Entscheidungsstichwort (Thema)
Versorgungsaussicht nach Eintritt der Erwerbsunfähigkeit
Normenkette
BetrAVG § 1; BGB § 242; ZPO § 256
Verfahrensgang
LAG Köln (Urteil vom 31.10.1984; Aktenzeichen 2 Sa 657/84) |
ArbG Bonn (Urteil vom 21.05.1984; Aktenzeichen 2 (3) Ca 755/84) |
Tenor
1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 31. Oktober 1984 – 2 Sa 657/84 – wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der im Jahre 1932 geborene Kläger war vom Januar 1971 bis Ende 1983 als Pförtner bei den G.-Werken beschäftigt. Mit Bescheid vom 11. Oktober 1983 bewilligte ihm die Landesversicherungsanstalt eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 1. August 1983.
Die G.-Werke gewähren aufgrund einer Betriebsvereinbarung vom 3. Dezember 1979 Leistungen der betrieblichen Altersversorgung über eine Unterstützungskasse, die Beklagte. In deren Richtlinien heißt es:
I. 1) Voraussetzungen für die Versorgungsleistungen
Die Gewährung der Leistungen der Unterstützungskasse setzt voraus, daß der Betriebsangehörige bei Eintritt des Versorgungsfalles seine Wartezeit von 15 Jahren erfüllt hat.
Der Versorgungsfall tritt ein bei Erreichen der Altersgrenze, bei Erwerbsunfähigkeit oder Tod.
…
2) Besondere allgemeine Voraussetzungen für Versorgungsleistungen
Altersrente wird den Betriebsangehörigen gewährt, die das 65. Lebensjahr vollendet haben und aus der Firma ausgeschieden sind.
Wird Altersruhegeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung bereits vor Vollendung des 65. Lebensjahres bezogen, so wird den Betriebsangehörigen auf Antrag die betriebliche Altersrente von diesem früheren Zeitpunkt an gewährt, sofern er dann schon die Wartezeit erfüllt hat.
In diesem Fall wird die betriebliche Altersrente für jeden Monat der vorzeitigen Inanspruchnahme für ihre gesamte Laufzeit um 0,5 % ihres Betrages gekürzt.
…
3) Besondere Voraussetzungen für die Invalidenrente
Invalidenrente erhalten Betriebsangehörige, die wegen Erwerbsunfähigkeit im Sinne des § 1247 Reichsversicherungsordnung bzw. § 24 Angestelltenversicherungsgesetz aus der Firma ausgeschieden sind.
…
Einen Antrag des Klägers, ihm betriebliche Erwerbsunfähigkeitsrente und hilfsweise bei Erreichen des 65. Lebensjahres Altersrente zu gewähren, lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, er habe bis zum Eintritt eines Versicherungsfalles die 15jährige Wartezeit nicht erfüllt. Nach Eintritt der Erwerbsunfähigkeit könne diese auch nicht mehr wegen des Altersruhegeldes laufen.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ihm stehe Erwerbsunfähigkeitsrente, zumindest aber Altersruhegeld bei Erreichen des 65. Lebensjahres zu. Die Beklagte gewähre in vergleichbaren Fällen auch Altersrenten. Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses habe ihm der Personalleiter der G.-Werke Altersrente zugesagt. Zwei weitere Arbeitnehmer, die unter vergleichbaren Voraussetzungen ausgeschieden seien, erhielten Altersruhegeld.
Mit der Klage verlangt der Kläger zunächst Erwerbsunfähigkeitsrente für die Zeit ab 1. Dezember 1983 und hilfsweise Feststellung seiner Versorgungsanwartschaft.
Der Kläger hat beantragt,
- die Beklagte zu verurteilen, an ihn 485,79 DM nebst 4 % Zinsen ab 15. März 1984 zu zahlen sowie fortlaufend mit Wirkung vom 1. März 1984 monatlich 161,93 DM;
- hilfsweise festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, ab 1. Juni 1997 Leistungen in Höhe von 138,45 DM monatlich zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geleugnet, zur Zahlung irgendwelcher Renten verpflichtet zu sein. Sie hat bestritten, daß dem Kläger eine besondere Zusage erteilt worden sei oder sie in vergleichbaren Fällen Altersruhegeld gewähre.
