Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine unverfallbare Rentenanwartschaft aus der AO 54
Leitsatz (redaktionell)
Parallelsache zum Senatsurteil vom 17. Dezember 1996 – 3 AZR 800/95 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen.
Normenkette
Einigungsvertrag Anl. II Kap. VIII Sachgeb. H Abschn. III Nr. 4 a; Einigungsvertrag Anl. I Kap. VIII Sachgeb. A Abschn. III Nr. 16; Anordnung zur Einführung einer Zusatzrentenversorgung für die Arbeiter und Angestellten in den wichtigsten volkseigenen Betrieben vom 9. März 1954 (AO 54) §§ 3, 10-12; AGB-DDR §§ 42, 297
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 25. Oktober 1995 – 2 (3) Sa 280/95 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darum, ob dem Kläger vom Bezug der gesetzlichen Altersrente an eine Zusatzrente auf der Grundlage der Anordnung zur Einführung einer Zusatzrentenversorgung für die Arbeiter und Angestellten in den wichtigsten volkseigenen Betrieben (AO 54) vom 9. März 1954 (GBl.DDR I, S. 301) zusteht.
Der am 25. Juli 1937 geborene Kläger war vom 1. September 1952 bis zum 31. Dezember 1992 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerin beschäftigt. Er schied betriebsbedingt aufgrund eines Aufhebungsvertrages aus.
Die Rechtsvorgängerin der Beklagten war einer der wichtigsten volkseigenen Betriebe, für deren Arbeitnehmer die Anordnung 54 eine Zusatzrente einführte.
In § 3 der AO 54 heißt es:
„Der Anspruch auf Zusatzrente besteht, wenn Arbeiter oder Angestellte
- noch beschäftigt oder aus einem dieser Betriebe wegen Invalidität oder Überschreiten der Altersgrenze ausgeschieden sind und
- eine 20jährige ununterbrochene Beschäftigungsdauer in diesem Betrieb und
- den Bezug einer Alters-, Invaliden- oder Unfallvollrente nachweisen.”
Der Kläger hat den Standpunkt eingenommen, er habe aufgrund der AO 54 eine unverfallbare Versorgungsanwartschaft erworben. Er könne nichts dafür, daß er betriebsbedingt bei der Beklagte habe ausscheiden müssen. Eine solche Möglichkeit sei vom Gesetzgeber der DDR bei der Schaffung der Anordnung 54 auch nicht vorhergesehen worden.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger bei Eintritt in die Altersrente eine Zusatzrente gem. der Anordnung zur Einführung einer Zusatzrentenversorgung für die Arbeiter und Angestellten in den wichtigsten volkseigenen Betrieben vom 9. März 1954 (GBl.DDR Nr. 30/94) zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Der Kläger habe keine Anwartschaft erworben. Aufgrund seines vorzeitigen Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis hätte er auch zu Zeiten der DDR einen Anspruch auf Zusatzversorgung nach der AO 54 verloren. Im übrigen stehe einem Rechtsanspruch des Klägers auch die Regelung in der Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet H Abschnitt III Nr. 4 a zum Einigungsvertrag entgegen.
In dieser Bestimmung heißt es:
„Folgendes Recht der Deutschen Demokratischen Republik bleibt mit folgenden Maßgaben in Kraft:
…
4. Anordnung über die Einführung einer Zusatzrentenversorgung für die Arbeiter und Angestellten in den wichtigsten volkseigenen Betrieben vom 9. März 1954 (GBl. Nr. 30, S. 301), mit folgenden Maßgaben:
- Die Anordnung ist bis zum 31. Dezember 1991 anzuwenden.
- Von der Anordnung kann für die Zeit bis zum 31. Dezember 1991 durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung abgewichen werden.
…”
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein ursprüngliches Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben seine Klage zu Recht abgewiesen. Er hat keinen Anspruch darauf, daß die Beklagte an ihn bei Eintritt eines der in § 3 Buchst. c AO 54 genannten Versorgungsfälle eine betriebliche Zusatzrente zahlt.
