Entscheidungsstichwort (Thema)
Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall: 80 % oder 100 %
Normenkette
EFZG § 4 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 n.F.; RTV für die Steine- und Erden-Industrie vom 10. Februar 1989 Ziff. 126; RTV für die Steine- und Erden-Industrie vom 10. Februar 1989 Ziff. 127; RTV für die Steine- und Erden-Industrie vom 10. Februar 1989 Ziff. 208; RTV für die Steine- und Erden-Industrie vom 10. Februar 1989 Ziff. 209
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 29. April 1998 – 3 Sa 375/98 – wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.
Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem 25. Januar 1982 als Arbeiter beschäftigt. Er erhält einen Stundenlohn von 21,99 DM brutto. Der Kläger war im Oktober und November 1996 an insgesamt 174,8 Stunden arbeitsunfähig erkrankt. Die Beklagte leistete Entgeltfortzahlung in Höhe von 80 % seines Lohnes. Der Kläger verlangt Fortzahlung in voller – rechnerisch unstreitiger – Höhe.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft beidseitiger Tarifgebundenheit der Rahmentarifvertrag für die Steine- und Erden-Industrie vom 10. Februar 1989 (RTV) Anwendung. Er enthält in seinen Ziffern 126 ff. Regelungen über “Krankheit und Betriebsunfall”, in Ziffern 208 ff. Bestimmungen über die “Vergütung für Urlaub, Krankheit, Freistellung von der Arbeit und gesetzliche Feiertage”. Die Vorschriften lauten auszugsweise wie folgt:
“Krankheit
126. Wird der Arbeitnehmer durch Krankheit arbeitsunfähig, so wird der Verdienst nach den gesetzlichen Bestimmungen weitergezahlt.
127. Die Berechnung erfolgt nach Ziff. 208 – 214, bei Angestellten nachdem Durchschnittsverdienst der vorhergehenden 3 Kalendermonate.
Bei Anwendung dieser Berechnungsbestimmungen ist die Lohnfortzahlung des erkrankten Arbeitnehmers so zu berechnen, daß er nicht besser oder schlechter gestellt ist, als wenn er in dieser Zeit weiter im Betrieb arbeiten würde. Gegebenenfalls ist eine Vergleichsrechnung vorzunehmen.
…
Betriebsunfall
…
131. Bei Betriebsunfällen, die eine Krankheitsdauer von mehr als sechs Wochen zur Folge haben, erhält der Arbeitnehmer für die 7. und 8. Krankheitswoche einen Krankengeldzuschuß in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen dem Krankengeld … und dem Nettoarbeitsentgelt.
…
208. Berechnung des Bruttoverdienstes
Bruttoverdienst ist der Arbeitslohn, den der Arbeitnehmer in den vorhergehenden drei Kalendermonaten (oder den entsprechenden Lohnzahlungszeiträumen) für verfahrene Stunden bezogen hat.
Zum Bruttoverdienst zählt der Bruttolohn einschl. Überstundenvergütungen, Zuschlägen …, Erschwerniszulagen und sonstige Zulagen.
Zum Bruttoverdienst zählen nicht:
…
8. Fortgezahlter Lohn bei Krankheit nach dem Lohnfortzahlungsgesetz
9. Feiertagsvergütungen
209. Der so ermittelte Bruttoverdienst wird durch die Zahl der tatsächlich verfahrenen, tariflich vereinbarten regelmäßigen Stunden geteilt.
Der sich ergebende Stundenverdienst wird mit der Zahl der ausgefallenen Tarifarbeitsstunden multipliziert und ergibt den für jeden Ausfalltag zu vergütenden Lohnsatz.
…”
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, ihm stünden für den Tag seiner Arbeitsunfähigkeit 100 % seines Lohns zu. Die tariflichen Bestimmungen enthielten eine eigenständige Regelung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Sie führten zur Fortzahlung in ungekürzter Höhe. Daran habe § 4 Abs. 1 Satz 1 EFZG n.F. nichts geändert.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 768,04 DM brutto zzgl. 4 % Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit dem 31. Januar 1997 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, Ziff. 126 RTV verweise auf die gesetzlichen Bestimmungen in ihrer jeweiligen und nicht nur in ihrer bei Tarifabschluß geltenden Fassung. Die übrigen tariflichen Vorschriften zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall enthielten lediglich Berechnungsvorschriften. Wegen Ziff. 127 Satz 2 RTV wichen sie vom gesetzlichen Lohnausfallprinzip im Ergebnis nicht ab. Sie seien deshalb ebenfalls nicht konstitutiv.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit ihrer Revision begehrt die Beklagte Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Der Kläger kann für die Zeit seiner Arbeitsunfähigkeit Lohnfortzahlung in voller Höhe verlangen. Dies folgt aus § 3 Abs. 1 EFZG i.V.m. Ziff. 127, 208, 209 RTV. Die Tarifvertragsparteien haben eine eigenständige, von den Bestimmungen des Entgeltfortzahlungsgesetzes unabhängige Regelung über die Höhe der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall getroffen.
