Entscheidungsstichwort (Thema)

Umfang eines gegen einen Rechtsanwalt verhängten ehrengerichtlichen Vertretungsverbots - Zulässigkeit der Berufung

 

Leitsatz (redaktionell)

Hat ein Ehrengericht gegen einen Rechtsanwalt ein Vertretungsverbot für bestimmte Rechtsgebiete verhängt und später durch eine Entscheidung nach § 116 Satz 2 BRAO, § 458 StpO klargestellt, daß sich das Verbot nicht auf die Vertretung in Arbeitssachen bezieht, so hatte der Rechtsanwalt seine Postulationsfähigkeit vor den Landesarbeitsgerichten nie verloren und konnte demgemäß auch vor der Klarstellungsentscheidung des Ehrengerichts Berufung gegen ein arbeitsgerichtliches Urteil einlegen.

 

Orientierungssatz

Hinweise des Senats: "Postulationsfähigkeit eines Rechtsanwalts vor dem Landesarbeitsgericht, gegen den ein ehrengerichtliches Vertretungsverbot "auf dem Gebiet des Zivilrechts (einschließlich Familiensachen) und des Strafrechts und der damit zusammenhängenden Rechtsgebiete" verhängt worden ist. Wirkung einer ehrengerichtlichen Entscheidung gemäß § 116 Satz 2 BRAG, § 458 StPO, durch die klargestellt wird, daß die Vertretung in Arbeitssachen nicht unter das Vertretungsverbot fällt, auf die Postulationsfähigkeit des betreffenden Anwalts."

 

Verfahrensgang

LAG Hamm (Entscheidung vom 03.05.1990; Aktenzeichen 10 Sa 73/90)

ArbG Münster (Entscheidung vom 15.11.1989; Aktenzeichen 4 Ca 902/89)

 

Tatbestand

Der Kläger war seit April 1988 als Rechtsanwalt in der Anwaltskanzlei des Beklagten gegen eine Nettovergütung von zuletzt 3.500,-- DM monatlich tätig gewesen. In der Zeit vom 1. Juli 1988 bis 15. Januar 1989 war er amtlich bestellter Vertreter des Beklagten, der sich zu dieser Zeit in Strafhaft befand.

Durch Urteil des Ehrengerichts für den Bezirk der Rechtsanwaltskammer Hamm vom 2. November 1988 - 6 EV 421/86 - wurde gegen den Beklagten "wegen schuldhafter Verletzung der Standespflichten gem. §§ 43, 113 BRAO das Verbot verhängt, auf die Dauer von fünf Jahren auf dem Gebiet des Zivilrechts (einschließlich Familiensachen) und des Strafrechts und der damit zusammenhängenden Rechtsgebiete tätig zu werden".

Mit Schreiben vom 16. Januar 1989 kündigte der Beklagte dem Kläger fristlos. Hiergegen wandte sich der Kläger mit einer zum Arbeitsgericht erhobenen Feststellungsklage. Der Beklagte rügte in erster Linie die sachliche Unzuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen, weil mit dem Kläger kein Arbeitsverhältnis bestanden habe. Das Arbeitsgericht bejahte die sachliche Zuständigkeit und erachtete die fristlose Kündigung für unwirksam. Die hiergegen vom Beklagten persönlich eingelegte Berufung verwarf die Elfte Kammer des Berufungsgerichts durch Urteil vom 23. Januar 1990 - 11 Sa 1093/89 - als unzulässig mit der Begründung, das vom Ehrengericht verhängte Vertretungsverbot erstrecke sich auch auf das Gebiet des Arbeitsrechts, so daß der Beklagte vor dem Landesarbeitsgericht nicht postulationsfähig gewesen sei. Mit der hiergegen erhobenen Nichtzulassungsbeschwerde - 2 AZN 224/90 - rügte der Beklagte eine Divergenz zu einem Beschluß der 14. Kammer des Berufungsgerichts vom 20. Dezember 1989 - 14 Ta 557/89 -, in dem die Postulationsfähigkeit des Beklagten bejaht worden war. Die Nichtzulassungsbeschwerde wurde durch Beschluß des erkennenden Senats vom 8. August 1990 als unzulässig verworfen.

