Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Kündigung wegen MfS-Tätigkeit
Normenkette
Einigungsvertrag Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 5 Ziff. 2; Personalvertretungsgesetz des Freistaates Thüringen § 78; Kündigungsschutzgesetz § 13 Abs. 1 S. 3, § 9 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 18. Juni 1996 – 5 Sa 1107/94 – wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung, die der Beklagte auf Kap. XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 5 Ziff. 2 der Anlage I zum Einigungsvertrag (fortan: Abs. 5 Ziff. 2 EV) stützt.
Die Klägerin war seit dem 1. Juli 1974 an dem damaligen Bezirks-Institut für Blutspende- und Transfusionswesen E als medizinisch-technische Laborassistentin beschäftigt. Das Institut wurde nach dem 3. Oktober 1990 zunächst dem Thüringer Ministerium für Soziales und Gesundheit zugeordnet und ist nach Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung durch Übertragung auf das Deutsche Rote Kreuz privatisiert worden.
1987 verpflichtete sich die Klägerin schriftlich gegenüber dem Ministerium für Staatssicherheit (fortan: MfS). Schweigen über die ihr bekannte Tätigkeit ihres Ehemannes als IM (Inoffizieller Mitarbeiter) zu bewahren.
Eine Antrage des Sozialministeriums bei dem Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (fortan: Bundesbeauftragter) führte im November 1992 zu der falschen Auskunft, die Klägerin sei der IM „W. H.” gewesen. Mit diesem Vorwurf wurde die Klägerin in einem am 18. Dezember 1992 geführten Personalgespräch konfrontiert. Über diese Anhörung ist mit Datum vom 21. Dezember 1992 ein Protokoll erstellt worden. Laut Protokoll gab die Klägerin an, daß ihr Ehemann unter diesem Decknamen für das MfS gearbeitet habe. Sie selbst sei 1988 oder Anfang 1989 vom MfS, und zwar durch einen Bekannten ihres Ehemannes, angesprochen worden. Dieser habe nach ihrer Meinung über bestimmte Personen des Instituts gefragt, sie habe ihm geforderte handschriftliche Unterlagen übergeben. Danach sei es zu keinen Kontakten mehr gekommen.
Der Beklagte forderte vom Bundesbeauftragten eine erweiterte Auskunft an und bat um Prüfung, ob eine Verwechslung erfolgt sei. Mit Bericht vom 29. September 1993 gab der Bundesbeauftragte an, nicht die Klägerin, sondern ihr Ehemann sei der IM „W. H.” gewesen. Die Klägerin sei 1987 auf einer dafür bestimmten, besonderen Karteikarte erfaßt worden, die das MfS für Ehegatten/Verwandte benutzte, die Kenntnis von der Tätigkeit eines IM hatten. In bezug auf den Ehemann sei keine Personalakte, sondern nur die IM-Berichtsakte vorgefunden worden. Aus dieser Berichtsakte ergäben sich folgende Informationen über die Klägerin:
- In zwei Treffberichten des Führungsoffiziers sei vermerkt, daß der IM bei seiner Ehefrau Informationen über Personen ihres Arbeitsbereichs abgeschöpft habe. „Abschöpfen” bedeute im Sprachgebrauch des MfS die Sammlung von Informationen, ohne daß die „abgeschöpfte Person” von der Verwendung der Informationen etwas wissen mußte.
- Anläßlich eines Treffens am 23. Januar 1989 habe der IM handschriftliche, nicht unterzeichnete Aufzeichnungen übergeben, die mit großer Wahrscheinlichkeit von seiner Ehefrau, der Klägerin, verfaßt worden seien.
- Hinweise auf eine konspirative Tätigkeit der Klägerin existierten nicht.
