Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung einer Betriebsvereinbarung. Auslegung eines Kündigungsschreibens
Orientierungssatz
Die Kündigung einer Betriebsvereinbarung muss unmissverständlich und eindeutig sein. Erforderlichenfalls ist die Kündigungserklärung in Anwendung des § 133 BGB auszulegen. Lässt sich nicht zweifelsfrei feststellen, dass sich die Kündigung auf eine bestimmte Betriebsvereinbarung bezieht, entfaltet sie keine die Betriebsvereinbarung beendende Wirkung.
Normenkette
BetrVG § 77 Abs. 5, 2 S. 1, Abs. 4 S. 1, § 58 Abs. 1; BGB § 133
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 17.01.2007; Aktenzeichen 12 Sa 43/06) |
ArbG Mannheim (Urteil vom 12.04.2006; Aktenzeichen 2 Ca 136/05) |
Tenor
1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 17. Januar 2007 – 12 Sa 43/06 – aufgehoben.
2. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mannheim vom 12. April 2006 – 2 Ca 136/05 – wird zurückgewiesen.
3. Die Beklagte hat auch die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über eine Treueprämie.
Die Klägerin ist bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängern seit 1977 als Angestellte im Betrieb M… beschäftigt. Bei zahlreichen Betriebsübergängen, die anschließend stattfanden, blieb die Identität des Mer Betriebs stets gewahrt. Am 7. November 1984 schlossen die der BBC-Konzerngruppe Deutschland angehörigen Gesellschaften – darunter die B… B… C… AG (BBC-AG), eine Rechtsvorgängerin der Beklagten – mit dem BBC-Konzernbetriebsrat eine Betriebsvereinbarung über die Gewährung einer Treueprämie (BV 1984). Diese regelt in Nrn. 1 bis 3 die Anspruchsvoraussetzungen, die Höhe und den Auszahlungszeitpunkt der Prämie. Nach Nr. 4 kann sie jeweils zum Jahresende unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von sechs Monaten gekündigt werden. Am 1. Januar 1987 trat auf Grund einer am 18. Dezember 1986 von den inländischen Beteiligungsgesellschaften des BBC-Regionalbereichs Deutschland und dem BBC-Konzernbetriebsrat geschlossenen Betriebsvereinbarung die “Sozialordnung der B… B… C… AG M… (BBC) und ihrer Beteiligungsgesellschaften” (BV Sozialordnung 1986) in Kraft. Diese regelt zahlreiche Sozialleistungen. In ihrem Abschnitt II enthält sie ua. folgende Bestimmung:
“Betriebliche Sonderleistungen
Treueprämie
Treueprämie nach Maßgabe der Betriebsvereinbarung über die Gewährung einer Treueprämie erhalten alle Betriebsangehörigen, die am 1. Dezember eines Jahres in einem Arbeitsverhältnis stehen und mindestens fünf volle Dienstjahre zurückgelegt haben.”
Abschnitt VI der BV Sozialordnung 1986 lautet:
“Inkrafttreten und Kündigung
Diese Sozialordnung ersetzt die Sozialordnung der B… B… C… Aktiengesellschaft und ihrer Tochtergesellschaften vom Jahre 1976 – zuletzt geändert im Jahre 1984. Sie kann ganz oder in einzelnen Teilen jeweils zum Ablauf eines Kalendermonats beiderseits mit einer Frist von sechs Kalendermonaten gekündigt werden.”
Seit 1982 zahlten die Beklagte und ihre Rechtsvorgänger der Klägerin jeweils mit dem Novembergehalt eine Treueprämie, letztmals im November 2003. Unter dem 25. Juni 2003 übersandte die Beklagte dem Vorsitzenden des Betriebsrats M… folgendes Schreiben:
“ABB Arbeits- und Sozialordnung
Sehr geehrter Herr H…,
die unterschiedlichen Regelungen unserer freiwilligen Sozialleistungen führen in ihrer kaum noch zu überblickenden Vielfalt zu einer nicht mehr hinnehmbaren Ungleichbehandlung unserer Mitarbeiter an den B-Standorten.
Es ist das erklärte Ziel von B…, ein Sozialleistungssystem zu installieren, welches den Anforderungen der heutigen Arbeitswelt und den Bedürfnissen der Mitarbeiter besser Rechnung trägt.
