Entscheidungsstichwort (Thema)
Insolvenz bei richterrechtlich unverfallbarer Versorgung
Leitsatz (redaktionell)
Vgl. Urteil vom 20. Januar 1987 – 3 AZR 503/85 –
Normenkette
BetrAVG §§ 7, 1, 27 ff.
Verfahrensgang
LAG Köln (Urteil vom 05.02.1986; Aktenzeichen 5 Sa 1030/85) |
ArbG Köln (Urteil vom 31.07.1985; Aktenzeichen 7 Ca 3769/85) |
Tenor
1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 5. Februar 1986 – 5 Sa 1030/85 – teilweise aufgehoben.
2. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Köln von 31. Juli 1985 – 7 Ca 3769/85 – teilweise abgeändert und neu gefaßt wie folgt:
- Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 25.439,78 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 2. Mai 1985 zu zahlen.
- Der Beklagte wird weiter verurteilt, an den Kläger beginnend mit dem 1. April 1985 monatlich 2.119,98 DM jeweils am Monatsletzten zu zahlen.
- Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
3. Im übrigen werden die Berufung und die Revision des Klägers zurückgewiesen.
4. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu 19/20, der Kläger hat sie zu 1/20 zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger, geboren am 6. März 1920, war in der Zeit vom 11. November 1949 bis zum 30. September 1972 bei der K. AG beschäftigt. Am 31. März 1960 schlossen der Kläger und die K. AG einen Pensionsvertrag, der dem Kläger einen Rechtsanspruch auf Altersruhegeld, Invalidenversorgung, Witwen- und Kinderversorgung einräumte. Am 1. Oktober 1972 trat der Kläger in die Dienste der E. GmbH, später E. GmbH. Am 31. März 1984 schied er dort im Alter von 64 Jahren unter Inanspruchnahme des vorgezogenen Altersruhegeldes aus.
Am 24. August 1981 wurde über das Vermögen der K. AG das Konkursverfahren eröffnet. Daraufhin erteilte der Beklagte dem Kläger am 5. September 1983 einen Anwartschaftsausweis, in dem er die Betriebsrente des Klägers, bezogen auf den Zeitpunkt des Ausscheidens bei der K. AG, mit 2.255,30 DM monatlich errechnete.
Der Kläger begehrt von dem Beklagten die Zahlung des Ruhegelds in Höhe von 2.255,30 DM monatlich, beginnend mit dem 1. April 1985, wobei er das Ruhegeld für die Zeit vom 1. April 1984 bis zum 31. März 1985 als Rückstände (12 × 2.255,30 DM = 27.063,60 DM) und vom 1. April 1985 an als laufende Rentenzahlung verlangt. Der Beklagte bestreitet seine Zahlungspflicht mit der Begründung, der Versorgungsanspruch des Klägers sei nicht insolvenzgesichert.
Der Kläger hat vorgetragen, seine bei der K. AG erdiente Versorgungsanwartschaft sei zur Zeit seines Ausscheidens aus diesem Unternehmen nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts unverfallbar gewesen. Das habe ihm seine frühere Arbeitgeberin nochmals mit Schreiben vom 5. Dezember 1972 ausdrücklich bestätigt; in diesem Schreiben sei darüber hinaus eine zusätzliche vertragliche Zusage der Aufrechterhaltung seiner Versorgungsanwartschaft zu sehen. Nach der Insolvenz der K. AG müsse der Beklagte für die erdiente Versorgung eintreten. Das folge auch aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes. Mit dem Anwartschaftsausweis, der auch ein konstitutives Schuldanerkenntnis darstelle, habe der Beklagte in ihm das Vertrauen begründet, nach dem Eintritt in den Ruhestand die zugesagte Betriebsrente vom Träger der Insolvenzsicherung zu erhalten. Allein deswegen habe er, sogar gegen den Willen seines späteren Arbeitgebers, von der Möglichkeit des vorgezogenen Ruhestands Gebrauch gemacht. Er habe noch bis zum 31. März 1986 weiterarbeiten und in den beiden Jahren ein Gesamteinkommen von 509.000,– DM erzielen können. Unter Berücksichtigung der seit dem 1. April 1984 bezogenen anderweitigen Einkünfte sei ihm ein Schaden von 352.160,– DM entstanden, für den der Beklagte aus culpa in contrahendo hafte, falls er nicht für die Versorgungsansprüche gegen den insolvent gewordenen Arbeitgeber eintreten müsse. Auf eine etwa durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geänderte Rechtslage habe der beklagte Pensions-Sicherungs-Verein ihn hinweisen müssen, und zwar so rechtzeitig, daß er sein Arbeitsverhältnis noch weiter hätte fortsetzen können. Geltend gemacht ist ein Schaden in Höhe des dreifachen Jahresbetrags einer monatlichen Rente von 2.255,– DM, also 81.190,80 DM.
