Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachteilsausgleich. Betriebsstilllegung
Leitsatz (redaktionell)
Die Verpflichtung zur Verhandlung über einen Interessenausgleich setzt eine hinreichend bestimmte, in Einzelheiten bereits absehbare Maßnahme voraus, deren Durchführung der Arbeitgeber anstrebt. Art und Umfang der Betriebsänderung müssen bereits bekannt sein.
Normenkette
BetrVG § 111 S. 1, § 113
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 23.06.2015; Aktenzeichen 10 Sa 62/14) |
ArbG Freiburg i. Br. (Urteil vom 21.11.2014; Aktenzeichen 10 Ca 36/14) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 23. Juni 2015 – 10 Sa 62/14 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Revision noch über einen Nachteilsausgleich.
Die vormals unter der Bezeichnung w S GmbH firmierende Beklagte erbrachte am Standort S mit ca. 150 Arbeitnehmern sog. Callcenter-Dienstleistungen. Die Klägerin war bei ihr seit dem 15. Februar 2000 als Kundenbetreuerin zu einem durchschnittlichen monatlichen Bruttoeinkommen iHv. zuletzt 1.500,00 Euro beschäftigt.
Die Beklagte ist 100 %ige Tochtergesellschaft der w GmbH, deren Geschäftsanteile wiederum in alleinigem Eigentum der w Holding GmbH stehen. Neben der Beklagten, in deren Betrieb ein Betriebsrat gewählt war, gehören weitere rechtlich eigenständige Standortgesellschaften zur sog. w Gruppe. Es ist ein Konzernbetriebsrat errichtet.
Einzige Auftraggeberin der Beklagten war die w GmbH, für welche sie Aufträge der (von den Parteien so bezeichneten) Firmen „S” und „D” sowie „P” bearbeitete, wobei letzterer Auftrag im Juni 2013 an eine andere Standortgesellschaft verlagert worden war. Am 24. Juli 2013 beantragte die Beklagte zeitgleich mit der w GmbH, der w Holding GmbH und anderen Standortgesellschaften die Eröffnung des Insolvenzverfahrens unter Anordnung der Eigenverwaltung. Mit Beschluss vom 1. Oktober 2013 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet, Eigenverwaltung nach § 270 Abs. 1 InsO angeordnet und ein Sachwalter bestellt. Dieser zeigte dem Insolvenzgericht am 2. Oktober 2013 Masseunzulänglichkeit an. Etwa zeitgleich wurden Insolvenzverfahren über die Vermögen der w GmbH, der w Holding GmbH und diverser Standortgesellschaften eröffnet, welche am 31. Dezember 2013 wieder aufgehoben wurden.
Mitte September 2013 wurden die Belegschaft und der Betriebsrat darüber informiert, dass das Callcenter in S zum 31. Oktober 2013 geschlossen werde. Am 2. Oktober 2013 stellte die Eigenverwaltung zunächst 45 Arbeitnehmer – entgegen ursprünglich unwiderruflich beabsichtigter Freistellungen – widerruflich von der Arbeitspflicht frei. Die Freistellungen wurden sukzessive auf andere Arbeitnehmer ausgeweitet und – jeweils widerruflich – verlängert. In einem Schreiben vom 19. November 2013 teilte die w GmbH als Mieterin der von der Beklagten genutzten Räume der Vermieterin, der G GbR, ua. mit, sie „halte an der am 27.09.2013 ausgesprochenen Kündigung des Mietverhältnisses zum 31.12.2013 fest”. In einer von der Klägerin herangezogenen E-Mail eines Mitarbeiters der w GmbH vom 7. November 2013 mit dem Betreff „Status Abbau S” ist verlautbart, der Betrieb sei zum 31. Oktober 2013 eingestellt. Man habe keinen „IT-Mitarbeiter mehr vor Ort”, am Vortag habe man „mit dem Abbau der IT-Infrastruktur des Standortes” begonnen. Nach unwidersprochen gebliebener Angabe der Beklagten stand der Server bis zum 14. Februar 2014 in S und war in Betrieb.