Mit der vorliegenden Klage hat der Kläger von dem Beklagten aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges Gehaltszahlung für die Monate Januar bis März 1989 in Höhe von 11.970,-- DM brutto nebst Zinsen gefordert.

Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Er hat in erster Linie wiederum die sachliche Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen gerügt und eingewandt, der Kläger habe im Anspruchszeitraum praktisch keine Tätigkeit für ihn mehr entfaltet. Er hat weiter Widerklage auf Auskunfterteilung und Rechnungslegung über die Tätigkeit des Klägers als amtlich bestellter Vertreter sowie Zahlung der sich hieraus ergebenden Beträge, Erstellung von Honorarabrechnungen für die im eigenen Namen für ihn, den Beklagten, vorgenommenen Anwaltstätigkeiten und Einwilligung in die Abtretung von Honoraransprüchen aus anwaltlicher Tätigkeit an ihn erhoben. Der Kläger hat die Abweisung der Widerklage beantragt.

Das Arbeitsgericht hat durch Versäumnisurteil vom 25. August 1989 der Klage abzüglich anderweitig vereinnahmter 400,-- DM netto stattgegeben und die Widerklage abgewiesen.

Auf den Einspruch des Beklagten und nach teilweiser Klagerücknahme hat das Arbeitsgericht durch Urteil vom 15. November 1989 wie folgt entschieden:

"Das Versäumnisurteil des erkennenden Gerichts

vom 25. August 1989 wird abgeändert und wie folgt

neu gefaßt:

1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger

11.970,-- DM brutto abzüglich am 10. Januar

1989 erhaltener 200,-- DM netto, abzüglich am

12. Januar 1989 erhaltener 100,-- DM netto und

abzüglich am 23. März 1989 anderweitig verein-

nahmter 400,-- DM netto nebst 4 % Zinsen aus

dem sich ergebenden Nettobetrag von

3.990,-- DM seit dem 1. Februar 1989, aus wei-

teren 3.990,-- DM seit dem 1. März 1989 und

aus weiteren 3.990,-- DM seit dem 1. April

1989 zu zahlen.

2. Der Einspruch gegen das Versäumnisurteil hin-

sichtlich der Abweisung der Widerklage wird

verworfen.

3. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechts-

streits.

4. Der Streitwert wird auf 17.270,-- DM festge-

setzt."

Das Arbeitsgericht hat angenommen, daß zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis bestanden habe.

Gegen dieses Urteil hat der Beklagte auf einem Briefbogen "Rechtsanwälte Ulrich F , Brigitte A , Anwaltsgemeinschaft" persönlich Berufung eingelegt, soweit die Klage abgewiesen worden ist.

Der Kläger hat beantragt, die Berufung als unzulässig zu verwerfen, weil der Beklagte aufgrund des gegen ihn verhängten Vertretungsverbots im Verfahren vor dem Landesarbeitsgericht nicht postulationsfähig sei und nicht in eigener Sache Berufung habe einlegen können.

Der Beklagte hat vorgetragen, das Vertretungsverbot umfasse nicht das Gebiet des Arbeitsrechts. Er hat sich hierfür auf eine Auskunft des Vorsitzenden der Ersten Kammer des Ehrengerichts vom 29. Juni 1989 berufen, nach der sich das Vertretungsverbot des Ehrengerichts nicht auf die Vertretung vor den Gerichten für Arbeitssachen bezog.

