Entscheidungsstichwort (Thema)
Vergütung von Wachdienst
Orientierungssatz
Unter "Wachdienst" im tariflichen Sinne ist ein besonderer, zusätzlicher und vom normalen Schichtdienst zu unterscheidender Wachdienst zu verstehen, der neben oder anstelle des normalen Dienstes geleistet wird und eine Bewachung, deren Intensität verschiedenartig sein kann, beinhaltet.
Normenkette
BAT Anlage SR
Verfahrensgang
LAG Schleswig-Holstein (Entscheidung vom 01.11.1984; Aktenzeichen 5 Sa 120/83) |
ArbG Kiel (Entscheidung vom 06.01.1983; Aktenzeichen 2b Ca 2593/82) |
Tatbestand
Der tarifgebundene Kläger fährt als zweiter Wachmaschinist auf dem Schulboot "L" der Marinewaffenschule E. Er nahm vom 15. März bis zum 6. September 1982 wiederholt in der Zeit zwischen dem jeweiligen Dienstschluß und Dienstbeginn an Bord des Schiffes die Aufgaben eines Wachvorgesetzten wahr und machte dabei Überwachungs- und Kontrollgänge. Die Bordwache übte während dieser Zeit jeweils ein Matrose aus, der nicht berechtigt war, sich während der Wache schlafen zu legen. Dieser erhielt für die Tätigkeit eine Vergütung nach Nr. 4 Abs. 7 Buchst. a SR 2 e II BAT.
Der Kläger begehrt für die Zeit der Überwachungs- und Kontrollgänge - deren Zeitaufwand zwischen den Parteien streitig ist - eine Überstundenvergütung. Er ist der Auffassung, die Überwachungs- und Kontrolltätigkeit gehöre nicht zu den "üblicherweise vorzunehmenden kleineren Arbeitsleistungen" gemäß Nr. 4 Abs. 7 Buchst. b SR 2 e II BAT. Daher sei ihm für diese Tätigkeit für jede der Stunden eine weitere Vergütung nach Nr. 4 Abs. 7 Buchst. a SR 2 e II BAT oder eine Überstundenvergütung zu zahlen.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn, den
Kläger, 877,85 DM brutto nebst 4 % Zinsen
seit dem 8. November 1982 zu zahlen.
Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt und vorgetragen, dem Kläger stehe lediglich die Vergütung nach Nr. 4 Abs. 7 Buchst. b SR 2 e II BAT zu, weil seine Anwesenheit an Bord ausschließlich nach dieser Tarifvorschrift angeordnet worden sei und er berechtigt gewesen sei, sich während der Anwesenheit an Bord schlafen zu legen. Der Kläger habe zwar im Rahmen seiner Wachanweisung auch den zur Bewachung eingeteilten Matrosen zu kontrollieren, sei aber nicht zur Bewachung des Schiffes eingestellt und auch nicht über den Rahmen der Nr. 4 Abs. 7 Buchst. b SR 2 e II BAT hinaus mit Kontrollarbeiten belastet worden. Nach der ZDv 10/6 seien Kontrollgänge viermal innerhalb von 24 Stunden durchzuführen.
Arbeits- und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter. Die Beklagte bittet um Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet.
Der Kläger kann von der Beklagten über die gemäß Nr. 4 Abs. 7 Buchst. b SR 2 e II BAT erhaltene Vergütung hinaus keine weitere Vergütung nach Nr. 4 Abs. 7 Buchst. a SR 2 e II BAT für die Wachdienste in der Zeit vom 15. März bis zum 6. September 1982 verlangen.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, aus dem Begriff des Wachdienstes und dem Umstand, daß der Kläger Verantwortung für das ihm anvertraute Fahrzeug zu übernehmen habe, ergebe sich die für den Kläger bestehende Verpflichtung zur viermaligen Kontrolle bzw. Überprüfung des Wachgängers. Der zeitliche Umfang der Kontrollgänge sei nicht zu beanstanden, da die üblicherweise vorzunehmenden kleineren Arbeitsleistungen in ihrem zeitlichen Umfang den angeordneten Kontrollgängen entsprächen. Damit stehe dem Kläger die pauschale Vergütung nach Nr. 4 Abs. 7 Buchst. b SR 2 e II BAT zu. Der von ihm ausgeübte Kontrolldienst sei ein Wachdienst minderen Ranges, der nach dem Sinn und Zweck der Tarifnorm nicht als bloße Anwesenheit an Bord anzusehen sei. Ein weitergehender Anspruch gemäß § 4 Abs. 7 Buchst. a SR 2 e II BAT komme dagegen nicht in Betracht, weil sich beide Alternativen dieser Tarifvorschrift gegenseitig ausschlössen. Dies folge bereits aus der fehlenden Schlafberechtigung des Kontrollgängers. Anders als dieser sei der Kläger im wesentlichen in der Verwendung seiner Arbeitszeit frei und könne sich schlafenlegen.
II. Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
1. Das Arbeitsverhältnis der Parteien unterfällt den Sonderregelungen 2 e II BAT. Nach Nr. 4 Abs. 7 dieser Tarifregelung gilt "für den Wachdienst" folgendes:
"a) Bei Bord- und Hafenwachen ist eine Wachstunde
gleich einer Arbeitsstunde. Der Angestellte ist
verpflichtet, sich während dieser Wachen auf
den ihm anvertrauten Fahrzeugen aufzuhalten und
für Ordnung zu sorgen. Er ist nicht berechtigt,
sich während der Wachen schlafen zu legen.
b) Die Zeit der Verpflichtung zur Anwesenheit an
Bord vom Dienstschluß bis zum Dienstbeginn
des darauffolgenden Tages wird mit drei Arbeitsstunden
bewertet, sofern dieser Zeitraum
mehr als drei Stunden beträgt. Die zum Aufenthalt
an Bord verpflichteten Angestellten haben
sich auf den ihnen anvertrauten Fahrzeugen aufzuhalten.
Sie sind berechtigt, sich schlafen
zu legen. Sie sind jedoch verpflichtet, auf
den Fahrzeugen für Ordnung zu sorgen und haben
dabei die üblicherweise vorzunehmenden kleineren
Arbeitsleistungen (z.B. Klarmachen der
Laternen, Festmachen der Verholleinen, Heizen
von Öfen in den Wohn- und Maschinenräumen, Anbordholen
von Angehörigen der Besatzung während
der Wachzeit) auszuführen.
..."
Der Kläger hat im streitigen Zeitraum anordnungsgemäß "Wachdienst" im Sinne des Eingangssatzes von Nr. 4 Abs. 7 der SR 2 e II BAT geleistet. Was im einzelnen unter "Wachdienst" zu verstehen ist, bedarf jedoch der Auslegung, da dieser tarifliche Begriff weder im BAT noch in den Sonderregelungen 2 e II BAT definiert ist.
2. Bei der Auslegung normativer Teile von Tarifverträgen ist entsprechend den Grundsätzen der Gesetzesauslegung zunächst von dem Wortlaut auszugehen. Dabei ist jedoch über den reinen Wortlaut hinaus der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der damit von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm mitzuberücksichtigen, sofern und soweit sie in der tariflichen Norm ihren Niederschlag gefunden haben. Hierzu ist auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang abzustellen, der häufig schon deswegen mitberücksichtigt werden muß, weil nur daraus und nicht aus der einzelnen Tarifnorm auf den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien geschlossen und nur bei Mitberücksichtigung des tariflichen Gesamtzusammenhangs der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann (vgl. BAGE 46, 308, 313 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung; BAG Urteil vom 2. April 1987 - 6 AZR 585/82 - zur Veröffentlichung bestimmt). Verbleiben bei einer Auswertung des Tarifwortlautes und des tariflichen Gesamtzusammenhangs als den stets und in erster Linie heranzuziehenden Auslegungskriterien Zweifel, so kann zur Ermittlung des wirklichen Willens der Tarifvertragsparteien auf weitere Kriterien wie die Tarifgeschichte, die praktische Tarifübung und die Entstehungsgeschichte des jeweiligen Tarifvertrages zurückgegriffen werden. Eine Bindung an eine bestimmte Reihenfolge bei der Heranziehung dieser weiteren Auslegungsmittel gibt es nicht (vgl. BAGE 46, 308, 314 aa0, m.w.N.).
3. Unter "Wachdienst" im Sinne der tariflichen Bestimmung ist nicht der normale Schichtdienst zu verstehen. Dagegen spricht schon die Tarifnorm selbst. Denn dann hätte es keiner Regelung bedurft, daß sich der Diensthabende auf dem ihm anvertrauten Fahrzeug aufzuhalten und für Ordnung zu sorgen hat. Auch die getroffenen unterschiedlichen Schlafregelungen wären überflüssig. Während des normalen Wachdienstes, d.h. während des in Wachen geleisteten Dienstes im Sinne des normalen Schichtdienstes ist es schließlich selbstverständlich, daß der Diensthabende an Bord zu sein hat und sich nicht schlafen legen kann (vgl. auch BAG Urteil vom 20. März 1974 - 4 AZR 251/73 - AP Nr. 3 zu § 15 BAT). Unter "Wachdienst" im tariflichen Sinne ist danach ein besonderer, zusätzlicher und vom normalen Schichtdienst zu unterscheidender Wachdienst zu verstehen, der neben oder anstelle des normalen Dienstes geleistet wird und eine Bewachung, deren Intensität verschiedenartig sein kann, beinhaltet (BAG, aaO). Dabei dient der Begriff des "Wachdienstes" als Oberbegriff sowohl für Bord- und Hafenwachen als auch für angeordnete Anwesenheiten an Bord vom Dienstschluß bis zum Dienstbeginn des darauf folgenden Tages, wenn derjenige, der zur Anwesenheit verpflichtet ist, besondere Bewachungsaufgaben gleich welcher Art und Intensität wahrzunehmen hat.