Aus diesem Grunde sehen wir uns gezwungen, die oben genannte Betriebsvereinbarung fristgemäß zum 31. Dezember 2003 zu kündigen.”
Mit Schreiben vom 18. Juli 2003 teilte der Gesamtbetriebsrat der Beklagten mit, er habe festgestellt, dass sowohl der Umfang als auch die konkreten Inhalte der durch die Kündigung betroffenen Vereinbarungen unklar seien, und bat, ihm bis zum 31. August 2003 eine komplette Zusammenstellung aller in Frage kommenden Vereinbarungen zu übergeben. Die Beklagte überreichte dem Gesamtbetriebsrat daraufhin am 10. September 2003 einen Ordner, in dem sich die BV Sozialordnung 1986, nicht dagegen die BV 1984 befand. Auf nochmalige Nachfrage des Gesamtbetriebsrats teilte die Beklagte diesem am 19. November 2003 mit, sie bestätige, alle Regelungen zu betrieblichen Sozialleistungen gekündigt zu haben. In einem offenen Brief an die Beklagte vom 9. Dezember 2003 hielt ihr der Gesamtbetriebsrat vor, mit Schreiben vom 25. August 2003 gegenüber den örtlichen Betriebsräten alle freiwilligen Leistungen zum 31. Dezember 2003 gekündigt zu haben.
Die Klägerin hat mit der Klage die Treueprämie für das Jahr 2004 verlangt. Der – rechnerisch unstreitige – Anspruch ergebe sich aus der BV 1984. Diese sei nicht Gegenstand der Kündigung vom 25. Juni 2003 gewesen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 358,83 Euro brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 1. Dezember 2004 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, mit der Kündigung vom 25. Juni 2003 auch die Geltung der BV 1984 zum 31. Dezember 2003 beendet zu haben.
Das Arbeitsgericht hat der Klage entsprochen. Auf die vom Arbeitsgericht zugelassene Berufung hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die Klägerin hat auf Grund der BV 1984 einen Anspruch auf die Treueprämie für das Jahr 2004. Die BV 1984 wurde weder durch die BV Sozialordnung 1986 abgelöst noch durch die Kündigung vom 25. Juni 2003 beendet.
I. An der Wirksamkeit der BV 1984 bestehen keine Bedenken. Es kann davon ausgegangen werden, dass der Konzernbetriebsrat für ihren Abschluss zuständig war.
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist in einem Urteilsverfahren die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats zum Abschluss einer Betriebsvereinbarung nur dann zu prüfen, wenn sie von einer Partei bestritten wird oder zweifelhaft erscheint (20. Februar 2001 – 1 AZR 233/00 – BAGE 97, 44, zu I 3 der Gründe; 29. Oktober 2002 – 1 AZR 573/01 – BAGE 103, 187, zu I 1c der Gründe). Für den Konzernbetriebsrat gilt nichts Anderes.
2. Hier ist die Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats für den Abschluss der BV 1984 von keiner Partei bestritten worden. An ihr bestehen auch keine ernsthaften Zweifel. Da es sich bei der Treueprämie um eine freiwillige Leistung handelt, konnte die Rechtsvorgängerin der Beklagten durch die Vorgabe, die Prämie nur unternehmensübergreifend zu gewähren, Regelungen auf betrieblicher oder auf Unternehmensebene ausschließen und so unter dem Gesichtspunkt der “subjektiven Unmöglichkeit” die Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats nach § 58 Abs. 1 BetrVG begründen (vgl. BAG 10. Oktober 2006 – 1 ABR 59/05 – Rn. 18 mwN, AP BetrVG 1972 § 77 Tarifvorbehalt Nr. 24 = EzA BetrVG 2001 § 77 Nr. 18).
II. Die BV 1984 wurde, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat, nicht durch die BV Sozialordnung 1986 abgelöst. Nach der ausdrücklichen Regelung in Abschnitt VI Satz 1 der BV Sozialordnung 1986 ersetzte diese “die Sozialordnung der B… B… C… Aktiengesellschaft und ihrer Tochtergesellschaften vom Jahre 1976 – zuletzt geändert im Jahre 1984”. Das war nicht die BV 1984. Die Bestimmung in Abschnitt II der BV Sozialordnung 1986 ist auch ihrem Inhalt nach keine konstitutive, eigenständige (Neu-)Regelung des Anspruchs auf die Treueprämie. Vielmehr hat sie deklaratorischen Charakter. Sie verweist darauf, dass die Treueprämie nach Maßgabe der insoweit einschlägigen gesonderten “Betriebsvereinbarung über die Gewährung einer Treueprämie” zu zahlen ist. Sie regelt die Treueprämie hinsichtlich der näheren Ausgestaltung und Höhe nicht und könnte selbständig nicht angewandt werden.