In einem von der Beklagten im Oktober 2013 eingeleiteten arbeitsgerichtlichen Verfahren einigten sich die Betriebsparteien auf die Einsetzung einer Einigungsstelle, welche am 17. Dezember 2013 das Scheitern des Versuchs eines Interessenausgleichs feststellte. Am 2. Januar 2014 kündigte die Beklagte die Arbeitsverhältnisse mit allen verbliebenen Mitarbeitern, darunter das der Klägerin zum 30. April 2014. Am 3. März 2014 zeigte der Sachwalter der Beklagten dem Insolvenzgericht „rein vorsorglich” die – unter dem 18. März 2014 bekannt gemachte – „erneute drohende Masseunzulänglichkeit” an.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin, soweit für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung, von der Beklagten einen Nachteilsausgleich nach § 113 Abs. 3 iVm. Abs. 1 BetrVG verlangt, dessen Höhe sie ins Ermessen des Gerichts gestellt hat. Sie hat die Auffassung vertreten, wegen eines konzernweiten Sanierungskonzepts seien die Verhandlungen zu einem Interessenausgleich mit dem Konzernbetriebsrat zu führen gewesen. Auch habe die Beklagte mit der Betriebsstilllegung begonnen, ohne zuvor den Versuch eines Interessenausgleichs unternommen zu haben.
Die Klägerin hat – soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse – beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie für den Verlust des Arbeitsplatzes eine Abfindung zu zahlen, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat ua. die Auffassung vertreten, die gegen sie erhobene Leistungsklage sei nach Anzeige der Neumasseunzulänglichkeit unzulässig. Ungeachtet dessen seien die Voraussetzungen für einen Nachteilsausgleichsanspruch nicht erfüllt.
Das Arbeitsgericht hat der Zahlungsklage stattgegeben und auf einen Nachteilsausgleich iHv. 10.625,00 Euro erkannt. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Beklagten den Leistungsantrag als unzulässig abgewiesen und den „im Berufungsverfahren eingeführten Feststellungsantrag als Hilfsantrag zum Klageantrag zu 1.” als unbegründet angesehen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin hauptsächlich die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung und hilfsweise die Feststellung, dass ihr gegen die Insolvenzmasse ein Abfindungsanspruch für den Verlust des Arbeitsplatzes zusteht, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin hat keinen Erfolg. Sie ist zum Teil unzulässig und zum Teil unbegründet.
I. Die gegen die Abweisung des Zahlungsantrags gerichtete Revision ist unzulässig, weil sie nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Form begründet worden ist.
1. Zur ordnungsgemäßen Begründung der Revision gehört gemäß § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO die Angabe der Revisionsgründe. Bei Sachrügen sind diejenigen Umstände zu bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung ergeben soll, § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a ZPO. Die Revisionsbegründung muss den angenommenen Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts dabei in einer Weise aufzeigen, dass Gegenstand und Richtung des Revisionsangriffs erkennbar sind (vgl. BAG 24. Januar 2017 – 1 AZR 774/14 – Rn. 10). Bei Verfahrensrügen müssen nach § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b ZPO die Tatsachen bezeichnet werden, die den Mangel ergeben, auf den sich die Revision stützen will. Dazu muss auch die Kausalität zwischen Verfahrensmangel und Ergebnis des Berufungsurteils dargelegt werden (vgl. BAG 20. April 2016 – 10 AZR 111/15 – Rn. 14, BAGE 155, 44). Nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist können materiell-rechtliche Rügen nachgeschoben werden. Das setzt aber voraus, dass in der fristgerechten Revisionsbegründung zumindest eine ordnungsgemäße Sach- oder Verfahrensrüge erhoben war (BAG 6. Januar 2004 – 9 AZR 680/02 – zu II 1 der Gründe, BAGE 109, 145). Das Nachschieben einer Verfahrensrüge oder ihrer Begründung ist nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist ausgeschlossen (BGH 22. Mai 2014 – IX ZR 95/13 – Rn. 34 mwN).
Hat das Berufungsgericht über mehrere Streitgegenstände mit jeweils eigenständiger Begründung entschieden, muss die Revision für jeden Streitgegenstand begründet werden. Eine solche ist nur entbehrlich, wenn mit der Begründung der Revision über den einen Streitgegenstand zugleich dargelegt ist, dass die Entscheidung über den anderen unrichtig ist. Diese Grundsätze gelten auch, wenn das Berufungsgericht über einen Haupt- und einen (echten) Hilfsantrag entschieden hat (vgl. BAG 25. Mai 2016 – 2 AZR 345/15 – Rn. 17 mwN, BAGE 155, 181).