I. Es spricht viel für die Auffassung des Landesarbeitsgerichts, ein Anspruch des Klägers scheitere auch daran, daß er die Voraussetzungen von § 3 Buchst. c AO 54 nicht einmal bei seinem Ausscheiden aus dem Betrieb der Beklagten erfüllt hat. Er ist nicht wegen Invalidität oder Überschreitens der Altersgrenze, sondern betriebsbedingt ausgeschieden. Der Senat muß hierzu aber nicht abschließend Stellung nehmen.
II. Der Kläger hat jedenfalls deshalb keinen Anspruch aus der AO 54, weil er bis zum 31. Dezember 1991 die Voraussetzungen für einen Zusatzrentenanspruch nicht erfüllt hat. Er stand noch über diesen Zeitpunkt hinaus in einem Beschäftigungsverhältnis bei der Beklagten, ohne eine gesetzliche Rente zu beziehen. Damit war am 31. Dezember 1991 nach keiner der Alternativen des § 3 Buchst. a in Verb. mit Buchst. c AO 54 ein Zusatzrentenanspruch entstanden.
1. In seinem Urteil vom 27. Februar 1996 (–3 AZR 242/95 – AP Nr. 4 zu Einigungsvertrag Anlage II Kap. VIII, mit Anmerkung Trappehl) hat der Senat die Bestimmung des Einigungsvertrages zur begrenzten Weitergeltung der AO 54 ausgelegt. Dabei ist er davon ausgegangen, daß diese Regelung nicht eindeutig ist. Mit der Formulierung, daß die AO 54 noch für einen bestimmten Zeitraum anzuwenden ist, ist auch ein Verständnis der Norm vereinbar, demzufolge in der Zeit ihrer Anwendbarkeit entstandene Vollansprüche aus der AO 54 erhalten bleiben, aber in der Zeit nach dem 31. Dezember 1991 ein Rechtserwerb ausgeschlossen werden soll. Für dieses Verständnis der Bestimmung des Einigungsvertrages hat sich der Senat im Hinblick darauf entschieden, daß eine Beseitigung von im Arbeitsverhältnis bereits vollständig erdienten betriebsrentenähnlichen Ansprüchen angesichts des hier zu berücksichtigenden Bestandsschutz- und Vertrauensinteresses einer klaren und eindeutigen gesetzlichen Regelung bedurft hätte. Eine solche Regelung enthält der Einigungsvertrag nicht.
2. Der Senat sieht keinen Anlaß, von dieser Rechtsprechung abzuweichen.
a) Gegen die Annahme des Senats in seinem Urteil vom 27. Februar 1996, einmal entstandene Zusatzversorgungsansprüche bestünden über den 31. Dezember 1991 hinaus fort, hat Trappehl im wesentlichen eingewandt: Die Rechte aus der AO 54 seien zu Unrecht dem Bereich betrieblicher Leistungen zugeordnet und im Ergebnis den betriebsrentenrechtlichen Grundsätzen des Rechts der Bundesrepublik Deutschland unterworfen worden. Diese Einwände überzeugen den Senat nicht.
Bereits in seinem Beschluß vom 29. April 1994 (BAGE 76, 343 = AP Nr. 26 zu § 2 ArbGG 1979) hat der Senat im einzelnen begründet, daß es sich bei Streitigkeiten um Rechte aus der AO 54 um bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer aus dem Arbeitsverhältnis und nicht etwa um staatliches Sozialversicherungsrecht handelt. Er hat dies zunächst aus den einschlägigen Normen des Rechts der DDR entnommen: Nach § 10 AO 54 wurde dem Mitarbeiter die Zusatzversorgung aus Anlaß des Arbeitsverhältnisses gewährt. Die Betriebe hatten die Mittel für diese Leistungen aufzubringen und in den Betriebsplan aufzunehmen. Der Betriebsleiter, nicht die staatliche Sozialversicherung waren für die Durchführung der AO 54 verantwortlich (§ 11 Abs. 1 AO 54). Streitigkeiten über den Grund oder die Höhe von Zusatzrenten nach der AO 54 waren von den Konfliktkommissionen im Betrieb zu entscheiden (§ 12 AO 54), die für die Entscheidung von Arbeitsstreitigkeiten zuständig waren (§ 297 AGB-DDR), und nicht von den Beschwerdekommissionen für Sozialversicherung. Schließlich sprach für die Zuordnung zum Arbeitsrecht auch die Verpflichtung, Voraussetzungen und Inhalt der Zusagen in die Arbeitsverträge und Betriebskollektivverträge aufzunehmen (§ 42 AGB-DDR). Bei der Bewertung der Rechte aus der AO 54 hat der Senat nicht die Besonderheiten übersehen, die sich aus dem planwirtschaftlichen System der DDR ergaben. Sie waren aber angesichts des gesamten Regelungskomplexes nicht ausreichend, anstelle von betrieblichen und arbeitsrechtlichen Ansprüchen von sozialversicherungsrechtlichen Rechtspositionen auszugehen.
