Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtskraftwirkung eines DDR-Urteils
Normenkette
ZPO §§ 323, 750, 727, 767; Einigungsvertrag Art. 18 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 25. Juni 1996 – 9 Sa 192/96 – wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Kläger fordert Schadensersatz wegen eines Arbeitsunfalls.
Der im Jahre 1938 geborene Kläger war bei der Sowjetisch-Deutschen Aktiengesellschaft Wismut (SDAG Wismut), der Rechtsvorgängerin der Beklagten, als Steiger beschäftigt. Am 18. August 1958 erlitt er bei Förderarbeiten eine Fußquetschung. Am 6. Juni 1977 verurteilte das Kreisgericht Aue – Az. A 9/77 – die SDAG Wismut wegen dieses Arbeitsunfalls zur Schadensersatzleistung an den Kläger in Höhe der Differenz zwischen dem ohne den Unfall möglichen und seinem tatsächlichen monatlichen Einkommen in Höhe von 203,00 Mark monatlich.
Am 15. November 1988 vereinbarten die SDAG Wismut und der Kläger, wegen „der Weiterführung der Produktivlöhne … und der Anweisung der Bergmannsvollrente” die Schadensersatzleistung ab 01.07.1987 auf monatlich 701,– Mark zu erhöhen. Die Vereinbarung sollte Gültigkeit haben, „bis eine Änderung der der Schadenrealisierung zugrunde liegenden Fakten eintritt”.
Im Juni 1994 berechnete die Beklagte den Schadensersatzanspruch des Klägers mit 362,00 DM pro Monat. Sie leistete Zahlungen bis einschließlich Mai 1995 und stellte sie danach mit dem Hinweis ein, daß nach dem Einigungsvertrag die Rechtsgrundlage für Schadensersatzansprüche entfallen sei.
Mit der im Juli 1995 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage hat der Kläger Schadensersatzleistungen wegen des Arbeitsunfalls vom 18. August 1958 auf der Grundlage der Differenz zwischen dem möglichen und seinem tatsächlichen Einkommen für die zurückliegende Zeit von Mai 1994 bis einschließlich Juni 1995 unter Anrechnung der geleisteten Zahlungen geltend gemacht.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 11.530,12 DM netto nebst 4 % Zinsen seit Klagezustellung zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Ansicht vertreten, mit Außerkrafttreten des § 267 Abs. 1 AGB-DDR habe ihre Schadensersatzpflicht geendet.
Das Arbeitsgericht hat die Klage als unbegründet abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat sie als unzulässig abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Schadensersatzanspruch weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht die Klage als unzulässig abgewiesen. Einer Verurteilung der Beklagten zur Leistung von Schadensersatz wegen des Arbeitsunfalls vom 18. August 1958 steht das Urteil des Kreisgerichts vom 6. Juni 1977 – Az. A 9/77 – entgegen. Mit diesem Urteil hat das Kreisgericht rechtskräftig mit Wirkung für und gegen die Parteien über den vorliegenden Streitgegenstand entschieden. Damit ist jede neue Verhandlung und Entscheidung über die festgestellte Rechtsfolge ausgeschlossen (vgl. BGH Urteil vom 14. Februar 1962 – IV ZR 156/61 – BGHZ 36, 365, 367; BGH Urteil vom 14. Juli 1995 – V ZR 171/94 – NJW 1995, 2993).
I. Das gegen die SDAG Wismut ergangene Urteil wirkt gegen die Beklagte. Gem. Art. 2 § 1 Abs. 1 i.V.m. § 2 des Gesetzes zu dem Abkommen vom 16. Mai 1991 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken über die Beendigung der Tätigkeit der Sowjetisch-Deutschen Aktiengesellschaft Wismut vom 12. Dezember 1991 (BGBl. II S. 1138) wurde die SDAG Wismut in die Beklagte umgewandelt und bestand als solche weiter.
II. Entgegen der von der Revision vorgetragenen Auffassung betrifft die vorliegende Klage keinen anderen Streitgegenstand als der Vorprozeß.
1. Nach der heute herrschenden prozeßrechtlichen Auffassung vom Streitgegenstand im Zivilprozeß wird mit der Klage nicht ein bestimmter materiellrechtlicher Anspruch geltend gemacht. Vielmehr ist Gegenstand des Rechtsstreits der als Rechtsschutzbegehren oder Rechtsfolgenbehauptung aufgefaßte eigenständige prozessuale Anspruch. Dieser wird bestimmt durch den Klageantrag, in dem sich die vom Kläger in Anspruch genommene Rechtsfolge konkretisiert, und durch den Lebenssachverhalt, aus dem der Kläger die begehrte Rechtsfolge herleitet (BGH Urteil vom 19. Dezember 1991 – IX ZR 96/91 – BGHZ 117, 1, 5, m.w.N.).