2. Diesen Erfordernissen wird die Revisionsbegründung vom 27. November 2015 im Hinblick auf den Leistungsantrag, mit dem die Klägerin eine nicht dem Vollstreckungsverbot des § 210 InsO unterliegende Nachteilsausgleichszahlung als eigenständigen Streitgegenstand verfolgt, nicht gerecht.
a) Das Landesarbeitsgericht hat den Zahlungsantrag als unzulässig angesehen, weil er sich zwar auf eine grundsätzlich mit einer Leistungsklage zu verfolgende Neumasseverbindlichkeit iSd. § 209 Abs. 1 Nr. 2 InsO richte, die Beklagte aber im Prozess eine erneute Masseunzulänglichkeit eingewandt habe. Diese stehe unter Berücksichtigung der Beweiserleichterungen des § 287 Abs. 2 ZPO auch fest und habe zur Folge, dass die Klägerin die Neumasseverbindlichkeit nur noch im Wege einer Feststellungsklage verfolgen könne.
b) Hiergegen wendet die Revision ein, das Landesarbeitsgericht habe zum einen gegen § 287 Abs. 2 ZPO verstoßen, weil dessen Voraussetzungen nicht vorgelegen hätten, und zum anderen zu Unrecht eine Beweisaufnahme hinsichtlich der herangezogenen Schätzgrundlage unterlassen. Diesen Ausführungen ist nicht eindeutig zu entnehmen, ob die Revision eine Sach- oder Verfahrensrüge anbringen will. Für die Zulässigkeit einer Sachrüge fehlt es an einer hinreichenden Auseinandersetzung mit den Ausführungen im angefochtenen Urteil. Für die Zulässigkeit einer Verfahrensrüge ist nicht im Einzelnen dargetan, welches wesentliche und entscheidungserhebliche Vorbringen das Landesarbeitsgericht bei seiner Entscheidung übergangen haben soll. Weiter ist nicht dargelegt, zu welchem Beweisthema eine an sich gebotene Beweisaufnahme rechtsfehlerhaft unterlassen worden sein soll und welches Ergebnis diese voraussichtlich gehabt hätte (vgl. zu den Anforderungen BAG 6. Januar 2004 – 9 AZR 680/02 – zu II 3 d aa der Gründe, BAGE 109, 145).
c) Auf den weiteren Einwand, das Berufungsgericht habe gegen die Präklusionsregelungen des § 67 Abs. 2 und Abs. 4 ArbGG verstoßen, indem es bei seiner Annahme einer feststehenden erneuten Masseunzulänglichkeit eine von der Beklagten erst im Berufungsverfahren vorgelegte Aufstellung der Neumasseverbindlichkeiten und ihnen gegenüberstehende Forderungen herangezogen habe, vermag sich die Revision von vornherein nicht zu stützen. Eine fehlerhafte Berücksichtigung von neuem Tatsachenvortrag, der bei richtigem Vorgehen des Berufungsgerichts als verspätet hätte zurückgewiesen werden müssen, kann mit der Revision nicht geltend gemacht werden. Denn Beschleunigungswirkungen, welche die Verfahrensvorschriften des § 67 Abs. 2 und Abs. 4 ArbGG sichern sollen, können ersichtlich nicht mehr eintreten, nachdem das Berufungsgericht dem Vorbringen nachgegangen ist (vgl. GMP/Germelmann 8. Aufl. § 67 Rn. 34).
d) Die weitergehenden Ausführungen in der Revisionsbegründung, es könne nicht auf die bloße erneute Anzeige der Masseunzulänglichkeit gegenüber dem Insolvenzgericht ankommen, stellen schon deshalb keine Auseinandersetzung mit den tragenden Erwägungen zur Abweisung des Antrags zu 1. durch das Landesarbeitsgericht dar, weil dieses – was auch die Revision erkennt – hierauf nicht abgehoben hat.
e) Der Schriftsatz der Revision vom 13. Juni 2017 ist für die Zulässigkeit der Revision unbeachtlich, weil vor dessen Eingang bei Gericht die verlängerte Revisionsbegründungsfrist des § 74 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 ArbGG abgelaufen war.