I. Im Zeitpunkt des Abschlusses des RTV am 10. Februar 1989 und bis zum Inkrafttreten des Entgeltfortzahlungsgesetzes am 1. Juni 1994 galt für die Entgeltfortzahlung gewerblicher Arbeitnehmer im Krankheitsfall das Lohnfortzahlungsgesetz vom 27. Juli 1969. Angestellte hatten Anspruch auf Gehaltsfortzahlung nach § 616 Abs. 2 BGB, § 63 HGB und § 133 c GewO. Durch das Entgeltfortzahlungsgesetz vom 26. Mai 1994 wurde die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für Arbeiter und Angestellte auf eine einheitliche gesetzliche Grundlage gestellt. Dabei blieb die Höhe des fortzuzahlenden Entgelts zunächst unverändert. Durch das Arbeitsrechtliche Beschäftigungsförderungsgesetz vom 25. September 1996 (BGBl. I, S. 1476) wurde die Höhe der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall herabgesetzt. Sie beträgt nunmehr nach § 4 Abs. 1 Satz 1 EFZG “80 vom Hundert des dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit zustehenden Arbeitsentgelts”.
Bestehende tarifliche Regelungen sind durch das Gesetz vom 25. September 1996 nicht aufgehoben worden. Der Gesetzgeber wollte in bestehende Tarifverträge nicht eingreifen (vgl. BT-Drucks. 13/4612, S. 2; Buchner, NZA 1996, 1177, 1179/80).
II. Nach Ziff. 126 RTV wird der Verdienst des Arbeitnehmers, wird dieser durch Krankheit arbeitsunfähig, “nach den gesetzlichen Bestimmungen weitergezahlt”. Diese tarifliche Bestimmung stellt keine selbständige Regelung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall dar. Es handelt sich entweder um einen bloßen Hinweis auf das geltende Gesetzesrecht, bei dem schon jeglicher Normsetzungswille der Tarifvertragsparteien fehlt, oder es handelt sich zwar um eine Tarifnorm, die jedoch als dynamische Verweisung auch für die Tarifunterworfenen nur die jeweils geltenden gesetzlichen Vorschriften für anwendbar erklärt. Als Tarifnorm im Sinne einer statischen Verweisung auf die bei Tarifabschluß im Februar 1989 geltende Fassung des Lohnfortzahlungsgesetzes kann Ziff. 126 RTV dagegen nicht verstanden werden. Dies ergibt die Auslegung der Bestimmung.
1. Ziff. 126 RTV richtet sich nicht an die Tarifvertragsparteien selbst, sondern an die Tarifunterworfenen. Ihre Auslegung betrifft deshalb nicht den schuldrechtlichen, sondern den normativen Bereich des Tarifvertrags, Dessen Auslegung richtet sich nach den Grundsätzen der Gesetzesauslegung (zu den Einzelheiten vgl. BAG Urteil vom 21. August 1997 – 5 AZR 517/96 – NZA 1998, 211, m. w. N.; BAG Urteil vom 24. April 1996 – 5 AZR 798/94 – AP Nr. 96 zu § 616 BGB; BAG Urteil vom 1. Juli 1998 – 5 AZR 545/97 –, m.w.N., zur Veröffentlichung vorgesehen).