Der Kläger hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an ihn
- 27.063,60 DM zuzüglich 4 % Zinsen hieraus seit dem 2. Mai 1985 zu zahlen,
ab 1. April 1985 monatlich nachschüssig 2.255,30 DM zu zahlen,
hilfsweise,
den Beklagten zu verurteilen, an ihn 81.190,80 DM zuzüglich 4 % Zinsen seit dem 7. Mai 1985 zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat vorgetragen, nach dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 1983 (BVerfGE 65, 196 = AP Nr. 2 zu § 1 BetrAVG Unterstützungskassen) stehe für die Fachgerichte bindend fest, daß die lediglich kraft richterlicher Rechtsfortbildung unverfallbaren Anwartschaften solcher Arbeitnehmer, die schon vor Inkrafttreten des Betriebsrentengesetzes am 22. Dezember 1974 ausgeschieden seien, nicht am gesetzlichen Insolvenzschutz teilnehmen. Dem sei auch das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 5. Juni 1984 (BAGE 46, 80 = AP Nr. 3 zu § 1 BetrAVG Unterstützungskassen) gefolgt. Der Anwartschaftsausweis stelle weder ein konstitutives noch ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis dar. Ein Schadenersatzanspruch bestehe nicht, weil der Kläger sich nicht auf den Anwartschaftsausweis habe verlassen dürfen. Der Hauptantrag des Klägers sei auch der Höhe nach nicht begründet. Der Kläger sei mit Vollendung des 64. Lebensjahres vorzeitig in den Ruhestand getreten; er beziehe seither flexibles Altersruhegeld. Für jeden Monat des vorzeitigen Bezugs sei die Betriebsrente um 0,5 %, insgesamt also um 6 % zu kürzen.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter. Der Beklagte hat beantragt, das Revisionsverfahren auszusetzen, bis über die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 7. Juli 1986 (II ZR 238/85 – ZIP 1986, 1211), das die gleiche Frage betrifft, entschieden ist.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet, soweit der Kläger Insolvenzschnutz verlangt. Der Kläger muß jedoch einen versicherungsmathematischen Abschlag in Höhe von 6 % wegen seines vorzeitigen Eintritts in den Ruhestand hinnehmen.
A. Es besteht kein hinreichender Grund, den Rechtsstreit gemäß § 148 ZPO auszusetzen, bis über die Verfassungsbeschwerde des Beklagten gegen das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 7. Juli 1986 (aaO) entschieden ist. Zwar betrifft die Entscheidung des Bundesgerichtshofs dieselbe Rechtsfrage wie die vorliegende Streitsache; es geht darum, ob Versorgungsanwartschaften auf der Grundlage von Direktzusagen auch dann in den gesetzlichen Insolvenzschutz nach §§ 7 ff. BetrAVG einbezogen sind, wenn die Arbeitsverhältnisse schon vor dem Inkrafttreten des Betriebsrentengesetzes beendet waren und die Anwartschaften damit lediglich kraft richterlicher Rechtsfortbildung unverfallbar werden konnten (§ 26 BetrAVG). Der Senat teilt die Auffassung des Bundesgerichtshofs, daß es nicht gegen Grundsätze der Verfassung verstößt, auch solche Versorgungsanwartschaften als insolvenzgeschützt anzusehen. Es kann dahingestellt bleiben, ob bei dieser Sachlage eine Aussetzung des Verfahrens überhaupt zulässig wäre, sie ist jedenfalls nicht angebracht.
