Entscheidungsstichwort (Thema)
Urteil ohne Tatbestand
Normenkette
ZPO §§ 543, 313 Abs. 1 Nr. 5
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 29.11.1995; Aktenzeichen 9 Sa 25/95) |
ArbG Freiburg i. Br. (Urteil vom 26.08.1994; Aktenzeichen 4 Ca 722/93) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 29. November 1995 – 9 Sa 25/95 – aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Kündigung.
Das Berufungsgericht hat unter der Überschrift „Tatbestand” folgenden Text in das angefochtene Urteil aufgenommen:
„Nachdem das Urteil des Landesarbeitsgerichts der Revision nicht unterliegt, wird von der Darstellung des Sachverhalts gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen. Auf den Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils wird verwiesen.”
Darüber hinaus finden sich vereinzelte Tatsachenfeststellungen in den Entscheidungsgründen des Urteils.
Der Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Freiburg vom 26. August 1994 enthält u.a. folgende Feststellungen:
Der im Jahre 1951 geborene Kläger ist Diplom-Mathematiker und seit 1. Oktober 1988 bei der Beklagten beschäftigt. Nach einer Tätigkeit als Organisationsprogrammierer in der EDV-Abteilung wurde dem Kläger ab 1. Oktober 1990 die Leitung dieser Abteilung übertragen.
Mit Schreiben vom 8. November 1993 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers aus betriebsbedingten Gründen zum 31. März 1994. Der Arbeitsplatz des Klägers sei weggefallen. Freie Arbeitsplätze, auf denen der Kläger hätte – wenn auch zu geänderten Arbeitskonditionen – weiterbeschäftigt werden können, existierten im Betrieb der Beklagten nicht. Der Kläger sei aufgrund seiner beruflichen Vor- und Ausbildung mit keinem anderen Mitarbeiter in seiner hierarchischen Ebene im Betrieb der Beklagten vergleichbar.
Der Kläger hält die Kündigung für sozial nicht gerechtfertigt. Die EDV-Abteilung werde nicht vollständig aufgelöst. Die Grundsätze ordnungsgemäßer Sozialauswahl seien nicht beachtet. Die Auslagerung der EDV stelle einen Betriebsübergang nach § 613 a BGB dar. Die Beklagte habe zusammen mit anderen die f GmbH gegründet als Auffanggesellschaft für die bisherige EDV-Funktion. Es müsse von einem „Eins-zu-eins-Übergang” der EDV-Abteilung der Beklagten zur f GmbH ausgegangen werden. Die Funktion des EDV-Leiters sei nicht entfallen, sondern werde nunmehr von der f GmbH wahrgenommen und – unter anderem Namen, aber in vollständig gleicher Funktion – dort von Herrn Fr. ausgeübt.
Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 8. November 1993, dem Kläger zugegangen am 10. November 1993, nicht aufgelöst worden ist, sondern fortbesteht.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat vorgetragen, bis auf wenige Abwicklungsarbeiten sei der gesamte Arbeitsbereich der EDV-Abteilung mit den darin vorhandenen Arbeitsplätzen weggefallen. Für die wenigen verbliebenen Abwicklungsarbeiten sei kein eigenständiger EDV-Leiter mehr erforderlich. Eine Sozialauswahl im engeren Sinne sei mangels vergleichbarer Arbeitnehmer im Betrieb der Beklagten nicht durchzuführen. Im Ergebnis stelle die Fremdvergabe der EDV-Dienstleistungen an die f GmbH eine bloße Funktionsnachfolge dar. Der Anteil der Dienstleistungen der f GmbH für den Firmenverbund H. werde bereits im Jahre 1996 unter die 50 %-Grenze sinken.
Zudem sei im Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs die Gründung der f GmbH noch nicht geplant gewesen. Die EDV-Dienstleistungen sollten insgesamt fremdvergeben werden.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hat der Senat mit Beschluß vom 27. Juni 1996 (8 AZN 118/96) die Revision zugelassen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Feststellungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
Das angefochtene Urteil enthält entgegen § 313 Abs. 1 Nr. 5, § 543 Abs. 2 ZPO keinen ausreichenden Tatbestand. Der vom Kläger gerügte Verfahrensfehler liegt vor und führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht. Der bezeichnete Mangel macht eine revisionsrechtliche Überprüfung des Berufungsurteils unmöglich.
