Leitsatz (amtlich)
- Im Regelfall besteht für den Arbeitnehmer keine arbeitsvertragliche Verpflichtung, seine Urlaubsanschrift dem Arbeitgeber unaufgefordert mitzuteilen.
- Ist dem Arbeitsgeber bei Abgabe der Kündigungserklärung bekannt, daß der beurlaubte Arbeitnehmer verreist ist, so kann er im Regelfalle nicht erwarten, daß diesem ein an die Heimatanschrift gerichtetes Kündigungsschreiben vor der Rückkehr von der Urlaubsreise zugeht.
Normenkette
BGB § 130 Abs. 1 S. 1, § 622 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
LAG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 05.10.1978; Aktenzeichen 4 Sa 63/78) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 5. Oktober 1978 – 4 Sa 63/78 – wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten der Revision.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Zwischen den Parteien ist (in der Revisionsinstanz) allein noch streitig, ob ihr Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 16. August 1977 zum 30. September 1977 oder (wie die Vorinstanzen angenommen haben) erst zum 31. Dezember 1977 beendet worden ist.
Das Kündigungsschreiben der Beklagten vom 16. August 1977 ist am selben Tage in den Briefkasten der Wohnung des Klägers in der L… 6 in K… eingeworfen worden. Dort hat es der Kläger nach Rückkehr aus seinem Urlaub am 20. August 1977 vorgefunden.
Der Kläger, der ursprünglich beantragt hatte, festzustellen, daß die Kündigung der Beklagten vom 16. August 1977 unwirksam ist, trägt vor, der Beklagten sei bekannt gewesen, daß er sich am 16. August 1977 in Urlaub befunden habe. Das Kündigungsschreiben sei ihm daher erst zu dem Zeitpunkt zugegangen, zu dem die Beklagte mit der Leerung seines Briefkastens habe rechnen müssen; dies sei nach seiner Rückkehr aus dem Urlaub am 20. August 1979 gewesen.
Der Kläger hat deshalb in der Berufungsinstanz das erstinstanzliche Urteil, das die Beendigung des Anstellungsverhältnisses zwischen den Parteien (erst) zum 31. Dezember 1977 festgestellt hat, mit dem Antrag verteidigt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hat in der Berufungsinstanz beantragt,
unter teilweiser Abänderung des erstinstanzlichen Urteils die Klage abzuweisen.
Sie wendet sich gegen die Auffassung, die ordentliche Kündigung sei zum 31. Dezember 1977 wirksam, weil sie dem Kläger erst am 20. August 1977 zugegangen sei. Die Beklagte vertritt vielmehr die Meinung, die Sechswochenfrist zum 30. September 1977 sei eingehalten, da dem Kläger das Kündigungsschreiben am 16. August 1977 zugegangen sei.
Das Arbeitsgericht hat in seinem Urteil den Streitwert auf 9.000,-- DM festgesetzt. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten – bei unverändertem Streitwert – zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte den Antrag, festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum 30. September 1977 beendet worden ist. Der Kläger beantragt, die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist unbegründet.
Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die hier geltende Kündigungsfrist des § 622 Abs. 1 BGB sei durch das Kündigungsschreiben der Beklagten vom 16. August 1977 zum 30. September 1977 deshalb nicht eingehalten, weil der Kläger dieses Schreiben unstreitig erst am 20. August 1977 erhalten habe. Eine schriftliche Kündigung des Arbeitgebers werde erst in dem Zeitpunkt wirksam, in dem sie dem Arbeitnehmer zugehe (§ 130 Abs. 1 BGB). Die in den Briefkasten des Arbeitnehmers gelangte Kündigungserklärung sei zwar grundsätzlich auch dann – am selben, spätestens am nächsten Werktag – zugegangen, wenn der Arbeitnehmer Urlaub habe. Dies gelte aber dann nicht, wenn der Arbeitgeber wisse, daß der Arbeitnehmer verreist und dem Arbeitgeber die Urlaubsanschrift bekannt sei. Ersteres habe der Kläger unbestritten vorgetragen. Deshalb hätte es der Beklagten oblegen, darzutun, daß ihr die Urlaubsanschrift des Klägers nicht bekannt gewesen sei; dazu habe sie aber nichts vorgetragen. Der Zugang des Kündigungsschreibens sei somit nicht durch das Verhalten des Klägers verzögert worden. Ihm sei daher nicht verwehrt, sich auf den verspäteten Zugang zu berufen.
Die Revision bemängelt, das Berufungsgericht habe nicht festgestellt, ob der Beklagten die Urlaubsanschrift des Klägers bekannt gewesen sei. Einen Rechtssatz des Inhalts, daß es dem Arbeitgeber obliege, darzutun, ihm sei die Urlaubsanschrift des Arbeitnehmers nicht bekannt gewesen, wenn ihm dessen Urlaubsabwesenheit bekannt war, gebe es nicht. Vielmehr wäre es Sache des Klägers gewesen, der Beklagten eine Urlaubsanschrift mitzuteilen. Eine zufällige vorübergehende Abwesenheit des Empfängers spiele nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 25. August 1978 – 2 AZR 693/76 – keine Rolle. Dies gelte nach dieser Entscheidung auch, wenn der Arbeitgeber gewußt haben sollte, daß der Arbeitnehmer während seines Urlaubs verreist und er keine Urlaubsanschrift mitgeteilt hatte. Diese Rechtsgrundsätze habe das Landesarbeitsgericht verkannt und dadurch § 130 Abs. 1, § 620 Abs. 2, § 622 Abs. 1 BGB verletzt. Auf diesem Rechtsfehler beruhe das Berufungsurteil.