Er hat weiter geltend gemacht, er habe unter dem 6. April 1990 das Ehrengericht gebeten, durch Berichtigungsbeschluß, ggf. durch Auslegung aufgrund gerichtlicher Entscheidung gem. § 116 BRAO, § 458 StPO klarzustellen, daß sich das Vertretungsverbot nicht auf die Vertretung vor Arbeitsgerichten erstrecke; der Rechtsstreit müsse deshalb zumindest bis zu der erbetenen Entscheidung des Ehrengerichts ausgesetzt werden. Letztlich komme es aber auf den Umfang des Vertretungsverbots nicht an, weil nach § 155 BRAO die Wirksamkeit von Rechtshandlungen des Rechtsanwalts, und damit auch die Wirksamkeit der Einlegung der Berufung, durch ein Vertretungsverbot nicht berührt werde.

Das Landesarbeitsgericht hat durch Urteil vom 3. Mai 1990 die Berufung als unzulässig verworfen.

Am 9. Mai 1990 hat das Ehrengericht - 6 EV 421/86 - folgenden Beschluß erlassen:

"Der Tenor des Urteils der I. Kammer des Ehrenge-

richts vom 2. November 1988 wird gemäß § 116

BRAO, 458 Abs. 1 StPO dahin klargestellt, daß

sich das gegen Rechtsanwalt F verhängte

Vertretungsverbot auf das Gebiet des Zivilrechts

(einschließlich Familienrecht) beschränkt und die

Vertretung in bürgerlich-rechtlichen Streitigkei-

ten vor den Amts-, Land- und Familiengerichten

und die "damit zusammenhängenden Rechtsgebiete"

sich lediglich auf das Gebiet des Strafrechts be-

ziehen."

Mit der Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.

I. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind, wie bereits im Berufungsverfahren, nur noch die mit der Klage geltend gemachten Verzugslohnansprüche für die Monate Januar bis März 1989 im Umfang des vom Arbeitsgericht dem Kläger zugesprochenen Betrages von 11.970,-- DM brutto abzüglich gezahlter 700,-- DM netto (200,-- + 100,-- + 400,-- DM) nebst Zinsen. Die Widerklage ist durch das Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts vom 25. August 1989 rechtskräftig abgewiesen worden. Das Arbeitsgericht hat in seinem Urteil vom 15. November 1989 den Einspruch des Beklagten - insoweit durch Zweites Versäumnisurteil - verworfen. Der Beklagte hat mit seiner Berufung nur den Antrag verfolgt, die Klage abzuweisen. Gleiches gilt für die Revisionsanträge und -begründung.

II. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Beklagten im wesentlichen mit folgender Begründung für unzulässig angesehen:

Die vom Beklagten persönlich eingelegte Berufung sei nicht von einem Anwalt im Sinn des § 11 Abs. 2 ArbGG eingelegt worden, weil ihm durch das Urteil des Ehrengerichts vom 2. November 1988 auch jegliche Anwaltstätigkeit auf dem Gebiet des Arbeitsrechts verboten worden sei und sich dieses Verbot auch auf eine Tätigkeit in eigener Sache erstrecke. Zum Umfang des Vertretungsverbots werde dem Urteil der Elften Kammer des Berufungsgerichts vom 23. Januar 1990 gefolgt. Danach sei das Arbeitsrecht ein Teil des Zivilrechts und ihm zumindest insoweit zugeordnet, als es die Rechtsbeziehungen einzelner Privatpersonen, insbesondere zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern zum Gegenstand habe.

Gegen diese Auslegung des ehrengerichtlichen Vertretungsverbots könne der Beklagte nicht mit Erfolg die Auskunft des Vorsitzenden der Ersten Kammer des Ehrengerichts anführen. Diese werde von dem Tenor des ehrengerichtlichen Urteils nicht getragen. Eine weitere Auslegungshilfe stehe nicht zur Verfügung, da der Beklagte die Entscheidungsgründe des ehrengerichtlichen Urteils nicht vorgelegt habe. Eine zusätzliche spätere Erläuterung des Urteils durch einen beteiligten Richter könne - ihre Richtigkeit unterstellt - zur Auslegung nicht herangezogen werden, da sie nicht mehr an den Urteilsgründen teilnehme.

