: In der Bescheinigung ist als Termin des Bestehens bzw. des Nichtbestehens der Tag der Feststellung des Gesamtergebnisses der Prüfung einzusetzen. Der Kläger hat damit erst am 16. Januar 1992 seine Prüfung im Sinne von § 14 Abs. 2 BBiG bestanden, so daß § 17 BBiG schon deshalb nicht anwendbar ist.
ee) Der Senat weicht mit dieser Rechtsauffassung nicht ab von dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 5. April 1984 (aaO). In dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt wurde am Tag der letzten Prüfungsleistung auch das Gesamtergebnis der Prüfung festgestellt. Die Frage, ob die Prüfungsordnung den Tag der letzten Prüfungsleistung auch für den Fall als maßgeblich erklären konnte, daß dieser vor dem Tag der Feststellung des Gesamtergebnisses der Prüfung liegt, stellte sich also in dem damals zu entscheidenden Fall nicht.
3. Da das Berufsausbildungsverhältnis bis zum 16. Januar 1992 fortbestanden hat, kommt auch eine Anwendung der Grundsätze über das faktische Arbeitsverhältnis nicht in Betracht.
4. Nach alledem war das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufzuheben, das Urteil des Arbeitsgerichts abzuändern und die Klage abzuweisen.
Unterschriften
Dr. Thomas, Dr. Gehring, Dr. Reinecke, Kreienbaum, Dr. Frey
Fundstellen
Haufe-Index 856662 |
BB 1994, 1084 |
NZA 1994, 877 |