III. Die normative Geltung der BV 1984 im Beschäftigungsbetrieb der Klägerin in M… überdauerte, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat, die zahlreichen Betriebsübergänge. Da bei diesen die Identität des Mer Betriebs erhalten blieb, galt die BV 1984 auch bei der Beklagten normativ fort.
IV. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts wurde die BV 1984 durch die Kündigung vom 25. Juni 2003 nicht beendet. Sie war nicht Gegenstand dieser Kündigung.
1. Die Kündigung einer Betriebsvereinbarung bedarf nach § 77 Abs. 5 BetrVG keiner besonderen Form. Sie muss aber unmissverständlich und eindeutig sein (BAG 6. November 2007 – 1 AZR 826/06 – Rn. 22). Dies verlangt das Gebot der Rechtssicherheit. Die Regelungen einer Betriebsvereinbarung gelten nach § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG für die betroffenen Arbeitnehmer und Arbeitgeber unmittelbar und zwingend. Nicht zuletzt wegen dieser normativen Wirkung ist nach § 77 Abs. 2 Satz 1 BetrVG die schriftliche Niederlegung einer Betriebsvereinbarung erforderlich. Ebenso wie über den Beginn und den Inhalt einer Betriebsvereinbarung muss auch über ihre Beendigung Klarheit bestehen. Die normunterworfenen Arbeitnehmer müssen – erforderlichenfalls durch Rückfrage bei den Betriebsparteien – zuverlässig feststellen können, ob bestimmte Betriebsvereinbarungen noch gelten und deren Regelungen auf ihre Arbeitsverhältnisse Anwendung finden. Kommen als möglicher Gegenstand einer Kündigung mehrere Betriebsvereinbarungen in Betracht, muss sich aus der Kündigungserklärung zweifelsfrei ergeben, welche Betriebsvereinbarung gekündigt werden soll. Hierzu ist die Kündigungserklärung erforderlichenfalls auszulegen. Hierbei ist – anders als bei der Auslegung des normativen Inhalts einer Betriebsvereinbarung – keine objektivierende Betrachtung maßgeblich, sondern § 133 BGB anzuwenden. Die Kündigung einer Betriebsvereinbarung hat selbst keinen normativen Charakter. Entscheidend ist nach § 133 BGB bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen, wie der Erklärungsempfänger die Erklärung nach Treu und Glauben verstehen musste. Zu berücksichtigen sind dabei der Wortlaut der Erklärung, die Begleitumstände und die Interessenlage. Haben Erklärender und Erklärungsempfänger dieselbe Vorstellung vom Inhalt der Erklärung, so ist von dieser selbst dann auszugehen, wenn sie in der Erklärung keinen oder nur unvollkommen Ausdruck gefunden hat. Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt ist der Zugang der Erklärung (Palandt/Heinrichs/Ellenberger 67. Aufl. § 133 BGB Rn. 6b, 8 und 9 mwN). Lässt sich auch im Wege der Auslegung nicht zweifelsfrei feststellen, dass sich eine Kündigung auf eine bestimmte Betriebsvereinbarung bezieht, entfaltet sie keine diese Betriebsvereinbarung beendende Wirkung. Im Prozess gehen Unklarheiten beim Inhalt und Umfang der Kündigung einer Betriebsvereinbarung zu Lasten dessen, der die Beendigung ihrer normativen Wirkung geltend macht.