Der Auskunft des Bundesbeauftragten waren Kopien von vier handschriftlichen undatierten und nicht unterzeichneten Berichten beigefügt. Darin wurde über den Institutsleiter, Arbeitskollegen und darüber berichtet, zu welchen Personen ein nach M. übergesiedelter ehemaliger Mitarbeiter noch Kontakte pflegte. Der Bericht über die in M. lebende Familie beschreibt deren Lebens und Arbeitsbedingungen im Westen, stellt Vermutungen über den früheren Versuch einer außerehelichen Beziehung des Mannes mit einer Kollegin an, die Kleiderpakete erhalte, und nennt Namen und Adressen weiterer Institutsmitglieder die Briefkontakte pflegen und/oder ein Treffen in B. planten. Ein Bericht über eine Kollegin K. zitiert diese mit einer Aussage zur Werbung Jugendlicher für eine Armeelaufbahn, mit der sie die als attraktiv herausgestellten Forschungsaufgaben innerhalb der Armee mit dem Einsatz sowjetischer Soldaten um Tschernobyl verglichen haben soll.
Im Verlaufe dieses Rechtsstreits hat die Klägerin eingeräumt, die vier Berichte verfaßt zu haben.
Mit am 8. Dezember 1993 übergebenem Schreiben vom 7. Dezember 1993 nebst formularmäßiger Anlage leitete das Ministerium gegenüber dem Hauptpersonalrat das Anhörungsverfahren zu einer außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin ein. Beschäftigungsort und Funktion der Klägerin waren angeführt. Die Begründung lautet auszugsweise:
„Nach Auskunft des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen war Frau S. beim MfS karteimäßig erfaßt. Eine Personalakte konnte nicht aufgefunden werden.
Wenn auch den MfS-Unterlagen keine Erkenntnisse über eine konspirative Tätigkeit der Frau S. zu entnehmen sind, hat sie doch nachweislich dem MfS handschriftlich verfaßte Informationen über Mitarbeiter des Instituts für Transfusionsmedizin E. freiwillig übergeben, die zum Teil nicht allein eine Stellungnahme über zufällig erfahrene Umstände beinhalten, sondern intensive Recherchen voraussetzen, und deren Verwendung fatale Folgen für die Betroffenen nicht ausschließen.
Ihren Ausführungen war nicht zu entnehmen, daß sie unter Druck gesetzt worden ist. Vielmehr mußte festgestellt werden, daß sie nur darauf beharrte, nicht als IM eingestuft zu werden, die Übergabe der Informationen als Selbstverständlichkeit ansah und kein Wort des Bedauerns fand.
Ihre Kontakte zum MfS hat Frau S. bei Ausfüllung des Fragebogens wissentlich verschwiegen. Durch diese Tatsache und die während der Anhörungen festgestellten Widersprüche in ihren Aussagen ist das Vertrauensverhältnis in hohem Maße gestört, so daß eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für das Land Thüringen unzumutbar ist.”
Kopien der Berichte waren nicht beigefügt.
Der Hauptpersonalrat erklärte am 9. Dezember 1993 seine Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung.
Mit Schreiben vom 13. Dezember 1993, welches der Klägerin am 16. Dezember 1993 zuging, erklärte der Beklagte die Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Dezember 1993.
Die Klägerin hat mit der am 6. Januar 1994 beim Arbeitsgericht eingereichten Kündigungsschutzklage die Sozialwidrigkeit der Kündigung geltend gemacht und die ordnungsgemäße Beteiligung der Personalvertretung bestritten. Sie hat behauptet, sie habe die vier handschriftlichen Berichte auf Bitten ihres Ehemannes gefertigt und geglaubt, daß dieser sie in seiner beruflichen Tätigkeit als persönlicher Referent beim Bezirksvorstand des FDGB benötige. Die Berichte gäben nur Umstände wieder, die ihr durch den täglichen Umgang am Arbeitsplatz bekannt gewesen seien. Sie habe keine Informationen gesammelt und niemanden ausgehorcht.
