Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung nach Einigungsvertrag. mangelnder Bedarf und Auswahlentscheidung
Leitsatz (amtlich)
- Bei einer Kündigung wegen mangelnden Bedarfs nach Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 2 EV hat der öffentliche Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozeß einen Arbeitskräfteüberhang substantiiert darzulegen und im Falle des Bestreitens zu beweisen.
- Für die Beurteilung von Lehrerkündigungen ist der Rahmen maßgebend, in dem der Arbeitgeber Bedarf oder Überhang an einzelnen Schulen durch Versetzung ausgleichen kann und muß (hier: Schulamtsbereich).
- Bei der Prüfung des mangelnden Bedarfs ist nicht darauf abzustellen, welche Fächer und an welcher Schulart ein Lehrer tatsächlich unterrichtet hat. Vielmehr kommt es auf den Beschäftigungsbedarf in den Unterrichtsfächern und in der Schulart an, für die er nach Lehrbefähigung und praktischer Tätigkeit qualifiziert ist. Nur wenn sich der Arbeitgeber im Regelfall selbst nicht an einen Einsatz der Lehrer entsprechend ihrer formell erworbenen Qualifikation hält, kann er dem Lehrer dieses Kriterium für die Bedarfsbestimmung nicht entgegenhalten.
- Ein nur mangelnder, aber nicht völlig fehlender Bedarf erfordert zur Bestimmung, welcher Arbeitnehmer konkret nicht mehr verwendbar ist, eine Auswahlentscheidung des Arbeitgebers.
- Der öffentliche Arbeitgeber muß die Auswahlentscheidung nach vernünftigen, sachlichen Gesichtspunkten treffen (§§ 242, 315 Abs. 1 BGB). Soziale Gesichtspunkte sind hierbei ausreichend zu berücksichtigen. Dienstliche Auswahlbelange des Arbeitgebers und soziale Belange der Arbeitnehmer sind gegeneinander abzuwägen. Ein Vorrang kommt den dienstlichen Interessen nicht zu.
Normenkette
Einigungsvertrag Art. 13, 37 Abs. 1; Einigungsvertrag Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 2; Einigungsvertrag Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet A Abschn. III Nr. 6; KSchG §§ 1, 4 S. 1; BGB §§ 242, 315; GG Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 21. Oktober 1993 – 5 Sa 339/93 – aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung, die der Beklagte auf Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 2 der Anlage I zum Einigungsvertrag (künftig: Abs. 4 Ziff. 2 EV) stützt.
Der im Jahre 1940 geborene Kläger war seit dem 1. August 1959 im Schuldienst der ehemaligen DDR im Kreise L… als Lehrer tätig. Ursprünglich zum Grundschullehrer ausgebildet, qualifizierte er sich im Jahre 1972 durch ein Fernstudium zum Diplom-Lehrer für Biologie, im Jahre 1987 durch ein weiteres Fernstudium zusätzlich zum Diplom-Lehrer für Staatsbürgerkunde. Im Schuljahr 1991/92 unterrichtete er an der Realschule P…, die Fächer Geschichte, Sozialkunde, Sport und Biologie. Der Kläger ist verheiratet. Er war zum Zeitpunkt der Kündigung zwei in der Berufsausbildung stehenden Kindern unterhaltspflichtig.
Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 26. Mai 1992 ordentlich zum 30. September 1992 wegen mangelnden Bedarfs und fehlender persönlicher Eignung.
Am 30. November 1992 trat eine Lehrerin an der Realschule P… in den Vorruhestand. Daraufhin schloß der Beklagte einen auf das Schuljahr 1992/93 befristeten Arbeitsvertrag mit dem Kläger und setzte ihn u.a. wieder in denselben Fächern wie im Schuljahr zuvor ein.
Der Kläger hat geltend gemacht, die Kündigung sei unwirksam. An der Realschule P… habe es keinen Personalüberhang gegeben. Bei Ausspruch der Kündigung sei bekannt gewesen, daß eine Kollegin wegen Inanspruchnahme des Vorruhestandes ausscheiden werde; seine Wiedereinstellung zeige, daß Personalbedarf bestanden habe. Bei der Auswahlentscheidung hätte berücksichtigt werden müssen, daß er für Geschichte, Sozialkunde und Sport tatsächlich eingesetzt worden sei und daß er sich auch mit Erfolg um eine Weiterqualifizierung im Fach Geschichte bemüht habe. Jedenfalls führe eine Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten zur Unwirksamkeit der Kündigung, zumal der Kultusminister gegenüber der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft betont habe, Lehrern über 50 Jahre werde nicht bedarfsbedingt gekündigt.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 26. Mai 1992 nicht aufgelöst worden sei, sondern über den 30. September 1992 hinaus fortbestehe.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat vorgetragen, der fehlende Bedarf ergebe sich daraus, daß der Schulamtsbezirk L… im Grundschulbereich und bei den Fachlehrern für Biologie personell überbesetzt sei. Er habe die Zahl der beschäftigten Lehrkräfte um landesweit 4.270 herabsetzen müssen. Da der Kläger, soweit noch von Interesse, nur zum Grundschul- und Biologielehrer ausgebildet und bloßer Ein-Fach-Lehrer sei, habe die Wahl auf ihn fallen dürfen. Im Rahmen der personellen Auswahl habe auch berücksichtigt werden können, daß der Kläger längere Zeit als Fachberater für Staatsbürgerkunde tätig gewesen sei. Eine Sozialauswahl nach dem Kündigungsschutzgesetz komme dagegen für Bedarfskündigungen nach dem Einigungsvertrag nicht in Betracht. Sie sei gleichwohl vorsorglich vorgenommen worden. Der Versuch, den Kläger in den Zuständigkeitsbereichen der angrenzenden Schulämter unterzubringen, sei mangels Bedarf an Grundschul- und Biologielehrern gescheitert. Ein Angebot zur Teilzeitbeschäftigung habe der Kläger abgelehnt.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht.