II. Die gegen die Abweisung des Feststellungsantrags gerichtete Revision ist zulässig, aber unbegründet.
1. Die Revision ist insoweit zulässig. Ihr steht nicht entgegen, dass das Landesarbeitsgericht sich in den Gründen seiner Entscheidung mit einem von der Klägerin nicht explizit gestellten Feststellungsantrag auseinander gesetzt hat. Insoweit hat es offensichtlich den Leistungsantrag als hilfsweisen Feststellungsantrag ausgelegt, was (ausnahmsweise) möglich ist (vgl. dazu BAG 27. März 2007 – 3 AZR 299/06 – Rn. 19). Die Revision greift auch – anders als die Beklagte meint – mit der in ihrer Begründung vom 27. November 2015 ausgeführten materiell-rechtlichen Rüge einer fehlerhaften Anwendung von § 113 Abs. 3 BetrVG die Abweisung des Feststellungsantrags hinreichend an. Dass sie dabei teilweise auf die Argumentation in den Instanzen verweist, ändert nichts an einer ausreichenden Auseinandersetzung mit den die Antragsabweisung tragenden Erwägungen des Landesarbeitsgerichts.
2. In der Sache hat die Revision keinen Erfolg.
a) Allerdings ist das Feststellungsbegehren zulässig. Insbesondere steht ihm der Vorrang der Leistungsklage nicht entgegen. Das folgt schon daraus, dass der Leistungsantrag wegen der hiergegen gerichteten unzulässigen Revision rechtskräftig als unzulässig abgewiesen ist. Im Übrigen macht die Klägerin zwar einen auf § 113 Abs. 3 iVm. Abs. 1 BetrVG gestützten, nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit begründeten Anspruch auf Nachteilsausgleich als sog. Neumasseverbindlichkeit geltend, der regelmäßig im Wege einer Leistungsklage verfolgt werden kann (vgl. BAG 30. Mai 2006 – 1 AZR 25/05 – Rn. 9, BAGE 118, 222). Im Hinblick auf den von der Beklagten erhobenen Einwand, die Insolvenzmasse reiche nicht zur vollständigen Tilgung der Neumasseverbindlichkeiten aus, hat sie ihren Rechtsschutz aber zutreffend (hilfsweise) auf eine Feststellungsklage beschränkt. Das trägt der Rechtsprechung Rechnung, wonach die Neumasseunzulänglichkeit zu Einschränkungen bei der Durchsetzbarkeit von Forderungen führt. Die Leistungsklage eines Neumassegläubigers ist mangels Rechtschutzbedürfnisses unzulässig, wenn er aus der freien Masse nicht befriedigt werden kann, ohne dass daneben die Kosten des Insolvenzverfahrens gedeckt sind (BGH 9. Februar 2012 – IX ZR 75/11 – Rn. 12, BGHZ 192, 322), oder die zu erwirtschaftende Insolvenzmasse nicht ausreicht, um alle Neumassegläubiger voll zu befriedigen (BGH 4. Dezember 2003 – IX ZR 222/02 – zu B II 3 der Gründe). In diesen Fällen ist das Bestehen der Forderung des Neumassegläubigers, jedenfalls wenn eine auf sie entfallende Quote noch nicht feststeht, gerichtlich nur noch festzustellen (zuletzt BAG 23. März 2017 – 6 AZR 264/16 – Rn. 13 mwN).
b) Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat, ist der Antrag unbegründet. Die Klägerin hat keinen gegen die Insolvenzmasse festzustellenden Anspruch auf Nachteilsausgleich nach § 113 Abs. 3 iVm. Abs. 1 BetrVG.