Aus dem Verhalten des Beklagten könne sogar umgekehrt geschlossen werden, daß die in der behaupteten Auskunft enthaltenen Einschränkungen in den Urteilsgründen nicht enthalten seien. Dieser Schluß werde bestärkt durch den in der Berufungsverhandlung gestellten Aussetzungsantrag des Beklagten. Ein solcher Antrag auf einen "Berichtigungsbeschluß" des Ehrengerichts wäre überflüssig, wenn die Urteilsgründe bereits diese Restriktion enthielten.

Dem Antrag des Beklagten, das Berufungsverfahren bis zur Entscheidung des Ehrengerichts über seinen Berichtigungsantrag auszusetzen, müsse nicht stattgegeben werden. Die vom Beklagten erstrebte Einschränkung des Vertretungsverbots könne auf die formalrechtliche Lage im Zeitpunkt der Berufungseinlegung keinen rückwirkenden Einfluß haben, da eine einmal nichtige, weil unzulässige Berufung nicht im nachhinein durch eine berufsständische Entscheidung zulässig werden könne.

III. Der Würdigung des Berufungsgerichts kann nicht gefolgt werden. Die Berufung ist schon im Hinblick auf den im Revisionsverfahren vorgelegten Beschluß des Ehrengerichts vom 9. Mai 1990 zulässig.

1. Das Berufungsgericht geht davon aus, ein Rechtsanwalt, gegen den ein ehrengerichtliches Vertretungsverbot verhängt worden sei, vor den betreffenden Gerichten auch in eigener Sache nicht postulationsfähig sei, soweit dort, wie gemäß § 11 Abs. 2 ArbGG vor dem Landesarbeitsgericht, Anwaltszwang bestehe, und auch keine wirksamen Prozeßhandlungen vornehmen könne. Diese Frage ist umstritten und vorliegend nicht entscheidungsbedürftig.

a) Gegen den Beklagten wurde, wie sich aus dem Tenor des ehrengerichtlichen Urteils vom 2. November 1988 ergibt, "wegen schuldhafter Verletzung der Standespflichten nach §§ 43, 113 BRAO" ein Vertretungsverbot verhängt. § 113 Abs. 1 BRAO bestimmt, daß gegen einen Rechtsanwalt, der seine Pflichten schuldhaft verletzt, eine ehrengerichtliche Maßnahme verhängt wird. Zu diesen zählt nach § 114 Abs. 1 Nr. 4 BRAO das

"Verbot, auf bestimmten Rechtsgebieten als Ver-

treter und Beistand für die Dauer von einem Jahr

bis fünf Jahren tätig zu werden".

Hinsichtlich der Wirkungen eines solchen Vertretungsverbots bestimmt § 114 a BRAO, soweit hier von Interesse, folgendes:

(1) Der Rechtsanwalt ... darf auf dem ihm un-

tersagten Rechtsgebiet nicht als Vertreter

oder Beistand in Person oder im schriftli-

chen Verkehr vor einem Gericht, ... tätig

werden oder Vollmachten oder Untervollmach-

ten erteilen. Er darf jedoch die Angelegen-

heiten seines Ehegatten und seiner minder-

jährigen Kinder wahrnehmen, soweit nicht

eine Vertretung durch Anwälte geboten ist.

(2) Die Wirksamkeit von Rechtshandlungen des

Rechtsanwalts wird durch das Vertretungs-

verbot nicht berührt....