A. Das Landesarbeitsgericht hat im wesentlichen ausgeführt, der Kläger sei mangels Bedarf nicht mehr verwendbar. Da Staatsbürgerkunde überhaupt nicht mehr unterrichtet werde, bestehe kein Bedarf mehr an der Arbeitsleistung der ursprünglich hierfür eingestellten Lehrer. Der Beklagte habe aber auch keinen Bedarf mehr an dem Einsatz aller Biologielehrer. Er habe unwidersprochen vorgetragen, daß rechnerisch, bezogen auf den gesamten Schulamtsbereich, 3,41 Biologielehrerstellen mehr besetzt seien als zur Unterrichtsversorgung erforderlich. Es reiche aus, daß das Mißverhältnis zwischen Bedarf und vorhandenem Personal ohne Rücksicht auf die örtlichen Verhältnisse rein rechnerisch nachweisbar sei. Alle weiteren Überlegungen beträfen die Ermessensausübung bei der Auswahl der zu kündigenden Personen. Auf einen mangelnden Bedarf in den Fächern Geschichte und Sozialkunde komme es nicht an. Der Kläger besitze hierfür weder eine Ausbildung, noch sei er für diese Fächer eingestellt worden. Vorübergehende Einsätze in einem anderen Unterrichtsfach könnten keinen Einfluß auf den durch den Kündigungsschutz verbürgten Bestandsschutz des Arbeitsverhältnisses haben. Das möge bei langjährigem Einsatz in einem fremden Unterrichtsfach oder in Fächern, für die typischerweise kaum ausgebildete Lehrer zur Verfügung stünden, anders sein. Hierfür lägen aber keine Anhaltspunkte vor. Zutreffend habe der Beklagte den Kläger auch bei der Personalbedarfsplanung im Bereich der Grundschulen nicht berücksichtigt. Da der letzte Einsatz des Klägers im Grundschulbereich Jahre zurückliege, sei davon auszugehen, daß sich das Arbeitsverhältnis der Parteien auf die Arbeitsaufgabe als Lehrer für Biologie und Staatsbürgerkunde in den mittleren und oberen Klassen konkretisiert habe. Der aufgezeigte Personalüberhang werde nicht durch die befristete Einstellung des Klägers im Schuljahr 1992/93 als Ersatz für Frau K… in Frage gestellt. Diese habe sich in keiner Weise verpflichtet, das Altersübergangsgeld in Anspruch zu nehmen. Sie hätte sich jederzeit anders entscheiden und im Dienst verbleiben können. Außerdem sei Ende Mai 1992 nicht absehbar gewesen, ob die Möglichkeit des Altersübergangs überhaupt verlängert werde. Die Prognoseentscheidung des Beklagten bei Kündigungsausspruch sei daher nicht zu beanstanden.
Die Auswahl des Klägers sei rechtlich fehlerfrei vorgenommen worden. § 1 Abs. 3 KSchG finde keine Anwendung. Die Auswahl müsse aber nach dem Rechtsgedanken der §§ 242, 315 Abs. 1 BGB der Billigkeit entsprechen und dürfe Treu und Glauben nicht widersprechen. Dienstliche Gründe und Belange des Arbeitnehmers seien gegeneinander abzuwägen. Dabei sei von einer Vorrangtendenz dienstlicher Belange auszugehen, die nur durch besonders gewichtige soziale Schutzbelange aufgewogen werden könne. Gemessen daran sei die vorliegende Auswahlentscheidung nicht zu beanstanden. Die Kündigung von Ein-Fach-Lehrern erfolge im berechtigten dienstlichen Interesse. Ein-Fach-Lehrer seien nicht so flexibel einsetzbar wie Zwei-Fach-Lehrer. Der Landesgesetzgeber habe in § 21 Abs. 2 Schulreformgesetz vorgesehen, daß der Lehrerberuf zukünftig die Ausbildung in zwei Fächern voraussetze. Bei der privaten Weiterbildung des Klägers in den Fächern Geschichte und Sozialkunde handele es sich nicht um einen vom Beklagten anerkannten Abschluß. Wenn der Beklagte geltend mache, er habe kein dienstliches Interesse an der Umschulung ehemaliger Staatsbürgerkundelehrer zu Geschichts- und Sozialkundelehrern, so erscheine das nicht ermessensfehlerhaft. Weder auf den Beklagten noch auf den Lehrer selbst würde es ein positives Licht werfen, wenn der Lehrer nunmehr Werte als positiv darstellen müßte, die er vor der Wende als negativ zu bewerten gehabt habe. Daß der Kläger in den letzten Jahren und sogar noch nach der Kündigung befristet die betreffenden Fächer unterrichtet habe, stehe dieser Erwägung zwar offensichtlich entgegen, mache sie jedoch nicht unzutreffend. Die aus der Übergangszeit resultierenden Notlösungen könnten nicht zum Maßstab genommen werden.