Es wären erhebliche praktische Schwierigkeiten, insbesondere lange Verzögerungen zu erwarten, wenn eine Verfassungsbeschwerde gegen ein höchstrichterliches Urteil stets zur Aussetzung aller anschließenden Verfahren führte, in denen die gleiche Rechtsfrage entscheidungserheblich ist. Die Parteien eines Rechtsstreits können verlangen, daß ihr Verfahren in angemessener Zeit zum Abschluß gebracht wird und die staatlichen Gerichte effektiven Rechtsschutz gewährleisten. Demgegenüber hat das Interesse an einer einheitlichen Rechtsanwendung nach § 148 ZPO nicht stets Vorrang. Eine Aussetzung erschiene dann vertretbar, wenn eine Aussicht auf eine baldige Entscheidung des vorgreiflichen Verfahrens bestünde. Davon kann jedoch erfahrungsgemäß nicht ausgegangen werden. Die gemäß § 148 ZPO in das Ermessen des Gerichts gestellte Entscheidung über die Aussetzung wegen Vorgreiflichkeit kann das nicht unberücksichtigt lassen (zur Aussetzung bei vorgreiflichem Normenkontrollverfahren vgl. Skouris, NJW 1975, 713 ff.).
B. Der Kläger hat bei seiner früheren Arbeitgeberin, der K. AG, eine Versorgungsanwartschaft erworben, die unverfallbar ist und am gesetzlichen Insolvenzschutz teilnimmt.
I. Zu der Frage, ob kraft Richterrechts unverfallbare Anwartschaften auch dann in den Insolvenzschutz einzubeziehen sind, wenn der Arbeitnehmer schon vor dem Inkrafttreten des Betriebsrentengesetzes aus dem die Anwartschaft begründenden Arbeitsverhältnis ausgeschieden ist, und zu der weiteren Frage, ob aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 1983 (aaO) die hierzu ergangene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Senats aufzugeben ist, hat der Senat mit Urteil vom 20. Januar 1987 – 3 AZR 503/85 – (zur Veröffentlichung vorgesehen) Stellung genommen. Der Senat und der Bundesgerichtshof gehen übereinstimmend davon aus, daß Versorgungsanwartschaften, die bereits vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung vom 19. Dezember 1974 von der Rechtsprechung als unverfallbar anerkannt wurden, an der gesetzlichen Insolvenzsicherung gem. §§ 7 ff. BetrAVG teilnehmen, sofern sich der Sicherungsfall nach dem 1. Januar 1975 ereignet hat (BAG Urteil vom 16. Oktober 1980, BAGE 34, 227 = AP Nr. 8 zu § 7 BetrAVG; BGH Urteil vom 16. Juni 1980 – II ZR 195/79 – AP Nr. 7 zu § 7 BetrAVG).
Die hiergegen geäußerten Bedenken des Berufungsgerichts sind nicht überzeugend. Die Verweisung in § 7 Abs. 2 Satz 1 BetrAVG auf die „nach § 1 BetrAVG” unverfallbaren Versorgungsanwartschaften schließt nicht aus, diejenigen Anwartschaften gleichzustellen, die schon vor Inkrafttreten des Betriebsrentengesetzes von der Rechtsprechung als unverfallbar angesehen wurden. Es trifft auch nicht zu, daß die Rechtslage nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 19. Oktober 1983 (aaO) anders zu beurteilen wäre. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf das bereits genannte Urteil des Senats vom 20. Januar 1987 Bezug genommen.