b) Der Beklagte meint, seine Berufungseinlegung müsse in jedem Fall nach § 114 a Abs. 2 BRAO als wirksam angesehen werden, da diese Vorschrift auch für Rechtshandlungen des Rechtsanwalts in eigener Sache gelte. Diese Ansicht hatte das Reichsgericht zu der insoweit inhaltsgleichen Vorschrift des § 91 b Abs. 3 Satz 3 RAO vertreten (RGSt 69, 377). Das Kammergericht (Beschluß vom 11. September 1968 - (1) Ss (63) 245/68 - NJW 1969, 338) hat zu der mit § 114 a Abs. 2 BRAO inhaltsgleichen, für ein vorläufiges Berufs- und Vertretungsverbot geltenden Vorschrift des § 155 Abs. 5 BRAO ausgesprochen, jedenfalls ein Berufsverbot erstrecke sich auch auf Rechtshandlungen des Rechtsanwalts in eigener Sache, weil es nicht dem Sinn und Zweck des Gesetzes entspreche, einen bösgläubigen Anwalt, der sich mißbräuchlich auf diese Vorschrift berufe, zu schützen. Es hat allerdings ausdrücklich offen gelassen, ob für ein Vertretungsverbot dasselbe gelte, weil ein Berufsverbot in seinen Wirkungen weit über das Vertretungsverbot hinausgehe. Die Elfte Kammer des Berufungsgerichts hat in dem erwähnten Urteil vom 23. Januar 1990 - 11 Sa 1093/89 - aus den vom Kammergericht angeführten Gründen auch im Falle eines Vertretungsverbots die Anwendung der Ausnahmevorschrift des § 114 a Abs. 2 BRAO auf eigene Rechtshandlungen des betroffenen Rechtsanwalts abgelehnt (ebenso: Feurich, BRAO, § 114 Rz 4 und 5, § 155 Rz 3 und 4, m.w.N.).

2. Diese Frage braucht jedoch für die Entscheidung des vorliegenden Falles nicht beantwortet zu werden. Die Berufung ist in jedem Falle deshalb zulässig, weil sich das gegen den Beklagten verhängte ehrengerichtliche Vertretungsverbot von Anfang an nicht auf das Gebiet des Arbeitsrechts erstreckt hat. Dies ergibt sich aus dem Klarstellungsbeschluß des Ehrengerichts vom 9. Mai 1990.

a) Dieser Beschluß kann vom Revisionsgericht verwertet werden, obwohl er erst nach der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz erlassen worden ist.

Die Zulässigkeit der Berufung als einer Prozeßfortsetzungsbedingung ist auch in der Revisionsinstanz von Amts wegen zu prüfen. Dies bedeutet, daß das Revisionsgericht an den vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalt nicht gebunden ist. Das Revisionsgericht muß die Prozeßfortsetzungsbedingung vielmehr in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht prüfen; es ist befugt, selbst Beweise zu erheben und zu würdigen, also die zur Entscheidung erforderlichen Tatsachen für den entscheidungserheblichen Zeitpunkt festzustellen. Damit ist es auch befugt und verpflichtet, neu vorgebrachte Beweismittel wie z.B. nach der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht vorgelegte Urkunden zur Feststellung der erheblichen Tatsachen zu berücksichtigen (allg. M.; vgl. statt aller BGH Urteil vom 21. Juni 1976 - III ZR 22/75 - LM Nr. 2 zu § 341 ZPO, zu II 2 bis 4 der Gründe, m.w.N.).

b) Wie jedenfalls aufgrund dieses Beschlusses feststeht, hat sich das in dem Urteil des Ehrengerichts vom 2. November 1988 gegen den Beklagten verhängte Vertretungsverbot auf dem Gebiet des Zivilrechts (einschließlich Familienrecht) nur auf die Vertretung in bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten vor den Amts-, Land- und Familiengerichten beschränkt. Die "damit zusammenhängenden Rechtsgebiete" beziehen sich lediglich auf das Gebiet des Strafrechts, während die Vertretung in Arbeitssachen nicht unter das Verbot fällt.

aa) Nach § 458 Abs. 1 StPO, der nach § 116 Satz 2 BRAO für das ehrengerichtliche Verfahren sinngemäß anzuwenden ist (vgl. Feurich, aaO, § 116 Rz 354), ist u.a. dann die Entscheidung des Gerichts herbeizuführen, wenn über die Auslegung eines Strafurteils Zweifel entstehen. Zuständig ist nach § 462 StPO das Gericht, das die Strafe ausgesprochen hat. In sinngemäßer Anwendung dieser Vorschriften war deshalb im vorliegenden Fall das Ehrengericht, das das Vertretungsverbot als ehrengerichtliche Maßnahme verhängt hatte, zur Entscheidung über die Auslegung seines Urteils vom 2. November 1988 zuständig.