B. Diese Ausführungen halten der revisionsgerichtlichen Überprüfung in einzelnen wesentlichen Teilen der Begründung und im Ergebnis nicht stand.
Nach Abs. 4 Ziff. 2 EV ist die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in der öffentlichen Verwaltung auch zulässig, wenn der Arbeitnehmer wegen mangelnden Bedarfs nicht mehr verwendbar ist. Ob diese Voraussetzungen im Streitfalle vorliegen, kann noch nicht abschließend beurteilt werden.
I. Der Kläger war im Schuldienst der ehemaligen DDR und damit in der öffentlichen Verwaltung (Art. 13 Abs. 1 und 3 Nr. 1 EV) tätig.
II.1. Mangelnder Bedarf liegt vor, wenn im betreffenden Arbeitsbereich ein Überhang an Arbeitskräften besteht (Senatsurteile vom 18. März 1993 – 8 AZR 331/92 – AP Nr. 20 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu II 3 der Gründe; vom 16. Dezember 1993 – 8 AZR 126/93 – n.v., zu B V der Gründe; vom 20. Januar 1994 – 8 AZR 24/93 – n.v., zu B II 2 der Gründe; vom 26. Mai 1994 – 8 AZR 714/92 – zur Veröffentlichung vorgesehen, zu C I 3 der Gründe; vom 26. Mai 1994 – 8 AZR 168/93 – n.v., zu B II 3 der Gründe). Dieser Kräfteüberhang muß sich konkret auf das Tätigkeitsfeld des zu kündigenden Arbeitnehmers auswirken. Insoweit gelten im wesentlichen dieselben Maßstäbe wie bei Kündigungen, die aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG ausgesprochen werden (hierzu grundlegend BAG Urteil vom 7. Dezember 1978 – 2 AZR 155/77 – BAGE 31, 157 = AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; vom 24. Oktober 1979 – 2 AZR 940/77 – BAGE 32, 150 = AP Nr. 8 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündiging; vom 15. Juni 1989 – 2 AZR 600/88 – AP Nr. 45 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; vom 19. Juni 1991 – 2 AZR 127/91 – AP Nr. 53 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung). Der nachvollziehbar prognostizierte Bedarf an bestimmten Arbeitnehmern ist der Anzahl der vorhandenen vergleichbaren Arbeitnehmer entgegenzustellen. Bei der Prüfung des mangelnden Bedarfs ist nicht darauf abzustellen, welche Fächer und an welcher Schulart der Lehrer tatsächlich unterrichtet hat. Vielmehr kommt es auf den Beschäftigungsbedarf in den Unterrichtsfächern und in der Schulart an, für die er nach Lehrbefähigung und praktischer Tätigkeit qualifiziert ist. Die Schulbehörden sind nicht gehalten, einen Lehrer auf Dauer fachfremd einzusetzen oder ihm im Wege der Nachqualifizierung eine zusätzliche Lehrbefähigung zu verschaffen. Für einen nichtqualifizierten Lehrer besteht insofern kein Beschäftigungsbedarf (Senatsurteil vom 4. November 1993 – 8 AZR 127/93 – AP Nr. 18 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu B IV 1 der Gründe).
2.a) Das Landesarbeitsgericht hat von diesen Grundsätzen ausgehend zunächst rechtsfehlerfrei ausgeführt, es habe kein Bedarf mehr an Lehrern für Staatsbürgerkunde bestanden. Da dieses Fach nicht mehr unterrichtet wird, ist der Bedarf insoweit vollständig weggefallen.
b) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, es habe einen mangelnden Bedarf an Biologielehrern gegeben, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Der Beklagte hatte substantiiert darzulegen und im Streitfalle zu beweisen, daß ein entsprechender Arbeitskräfteüberhang bestand Einer besonderen Darlegung der inner- oder außerbetrieblichen Ursachen bedurfte es nicht. Für die Beurteilung ist die Situation im Schulamtsbereich maßgebend, weil der Beklagte in diesem Rahmen Bedarf oder Überhang an einzelnen Schulen durch Versetzungen ausgleichen kann und muß. Die Bedarfslage an den einzelnen Schulen ist demgegenüber zufällig; sie vermittelt kein zutreffendes Bild des wirklichen Bedarfs beim Beklagten. Andererseits wäre eine ausschließlich landesweite Berechnung schon deshalb ungeeignet, weil der Beklagte die Lehrer nicht landesweit beliebig einsetzen kann (vgl. auch BAG Urteile vom 17. Mai 1984 – 2 AZR 109/83 – BAGE 46, 191 = AP Nr. 21 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, zu C II, III der Gründe; vom 23. August 1984 – 2 AZR 390/83 – n.v., zu III 2 der Gründe; ferner Urteil vom 30. Mai 1985 – 2 AZR 321/84 – AP Nr. 24 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, zu B II 1 der Gründe).
Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, bezogen auf den Schulamtsbereich habe unstreitig ein Personalüberhang von rechnerisch 3,41 Biologielehrern bestanden. An diese Feststellung ist der Senat gebunden (§ 561 Abs. 2 ZPO). Aus ihr folgt, daß der Kündigung des Klägers als Biologielehrer mangelnder Bedarf zugrunde lag.
c) Das Landesarbeitsgericht hat weiter zutreffend erkannt, daß Unterrichtsfächer nicht schon deswegen in die Bedarfsprüfung einzubeziehen sind, weil sie vom Lehrer vor Ausspruch der Kündigung kurzzeitig fachfremd erteilt worden sind. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Lehrer ohne erkennbare Komplikation unterrichtet hat. Durch den nur ein- oder zweijährigen Einsatz eines Lehrers in einem Unterrichtsfach, für das er nicht ausgebildet worden ist, tritt keine Bindung des Arbeitgebers ein, den betreffenden Lehrer künftig dauerhaft entsprechend einsetzen zu müssen. Vielmehr kann der Arbeitgeber in diesen Fällen grundsätzlich zu einem fachspezifischen Einsatz der Lehrer zurückkehren. Die Absicht hierzu dokumentiert er, indem er bei der Bedarfsbestimmung den Bedarf an Fachlehrern ausschließlich mit deren Anzahl vergleicht. Dem steht nicht entgegen, daß auch künftig in Ausnahmefällen fachfremder Unterricht erforderlich werden wird. Nur wenn sich der Beklagte im Regelfall selbst nicht an einen Einsatz der Lehrer entsprechend ihrer formell erworbenen Qualifikation hält, könnte er dem Kläger dieses Kriterium für die Bedarfsbestimmung unter dem Gesichtspunkt eines widersprüchlichen Verhaltens nicht entgegenhalten. Diese Voraussetzung hat der Kläger aber nicht dargelegt. Das Landesarbeitsgericht hat daher zutreffend darauf abgestellt, daß der Kläger für die Fächer Geschichte und Sozialkunde keine (formelle) Unterrichtsbefähigung besessen habe und für diese Fächer nicht eingestellt worden sei. Entsprechendes gilt für Geographie und Sport. Das Landesarbeitsgericht hat gerade nicht festgestellt, der Kläger habe durch langjährigen Unterricht in den genannten Fächern die entsprechende Qualifikation erworben oder das Vertrauen in die Fortsetzung der Praxis fachfremden Unterrichts verdient.
d) Der Senat vermag sich der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht anzuschließen, das Arbeitsverhältnis der Parteien habe sich auf den Unterricht in bestimmten Fächern für mittlere und obere Klassen konkretisiert. Der Kläger ist ausgebildeter Grundschullehrer und war als solcher 13 Jahre lang ausschließlich tätig. Auch wenn er dann seit vielen Jahren nicht mehr in der Unterstufe, sondern in den Klassen 5 – 10 unterrichtet hat, hat er seine Qualifikation für den erstgenannten Bereich dadurch nicht verloren. Es entspricht der vertraglichen Verpflichtung des Lehrers ebenso wie der im Schuldienst geübten Praxis, Lehrer mit mehreren, auch zusätzlich erworbenen Befähigungen nach längerer Zeit wieder entsprechend der ursprünglichen Befähigung einzusetzen. Ganz verschiedene Gründe können dafür maßgebend sein. Auf eine Konkretisierung der Arbeitspflicht darf weder der Lehrer noch der Arbeitgeber vertrauen.
Das Landesarbeitsgericht hätte daher den streitig gebliebenen Vortrag des Beklagten zum mangelnden Bedarf an Grundschullehrern im Schulamtsbereich prüfen müssen. Dieser Vortrag ist nicht von vornherein unschlüssig. Das zwingt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
e) Dagegen hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt, daß der Beklagte einen mangelnden Bedarf zum Kündigungszeitpunkt nicht deswegen fehlerhaft prognostiziert hat, weil das Ausscheiden der Frau K… unberücksichtigt geblieben ist. Die Würdigung, ein Ausscheiden sei nicht hinreichend wahrscheinlich gewesen, weil keine Verpflichtung zur Inanspruchnahme des Altersübergangsgeldes bestanden habe und die Verlängerung der gesetzlichen Grundlage hierfür ungewiß gewesen sei, enthält keine Rechtsfehler. Die Rüge des Klägers verkennt, daß sich die Bedarfsprognose nur nach den Umständen richten kann, die bei Ausspruch der Kündigung bekannt oder hinreichend zuverlässig vorhersehbar gewesen sind (BAG Urteil vom 19. Mai 1988 – 2 AZR 596/87 – BAGE 59, 12, 26 = AP Nr. 75 zu § 613a BGB, zu B V 2b ee der Gründe). Damit kommt auch der vorübergehenden Wiederbeschäftigung des Klägers ab Dezember 1992 keine Bedeutung für die Bedarfsprognose zu.
III.1. Der Kündigungsgrund des Abs. 4 Ziff. 2 EV setzt weiter voraus, daß der Arbeitnehmer wegen des mangelnden Bedarfs nicht mehr verwendbar ist. Infolge des Überhangs an Arbeitskräften muß der Arbeitsbereich gerade des zu kündigenden Arbeitnehmers entfallen sein (Senatsurteile vom 18. März 1993, 4. November 1993, 16. Dezember 1993 und 20. Januar 1994, jeweils aaO). Bei völlig fehlendem Bedarf an Unterricht für ein Fach (z. B. Staatsbürgerkunde) ist jeder Lehrer insoweit nicht mehr verwendbar; es stellt sich lediglich noch die Frage einer anderweitigen Verwendbarkeit. Bei einem weiterhin bestehenden, aber wegen Personalüberhang mangelnden Bedarf ist nur ein Teil der zur Verfügung stehenden (Fach-)Lehrer nicht mehr verwendbar. Zur Beantwortung der Frage, welcher Lehrer konkret nicht mehr verwendbar ist, bedarf es einer Auswahlentscheidung des Arbeitgebers; denn dieser darf nur den “überzähligen” Lehrern kündigen, für die übrigen Lehrer besteht weiterhin Verwendung.