2. Im vorliegenden Verfahren ist das Rechtsschutzbegehren des Klägers dasselbe wie im Vorprozeß. Der Kläger begehrt von der Beklagten Schadensersatz wegen der Einkommenseinbußen, die aus dem am 18. August 1958 in Ausübung der Tätigkeit für die SDAG Wismut erlittenen Arbeitsunfall folgen. Entgegen der vom Kläger in der Revisionsbegründung geäußerten Ansicht kommt der Frage der Weitergeltung von Normen aus dem Recht der ehemaligen DDR nicht die Eigenschaft des Streitgegenstandes der vorliegenden Leistungsklage zu. Diese Frage stellt nicht das Rechtsschutzbegehren des Klägers, sondern eine Voraussetzung für dessen Begründetheit dar.
3. Auch die Vereinbarung vom 15. November 1988, auf die sich der Kläger stützt, begründet nicht die Annahme eines weiteren Streitgegenstandes. Mit der Vereinbarung wollten die SDAG Wismut und der Kläger nach den revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen des Berufungsgerichts nicht konstitutiv einen vom Arbeitsunfall und seinen Folgen losgelösten Anspruchsgrund schaffen, sondern ausdrücklich nur eine neue Schadensberechnung vornehmen, „bis eine Änderung der der Schadensrealisierung zugrunde liegenden Fakten eintritt”.
III. Soweit der Kläger monatliche Leistungen geltend macht, die den bislang titulierten Betrag übersteigen, wäre dies nur im Rahmen einer Abänderungsklage gem. § 323 ZPO möglich, die auf die rechtsgestaltende Abänderung des Titels gerichtet wäre. Eine Leistungsklage auf Erstattung zusätzlichen Verdienstausfalls gem. § 258 ZPO (Nachforderungs- oder Zusatzklage) wäre dagegen nur dann zulässig, wenn der Kläger im Vorprozeß lediglich eine Teilklage erhoben, also etwa nur einen Teil seines Verdienstausfalls beansprucht oder diesen nur für einen begrenzten Zeitraum verlangt hätte (vgl. BGH Urteil vom 20. Dezember 1960 – VI ZR 38/60 – BGHZ 34, 110, 118; BGH Urteil vom 3. April 1985 – IV b ZR 19/84 – BGHZ 94, 145, 146 f.; Stein/Jonas/Leipold, ZPO, 20. Aufl., § 323 Rz. 3, m.w.N.). Der Kläger hat mit seiner Klage vor dem Kreisgericht Aue jedoch den vollen Verdienstausfall für eine unbegrenzte Zeit geltend gemacht.
IV. Die vorliegende Leistungsklage läßt sich nicht in eine Abänderungsklage umdeuten. Wie der Kläger in der Revisionsbegründung selbst erkennt, könnte er sein Rechtsschutzbegehren überhaupt nicht mit einer Abänderungsklage durchsetzen, weil er den Ausgleich von Einkommenseinbußen für die Zeit vor Erhebung der Klage geltend macht, gem. § 323 Abs. 3 ZPO das Urteil aber nur für die Zeit nach Erhebung der Klage abgeändert werden darf.
V. Das Urteil des Kreisgerichts bleibt gem. Art. 18 Abs. 1 des Einigungsvertrages als vor dem Wirksamwerden des Beitritts ergangene Entscheidung eines Gerichts der DDR wirksam und kann vollstreckt werden.
1. Soweit das Urteil gegen die SDAG Wismut erging, könnte dem Kläger die gem. § 750 Abs. 1 ZPO notwendige vollstreckbare Ausfertigung mit der namentlichen Bezeichnung der Beklagten gem. § 727 ZPO erteilt werden. Das Verfahren zur Umrechnung des auf Mark der DDR lautenden Titels ist Sache der Vollstreckungsorgane (Stein/Jonas/Münzberg, ZPO, 21. Aufl., vor § 704 Rz 149, m.w.N.).
2. Allein die Tatsache, daß sich die Beklagte möglicherweise erfolgreich gem. § 767 ZPO gegen die Zwangsvollstreckung zur Wehr setzen könnte, wenn die Anspruchsgrundlage für eine Differenzrente nunmehr entfallen wäre, eröffnet kein neues Erkenntnisverfahren.
VI. Gemäß § 97 Abs. 1 ZPO hat der Kläger die Kosten der Revision zu tragen.
Unterschriften
Ascheid, Müller-Glöge, Mikosch, Haible, H. Brückmann
Fundstellen
Haufe-Index 1126934 |
NJ 1998, 557 |