bb) Aufgrund des Beschlusses vom 9. Mai 1990 steht auch für die Entscheidung im vorliegenden Verfahren bindend fest, daß sich das Vertretungsverbot von Anfang an, d.h. seit dem Erlaß des ehrengerichtlichen Urteils vom 2. November 1988, nicht auf die Vertretung in Arbeitssachen bezogen, der Beklagte somit seine Postulationsfähigkeit vor den Landesarbeitsgerichten (§ 11 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 ArbGG) nie verloren hatte.

Das ergibt sich schon aus dem eindeutigen Wortlaut des § 458 Abs. 1 StPO, der dem erkennenden Strafgericht die Kompetenz zu einer Klarstellung seines Urteils zuweist, wenn über dessen Auslegung Zweifel entstehen. Die Zweifel können sich auf jeden Teil des Strafausspruchs beziehen, somit auch auf Nebenstrafen, Nebenfolgen (BGHSt 8, 66: Verlust der Wählbarkeit) sowie Maßregeln der Sicherung und Besserung (Hanack, Leipziger Kommentar, 10. Aufl., § 70 StGB Rz 58: Tragweite eines Berufsverbots). Für die entsprechende Anwendung der Vorschrift im ehrengerichtlichen Verfahren bedeutet dies, daß das Ehrengericht, das ein Vertretungsverbot als ehrengerichtliche Maßnahme verhängt hat, nach Rechtskraft seiner Entscheidung bei Zweifeln über die Auslegung seines Ausspruchs den Umfang des Verbots verbindlich klarzustellen hat. Mit Rechtskraft dieser Entscheidung steht dann fest, welchen Inhalt das Verbot vom Zeitpunkt des Erlasses des Urteils an gehabt hat. Entgegen der offenbar vom Berufungsgericht ohne nähere Begründung vertretenen Ansicht handelt es sich nicht um eine Abänderung des Urteilsausspruchs für die Zukunft, sondern um die Klarstellung seines ursprünglichen Inhalts. Somit ist die Berufung des Beklagten durch den Beschluß des Ehrengerichts nicht etwa nachträglich zulässig geworden. Sie war es vielmehr von Anfang an, weil das Vertretungsverbot sich vom Erlaß des ehrengerichtlichen Urteils an nicht auf das Arbeitsrecht bezogen hatte und der Beklagte deshalb auch bei Einlegung der Berufung zur Vertretung vor den Landesarbeitsgerichten befugt gewesen war.

c) Es kann somit offen bleiben, ob auch eine eigene Auslegung des ehrengerichtlichen Urteils vom 2. November 1988, ggf. unter Berücksichtigung der Auskunft des Vorsitzenden des Ehrengerichts, zu demselben Ergebnis führen würde und ob das Berufungsgericht zumindest sein Verfahren bis zur Entscheidung des Ehrengerichts über den Antrag des Beklagten nach § 458 StPO hätte aussetzen müssen.

IV. Ist die Berufung des Beklagten somit zulässig, so muß der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen werden (§ 565 Abs. 1 ZPO).

1. Entgegen der Ansicht der Revision kann die Klage nicht (mehr) als unzulässig abgewiesen werden. Vielmehr ist für die Entscheidung dieses Rechtsstreits von der sachlichen Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen auszugehen.

a) Das Arbeitsgericht hat die sachliche Zuständigkeit bejaht, weil nach seiner Ansicht zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis bestanden hat. Das Berufungsgericht hätte deshalb nach dem im Zeitpunkt der Berufungsverhandlung geltenden Recht die sachliche Zuständigkeit prüfen müssen. Nach § 67 a ArbGG hatte das Berufungsgericht in Streitigkeiten über vermögensrechtliche Ansprüche die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte zu prüfen, wenn der Beklagte mit der Zuständigkeitsrüge bereits im ersten Rechtszug zur Hauptsache verhandelt oder das Unterlassen dieser Rüge in der Berufungsinstanz nachträglich genügend entschuldigt hatte.