2. Der Senat schließt sich der Auffassung des Landesarbeitsgerichts an, daß § 1 Abs. 3 KSchG auf die erforderliche Auswahlentscheidung keine Anwendung findet (ebenso u.a. Scholz, BB 1991, 2515, 2519; a.A. u.a. Weiss/Kreuder, AuR 1994, 12, 18; vgl. ferner die Darstellung des Streitstandes im Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 1993 – 1 BvR 107/93 und 152/93 – AP Nr. 7 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, zu II 2b der Gründe; vermittelnd u.a. Ascheid, Kündigungsschutzrecht, 1993, Rz 857 a.E.; ders., NZA 1993, 97, 103).
a) Abs. 4 EV ersetzt in seinem Regelungsbereich die allgemeinen Vorschriften des § 1 KSchG. Die Maßgaben des Abs. 4 EV legen sachliche Gründe fest, aus denen eine ordentliche Kündigung unabhängig von § 1 KSchG möglich ist (Senatsurteile vom 24. September 1992 – 8 AZR 557/91 – AP Nr. 3 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu I 3 der Gründe; vom 18. März 1993 – 8 AZR 356/92 – AP Nr. 12 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu B I 2 der Gründe; vom 26. August 1993 – 8 AZR 561/92 – AP Nr. 8 zu Art. 20 Einigungsvertrag, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu B II 4a der Gründe; vom 23. September 1993 – 8 AZR 262/92 – AP Nr. 9 zu Art. 20 Einigungsvertrag, zu II 1 der Gründe; vom 16. März 1994 – 8 AZR 688/92 – AP Nr. 21 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu II 3b aa der Gründe; vom 28. April 1994 – 8 AZR 209/93 – AP Nr. 12 zu Art. 20 Einigungsvertrag, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu I 2b aa der Gründe). § 1 Abs. 3 KSchG bezieht sich demgegenüber schon nach seinem Wortlaut nur auf betriebsbedingte Kündigungen im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG. Eine Verweisung auf § 1 Abs. 3 KSchG ist in Abs. 4 EV unterblieben. Zu den sachlichen die Kündigung insgesamt rechtfertigenden Gründen nach Abs. 4 Ziff. 2 EV gehört auch die Frage der Verwendbarkeit und damit die Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers. Die Bestimmung konkretisiert damit nicht etwa nur den Begriff der dringenden betrieblichen Erfordernisse, sondern stellt eine eigenständige und abschließende Regelung zur Rechtfertigung der Kündigung auch im Hinblick auf § 1 Abs. 3 KSchG dar. Das entspricht dem Zweck der Vorschrift, im vielfach überbesetzten öffentlichen Dienst der ehemaligen DDR die Trennung von nicht mehr benötigten Arbeitnehmern zu erleichtern, Personal einzusparen und den raschen Aufbau einer leistungsfähigen Verwaltung zu gewährleisten. Wollte man in Abs. 4 Ziff. 2 EV nur eine Konkretisierung des § 1 Abs. 2 KSchG sehen, hätte es einer besonderen Regelung kaum bedurft. Zwar ist das Kündigungsschutzgesetz in Anl. I Kap. VIII Sachgeb. A Abschn. III Nr. 6 EV im Beitrittsgebiet mit bestimmten hier nicht weiter interessierenden Maßgaben in Kraft gesetzt worden. Gemäß Anl. I Kap. XIX Sachgeb. A Abschn. III Nr. 1 Abs. 1 EV steht das einer Eigenständigkeit des Sonderkündigungsrechts in Abs. 4 EV aber nicht entgegen.
b) Findet danach § 1 Abs. 3 KSchG auf die Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers bei der Kündigung nach Abs. 4 Ziff. 2 EV keine Anwendung, so unterliegt die Auswahlentscheidung nicht etwa einem freien, der gerichtlichen Überprüfung entzogenen Ermessen des Arbeitgebers. Das Kündigungsschutzgesetz und mit ihm die Verpflichtung zur sozialen Auswahl kann als Konkretisierung des § 242 BGB verstanden werden (vgl. Hueck/von Hoyningen-Huene, Kündigungsschutzgesetz, 11. Aufl., Einleitung Rz 25, 76, § 13 Rz 88; Herschel/Löwisch, Kündigungsschutzgesetz, 6. Aufl., Rz 41 ff. vor § 1; KR-Friedrich, 3. Aufl., § 13 KSchG Rz 229 ff., 232; Ascheid, Kündigungsschutzrecht, 1993, Rz 13; speziell für die Sozialauswahl: Ascheid, NZA 1993, 97, 103). Der Maßstab von Treu und Glauben bleibt bestehen, soweit es beim Kündigungsschutz an einer gesetzlichen Konkretisierung fehlt. Der Arbeitgeber darf daher im Rahmen des Abs. 4 EV nicht willkürlich handeln oder besonders schutzwürdige Arbeitnehmer vorrangig entlassen. Er muß seine einseitige, einzelne Arbeitnehmer belastende Auswahlentscheidung nach vernünftigen, sachlichen Gesichtspunkten treffen und billiges Ermessen (§ 315 Abs. 1 BGB) wahren. Insbesondere darf er nicht nur eigene Belange berücksichtigen. Bei Anwendung der Generalklauseln der §§ 242, 315 BGB sind das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG und der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zur Geltung zu bringen. Auch der privatrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz kann bei dem Massentatbestand der Bedarfskündigung nicht außer acht bleiben. Der öffentliche Arbeitgeber hat bei der Auswahl deshalb auch die sozialen Gesichtspunkte ausreichend zu berücksichtigen. Dienstliche Gründe und soziale Belange des Arbeitnehmers sind gegeneinander abzuwägen (vgl. auch BAG Urteil vom 15. Dezember 1994 – 2 AZR 320/94 – zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Eine analoge Anwendung von § 1 Abs. 3 KSchG stellt das nicht dar.