Nur ein solches Verständnis trägt der ausdrücklichen Normierung der Pflicht zur Ableistung von Wachdienst in Nr. 4 des Abs. 7 SR 2 e II BAT im Gesamtgefüge der einschlägigen Sonderregelungen Rechnung. Es geht nach der von den Tarifvertragsparteien gewählten Überschrift zu Nr. 4 der SR 2 e II BAT um durch die Besonderheiten des Arbeitsplatzes bedingte Sonderregelungen "zu §§ 15 bis 17 und 35 - Arbeitszeit - Zeitzuschläge, Überstundenvergütung -". Dies zeigt, daß besondere Bewachungsdienste in Rede stehen, die in der Regel nicht schon durch die allgemeinen arbeitsvertraglichen Aufgaben abgedeckt sind. Daraus folgt zugleich, daß allgemeine, etwa seetypische Aufgaben und deren Erledigung nicht ohne weiteres dem Wachdienst im Tarifsinne zuzuordnen sind, wenn sie bereits zu den allgemeinen Aufgaben des Arbeitnehmers gehören. Hinzu kommen muß vielmehr der besondere, möglicherweise und ggf. auch seetypische Bewachungscharakter, um dem Grunde nach Ansprüche nach Nr. 4 Abs. 7 SR 2 e II BAT auszulösen.
4. Eine Bestätigung erfährt diese Auslegung auch dadurch, daß die Tarifvertragsparteien die Verpflichtung zur Ordnungssorge ebenso wie die üblicherweise vorzunehmenden kleineren Arbeitsleistungen (z.B. Klarmachen der Laternen, Festmachen der Verholleinen, Heizen von Öfen in den Wohn- und Maschinenräumen, Anbordholen von Angehörigen der Besatzung während der Wachzeit) als durch den Wachdienstleistenden zu erledigen festgeschrieben haben. Die Tarifvertragsparteien haben dies für regelungsbedürftig angesehen, was dafür spricht, daß ohne eine solche Regelung von einer fehlenden Verpflichtung des Arbeitnehmers zur Erledigung dieser Aufgaben während des Wachdienstes auszugehen wäre. Das Argument des Klägers, er sei im Rahmen des Wachdienstes nach Nr. 4 Abs. 7 Buchst. b SR 2 e II BAT nur zur Ordnungssorge, d.h. zur Herstellung und Sicherung eines aufgeräumten, ordentlichen Zustandes des Schiffes verpflichtet, die Erledigung seetypischer Aufgaben also, geht deshalb fehl. Dabei wird der Inhalt und Umfang des tarifvertraglich geregelten Wachdienstes verkannt. Dieser umfaßt im Gegenteil gerade andere, besondere Bewachungsaufgaben. Nur bei deren Gelegenheit hat der mit dem Wachdienst betraute Arbeitnehmer - gleichsam daneben und nachrangig - für Ordnung zu sorgen und nach Nr. 4 Abs. 7 Buchst. b SR 2 e II BAT üblicherweise kleinere Arbeitsleistungen zu erbringen, zu denen er neben und über den in erster Linie zu besorgenden Wachdienst hinaus nur deshalb verpflichtet ist, weil die Tarifvertragsparteien dies ausdrücklich und zusätzlich festgeschrieben haben. Dem mag die Erkenntnis zugrunde gelegen haben, daß Wachdienst in einem so verstandenen Sinne als Art einer Bewachung Raum auch für die Erledigung anderer Aufgaben lassen kann.
5. Der so verstandene Wachdienst, der Bewachungsaufgaben und damit Kontrollgänge beinhaltet, wird in Nr. 4 Abs. 7 Buchst. a und Buchst. b SR 2 e II BAT unterschiedlich und abschließend geregelt. Die den Vergütungsanspruch nebst Überstundenzuschläge auslösende Bord- oder Hafenwache gemäß Nr. 4 Abs. 7 Buchst. a SR 2 e II BAT leistet danach der Wachgänger (vgl. BAG, aa0), der nicht berechtigt ist, sich während der Wachen schlafen zu legen. Dem Kläger als Wachhabenden steht dagegen, weil er berechtigt war, sich schlafen zu legen, ein von der Beklagten bereits geleisteter Vergütungsanspruch nur gemäß Nr. 4 Abs. 7 Buchst. b SR 2 e II BAT zu. Die angeordneten und vom Kläger durchgeführten Kontrollgänge sind von ihrem Umfang her für die Größe des Schiffes nicht zu beanstanden.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Dr. Röhsler Dr. Jobs Dörner
Oberhofer Fischer
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