b) Diese Vorschrift ist jedoch durch Art. 6 Nr. 5 des Gesetzes zur Neuregelung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens (Viertes Gesetz zur Neuregelung der Verwaltungsgerichtsordnung - 4. VwGOÄndG -) vom 17. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2809), das nach Art. 23 am 1. Januar 1991 in Kraft getreten ist, gestrichen worden (BGBl. I, aaO, S. 2818). Nach § 65 ArbGG in der gemäß Art. 6 Nr. 4 4. VwGOÄndG geltenden Fassung prüft das Berufungsgericht u.a. nicht (mehr), ob das Gericht des ersten Rechtszugs seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat. Diese Vorschrift gilt gemäß § 73 Abs. 2 ArbGG n.F. im Revisionsverfahren entsprechend.

Die neu gefaßten verfahrensrechtlichen Vorschriften sind hier maßgebend, obwohl sie erst nach Erlaß des angefochtenen Urteils in Kraft getreten sind. Denn das Revisionsgericht hat das im Zeitpunkt seiner Entscheidung geltende Recht anzuwenden (BAGE 32, 187, 189 = AP Nr. 2 zu § 4 TVG Gemeinsame Einrichtungen). Das 4. VwGOÄndG enthält auch hinsichtlich dieser für die arbeitsgerichtlichen Rechtsmittelinstanzen geltenden Verfahrensvorschriften keine Übergangsregelung für am 1. Januar 1991 dort anhängige Verfahren, in denen Entscheidungen der Vorinstanzen zu überprüfen sind, die noch unter der Geltung des früheren Rechts ergangen waren.

c) Nach § 73 Abs. 2, § 65 ArbGG n.F. prüft das Revisionsgericht nicht (mehr), ob das Berufungsgericht die sachliche Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat. Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht allerdings diese Frage nicht geprüft, weil es die Berufung für unzulässig gehalten hat. Gleichwohl ist dem Revisionsgericht eine von der Entscheidung des Arbeitsgerichts zur sachlichen Zuständigkeit abweichende Entscheidung verwehrt. Es muß die Frage so beantworten, wie sie das Berufungsgericht nach dem nunmehr geltenden Recht, somit nach § 65 ArbGG n.F. entscheiden müßte. Es ist deshalb an die Bejahung der sachlichen Zuständigkeit durch das Arbeitsgericht ebenso gebunden, wie es nunmehr das Landesarbeitsgericht wäre (vgl. hierzu - für die Entscheidung über die örtliche Zuständigkeit nach bisherigem Recht: Germelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, § 73 Rz 20).

Dies gilt aber zumindest dann, wenn das Revisionsgericht über die sachliche Zuständigkeit nicht selbst entscheiden kann, sondern den Rechtsstreit bereits zur Prüfung dieser Frage zurückverweisen müßte. Denn für das erneute Berufungsverfahren wäre dann § 65 ArbGG in seiner nunmehr geltenden Fassung anzuwenden und dem Berufungsgericht eine Nachprüfung der sachlichen Zuständigkeit verwehrt. Im vorliegenden Fall könnte in der Revisionsinstanz über die sachliche Zuständigkeit nicht entschieden werden. Wie sich aus dem Urteil des Arbeitsgerichts ergibt, hängt die Frage, ob zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis bestand, von tatsächlichen Feststellungen über die zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarungen und ihre Durchführung ab, die nur das Berufungsgericht treffen könnte.

2. Der Rechtsstreit muß deshalb zurückverwiesen werden, weil nunmehr über die Begründetheit der Klage zu befinden ist.

Hillebrecht Triebfürst Dr. Rost

Thieß Brocksiepe

 

Fundstellen

Haufe-Index 438013

NZA 1992, 617

RdA 1992, 219

ZAP, EN-Nr 447/92 (S)

AP § 114a BRAO (LT1), Nr 1

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