2. Hiernach wurde durch das Schreiben der Beklagten vom 25. Juni 2003 die BV 1984 nicht gekündigt.
a) Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Beklagte habe mit dem Schreiben vom 25. Juni 2003 die BV Sozialordnung 1986 gekündigt, ist rechtsbeschwerderechtlich nicht zu beanstanden. Auch die Klägerin hat hiergegen keine Einwendungen erhoben. Zu Unrecht hat das Landesarbeitsgericht jedoch angenommen, die Kündigung der BV Sozialordnung 1986 habe zugleich die BV 1984 erfasst und deren Geltung zum 31. Dezember 2003 beendet. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts besteht keine rechtliche Notwendigkeit, “beide Regelwerke als Einheit zu behandeln”. Die BV 1984 und die BV Sozialordnung 1986 waren rechtlich und tatsächlich voneinander unabhängig. Sie regelten selbständig verschiedene Gegenstände. Ihr Schicksal hing nicht wechselseitig voneinander ab. Die Unabhängigkeit der BV 1984 zeigt der Umstand, dass sie bereits vor der BV Sozialordnung 1986 existierte und angewandt wurde. Sie wurde durch den Abschluss der BV Sozialordnung 1986 auch nicht zu deren unselbständigem Bestandteil, sondern blieb unabhängig vom Schicksal der BV Sozialordnung 1986 eine eigenständige, vollständige und sinnvoll anwendbare Betriebsvereinbarung.
b) Das Schreiben vom 25. Juni 2003 enthielt neben der Kündigung der BV Sozialordnung 1986 nicht zusätzlich eine Kündigung der BV 1984. Auch das Landesarbeitsgericht hat das Schreiben nicht in diesem Sinn ausgelegt. Daher kann dahinstehen, inwieweit eine entsprechende Auslegung revisionsrechtlich überprüfbar wäre. Die Beurteilung, ob der Betriebsrat das Schreiben der Beklagten vom 25. Juni 2003 nach seinem objektiven Erklärungswert auch als Kündigung der BV 1984 verstehen musste, ist dem Senat nicht verwehrt. Die hierzu erforderlichen Umstände sind festgestellt. Insbesondere liegt das auszulegende Schreiben im Wortlaut vor. Die BV 1984 wurde in dem Schreiben vom 25. Juni 2003 nicht ausdrücklich gekündigt. Gekündigt wurde nach dem Wortlaut des Schreibens die “oben genannte Betriebsvereinbarung”. Als solche kommt nur die “ABB Arbeits- und Sozialordnung” in Betracht. Dies wiederum war, wovon auch das Landesarbeitsgericht zu Recht ausgegangen ist, die BV Sozialordnung 1986. Dagegen fand die BV 1984 in dem Schreiben keinerlei Erwähnung. Auch ist darin nicht von mehreren Betriebsvereinbarungen, sondern nur von einer Betriebsvereinbarung die Rede. Der weitere Inhalt des Schreibens gebot aus der Sicht des Erklärungsempfängers ebenfalls nicht den Schluss, Gegenstand der Kündigung sei auch die BV 1984. Zwar heißt es in dem Schreiben, “die unterschiedlichen Regelungen unserer freiwilligen Sozialleistungen führ(t)en in ihrer kaum noch zu überblickenden Vielfalt zu einer nicht mehr hinnehmbaren Ungleichbehandlung unserer Mitarbeiter an den B-Standorten”. Daraus musste der Betriebsrat aber nicht entnehmen, dass neben der BV Sozialordnung 1986 auch weitere Betriebsvereinbarungen gekündigt werden sollten. Vielmehr enthält die BV Sozialordnung 1986 selbst zahlreiche unterschiedliche Regelungen über Sozialleistungen. Die Reaktion des Gesamtbetriebsrats auf das Kündigungsschreiben ist für dessen Auslegung ohne Bedeutung. Der Gesamtbetriebsrat war nicht Adressat der Kündigung. Im Übrigen ergibt sich aus seiner Reaktion allenfalls, dass er das Kündigungsschreiben für nicht hinreichend eindeutig hielt.
V. Die zwischen den Parteien rechnerisch unstreitige Höhe der Treueprämie hat die Klägerin ausgehend von ihrer Betriebszugehörigkeit und der Treueprämiegruppe 7 zutreffend berechnet. Der Zinsanspruch folgt aus § 288 Abs. 1 Satz 1 BGB.
Unterschriften
Schmidt, Kreft, Linsenmaier, Wisskirchen, Platow
Fundstellen
Haufe-Index 1999012 |
BB 2008, 1280 |
DB 2008, 1384 |
FA 2008, 218 |
JR 2008, 483 |
NZA 2008, 1313 |
AP, 0 |
EzA-SD 2008, 11 |
EzA |
NZA-RR 2008, 412 |
AUR 2008, 230 |
HzA aktuell 2008, 23 |
SPA 2008, 7 |