aa) Nach § 113 Abs. 3 iVm. Abs. 1 BetrVG kann ein Arbeitnehmer vom Unternehmer die Zahlung einer Abfindung verlangen, wenn der Unternehmer eine geplante Betriebsänderung nach § 111 BetrVG durchführt, ohne über sie einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben, und infolge der Maßnahme Arbeitnehmer entlassen werden oder andere wirtschaftliche Nachteile erleiden. Ausgelöst werden die betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten des Arbeitgebers nach § 111 BetrVG durch konkrete Planungen über eine Betriebsänderung. Daher setzen die Verhandlungen über einen Interessenausgleich eine hinreichend bestimmte, in Einzelheiten bereits absehbare Maßnahme voraus, deren Durchführung der Arbeitgeber anstrebt. Dazu müssen Art und Umfang der Betriebsänderung bekannt sein (BAG 20. November 2001 – 1 AZR 97/01 – zu I 1 b der Gründe mwN, BAGE 99, 377). Deren Gestaltung soll der zuständige Betriebsrat gezielt beeinflussen können. Hierfür sieht § 111 BetrVG iVm. § 112 BetrVG ein gestuftes Verfahren vor. Es beginnt mit der Information des Betriebsrats über die geplante Betriebsänderung und setzt sich fort mit den Beratungen der Betriebsparteien über deren Einzelheiten und deren Durchführung. Es endet nach § 112 Abs. 2 Satz 2 BetrVG mit der Anrufung der Einigungsstelle, falls die Betriebsparteien keine Einigung über den Interessenausgleich erzielen können (BAG 20. November 2001 – 1 AZR 97/01 – zu I 1 a der Gründe mwN, aaO).
bb) Die Voraussetzungen des § 113 Abs. 3 iVm. Abs. 1 BetrVG sind vorliegend nicht erfüllt. Zwar hat die beklagte Arbeitgeberin ihren Betrieb mit mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern stillgelegt und damit eine Betriebsänderung iSd. § 111 Satz 1 und Satz 3 Nr. 1 BetrVG durchgeführt. Auch ist die Klägerin infolge der Stilllegung entlassen worden. Hingegen hat die Beklagte vor der Durchführung einer Betriebsänderung einen Interessenausgleich iSd. § 113 Abs. 3 iVm. Abs. 1 BetrVG versucht.
(1) Eine Verletzung der betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten des § 111 Satz 1 BetrVG liegt nicht darin, dass die Beklagte den Versuch eines Interessenausgleichs mit dem örtlichen Betriebsrat unternommen hat. Entgegen der Auffassung der Klägerin war dieser und nicht der Konzernbetriebsrat für die nach § 112 Abs. 1 Satz 1 BetrVG zu verhandelnde Vereinbarung über einen Interessenausgleich zuständig.
(a) Nach der Kompetenzzuweisung des Betriebsverfassungsgesetzes ist für die Wahrnehmung von Mitbestimmungsrechten in erster Linie der von den Arbeitnehmern unmittelbar durch Wahl legitimierte Betriebsrat zuständig. Diese Aufgabe weist § 58 Abs. 1 Satz 1 BetrVG dem Konzernbetriebsrat nur für den Fall zu, dass die zu regelnde Angelegenheit nicht auf das einzelne Unternehmen beschränkt ist und deshalb die Interessen der Arbeitnehmer nicht mehr auf der Ebene des Unternehmens gewahrt werden können (BAG 13. Dezember 2016 – 1 AZR 148/15 – Rn. 25).
(b) Ob eine originäre Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats im Zusammenhang mit Betriebsänderungen nach § 111 BetrVG in Form einer Betriebsschließung und den damit verknüpften Beteiligungsrechten überhaupt eröffnet sein kann, muss nicht entschieden werden (offenlassend auch BAG 11. Dezember 2001 – 1 AZR 193/01 – zu II 1 d der Gründe, BAGE 100, 60). Denn bereits der Sachvortrag der Klägerin zu einer Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats trägt die von ihr erstrebte Rechtsfolge nicht.
(aa) Sollte die Klägerin in dem von ihr behaupteten konzernweiten Sanierungskonzept den Beginn einer irreversiblen Durchführung einer Betriebsänderung sehen, wäre die Begründung eines Nachteilsausgleichs als Neumasseverbindlichkeit schon nicht schlüssig vorgetragen. Nach ihrem eigenen Vorbringen handelte es sich hierbei um ein betriebsverfassungswidriges Verhalten vor der Insolvenzeröffnung. Ein solches bedingte die insolvenzrechtliche Einordnung des Nachteilsausgleichs als Insolvenzforderung. Ein solcher Anspruch könnte nicht Gegenstand des Feststellungsantrags sein.