Das Arbeitsgericht hat den Klageantrag zu 1. abgewiesen und dem Hilfsantrag stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert und festgestellt, daß der Kläger eine unverfallbare Versorgungsanwartschaft auf Altersruhegeld in satzungsmäßiger Höhe hat, zahlbar ab 1. Juni 1997. Die weitergehende Klage hat es abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Dem Kläger steht eine Anwartschaft auf Altersrente zu.
I. Die Klage, mit der der Kläger die Feststellung seines Anwartschaftsrechts begehrt, ist zulässig. Nach § 256 ZPO kann auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses Klage erhoben werden, wenn der Kläger hieran ein berechtigtes Interesse hat. Der Kläger begehrt die Feststellung seiner Anspruchsberechtigung, also eines Rechtsverhältnisses. An dessen Feststellung hat er ein rechtliches Interesse, da von dem Ausgang des Rechtsstreits die Höhe seines Lebensstandards nach Erreichen der Altersgrenze abhängt. Der Beklagten kann nicht gefolgt werden, wenn sie die Rechtsauffassung vertritt, die Feststellungsklage sei im Verhältnis zu einer Leistungsklage subsidiär und der Kläger könne bereits jetzt auf Versorgungsleistungen klagen. Der Kläger hat das Lebensalter, in dem vorgezogene Altersrenten beantragt werden können, noch nicht erreicht. Es bleibt ihm unbenommen, bei Erreichen der Altersgrenze vorgezogenes Ruhegeld zu beanspruchen und versicherungsmathematische Abschläge in Kauf zu nehmen oder das 65. Lebensjahr abzuwarten. Insoweit ist die Feststellungsklage der richtige und geeignete Weg festzustellen, ob dem Kläger eine unverfallbare Versorgungsanwartschaft zusteht.
II. Der Kläger hat eine unverfallbare Versorgungsaussicht auf Gewährung betrieblicher Altersrente.
1. Nach Abschnitt I Nr. 1 der Richtlinien der Unterstützungskasse ist Voraussetzung der Gewährung von Betriebsrente, daß der Betriebsangehörige der G.-Werke eine Wartezeit von 15 Jahren zurückgelegt hat und ein Versorgungsfall eintritt. Versorgungsfall ist das Erreichen der Altersgrenze oder die Erwerbsunfähigkeit. Das 65. Lebensjahr erreicht der Kläger am 8. Mai 1997. Bis zu diesem Zeitpunkt hat er die Wartezeit von 15 Jahren zurückgelegt. Freilich war er bis zu seiner Erwerbsunfähigkeit nur rd. zwölf Jahre beschäftigt. Der Kläger konnte aber die Wartezeit noch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Jahre 1983 zurücklegen.
2. Der Kläger besaß bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine unverfallbare Versorgungsaussicht. Nach § 1 Abs. 4 Satz 1 BetrAVG i. Verb. m. § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG wird eine Versorgungsaussicht gegenüber einer Betriebsunterstützungskasse unverfallbar, wenn das Arbeitsverhältnis des Betriebsangehörigen vor Eintritt des Versorgungsfalles endet und er zu diesem Zeitpunkt das 35. Lebensjahr vollendet hat sowie weiterhin die Versorgungszusage für ihn zehn Jahre bestanden hat. Der Kläger war bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses 51 Jahre. Er besaß seit mehr als zehn Jahren eine Versorgungszusage. Die Versorgung richtet sich nach Leistungsrichtlinien vom 3. Dezember 1979, die bereits solche vom 1. Januar 1970 abgelöst haben, wonach sämtliche Betriebsangehörige versorgungsberechtigt waren. Scheidet ein Arbeitnehmer aber mit einer unverfallbaren Versorgungsaussicht aus, so kann nach § 1 Abs. 1 Satz 5 BetrAVG die Wartefrist, von deren Ablauf der Versorgungsanspruch abhängt, noch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses enden. Dies hat das Landesarbeitsgericht richtig erkannt.
