Entscheidungsstichwort (Thema)
Berechnung vorzeitiger Altersrente, betriebliche Übung
Normenkette
BetrAVG §§ 1, 6-7
Verfahrensgang
LAG Köln (Urteil vom 21.05.1992; Aktenzeichen 5 Sa 166/92) |
ArbG Köln (Urteil vom 09.10.1991; Aktenzeichen 3 Ca 4395/91) |
Tenor
1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 21. Mai 1992 – 5 Sa 166/92 – aufgehoben.
2. Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der am 19. November 1928 geborene Kläger war seit 1949 bei der G GmbH & Co. KG als Angestellter beschäftigt. Die Arbeitgeberin gewährte ihren Mitarbeitern Leistungen der betrieblichen Altersversorgung. Sie sagte dem Kläger im Jahre 1970 eine Versorgung mit zwei verschiedenen Betriebsrenten zu, wie dies für das „mittlere Management”, dem der Kläger angehörte, üblich war. Der Kläger sollte zum einen unter der Voraussetzung, daß er in den Diensten der Firma den 1. Januar 1993 erlebt und in den Ruhestand tritt, von diesem Tage an eine Altersrente erhalten, deren Kapitalwert zu diesem Zeitpunkt 20.000,00 DM ausmacht. Des weiteren wurde dem Kläger eine dienstzeit- und endgehaltsabhängige Altersrente mit Vollendung des 65. Lebensjahres zugesagt.
Am 4. Juli 1988 wurde über das Vermögen der Arbeitgeberin das Konkursverfahren eröffnet. Der Kläger trat am 1. August 1989 im Alter von 60 Jahren in den vorzeitigen Ruhestand. Er bezieht seither vorgezogenes Altersruhegeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Der beklagte Pensions-Sicherungs-Verein (PSV) als Träger der gesetzlichen Insolvenzsicherung berechnete die Anwartschaften des Klägers aufgrund der beiden Versorgungszusagen der Gemeinschuldnerin im Ausweis vom 3. August 1989 auf monatlich 150,04 DM und 1.294,35 DM. Diese Beträge kürzte der Beklagte um einen versicherungsmathematischen Abschlag sowie um den Zeitwertfaktor und zahlte dem Kläger ein vorzeitiges Altersruhegeld in Höhe von 950,07 DM (842,80 DM + 107,27 DM). Damit ist der Kläger nicht einverstanden.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Kürzung der Rente um einen versicherungsmathematischen Abschlag sei unzulässig. Dazu hat er behauptet, seine frühere Arbeitgeberin habe regelmäßig im Bereich des mittleren Managements auf eine Kürzung der Betriebsrenten wegen vorzeitiger Inanspruchnahme verzichtet. Der Kläger hat seine Rente aus der Versorgungszusage vom 9. November 1970 mit monatlich 132,02 DM und aus der Versorgungszusage vom 14. Dezember 1970 mit 1.138,90 DM berechnet, zusammen 1.270,92 DM. Den Unterschiedsbetrag von 320,85 DM monatlich (1.270,92 DM – 950,07 DM) macht er mit der Klage geltend.
Der Kläger hat, soweit in der Revision noch von Bedeutung, beantragt,
- den Beklagten zu verurteilen, an ihn für die Zeit vom 1. August 1989 bis zum 30. April 1992 10.588,05 DM rückständige Rente nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen;
- festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet ist, ihm über den bereits anerkannten Betrag in Höhe von 950,07 DM hinaus einen weiteren Betrag von 320,85 DM, insgesamt also eine monatliche Rente von 1.270,92 DM zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die vom Kläger behauptete betriebliche Übung bestritten. Dazu hat er vorgetragen: Die Arbeitgeberin habe lediglich den gewerblichen Arbeitnehmern, die wegen einer Schwerbehinderung vorgezogenes Altersruhegeld bezogen hätten, schriftlich die ungekürzte Gewährung der Betriebsrente zugesagt. In den anderen Fällen, insbesondere auch im Bereich des mittleren Managements, seien dagegen jeweils nach unterschiedlichen Gesichtpunkten Abschläge vorgenommen worden oder auch nicht.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Auf die Revision des Klägers muß das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden. Das Landesarbeitsgericht wird prüfen müssen, ob es die vom Kläger behauptete betriebliche Übung gab.