Der grundlegende Unterschied im Sachverhalt zum (nicht veröffentlichten) Urteil des Zweiten Senats vom 25. August 1978 – 2 AZR 693/76 – besteht im Entscheidungsfalle aber darin, daß der Arbeitnehmer hier das Kündigungsschreiben nach Rückkehr vom Urlaub in seinem (Wohnungs-) Briefkasten vorgefunden hat, während dieses dort vom Postboten der Schwiegermutter der Arbeitnehmerin als Vermieterin der Wohnung (in einem Zweifamilienhaus) ausgehändigt worden war. Damit war die Postsendung nach der Auffassung des Zweiten Senats in den “Lebenskreis” des Empfängers gelangt. Auf eine Divergenz kann sich deshalb die Beklagte hier nicht berufen.
Dem Berufungsurteil ist auch im Ergebnis zu folgen. Das Bundesarbeitsgericht hat, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausführt, entschieden, nur dann, wenn der Zugang des Kündigungsschreibens durch ein Verhalten des Arbeitnehmers verzögert werde, sei es ihm nach Treu und Glauben verwehrt, sich auf die Verspätung des Zugangs zu berufen (BAG AP Nr. 10 zu § 130 BGB). Wenn das Landesarbeitsgericht im Entscheidungsfalle angenommen hat, der Zugang des Kündigungsschreibens sei nicht durch das Verhalten des Klägers verzögert worden, so läßt auch diese tatrichterliche Annahme keine Rechtsfehler erkennen. Durch das Verhalten des Klägers verzögert worden wäre der Zugang des Kündigungsschreibens nur dann, wenn für ihn eine Rechtspflicht bestanden hätte, der Beklagten seine Urlaubsanschrift mitzuteilen. Eine derartige allgemeine Rechtspflicht ist aber zu verneinen. Es mag durchaus Fälle geben, in welchen sich aus Vertrag, aus einer kollektivrechtlichen Regelung, aus einer betrieblichen Übung oder wegen der Art des Beschäftigungsverhältnisses, insbesondere wegen der vom Arbeitnehmer zu erbringenden Leistungen, die Pflicht des Arbeitnehmers zur unaufgeforderten Mitteilung seiner Urlaubsanschrift an den Arbeitgeber ergibt. Im Entscheidungsfall ist dazu aber weder von den Parteien etwas vorgetragen, noch hat das Berufungsgericht entsprechende Feststellungen getroffen.
Andererseits ist im Entscheidungsfalle nicht streitig, daß der Beklagten die Urlaubsabwesenheit des Klägers (am 16. August 1977) bekannt gewesen ist. Bei einer zugangsbedürftigen Willenserklärung unter Abwesenden (§ 130 Abs. 1 BGB) trägt der Erklärende grundsätzlich das Risiko des (rechtzeitigen) Zugangs (Staudinger-Neumann, BGB, 12. Aufl., Vorbem. 43 zu § 620). Zugegangen ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung deshalb dann, wenn und sobald der Erklärende die Kenntnisnahme des Adressaten vom Erklärungsinhalt berechtigterweise erwarten kann. Das setzt selbstverständlich voraus, daß die Erklärung derart in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, daß dieser sich bei normaler Gestaltung seiner Verhältnisse Kenntnis von ihrem Inhalt verschaffen kann (so Corts, Kündigung im Urlaub, DB 1979, 2081 [2082]; ähnlich: BAG AP Nr. 7 und Nr. 8 zu § 130 BGB; Staudinger-Neumann, BGB, 12. Aufl., Vorbem. 43, 48 zu § 620).
Daraus folgt für den Entscheidungsfall: Ist dem Arbeitgeber – wie hier – im Zeitpunkt der Abgabe der Kündigungserklärung bekannt, daß der Arbeitnehmer im Urlaub verreist ist, so kann er im Regelfalle nicht erwarten, daß diesem ein an die Heimatanschrift gerichtetes Kündigungsschreiben vor Ablauf des Urlaubs bzw. Rückkehr von der Urlaubsreise zugeht. Umgekehrt darf der Arbeitnehmer mangels gegenteiliger Anhaltspunkte darauf vertrauen, daß sich während seiner dem Arbeitgeber bekannten Urlaubsreise an dem Arbeitsverhältnis nichts ändern werde (vgl. Corts, aaO, S. 2083; Staudinger-Neumann, BGB, 12. Aufl., Vorbem. 45 zu § 620; LAG München, BayAMBl. 1975, C 14 und LAG Hamm, DB 1978, 119).
Damit ist dem Kläger das Kündigungsschreiben der Beklagten erst nach Rückkehr aus seinem Urlaub, nämlich am 20. August 1977 zugegangen. Tatrichterliche Feststellungen, die den Schluß zulassen, der Kläger habe einen früheren Zugang des Kündigungsschreibens vereitelt, sind nicht getroffen worden.
Da – wie schon ausgeführt – eine Verpflichtung des Klägers, der Beklagten seine Urlaubsanschrift bekanntzugeben, weder festgestellt noch ersichtlich ist, kann dahinstehen, ob der Auffassung des Berufungsgerichts zu folgen ist, die Beklagte hätte dartun müssen, daß ihr die Urlaubsanschrift des Klägers nicht bekannt gewesen sei. Darauf kommt es im Entscheidungsfalle nicht an; das angefochtene Urteil ist im Ergebnis richtig (§ 563 ZPO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Bichler, Dr. Jobs, Dr. Steckhan, Neuroth, Stappert
Fundstellen
BAGE, 305 |
NJW 1981, 1470 |
JZ 1981, 632 |