c) Die Bedeutung des Sozialstaatsprinzips verbietet es nach Auffassung des Senats, dienstlichen Auswahlbelangen des Arbeitgebers eine Vorrangtendenz einzuräumen. Solche Belange sind vielmehr in die Abwägung der beiderseitigen Interessen einzustellen. Sie können je nach ihrem Gewicht dazu führen, daß einem nach sozialen Gesichtspunkten an sich schutzwürdigeren Arbeitnehmer zu Recht gekündigt wird. Aufgabe der Gerichte ist es, das Gewicht einzelner dienstlicher Auswahlbelange im Verhältnis zu einer höheren sozialen Schutzwürdigkeit des Arbeitnehmers zu bestimmen. Fehlt es an der Darlegung konkreter dienstlicher Belange, so bleibt allein die Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten.
3. Die Auffassung des Landesarbeitsgerichts, der Kläger sei nicht mehr verwendbar gewesen, hält danach der revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht stand.
a) Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerhaft soziale Gesichtspunkte in die Abwägung überhaupt nicht einbezogen. Es hätte zunächst einen Vergleich der von dem mangelnden Bedarf betroffenen Lehrer untereinander im Hinblick auf ihre soziale Schutzbedürftigkeit vornehmen müssen. Da deren Sozialdaten weder festgestellt noch absehbar sind, bedarf es keiner näheren Hinweise, mit welcher Stringenz dieser Vergleich durchzuführen ist. Immerhin spricht einiges dafür, hier zwar im Grundsatz dieselben Maßstäbe wie bei § 1 Abs. 3 KSchG anzuwenden, aber die Besonderheiten der zugrunde liegenden Tatbestände angemessen zu berücksichtigen und einen etwas erweiterten Beurteilungsspielraum des Arbeitgebers anzunehmen (dazu noch unten C III 3). Die vom Arbeitgeber vorgenommene Auswahl muß im Hinblick auf die Bestimmungen der §§ 242, 315 BGB vertretbar sein. In einer zweiten Stufe hätte das Landesarbeitsgericht dann die Bedeutung einer etwaigen höheren Schutzbedürftigkeit des Klägers (“soziale Differenz”) gegenüber den geltend gemachten dienstlichen Belangen gewichten müssen.
b) Das Landesarbeitsgericht hat die dienstlichen Belange des Beklagten nicht zutreffend bewertet.
aa) Ein allgemeines dienstliches Interesse an der Kündigung von Ein-Fach-Lehrern ist nicht anzuerkennen. Deren mehr oder weniger flexible Einsetzbarkeit ist eine Frage des Einzelfalles, insbesondere des Faches, der Schulgröße, der Möglichkeit, an zwei Schulen zu unterrichten usw. Sache des Arbeitgebers ist es daher, konkrete Schwierigkeiten darzulegen, die einen angemessenen Einsatz des Lehrers behindern. Die Existenz der Ein-Fach-Lehrer beruht insbesondere auf der Weitergeltung der Abschlüsse und Befähigungsnachweise gemäß Art. 37 Abs. 1 Satz 1 EV. Diese Bestimmung würde unzulässig ausgehöhlt, wenn Ein-Fach-Lehrern ohne Rücksicht auf konkrete Einsatzschwierigkeiten vorrangig gekündigt werden könnte. Daran ändert § 21 Abs. 2 Schulreformgesetz, der die künftige Ausbildung in zwei Fächern vorsieht, ebensowenig wie die entsprechende Pflicht des Lehrers zur Nachqualifizierung.
bb) Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts zur fehlenden Anerkennung der privaten Weiterbildung des Klägers und zum fehlenden dienstlichen Interesse an der Umschulung ehemaliger Staatsbürgerkundelehrer zu Geschichts- und Sozialkundelehrern sind an sich nicht zu beanstanden. Das Landesarbeitsgericht übersieht aber, daß damit keine dienstlichen Interessen des Beklagten im Rahmen einer Auswahlentscheidung geltend gemacht werden. Die Bedeutung dieser Gründe erschöpft sich vielmehr darin, den Kläger bei dem Bedarf an Geschichtslehrern und an Sozialkundelehrern nicht zu berücksichtigen. Für die Auswahl der zu kündigenden Grundschul- und Biologielehrer spielen sie keine Rolle.
C. Für das weitere Verfahren vor dem Landesarbeitsgericht ist auf folgendes hinzuweisen:
I. Ob der auf Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses gerichteten Antragsformulierung eine über den Streitgegenstand des § 4 Satz 1 KSchG hinausgehende Bedeutung zukommt, ist nach den Grundsätzen des Senatsurteils vom 16. März 1994 (– 8 AZR 97/93 – AP Nr. 29 zu § 4 KSchG 1969, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu III 2 der Gründe) zu beurteilen. Ein anderer Beendigungstatbestand als die Kündigung vom 26. Mai 1992 wird von den Parteien bisher nicht erörtert.