I. Gemäß § 313 Abs. 1 Nr. 5 ZPO, der nach näherer Maßgabe des § 543 ZPO auch für das Berufungsverfahren gilt, muß das Urteil einen den Anforderungen des § 313 Abs. 1 Nr. 5 ZPO entsprechenden Tatbestand enthalten. Nur dann, wenn gegen das Berufungsurteil die Revision nicht stattfindet, kann gemäß § 543 Abs. 1 ZPO von der Darstellung des Tatbestandes abgesehen werden. Ist hingegen die Revision statthaft, muß das Berufungsurteil einen Tatbestand enthalten, für den allerdings die Erleichterungen des § 543 Abs. 2 ZPO gelten. Dies gilt auch dann, wenn, wie im vorliegenden Fall, die Revision erst durch das Bundesarbeitsgericht zugelassen worden ist (BAG Urteil vom 29. August 1984 – 7 AZR 617/82 – BAGE 46, 179 = AP Nr. 4 zu § 543 ZPO 1977; BAG Urteil vom 22. November 1984 – 6 AZR 103/82 – AP Nr. 5 zu § 543 ZPO 1977; BAG Urteil vom 21. April 1993 – 5 AZR 413/92 – EzA § 543 ZPO Nr. 8). Denn auch dann findet im Sinne des § 543 Abs. 2 ZPO die Revision statt. Sinn dieser Bestimmung ist es, dem Revisionsgericht die Nachprüfung des Berufungsurteils auf der Grundlage des vom Berufungsgericht festgestellten Sach- und Streitstandes zu ermöglichen. Deshalb kommt es für die Frage, ob die Revision als im Sinne des § 543 Abs. 2 ZPO statthaft anzusehen ist, nicht auf die Sicht des Berufungsgerichts an, das die Revision nicht zugelassen hat, sondern auf die Lage im Revisionsverfahren (BAG Urteile vom 29. August 1984, 22. November 1984 und 21. April 1993, jeweils aaO).
II. Der Tatbestand des Berufungsurteils entspricht den gesetzlichen Anforderungen auch nicht unter Berücksichtigung der durch § 543 Abs. 2 Satz 2 ZPO zugelassenen Bezugnahme auf den Tatbestand der erstinstanzlichen Entscheidung. Nach dieser Vorschrift ist eine Bezugnahme auf das angefochtene Urteil sowie auf Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen zulässig, soweit hierdurch die Beurteilung des Parteivorbringens durch das Revisionsgericht nicht wesentlich erschwert wird. Allerdings kann das Berufungsgericht den Tatbestand in aller Regel nicht völlig durch eine Bezugnahme auf das erstinstanzliche Urteil ersetzen, weil dieses nur den erstinstanzlichen Sach- und Streitstand, nicht aber dessen Fortentwicklung in der Berufungsinstanz wiedergeben kann (BAG Urteil vom 28. Mai 1997 – 5 AZR 632/96 – AP Nr. 9 zu § 543 ZPO 1977). Eine alleinige Bezugnahme auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils kommt allenfalls dann in Betracht, wenn der Sachverhalt unstreitig ist, in zweiter Instanz nichts Neues vorgetragen worden ist und lediglich über eine Rechtsfrage gestritten wird (vgl. BAG Urteil vom 28. Mai 1997 – 5 AZR 632/96 – aaO). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Aus den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils ergibt sich, daß das Berufungsgericht über einen streitigen Sachverhalt zu befinden hatte und hierzu eigene Feststellungen getroffen hat (vgl. S. 5 der Urteilsausfertigung Mitte). Aus den in den Entscheidungsgründen enthaltenen tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts ergibt sich nicht, mit welchen Anträgen, mit welchem unstreitigen Sachverhalt und mit welchem streitigen Vorbringen die Parteien im Berufungsrechtszug verhandelt haben. Eine rechtliche Überprüfung der hierauf aufbauenden Entscheidung des Berufungsgerichts ist deshalb nicht möglich. Die vom Kläger erhobene Rüge der Verletzung des § 543 ZPO ist dementsprechend begründet. Das Berufungsurteil ist auf die Revision notwendigerweise aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Unterschriften
Ascheid, Dr. Wittek, Müller-Glöge, P. Knospe, Dr. E. Vesper
Fundstellen
Haufe-Index 1126931 |
FA 1998, 219 |