Am arbeitsrechtlichen Charakter der Ansprüche aus der AO 54 hat die Regelung im Einigungsvertrag nichts geändert. Hierfür reichte die systematische Zuordnung der einschlägigen Regelung in den Bereich des Rechts der Sozialversicherung nicht aus, da der Einigungsvertrag gleichzeitig die Zahlungsverpflichtung aus der AO 54 – ohne staatliche Refinanzierung – beim Arbeitgeber beließ und von der AO 54 abweichende Regelungen durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung zuließ.
Aus der Bewertung der Ansprüche nach der AO 54 als betriebliche Zusatzleistung hat der Senat in seinem Urteil vom 27. Februar 1996 entgegen der Auffassung Trappehls nicht geschlossen, daß die Grundsätze des überkommenen Betriebsrentenrechts der Bundesrepublik Deutschland auf die nach Maßgabe der AO 54 entstandenen Rechte Anwendung finden. Die Regelung in der Anlage II Kap. VIII Sachgeb. H Abschn. III Nr. 4 a zum Einigungsvertrag muß lediglich vor dem Hintergrund ausgelegt werden, daß für den der Vertragspartner des Einigungsvertrages, dessen Recht im wesentlichen in Zukunft maßgeblich sein sollte, die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes im Recht der betrieblichen Versorgungsleistungen eine besondere Bedeutung haben. Angesichts dessen mußte erwartet werden, daß die Vertragsparteien des Einigungsvertrages einen von ihnen gewollten Eingriff in entstandene Rechtsansprüche auf Versorgungsleistungen deutlich zum Ausdruck bringen würden. Dies ist in der einschlägigen Regelung im Einigungsvertrag nicht geschehen. Daraus rechtfertigt sich die Annahme, daß die Entscheidung, die AO 54 bis zum 31. Dezember 1991 gelten zu lassen, zugleich auch bedeuten sollte, daß bis dahin entstandene Ansprüche auf Dauer bestehen bleiben sollten.
b) Der im Einigungsvertrag angeordnete Wegfall der Rechtsgrundlage für Ansprüche aus der AO 54 ab dem 1. Januar 1992 muß danach aber auf der anderen Seite auch zur Folge haben, daß ab diesem Zeitpunkt Rechte aus der AO 54 nicht mehr entstehen können. Die Voraussetzungen einer nicht mehr existierenden Norm können nicht erfüllt werden. Arbeitnehmer, die bis zum 31. Dezember 1991 nicht sämtliche Voraussetzungen für einen Anspruch aus der zu diesem Zeitpunkt außer Kraft getretenen AO 54 erfüllt haben, können sie nicht mehr erfüllen. Wer also bis zum 31. Dezember 1991 nicht aus dem Arbeitsverhältnis in den gesetzlichen Ruhestand gewechselt war, wie dies beim Kläger der Fall war, der hat auch keinen Anspruch auf betriebliche Zusatzleistungen.
3. Entgegen der Auffassung des Klägers gibt es auch keine Rechtsgrundlage dafür, für die bis zum 31. Dezember 1991 zurückgelegte Zeit der Betriebszugehörigkeit eine Teilrente zuzuerkennen. Die Unverfallbarkeitsrechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aus der Zeit vor der Geltung des Betriebsrentengesetzes (BAGE 24, 177 = AP Nr. 156 zu § 242 BGB Ruhegehalt) ist auf die Rechte aus der AO 54 nicht anzuwenden (a.A. Griebeling, Betriebliche Altersversorgung, Rz 916, 919).