Die Klägerin hat, soweit in der Revisionsinstanz noch erheblich, beantragt
festzustellen, daß das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung vom 13. Dezember 1993 nicht aufgelöst wurde.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat die Ansicht vertreten, ihm sei die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar. Die Art der Berichte lasse erkennen, daß die Klägerin zielgerichtet recherchiert und Informationen gesammelt habe. Das Ansehen des öffentlichen Dienstes nehme Schaden, wenn die Klägerin weiter beschäftigt werde. Schließlich müsse berücksichtigt werden, daß die Klägerin am Arbeitsplatz Zugang zu Untersuchungsergebnissen und Patientendaten habe. Hilfsweise sei die Kündigung in eine ordentliche umzudeuten.
Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen und seinen hilfsweise gestellten Auflösungsantrag gemäß §§ 9, 10 KSchG zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Revision hält der Beklagte an Haupt- und Hilfsantrag fest.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht die Berufung des Beklagten zurückgewiesen und den Hilfsantrag des Beklagten abgewiesen.
I. Der Beklagte hat den Hauptpersonalrat nicht ausreichend vor Ausspruch der Kündigung unterrichtet. Daraus folgt die Unwirksamkeit der ausgesprochenen Kündigung gemäß § 78 Abs. 4 ThürPersVG.
1. Die Information durch den Arbeitgeber soll die Personalvertretung in die Lage versetzen, ihre Überlegungen zu der beabsichtigten Kündigung einzubringen. Sie muß nicht denselben Anforderungen genügen wie die Darlegung des Arbeitgebers im Kündigungsschutzprozeß. Zudem gilt der Grundsatz der „subjektiven Determination”. Der Personalrat ist immer dann ordnungsgemäß angehört worden, wenn ihm der Arbeitgeber die aus seiner Sicht tragenden Umstände unterbreitet hat (BAG Urteil vom 15. November 1995 – 2 AZR 974/94 – AP Nr. 73 zu § 102 BetrVG 1972). Der für die Kündigung maßgebende Sachverhalt ist allerdings so genau zu umschreiben, daß der Personalrat ohne zusätzliche eigene Nachforschungen in die Lage versetzt wird, die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe zu prüfen und sich über eine Stellungnahme schlüssig zu werden. Eine pauschale, schlag- oder stichwortartige Schilderung des Sachverhalts reicht nicht aus. Ebenso genügt es nicht, bloße Werturteile ohne Angabe der für die Bewertung maßgebenden Tatsachen mitzuteilen (vgl. BAG Urteil vom 4. März 1981 – 7 AZR 104/79 – BAGE 35, 118 = AP Nr. 1 zu § 77 LPVG Baden-Württemberg; Senatsurteil vom 26. Mai 1994 – 8 AZR 395/93 – n.v.).
Diese Maßstäbe gelten gleichermaßen bei einer auf Abs. 5 Ziff. 2 EV gestützen Kündigung (Senatsurteil vom 11. Juni 1992 – 8 AZR 537/91 – BAGE 70, 323 = AP Nr. 1 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX; Senatsurteil vom 23. September 1993 – 8 AZR 262/92 – AP Nr. 9 zu Art. 20 Einigungsvertrag). Wurde das Anhörungsverfahren nicht oder nicht ordnungsgemäß durchgeführt, ist die Kündigung unwirksam, weil die nicht ordnungsgemäße Beteiligung einer unterbliebenen Beteiligung gleichsteht (BAG Urteil vom 5. Februar 1981 – 2 AZR 1135/78 – AP Nr. 1 zu § 72 LPVG NW).
2. Das Anhörungsschreiben vom 7. Dezember 1993 nebst Anlage genügt nicht den Anforderungen des § 78 Abs. 3 ThürPersVG.
Ausschlaggebend für den Kündigungsentschluß des Beklagten war, daß die Klägerin dem MfS – nach Wertung des Beklagten – vergleichbar einem IM Berichte erstattete, in denen sie Kollegen denunzierte. Hinzu trat, daß die Klägerin die Fragen nach einer MfS-Mitarbeit falsch beantwortete und anläßlich ihrer Anhörungen keine Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit ihrer Berichtstätigkeit erkennen ließ.