3. Die Beklagte irrt, wenn sie die Rechtsauffassung vertritt, daß die Wartezeit auf Altersruhegeld nach Eintritt der Erwerbsunfähigkeit nicht mehr ablaufen kann.
a) Aus den Leistungsrichtlinien der Beklagten ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, daß der Eintritt der Erwerbsunfähigkeit die Entstehung eines Anspruches auf betriebliche Altersversorgung ausschließt. In Abschnitt I Nr. 1 der Leistungsrichtlinien werden die Leistungsvoraussetzungen für das betriebliche Ruhegeld oder eine betriebliche Erwerbsunfähigkeitsrente eigenständig nebeneinander geregelt. Die verschiedenen Rentenarten sind in ihren Entstehungsvoraussetzungen voneinander unabhängig, so daß grundsätzlich dann, wenn eine bestimmte Rentenart nicht erwächst, gleichwohl die andere noch erwachsen kann. Nach dem Ende der Frist, von deren Ablauf die Unverfallbarkeit abhängt, hat der Arbeitnehmer alles getan, was für die Entstehung eines Anspruches auf betriebliche Altersrente notwendig ist. Es kann daher keine Rolle spielen, ob er danach noch leistungsfähig ist, in einem anderen Arbeitsverhältnis beschäftigt wird, arbeitslos wird oder gar bereits erwerbsunfähig ist. Dies entspricht auch der durchaus herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum (BAG, Urteil vom 9. November 1973 – 3 AZR 66/73 – AP Nr. 163 zu § 242 BGB Ruhegehalt, zu II der Gründe; Blomeyer/Otto, BetrAVG, § 1 Rz 144; Höhne bei Heubeck/Höhne/Paulsdorff/Rau/Weinert, BetrAVG, 2. Aufl., 1982, § 1 Rz 80 c; alle mit weiterem Nachweis).
b) Der allein abweichenden Meinung von Höfer/Abt vermag der Senat nicht zu folgen. Sie vertreten die Auffassung, daß ein Betriebsangehöriger keine betriebliche Invaliditätsrente verlangen könne, wenn die Versorgungszusage die Leistungen von einer Wartezeit abhängig macht und der Invaliditätsfall bereits während der Wartezeit eintritt. Es entfalle dann aber auch der spätere Anspruch auf Altersruhegeld, weil eine mit Erreichen der Altersgrenze zu erbringende Leistung nichts anderes als eine aufgeschobene Invaliditätsleistung sei, zu der sich der Arbeitgeber leistungsplanmäßig nicht verpflichtet habe (Höfer/Abt, BetrAVG, 2. Aufl., 1982, § 1 Rz 178, 179). Höfer und Abt verkennen, daß die Wartezeit, von deren Ablauf die Entstehung von Ansprüchen abhängt, dem Arbeitgeber das Risiko abnehmen soll, bereits für bestimmte vor Invalidität eintretende Versorgungsfälle einzustehen. Der Arbeitgeber kann sich aber von einer Verpflichtung zur Zahlung der Altersrente bereits dann nicht mehr befreien, wenn die Unverfallbarkeitsfristen abgelaufen sind. Eine Erwerbsunfähigkeitsrente, die mangels Ablaufs der Wartezeit nicht entstehen kann, vermag die erwachsende Altersrente nicht zu verdrängen. Für die Auslegung, eine zugesagte Altersrente sei eine aufgeschobene Invaliditätsrente, besteht keine Möglichkeit.
Zu Unrecht berufen sich Höfer/Abt für ihre gegenteilige Meinung auf die Entscheidung des Senats vom 21. Juni 1979 (BAG, Urteil vom 21. Juni 1979 – 3 AZR 232/78 – AP Nr. 2 zu § 6 BetrAVG). In dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt war überhaupt keine Betriebsrente wegen Erwerbsunfähigkeit vorgesehen. Es stellte sich mithin gar nicht die Frage, ob Renten wegen Erreichen der Altersgrenze und wegen Erwerbsunfähigkeit nebeneinander oder nacheinander erwachsen können.
Unterschriften
Schaub, Griebeling, Dr. Peifer, Dr. Michels, Lichtenstein
Fundstellen