1. Zuzustimmen ist dem Landesarbeitsgericht im Ausgangspunkt. Wenn die Höhe des vorgezogenen Altersruhegeldes in der Versorgungsordnung nicht geregelt ist, kann der PSV einen versicherungsmathematischen Abschlag vornehmen.
Nach den Versorgungszusagen vom 9. November 1970 und 14. Dezember 1970 hat der Kläger Anspruch auf Altersrenten ab 1. Januar 1993 (zum Kapitalwert von 20.000,00 DM) und ab Vollendung des 65. Lebensjahres am 19. November 1993 (dienstzeit- und endgehaltsabhängige Rente). Die Versorgungszusagen sehen keine Regelung vor, wie bei vorgezogener Pensionierung verfahren werden soll. Eine solche Regelung war aus damaliger Sicht nicht erforderlich. Erst das Betriebsrentengesetz vom 19. Dezember 1974 hat dem Arbeitnehmer in § 6 des Gesetzes das Recht eingeräumt, gleichzeitig mit der Inanspruchnahme des vorzeitigen Altersruhegeldes der gesetzlichen Rentenversicherung auch schon betriebliche Versorgungsleistungen zu verlangen. Die Bestimmung enthält jedoch keine Vorschriften zur Rentenberechnung. Deshalb sind alle Versorgungszusagen, die die Berechnung der Betriebsrente nur für den Fall der normalen Altersgrenze regeln, mit der Einführung des § 6 BetrAVG lückenhaft und ergänzungsbedürftig geworden (BAGE 30, 333, 336 = AP Nr. 1 zu § 6 BetrAVG, zu I 1 c und 2 der Gründe; BAGE 38, 277, 281 = AP Nr. 4 zu § 6 BetrAVG, zu 1 c der Gründe).
Die Frage, wie diese Regelungslücke auszufüllen ist, hat den Senat wiederholt beschäftigt. Für den Fall, daß der Träger der Insolvenzsicherung nach § 7 Abs. 2 BetrAVG in Anspruch genommen wird, weil der Arbeitgeber vor Eintritt des Versorgungsfalles zahlungsunfähig geworden ist, muß der Arbeitnehmer nach der ständigen Rechtsprechung des Senats einen versicherungsmathematischen Abschlag hinnehmen. Eine Kürzung um 0,5 % für jeden Monat des vorgezogenen Rentenbezuges entspricht den allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Insolvenzsicherung der betrieblichen Altersversorgung. Eine solche Kürzung ist nicht unbillig (BAGE 38, 277 = AP Nr. 4 zu § 6 BetrAVG).
2. Versicherungsmathematische Abschläge oder zeitratierliche Kürzungen wegen vorzeitiger Inanspruchnahme der Rente kommen nicht in Betracht, wenn die Höhe der Rente geregelt (vereinbart) wurde. Das kann auch durch betriebliche Übung geschehen. Den Sachvortrag des Klägers, wie die frühere Arbeitgeberin beim mittleren Management vorzeitig abgerufene Renten berechnete, durfte das Landesarbeitsgericht nicht als unerheblich zurückweisen.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann ein gleichförmiges wiederholtes Verhalten des Arbeitgebers Ansprüche auf Leistungen begründen, wenn die Arbeitnehmer aus dem Verhalten schließen dürfen, ihnen werde die Leistung auch künftig gewährt (vgl. Urteil des Senats vom 29. Oktober 1985 – 3 AZR 462/83 – AP Nr. 2 zu § 1 BetrAVG Betriebliche Übung). Dabei handelt es sich um vertraglich begründete Ansprüche, wenn der Arbeitnehmer sich zur Begründung eines Anspruchs auf betriebliche Übung beruft (vgl. BAG, Großer Senat, Beschluß vom 16. September 1986 – GS 1/82 – BAGE 53, 42, 56 = AP Nr. 17 zu § 77 BetrVG 1972, zu C II 1 a der Gründe). Entsprechendes gilt für die Berechnung eines Anspruches. Eine ständige Praxis des Arbeitgebers, bei vorzeitiger Inanspruchnahme der Rente nach § 6 BetrAVG auf Kürzungen und Abschläge zu verzichten, kann zu Ansprüchen eines Arbeitnehmers auf ungekürzte Zahlung der Rente führen.
b) Zu Unrecht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, der Kläger habe für eine ihm günstige betriebliche Übung keine ausreichenden Tatsachen vorgetragen.
Nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts hätte es der näheren Angabe über die Umstände bei der Pensionierung von Kollegen des Klägers bedurft, insbesondere wann und mit welchem Alter sie Rente bezogen und welche Vereinbarungen dem zugrunde gelegen haben. Im übrigen fehle es an Anhaltspunkten dafür, daß der Arbeitgeberin die Möglichkeit einer Kürzung der Betriebsrente bei vorzeitiger Inanspruchnahme bewußt gewesen sei.
Das Landesarbeitsgericht verkennt den Umfang der Darlegungs- und Beweislast bei einem auf betriebliche Übung gestützten Anspruch. Es stellt an die Darlegung der betrieblichen Übung durch den Arbeitnehmer zu hohe Anforderungen. Der Kläger trägt zwar die Darlegungs- und Beweislast für die anspruchbegründenden Tatsachen, also auch für die von ihm behauptete betriebliche Übung. Die Anforderungen an die Darlegung müssen aber zumutbar sein. Ein Arbeitnehmer, der keinen Einblick in die Personalakten der anderen Mitarbeiter hat, kann die genauen persönlichen Daten der vergleichbaren vorzeitigen Betriebsrentner nicht nennen. Aus eigener Kenntnis kann er auch nicht anführen, welche Erwägungen des Arbeitgebers bei der Berechnung vorzeitiger Betriebsrenten eine Rolle gespielt haben. Es muß deshalb genügen, daß der Arbeitnehmer zunächst die Umstände darlegt, die den Eindruck einer festen Übung erwecken. Dann hat der Arbeitgeber seine Praxis offenzulegen und ggf. den Anschein einer betrieblichen Übung zu erschüttern (Urteil des Senats vom 29. Oktober 1985 – 3 AZR 462/83 – AP Nr. 2 zu § 1 BetrAVG Betriebliche Übung, zu B II der Gründe). Das gilt auch dann, wenn anstelle des Arbeitgebers der PSV als Träger der Insolvenzsicherung in Anspruch genommen wird.
Der Kläger hat zumindest Anhaltspunkte dargelegt, die eine betriebliche Übung nahelegen. Er hat vorgetragen, die Gemeinschuldnerin habe in allen vergleichbaren Fällen im Bereich des mittleren Managements auf Abschläge bei Inanspruchnahme einer vorzeitigen Altersrente verzichtet. Zum Beweis seiner Behauptung hat er u.a. die Vernehmung des früheren Personalchefs der Gemeinschuldnerin als Zeugen beantragt. Sechs vergleichbare Fälle vorgezogener Rente hat er namentlich benannt. Die näheren persönlichen Daten der begünstigten Kollegen kann der Kläger nicht in Erfahrung bringen. Diese sind aber dem beklagten PSV aus seinen Leistungsakten bekannt. Der PSV hat insoweit die gleiche Rechtsstellung wie der Arbeitgeber, dessen Versorgungsverpflichtungen er übernommen hat. Der PSV durfte somit die behauptete betriebliche Übung nicht pauschal bestreiten und sich mit der Erklärung begnügen, im Bereich des mittleren Managements seien jeweils nach unterschiedlichen Gesichtspunkten Abschläge vorgenommen worden oder auch nicht. Er hätte zum Vorbringen des Klägers Stellung nehmen müssen. Die Einlassung des PSV spricht auch gegen die Annahme des Landesarbeitsgerichts, es fehlten Anhaltspunkte dafür, daß der Arbeitgeberin die Möglichkeit einer Kürzung der Betriebsrente bewußt gewesen sei. Schließlich kommt es nicht auf das Vorliegen eines Verpflichtungswillens des Arbeitgebers an. Entscheidend ist allein, ob der Arbeitnehmer nach Treu und Glauben aus dem Verhalten des Arbeitgebers – insbesondere aus einer über längere Zeit vorbehaltlos geübten Praxis – auf das Vorliegen eines Verpflichtungswillens bestimmten Inhalts schließen durfte (ständige Rechtsprechung, vgl. statt aller: BAGE 39, 271, 276 = AP Nr. 12 zu § 242 BGB Betriebliche Übung, zu II 2 der Gründe).