II. Zur Prüfung des mangelnden Bedarfs:
1. Der Beklagte hat vorgetragen, die Landesregierung habe beschlossen, die Zahl der Lehrkräfte für das Schuljahr 1992/93 landesweit von 24.560 auf 20.290 abzusenken, was durch den Gesetzgeber des Haushaltsplanes rechtsverbindlich fortgeschrieben worden sei. Damit wird ein mangelnder Bedarf nicht schlüssig dargelegt. Die Vorgabe des Haushaltsplanes enthält keine sachlichen Kriterien, die die Umsetzung für einzelne Arbeitsverhältnisse ermöglichen (vgl. für den Bereich des § 1 Abs. 2 KSchG BAG Beschluß vom 28. November 1956 – GS 3/56 – BAGE 3, 245 = AP Nr. 20 zu § 1 KSchG, zu III 2 der Gründe; BAG Urteil vom 21. Mai 1957 – 3 AZR 79/55 – AP Nr. 31 zu § 1 KSchG, zu I der Gründe; BAG Urteil vom 4. Februar 1960 – 3 AZR 25/58 – BAGE 9, 36 = AP Nr. 5 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung, zu III der Gründe).
2. Der Beklagte wird seinen teilweise widersprüchlichen Vortrag zum mangelnden Bedarf im Grundschulbereich klarstellen müssen. Dabei kann er wie bisher von Erhebungen für jede einzelne Schule im Schulamtsbereich ausgehen und den gesamten Lehrerbedarf aus der Zahl der Klassen, den Stundentafeln und der Pflichtstundenzahl der Lehrer vermindert um die sog. Abminderungsstunden errechnen. Die Substantiierungslast im einzelnen richtet sich danach, wie konkret der Kläger den Vortrag bestreitet. Daß der Bedarf danach in nicht unwesentlichem Umfang von Vorgaben des Beklagten abhängt (Klassenteiler, Stundentafeln, Pflichtstundenzahl, Abminderungsstunden), ist unabhängig davon unschädlich, ob diese auf einer gesicherten (gesetzlichen oder vertraglichen) Grundlage beruhen; denn der Kläger hat die genannten Vorgaben nicht in Frage gestellt.
3. Der Kläger hat beanstandet, der Beklagte berücksichtige nicht, daß Lehrer wegen Krankheit, Schwangerschaft, Erziehungsurlaub, Vorruhestand u.a. ausfallen. Tatsächlich bestehe daher ein erheblich höherer Personalbedarf als errechnet. Dieser Einwand greift nur dann durch, wenn der Beklagte eine Personalreserve tatsächlich vorhielte. In diesem Falle wäre die Berechnung des Beklagten unvollständig. Demgegenüber geht der Kläger selbst von einem Unterrichtsausfall aus. Ausfallender Unterricht muß aber nicht abgedeckt werden. Es besteht kündigungsschutzrechtlich keine Obliegenheit, Ausfallzeiten durch eine Personalreserve auszugleichen. Der Arbeitgeber kann sich, soweit er den Unterricht nicht ausfallen läßt, grundsätzlich mit Vertretungsstunden durch die vorhandenen Lehrer (Überstunden) oder mit befristeten Einstellungen behelfen (vgl. allgemein, insbesondere für § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG, BAG Urteile vom 24. November 1982 – 7 AZR 547/80 – n.v., zu III 3 der Gründe; vom 8. September 1983 – 2 AZR 438/82 – BAGE 44, 107 = AP Nr. 77 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag, zu III 2c der Gründe; vom 17. Mai 1984 – 2 AZR 109/83 – BAGE 46, 191 = AP Nr. 21 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, zu C I 2 der Gründe; vom 29. Juli 1993 – 2 AZR 155/93 – AP Nr. 27 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit, zu III 3 der Gründe). Auch wird der Bedarf grundsätzlich nur für ein Schuljahr berechnet, so daß bestimmte längerfristige Ausfälle durchaus in die Bedarfsberechnung einfließen können.
4. Auf die zwischen den Parteien streitige Frage, ob der Beklagte dem Kläger eine Teilzeitbeschäftigung angeboten hat, die dieser abgelehnt hat, kommt es nicht an. Durch einen Übergang des Klägers auf Teilzeitarbeit wäre der Personalüberhang nicht zu beheben gewesen. Eine Verpflichtung des Beklagten, gegenüber mehreren Lehrern Änderungskündigungen mit dem Ziel einer Teilzeitbeschäftigung auszusprechen, um Beendigungskündigungen zu vermeiden, ist nicht ersichtlich, wird vom Kläger auch nicht geltend gemacht. Selbst für § 1 Abs. 2 KSchG wird eine entsprechende Pflicht des Arbeitgebers nahezu einhellig abgelehnt (vgl. Hueck/von Hoyningen-Huene, aaO, § 1 Rz 385 m.w.N.).
III. Zur Auswahlentscheidung:
1. Die vom Kläger behauptete Äußerung des Kultusministers gegenüber der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Lehrern über 50 Jahre werde nicht bedarfsbedingt gekündigt, stellt keine rechtsgeschäftliche Willenserklärung dar. Sie ist nicht geeignet, eine individuelle vertragliche Rechtsposition des Klägers zu begründen.