2. Im Rahmen ihrer Rechtsprechung zur tariflichen Übernahme gesetzlicher Kündigungsfristen haben der Zweite und der Siebte Senat des Bundesarbeitsgerichts für tarifliche Verweisungen auf gesetzliche Vorschriften die Auslegungsregel entwickelt, im Zweifel seien diese Verweisungen – ebenso wie die wort- oder inhaltsgleiche Übernahme des Gesetzestextes – deklaratorisch (BAGE 40, 102 = AP Nr. 133 zu § 1 TVG Auslegung; BAG Beschluß vom 28. Januar 1988 – 2 AZR 296/87 – AP Nr. 24 zu § 622 BGB; BAG Urteil vom 4. März 1993 – 2 AZR 355/92 – AP Nr. 40 zu § 622 BGB). Der erkennende Senat hat sich dieser Auffassung für die Auslegung von Verweisungen angeschlossen (Urteil vom 16. Juni 1998 – 5 AZR 67/97 – zur Veröffentlichung vorgesehen). Mit einer Verweisung auf geltende – ohnehin anwendbare – gesetzliche Vorschriften bringen die Tarifvertragsparteien in aller Regel zum Ausdruck, daß nur das Gesetz und nicht der Tarifvertrag maßgeblich sein soll. Ob sich die Verweisung als bloßer Hinweis oder als Tarifnorm im Sinne einer dynamischen Verweisung darstellt, kann dabei im Einzelfall unterschiedlich zu beurteilen sein. Individualrechtlich sind die Rechtsfolgen die gleichen.
3. Nach Maßgabe dieser Grundsätze handelt es sich bei Ziff. 126 RTV nicht um eine selbständige Regelung und statische Verweisung. Es finden sich weder in der Regelung selbst noch an anderer Stelle des Tarifvertrages Anhaltspunkte dafür, daß auf das Entgeltfortzahlungsgesetz ausschließlich in seiner bei Abschluß des Rahmentarifvertrages im Februar 1989 geltenden Fassung verwiesen worden wäre.
a) Entgegen der Auffassung des Klägers läßt schon der Wortlaut der tariflichen Regelungen keinen Zweifel daran, daß in ihr auf die jeweils geltenden gesetzlichen Bestimmungen zur Lohnfortzahlung im Krankheitsfall verwiesen worden ist. Selbst wenn zugunsten des Klägers angenommen wird, daß Ziff. 126 RTV überhaupt eine Tarifnorm und nicht nur einen bloßen Hinweis darstellt, wird ihr zufolge im Krankheitsfall der Verdienst “nach den gesetzlichen Bestimmungen” weitergezahlt. Von einer zeitlichen Einschränkung ist dabei keine Rede. Ohne nähere Kennzeichnung sind “die gesetzlichen Bestimmungen” stets diejenigen, die aktuell gelten. Im Zeitpunkt der Arbeitsunfähigkeit des Klägers im Oktober/November 1996 vermochte ein Tarifanwender den Text der Ziff. 126 RTV nicht anders zu verstehen, als daß diejenigen gesetzlichen Bestimmungen zur Anwendung gelangen sollten, die zu eben diesem Zeitpunkt galten. Dies sind die Vorschriften des Entgeltfortzahlungsgesetzes in seiner ab dem 1. Oktober 1996 geltenden Fassung. Für ein anderes Verständnis gibt es keine sprachliche Begründung.
b) Ein der sprachlichen Bedeutung der Ziff. 126 RTV entgegenstehender Wille der Tarifvertragsparteien ist nicht erkennbar. Er folgt weder aus Ziff. 131 RTV noch aus Ziff. 120 ff. RTV. Nach ersterer erhält der Arbeitnehmer nach Betriebsunfällen in der siebten und achten Krankheitswoche einen Krankengeldzuschuß bis zur Höhe seines Nettoarbeitsentgelts. Im Zusammenhang mit einer vorausgegangenen bloßen Verweisung auf gesetzliche Vorschriften kommt einer solchen Zuschußregelung, zumal bei Betriebsunfällen, eine konstitutive Bedeutung nicht zu (vgl. Senatsurteil vom 16. Juni 1998 – 5 AZR 67/97 – zur Veröffentlichung vorgesehen). Nach den letztgenannten Tarifbestimmungen ist einem Arbeitnehmer bei Freistellung von der Arbeit wegen eines notwendigen Arztbesuches, wegen ärztlich angeordneter Nachbehandlung oder wegen schwerer Erkrankung eines zur Hausgemeinschaft gehörenden Familienmitglieds die volle Vergütung weiterzuzahlen. Aus solchen Regelungen folgt nicht, daß der Arbeitgeber Lohnfortzahlung auch bei eigener Krankheit des Arbeitnehmers ungekürzt zu leisten hätte (vgl. Senatsurteil vom 26. August 1998 – 5 AZR 26/98 – zur Veröffentlichung vorgesehen). Als statische Verweisung auf die bei Tarifabschluß geltenden gesetzlichen Bestimmungen kann Ziff. 126 RTV deshalb nicht verstanden werden.