(bb) Auch das bloße Berufen auf ein Sanierungskonzept ist nicht zur Begründung eines Nachteilsausgleichs iSv. § 113 Abs. 3 BetrVG geeignet. Ein solches vermag lediglich Art und Inhalt geplanter Betriebsänderungen zu bestimmen und damit den Gegenstand für die von den zuständigen Betriebsparteien zu führenden Verhandlungen vorgeben. Das Beteiligungsrecht des Betriebsrats knüpft nach § 111 BetrVG an geplante Betriebsänderungen an und nicht bereits an die Erstellung des Plans. Bis zur konkreten Umsetzung einer Planung sind die hierfür Verantwortlichen regelmäßig weder aus Rechtsgründen noch faktisch gehindert, den sich aus den Verhandlungen über den Interessenausgleich ergebenden Alternativen nachzugehen (vgl. BAG 20. November 2001 – 1 AZR 97/01 – zu I 1 c der Gründe mwN, BAGE 99, 377).
(cc) Ginge man – mit der Klägerin – von einer Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats aus, hätte eine Verhandlungspflicht für einen konzernweiten Interessenausgleich auch nicht die auf Nachteilsausgleich in Anspruch genommene beklagte Arbeitgeberin, sondern die Konzernspitze betroffen, bei der ein Konzernbetriebsrat errichtet ist. Diese und nicht ein einzelnes Konzernunternehmen ist nach dem Betriebsverfassungsgesetz Verhandlungspartner des Konzernbetriebsrats und hätte für eigenes betriebsverfassungswidriges Verhalten einzustehen (Wißmann FS 25 Jahre ARGE Arbeitsrecht im DAV S. 1037, 1046 f.).
(dd) Hingegen ist für eine – wie hier – vorliegende ausschließlich betriebsbezogene Betriebsänderung der örtliche Betriebsrat zuständig; für eine betriebsübergreifende der Gesamtbetriebsrat. Deren Partner zur Verhandlung eines Interessenausgleichs ist jeweils das Unternehmen, das zugleich Betriebsarbeitgeber ist und das die konkrete Betriebsänderung letztlich durchführt und nur für eigenes betriebsverfassungswidriges Verhalten zu haften hat (Fitting 28. Aufl. § 58 Rn. 15 mwN). Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts kommt es daher nicht darauf an, ob eine Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats für Interessenausgleichsverhandlungen spätestens mit Eröffnung der Insolvenz über das Vermögen der Beklagten unter Anordnung der Eigenverwaltung geendet hätte.
(2) Im Übrigen ist das Landesarbeitsgericht frei von Rechtsfehlern davon ausgegangen, dass die beklagte Arbeitgeberin vor dem am 17. Dezember 2013 durch die Einigungsstelle als gescheitert festgestellten Versuch eines Interessenausgleichs keine irreversiblen Maßnahmen zur Durchführung der Betriebsänderung ergriffen hat.
(a) Eine Betriebsänderung in Form der Stilllegung besteht in der Aufgabe des Betriebszwecks unter gleichzeitiger Auflösung der Betriebsorganisation für unbestimmte, nicht nur vorübergehende Zeit. Ihre Umsetzung erfolgt, sobald der Unternehmer unumkehrbare Maßnahmen zur Auflösung der betrieblichen Organisation ergreift und damit vollendete Tatsachen schafft. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn er die bestehenden Arbeitsverhältnisse zum Zwecke der Betriebsstilllegung kündigt (BAG 14. April 2015 – 1 AZR 794/13 – Rn. 22 mwN).
(b) Von unumkehrbaren Maßnahmen zur Betriebsauflösung ist vor dem Ausspruch der Kündigungen der Arbeitsverhältnisse aller (noch verbliebenen) Arbeitnehmer am 2. Januar 2014 nicht auszugehen.