2. Als dienstlicher Belang, der in die gebotene Abwägung einfließen kann, kommt die Tätigkeit des Klägers als Fachberater für Staatsbürgerkunde in Betracht. Berücksichtigungsfähig sind Eignungsmängel oder (andere) konkrete Störungen des Arbeitsverhältnisses, auch wenn sie nicht das Gewicht eines Kündigungsgrundes nach Abs. 4 Ziff. 1 EV erreichen. Wenn der Arbeitgeber alle vernünftigen, sachlichen Gesichtspunkte bei der Auswahlentscheidung berücksichtigen kann, so gehört hierzu auch der Grad der persönlichen Eignung. Der Arbeitgeber muß allerdings die bessere bzw. schlechtere Eignung nachvollziehbar darlegen. Der bloße Hinweis auf eine “längere” Tätigkeit des Klägers als Fachberater für Staatsbürgerkunde genügt dafür nicht. Vielmehr wäre darzulegen, welche Funktionen damit verbunden waren und warum ihre Ausübung nunmehr eine mindere Eignung begründet (vgl. Senatsurteil vom 20. Januar 1994 – 8 AZR 613/92 – n.v., zu B II 3b dd der Gründe), ohne daß die Kündigung allein deswegen gerechtfertigt sein müßte. Weiter kann die mindere fachliche Qualifikation eines Arbeitnehmers von Bedeutung sein, etwa bei einem Freundschaftspionierleiter mit geringer Lehrpraxis (vgl. nur Senatsurteil vom 4. November 1993 – 8 AZR 127/93 – AP Nr. 18 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu B II 4 der Gründe). Nur unwesentliche oder nicht greifbare Unterschiede haben allerdings in jedem Fall außer Betracht zu bleiben.
3. Als zu berücksichtigende soziale Gesichtspunkte kommen wie bei § 1 Abs. 3 KSchG zunächst das Lebensalter und die Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers in Betracht. Älteren Arbeitnehmern und solchen mit Unterhaltspflichten kommt ein höherer Schutz zu (vgl. nur Ascheid, aaO, Rz 331 ff. m.w.N.). Demgegenüber tritt die Bedeutung der Dauer der Betriebszugehörigkeit für den Kündigungstatbestand des Abs. 4 Ziff. 2 EV deutlich zurück. Eine freie Wahl des Arbeitsplatzes bestand in der ehemaligen DDR praktisch nicht. Die Berufsausübung im Anschluß an die Ausbildung war weitgehend vorgegeben. Dem Gesichtspunkt der Betriebszugehörigkeit ist daher durch die Berücksichtigung des Lebensalters regelmäßig ausreichend Rechnung getragen.
4. Für die Darlegungs- und Beweislast ergeben sich ganz ähnliche Grundsätze wie bei § 1 Abs. 3 KSchG.
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat der Arbeitgeber im Umfang seiner materiellrechtlichen Auskunftspflicht gem. § 1 Abs. 3 Satz 1 2. Halbsatz KSchG auf Verlangen des Arbeitnehmers auch im Kündigungsschutzprozeß die Gründe darzulegen, die ihn zu der getroffenen sozialen Auswahl veranlaßt haben. Im übrigen trägt der Arbeitnehmer nach § 1 Abs. 3 Satz 3 KSchG die Darlegungs- und Beweislast für die Tatsachen, aus denen sich ergeben soll, daß der Arbeitgeber bei der Auswahl soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat (BAG Urteil vom 24. März 1983 – 2 AZR 21/82 – BAGE 42, 151, 160 f. = AP Nr. 12 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; BAG Urteil vom 21. Juli 1988 – 2 AZR 75/88 – AP Nr. 17 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl, zu II 2a, b der Gründe, BAG Urteil vom 15. Juni 1989 – 2 AZR 580/88 – BAGE 62, 116, 125 f. = AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl; BAG Urteil vom 5. Mai 1994 – 2 AZR 917/93 – zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen, zu II 3b aa der Gründe; KR-Becker, aaO, § 1 KSchG Rz 369 ff., 374 ff.).
b) Auch einen etwaigen Verstoß gegen Treu und Glauben muß der Arbeitnehmer rügen. Ohne seine Behauptung, die Auswahlentscheidung sei fehlerhaft getroffen worden, besteht kein Anlaß für den Arbeitgeber, auf diese Frage einzugehen. Der Arbeitgeber muß von sich aus nur die betrieblichen Gründe darlegen.
Ist der Arbeitnehmer – wie regelmäßig bei Lehrerkündigungen – nicht in der Lage, substantiiert zur Auswahl Stellung zu nehmen, so muß der Arbeitgeber die Gründe für die getroffene Auswahl darlegen, wenn der Arbeitnehmer ihn hierzu auffordert. Das entspricht § 242 BGB. Allein der Arbeitgeber, der zwangsläufig die Auswahl getroffen hat, vermag vollständig hierzu vorzutragen. Der Arbeitnehmer kann die “innere Tatsache” der Auswahlentscheidung nicht kennen und müßte weitgehend “ins Blaue hinein” vortragen. An das Auskunftsverlangen sind keine hohen Anforderungen zu stellen.
Kommt der Arbeitgeber dem Auskunftsverlangen des Arbeitnehmers nach, so hat letztlich der Arbeitnehmer einen Verstoß gegen Treu und Glauben zu beweisen. Es geht zu seinen Lasten, wenn er die ungenügende Berücksichtigung sozialer Belange nicht beweisen kann.
Unterschriften
Ascheid, Dr. Wittek, Mikosch, Hickler, Rödder
Fundstellen
Haufe-Index 870912 |
BAGE, 128 |
JR 1996, 44 |
NZA 1996, 585 |
AP, 0 |