Das Landesarbeitsgericht wird also den vom Kläger angebotenen Beweis (Vernehmung des früheren Personalchefs als Zeugen) erheben müssen. Der PSV wird zu den vom Kläger genannten Einzelfällen Stellung nehmen müssen. Erst dann läßt sich beurteilen, ob die Regelungslücke durch betriebliche Übung geschlossen wurde und der Anspruch des Klägers begründet ist.
3. War es aber tatsächlich so, daß die Arbeitgeberin nach unterschiedlichen Gesichtspunkten Kürzungen vornahm oder auf Kürzungen verzichtete, sich also die Kürzung der Rente bei vorzeitiger Inanspruchnahme vorbehalten hatte, so könnte der Anspruch des Klägers auf ungekürzte Rente auch aus Gründen der Gleichbehandlung gerechtfertigt sein. In diesem Fall kommt es auf die Gründe der unterschiedlichen Behandlung an.
Der Gleichbehandlungsgrundsatz gebietet dem Arbeitgeber, seine Arbeitnehmer oder Gruppen seiner Arbeitnehmer, die sich in vergleichbarer Lage befinden, gleichzubehandeln. Er enthält zum einen das Verbot der willkürlichen Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer innerhalb einer Gruppe. Zum anderen wird eine sachfremde Gruppenbildung untersagt (BAGE 60, 350, 353 = AP Nr. 5 zu § 1 BetrAVG Hinterbliebenenversorgung, zu II 2 a der Gründe, m.w.N.). Auch bei der Geltendmachung eines Anspruches auf Gleichbehandlung gelten besondere Regeln für die Darlegungslast. Der Arbeitgeber, hier der PSV als Versorgungsschuldner, müßte zunächst einmal darlegen, wie der begünstigte Personenkreis abgegrenzt wurde und warum der klagende Arbeitnehmer nicht dazu gehört (vgl. Urteil des Senats vom 12. Juni 1990 – 3 AZR 166/89 – AP Nr. 25 zu § 1 BetrAVG, zu I 2 c der Gründe; Urteil des Senats vom 12. November 1991 – 3 AZR 489/90 – AP Nr. 17 zu § 1 BetrAVG Gleichbehandlung, zu 3 b der Gründe). Der benachteiligte Arbeitnehmer wird ohne Offenlegung der Differenzierungsgründe häufig nicht in der Lage sein, sich ein Bild zu machen, ob er gerecht behandelt wurde (BAGE 33, 57 = AP Nr. 44 zu § 242 BGB Gleichbehandlung). Der Arbeitgeber kann andererseits die Gründe für die Gruppenbildung leicht darlegen, da er die maßgeblichen Kriterien selbst aufgestellt hat. Dieselbe Darlegungspflicht hat der PSV, der die Versorgungsverpflichtung des Arbeitgebers übernommen hat. Er kann zumindest aus den Unterlagen, die ihm zur Verfügung stehen, die praktische Handhabung des Arbeitgebers feststellen und daraus auf die verwendeten Unterscheidungsmerkmale schließen.
Haben der Arbeitgeber oder der PSV die Kriterien der Gruppenbildung dargelegt, kann der Arbeitnehmer geltend machen, daß die Gruppen nicht sachgerecht abgegrenzt worden seien. Er kann aber auch darlegen, daß er zu dem begünstigten Personenkreis gehört (vgl. Urteil des Senats vom 12. November 1991 – 3 AZR 489/90 – AP, aaO).
Unterschriften
Dr. Heither, Griebeling, Dr. Wittek ist arbeitsunfähig krank und an der Unterschrift verhindert. Dr. Heither, Dr. Schwarze, Großmann
Fundstellen