III. Gleichwohl ist die Klageforderung begründet. Sie ergibt sich aus Ziff. 127 RTV i.V.m. Ziff. 208, 209 RTV.
1. Die Bestimmungen sind zwar unter Geltung des Lohnfortzahlungsgesetzes vereinbart worden. Sie sind aber auch nach dessen Außerkrafttreten weiterhin gültig.
a) Ziff. 208, 209 RTV enthalten die Abkehr vom gesetzlichen Lohnausfallprinzip. Es wird durch das Referenzprinzip ersetzt. Die Vorschriften nehmen die im Zeitpunkt des Tarifabschlusses durch § 2 Abs. 3 Satz 1 LFZG eröffneten Möglichkeiten wahr, von den gesetzlichen Vorgaben abzuweichen. In diesem Sinne sind sie normativ eigenständig (konstitutiv). Dies steht zu der fehlenden Eigenständigkeit der Ziff. 126 RTV nicht im Widerspruch. Der konstitutive Charakter eines Teils eines zusammenhängenden Regelungsbereichs läßt keinen Schluß auf den entsprechenden Charakter des übrigen Teils der Regelung zu (BAG Urteil vom 14. Februar 1996 – 2 AZR 166/95 – AP Nr. 21 zu § 1 TVG Tarifverträge: Textilindustrie; BAG Urteil vom 16. Juni 1998 – 5 AZR 67/97 – zur Veröffentlichung vorgesehen).
b) Als konstitutive Tarifnormen haben Ziff. 208, 209 RTV ihre Wirksamkeit und ihren konstitutiven Charakter nicht dadurch verloren, daß die bisherige gesetzliche Regelung, die sie modifiziert haben, durch eine andere ersetzt wurde. Auch § 4 Abs. 4 Satz 1 EFZG läßt es zu, “durch Tarifvertrag … eine von den Absätzen 1, 1a und 3 abweichende Bemessungsgrundlage des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts” festzulegen. Diese Tariföffnungsklausel gilt gem. Art. 67 Abs. 2 PflegeVG vom 26. Mai 1994 (BGBl. I, S. 1014) auch für Tarifverträge, die schon vor Inkrafttreten des Entgeltfortzahlungsgesetzes am 1. Juni 1994 und dem Wirksamwerden seiner Änderung zum 1. Oktober 1996 abgeschlossen worden sind. Zur “Bemessungsgrundlage” im Sinne des § 4 Abs. 4 Satz 1 EFZG gehören sowohl die Berechnungsmethode (Ausfall- oder Referenzprinzip) als auch die Berechnungsgrundlage (Umfang und Bestandteile des zugrunde zu legenden Arbeitsentgelts). Ziff. 208, 209 RTV enthalten keine Regelungen, die von der gesetzlichen Öffnungsklausel nicht gedeckt wären. Sie sind darum auf das Arbeitsverhältnis der Parteien weiterhin anzuwenden.
2. Gemäß Ziff. 208 RTV ist der für die Lohnfortzahlung zu berücksichtigende Bruttoverdienst “der Arbeitslohn, den der Arbeitnehmer in den vorhergehenden drei Kalendermonaten … für verfahrene Stunden bezogen hat”. Er ist in bestimmtem Umfang zu ermitteln. Nach Ziff. 209 RTV wird der “ermittelte Bruttoverdienst … durch die Zahl der tatsächlich verfahrenen, tariflich vereinbarten regelmäßigen Stunden geteilt (und) der sich ergebende Stundenverdienst … mit der Zahl der ausgefallenen Tarifarbeitsstunden multipliziert”. Dies “ergibt den für jeden Ausfalltag zu vergütenden Lohnsatz”.