Die Tatsachengrundlage dieser Beweggründe läßt sich nicht aus dem Anhörungsschreiben erschließen. Der Beklagte teilte dem Hauptpersonalrat nicht mit, aufgrund welcher Bewertungen er zu dem Ergebnis gelangt war, das Verhalten der Klägerin sei dem eines IM gleichzustellen. Das Ergebnis dieses komplexen Wertungsvorgangs wurde dem Personalrat vorenthalten. Vielmehr war das Anhörungsschreiben, beurteilt vom Empfängerhorizont, geeignet, erhebliche Fehlvorstellungen vom tatsächlichen Kündigungssachverhalt zu erwecken. So wurde dem Personalrat nicht mitgeteilt, daß die Klägerin lediglich einmal und nicht über einen längeren Zeitraum für das MfS berichtete. Zudem wurde dem Personalrat vorenthalten, wie atypisch die MfS-Verstrickung der Klägerin war. Immerhin wurden die handschriftlichen Berichte in der IM-Akte des Ehemannes der Klägerin gefunden. Die Klägerin war nach Auskunft des Bundesbeauftragten nicht als IM geführt worden. Deshalb berechtigt die Angabe im Anhörungsschreiben, die Klägerin sei „beim MfS karteimäßig erfaßt” gewesen, zur Annahme einer irreführenden Unterrichtung des Personalrats.
§ 78 Abs. 3 ThürPersVG verlangt nicht die Vorlage von Urkunden oder sonstigen Unterlagen, die ihnen zu entnehmenden Tatsachen müssen jedoch, soweit sie dem Kündigungsentschluß zugrundeliegen, dem Personalrat zur Kenntnis gebracht werden (vgl. BAG Urteil vom 26. Januar 1995 – 2 AZR 386/94 – AP Nr. 69 zu § 102 BetrVG 1972; BAG Urteil vom 6. Februar 1997 – 2 AZR 265/96 – AP Nr. 85 zu § 102 BetrVG 1972; Senatsurteil vom 20. März 1997 – 8 AZR 169/96 – n.v., zu § 84 PersVG-Berlin). Gerade weil der Personalrat in bezug auf die beabsichtigte Kündigung der Klägerin nicht mit einer derartig untypischen Form der MfS-Verstrickung rechnen mußte, war der Beklagte verpflichtet, bei der Information der Personalvertretung besondere Sorgfalt walten zu lassen. Nur dann konnte die Entscheidung des Ministeriums nachvollzogen werden.
II. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist nicht durch ordentliche Kündigung beendet worden. Einer Umdeutung der unwirksamen außerordentlichen Kündigung steht entgegen, daß es auch insofern an einer ordnungsgemäßen Beteiligung des Hauptpersonalrates fehlt.
III. Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gem. § 9 Abs. 1
Satz 2 KSchG ist vom Landesarbeitsgericht zu Recht abgelehnt worden. Nach § 13 Abs. 1 Satz 3 KSchG ist im Falle einer außerordentlichen Kündigung nur der Arbeitnehmer berechtigt, einen Auflösungsantrag zu stellen. Für den Arbeitgeber ist diese Möglichkeit nicht vorgesehen, der Antrag ist also nicht statthaft. Einer Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach Umdeutung der außerordentlichen Kündigung in eine sozialwidrige ordentliche Kündigung (vgl. dazu Senatsurteil vom 24. September 1992 – 8 AZR 557/91 – BAGE 71, 221 = AP Nr. 3 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX; Senatsurteil vom 18. März 1993 – 8 AZR 331/92 – BAGE 72, 350 = AP Nr. 20 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX) steht entgegen, daß die ordentliche Kündigung wegen mangelhafter Beteiligung des Hauptpersonalrates und nicht allein wegen Sozialwidrigkeit unwirksam ist.
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Ascheid, Dr. Wittek, Müller-Glöge, P. Knospe, Dr. E. Vesper
Fundstellen