(aa) In der tatsächlichen Einstellung der betrieblichen Tätigkeit der Beklagten liegt keine unumkehrbare Maßnahme. Sie war dem Fehlen von Aufträgen geschuldet. Insoweit hat sich die Klägerin zuletzt nicht mehr auf die Verlagerung des Auftrags der Firma P von der Beklagten auf eine andere Standortgesellschaft berufen. Dieses vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens liegende Ereignis könnte eine streitbefangene Neumasseverbindlichkeit auch nicht begründen. Im Übrigen kann eine betriebliche Tätigkeit grundsätzlich wieder aufgenommen werden. Zwar verweist die Revision zutreffend darauf, dass dies ggf. dann anders zu sehen ist, wenn ein Arbeitgeber etwa durch die Veräußerung von Betriebsmitteln bereits mit der Auflösung der betrieblichen Organisation beginnt (vgl. BAG 30. Mai 2006 – 1 AZR 25/05 – Rn. 20, BAGE 118, 222). Hierfür gibt es aber vorliegend keine tragfähigen Anhaltspunkte. Soweit bereits nach (erster) Anzeige der Masseunzulänglichkeit und vor dem 17. Dezember 2013 damit begonnen worden war, Personalcomputer und andere Betriebsmittel abzubauen und aus den Betriebsräumen zu entfernen, betraf dies nach Vorbringen der Beklagten zum größten Teil von der w GmbH geleaste Hardware, die aus insolvenzrechtlichen Gründen der Masseschonung an diese zurückzugeben war. Das hat die Klägerin nicht in Abrede gestellt, sondern – unter Bezugnahme auf eine E-Mail vom 7. November 2013 – auf den Abtransport von „neuen PCs und TFTs die im Leasing sind” verwiesen. Vor diesem Hintergrund dürfte die Rückführung der geleasten Betriebsmittel an die gleichfalls insolvente w GmbH insolvenzrechtlich geboten, vor allem aber keine Maßnahme der Beklagten gewesen sein. Ungeachtet dessen wird die betriebliche Organisation eines Callcenters weniger durch sächliche Betriebsmittel als durch dessen Mitarbeiter sowie deren Kenntnisse in der Kundenbetreuung geprägt (vgl. dazu auch BAG 25. Juni 2009 – 8 AZR 258/08 –). Mit dem „Abbau der IT-Infrastruktur” wurde daher die betriebliche Organisation nicht irreversibel zerschlagen, zumal der für den Callcenter-Betrieb unerlässliche Server noch bis Februar 2014 vorgehalten war.
(bb) Aus der Kündigung des Mietvertrags über die der Beklagten zur Nutzung überlassenen Räumlichkeiten folgt nichts Anderes. Diese vermag für sich gesehen die begehrte Neumasseverbindlichkeit schon deshalb nicht zu rechtfertigen, weil sie vor der ersten Masseunzulänglichkeitsanzeige (und sogar noch vor der Insolvenzeröffnung) ausgesprochen worden ist. Zudem ist nicht ersichtlich, inwiefern die angemieteten Räumlichkeiten – etwa aufgrund eines besonderen Raumzuschnitts – für den Fortbestand des Betriebs sowie die Möglichkeit der Weiterverfolgung des Betriebszwecks unerlässlich gewesen sein sollen. Schließlich handelt es sich nicht um eine Maßnahme der Beklagten, sondern der w GmbH. Für eine generelle (gegenseitige) Zurechnung von Maßnahmen konzernzugehöriger Unternehmen im Rahmen der §§ 111 ff. BetrVG fehlt es an einer rechtlichen Grundlage (vgl. BAG 14. April 2015 – 1 AZR 794/13 – Rn. 16).
(cc) Auch aus den Freistellungen der Arbeitnehmer lässt sich die von der Klägerin begehrte Rechtsfolge nicht herleiten. Sie sind widerruflich erfolgt, was regelmäßig keine Durchführung der Betriebsstilllegung darstellt (BAG 30. Mai 2006 – 1 AZR 25/05 – Rn. 21 mwN, BAGE 118, 222). Unbeachtlich ist, dass die Beklagte ursprünglich unwiderrufliche Freistellungen beabsichtigte. Entscheidend sind die getroffenen Maßnahmen. Anders als die Klägerin meint, sind die Freistellungen nicht deshalb als faktisch unwiderruflich zu werten, weil sie unter Anrechnung nicht näher spezifizierten Resturlaubs erfolgten. Eine widerrufliche Freistellung führt nicht zur Erfüllung des Urlaubsanspruchs (vgl. BAG 19. Mai 2009 – 9 AZR 433/08 – Rn. 15 ff. mwN, BAGE 131, 30). Sie hat keine inhaltliche Änderung der Maßnahme zur Folge.
Unterschriften
Schmidt, Treber, K. Schmidt, Zorn, Pollert
Fundstellen
Dokument-Index HI11295151 |