a) Auf diese Weise haben die Tarifvertragsparteien eine eigenständige Regelung auch über die Höhe der Entgeltfortzahlung getroffen. Sie haben in Ziff. 208 RTV zunächst die Berechnungsmethode (Referenz auf die vorangehenden drei Kalendermonate oder entsprechende Lohnzahlungszeiträume) und die Berechnungsgrundlage (Bruttolohn einschließlich bestimmter Zuschläge und Zulagen, ausschließlich bestimmter anderer Zahlungen) festgelegt. In Ziff. 209 RTV wird sodann der genaue rechnerische Weg bestimmt, auf welchem der für jeden Krankheitstag “zu vergütende Lohnsatz” zu ermitteln ist. Der Bruttoverdienst der letzten drei Monate wird durch die Zahl der in diesem Zeitraum tatsächlich verfahrenen, tariflich vereinbarten regelmäßigen Stunden geteilt. Das ergibt einen bestimmten durchschnittlichen Stundenverdienst. Dieser ist mit der Anzahl der durch Krankheit insgesamt ausgefallenen Tarifarbeitsstunden zu multiplizieren “und ergibt den für jeden Ausfalltag zu vergütenden Lohnsatz”, auch wenn es dafür nötig ist, das Ergebnis der Multiplikation auf Tagesbeträge umzurechnen.
Die Tarifvertragsparteien haben in Ziff. 208, 209 RTV eine umfassende, rechnerisch lückenlose Regelung über die Bemessung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall geschaffen. Mit der Verknüpfung von Berechnungsmethode und Berechnungsgrundlage mit einem Divisor (der Zahl der im Referenzzeitraum tatsächlich verfahrenen Arbeitsstunden) und einem bestimmten Faktor (der Zahl der durch Krankheit ausgefallenen Arbeitsstunden) haben sie zwangsläufig auch die Höhe der Entgeltfortzahlung mit 100 % der entsprechenden Vergütung festgelegt (vgl. für ähnliche Tarifbestimmungen Senatsurteile vom 16. Juni 1998 – 5 AZR 728/97 – und 26. August 1998 – 5 AZR 740/97 – beide zur Veröffentlichung vorgesehen).
b) Aus Ziff. 127 Satz 2 RTV folgt nichts anderes. Die Beklagte hat geltend gemacht, diese Vorschrift sei im Jahre 1983 als Ergebnis einer Schlichtungsverhandlung der damaligen Ziff. 128 RTV angefügt und seitdem in spätere Fassungen des Tarifvertrages übernommen worden. Sie solle Mißbräuchen vorbeugen, zu denen Arbeitnehmer dadurch verleitet sein könnten, daß sich die Lohnfortzahlung im Anschluß an Mehrarbeitszeiten nach deren hoher Vergütung richte. Sie führe mit ihrer Forderung, daß der erkrankte Arbeitnehmer nicht besser oder schlechter gestellt sein dürfe, als wenn er weiter im Betrieb gearbeitet hätte, trotz der Ziff. 208, 209 RTV im Ergebnis wieder zum gesetzlichen Lohnausfallprinzip zurück.
Diese Bewertung der Beklagten ist sachlich zutreffend. Sie ändert aber nichts daran, daß die Berechnung der Lohnfortzahlung des erkrankten Arbeitnehmers zunächst nach den Ziff. 208, 209 RTV vorzunehmen ist und die dort vorgeschriebene Berechnungsweise auch die Höhe der Lohnfortzahlung ohne rechnerischen Spielraum präzise bestimmt. Der tariflich vorgegebene Weg führt dabei zur ungekürzten Lohnfortzahlung auf der Grundlage des Verdienstes im Referenzzeitraum. Gemäß Ziff. 127 Satz 2 RTV ist dieses Ergebnis anschließend derjenigen Vergütung – nach oben oder nach unten – anzupassen, die der Arbeitnehmer erzielt hätte, wenn er im Krankheitszeitraum tatsächlich gearbeitet hätte. Dadurch ist nicht etwa die gesetzliche Höhe der Lohnfortzahlung für maßgeblich erklärt worden. Es ist im Gegenteil die ungekürzte Lohnfortzahlung sogar ein weiteres Mal tariflich vorgegeben worden. Es mag zwar sein, daß die Tarifvertragsparteien sich seinerzeit über die künftigen Auswirkungen ihrer Regelungen keine Vorstellungen gemacht haben. Den objektiven Regelungsinhalt der Ziff. 127, 208, 209 RTV läßt dies jedoch unberührt.
Die Vorschriften enthalten eine eigenständige tarifliche Regelung über die Bemessungsgrundlagen der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, die die Höhe der Lohnfortzahlung einschließt. Der Kläger hat für die Dauer seiner Arbeitsunfähigkeit Anspruch auf Fortzahlung seines vollen Lohns.
Unterschriften
Reinecke, Kreft, Fischermeier, Hansen, Rolf Steinmann
Fundstellen