Was die AO 54 angeht, ordnet der Einigungsvertrag eine zeitlich begrenzte Fortgeltung des Rechts der DDR an. Dieses Recht kennt die Möglichkeit nicht, durch längere Betriebstreue schon vor Erfüllung aller Anspruchsvoraussetzungen eine unentziehbare Rechtsposition zu erwerben. Wer die Verbleibebedingung bis zum Erhalt der gesetzlichen Rente nicht erfüllt, erwirbt nach dem Recht der DDR keinen Zusatzversorgungsanspruch.
Das Betriebsrentenrecht der Bundesrepublik Deutschland nach dem Gesetz über die Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung ist auf betriebliche Versorgungsansprüche nur anzuwenden, wenn es auf Versorgungszusagen aus der Zeit nach dem 31. Dezember 1991 zurückgeht (Anl. I Kap. VIII Sachgeb. A Abschn. III Nr. 16 zum EV). Damit ist zugleich auch die vorgesetzliche Unverfallbarkeitsrechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts unanwendbar. Das Betriebsrentengesetz ist 1973 abschließend an dessen Stelle getreten. Damit bleibt es bei einer klaren Trennung der anwendbaren Rechtsordnungen: Bis zum 31. Dezember 1991 galt das Recht der DDR umfassend für die Ansprüche aus der AO 54. Es verdrängte bis dahin das Recht der Bundesrepublik Deutschland. Rechte konnten nur erworben werden, soweit das Recht der DDR dies vorsah. Hierzu zählten unverfallbare Anwartschaften nicht. Das überkommene Betriebsrentenrecht der Bundesrepublik Deutschland gilt insgesamt erst für neue Versorgungszusagen ab dem 1. Januar 1992.
Eine solche Aufteilung war den Vertragspartnern des Einigungsvertrages möglich. Sie ist auch verbindlich, weil damit aus der Sicht der heutigen Rechtslage keine unerträglichen Ergebnisse geschaffen wurden. Die Wertungen, welche die Unverfallbarkeitsrechtsprechung und die entsprechende Gesetzgebung maßgeblich tragen, spielen für den Kläger und die aus der AO 54 berechtigten Arbeitnehmer erst seit dem 3. Oktober 1990 eine Rolle. Von diesem Zeitpunkt an konnten bis zum 31. Dezember 1991 keine Zeiten zurückgelegt werden, die das Vertrauen darauf begründen konnten, man werde aufgrund seiner Betriebstreue eine unentziehbare Rechtsposition erwerben. In der vorherigen Zeit war das Arbeitsverhältnis des Klägers und vergleichbarer Arbeitnehmer von grundsätzlich anderen Wertungen geprägt, die den vorzeitigen Erwerb nicht entziehbarer Rechtspositionen nicht vorsahen. Hierin liegt keine derart tiefgreifende Ungerechtigkeit, daß deshalb die Aufteilung der zeitlichen Geltungsbereiche der anwendbaren Rechtsnormen durch den Einigungsvertrag durchbrochen und durch richterliche Entscheidung eine unverfallbare Rechtsposition geschaffen werden müßte. Die grundlegenden Änderungen, die die Privatisierung der Wirtschaft auf dem Gebiet der früheren DDR mit sich bringen mußte, die erheblichen wirtschaftlichen Belastungen, die mit dieser Änderung des Wirtschaftssystems erkennbar verbunden sein würden, und die im Verhältnis zur Rechtslage der DDR um einiges günstigere gesetzliche Altersversorgung rechtfertigen es, daß der Einigungsvertrag keine Rücksicht auf bis zum 31. Dezember 1991 entstandene bloße Erwerbschancen nimmt.
III. Der Kläger hat die Kosten seiner erfolglosen Revision nach § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.
Unterschriften
Dr. Heither, Kremhelmer, Bepler G., Hauschild, Kaiser
Fundstellen