II. Die Voraussetzungen des Insolvenzschutzes sind bei der Versorgungsanwartschaft des Klägers erfüllt: Unbestritten war die Versorgungsanwartschaft des Klägers zur Zeit seines Ausscheidens bei der K. AG am 30. September 1972 nach den von der Rechtsprechung aufgestellten Merkmalen bereits unverfallbar (BAGE 24, 177 = AP Nr. 156 zu § 242 BGB Ruhegehalt). Der Kläger hatte eine Dienstzeit von nahezu 23 Jahren erreicht. Der Sicherungsfall trat nach dem Inkrafttreten der §§ 7 ff. BetrAVG am 1. Januar 1975 ein, als das Konkursverfahren über das Vermögen der K. AG am 24. August 1981 eröffnet wurde.
III. Der Höhe nach bedürfen die Berechnungen des Klägers einer Korrektur.
1. Der Beklagte ist als Träger der Insolvenzsicherung berechtigt, eine Kürzung der Betriebsrente vorzunehmen, weil der Kläger von seinem Recht nach § 6 BetrAVG Gebrauch gemacht hat, schon vor Erreichen der in seinem Pensionsvertrag vorgesehenen Altersgrenze von 65 Jahren in den Ruhestand zu treten (§ 6 BetrAVG).
a) Durch den Zusammenbruch eines Unternehmens wird die Interessenlage für Versorgungsgläubiger und Versorgungsschuldner so grundlegend verändert, daß ein versicherungsmathematischer Abschlag beim vorzeitigen Eintritt in den Altersruhestand auch aus der Sicht des Arbeitnehmers vorhersehbar und billig erscheint. Während sich im Regelfall für den Arbeitgeber die Frage stellt, wie er auf die Einführung der flexiblen Altersgrenze reagieren, ob er Kürzungen vorsehen und welche Kürzungsregelungen er einführen soll, hat der Träger der Insolvenzsicherung nur die Aufgabe, rasch und kostensparend die Versorgungslasten abzuwickeln. Er kann anders als der Arbeitgeber keine personal- oder sozialpolitischen Lösungen ins Auge fassen; eine Ergänzung der Versorgungsordnung für die Fälle des vorzeitigen Ruhestands ist ihm verschlossen. Für ihn drängt sich eine Berechnung des Barwerts der Versorgung und damit eine Kürzung der Rente entsprechend der längeren Laufzeit auf. Dabei erscheint eine Kürzung in Höhe von 0,5 % für jeden Monat des vorzeitigen Rentenbezugs nicht unbillig (BAGE 38, 277 = AP Nr. 4 zu § 6 BetrAVG zu 3 und 4 der Gründe).
b) Im Streitfall ist der Kläger zwölf Monate vor Vollendung des in seinem Pensionsvertrag vorgesehenen Ruhestandsalter unter Inanspruchnahme des vorgezogenen Altersruhegelds ausgeschieden. Der Beklagte ist daher berechtigt, die ab 1. April 1984 zu zahlende Rente um 0,5 % pro Monat, zusammen also um 6 % zu kürzen.
c) Da das Zahlenwerk und insbesondere der Zeitwert der Teilrente des Klägers unstreitig ist, kann der Senat selbst die Höhe der Rente berechnen, für die der Beklagte einstehen muß:
Nachzahlung 1. April 1984 bis 31. März 1985
Zeitwert |
27.063,60 DM |
davon 6 % |
1.623,82 DM |
Es verbleiben |
25.439,78 DM, |
Laufende Rente ab 1. April 1985
Zeitwert |
2.255,30 DM |
davon 6 % |
135,32 DM |
Es verbleiben |
2.119,98 DM |
2. Soweit der Kläger mit seinem Hilfsantrag einen höheren Betrag als Schadenersatz verlangt hat, ist sein Begehren unbegründet. Dieser Antrag ist auf das Erfüllungsinteresse gerichtet und auf die Dauer des dreijährigen Rentenbezugs begrenzt (36 × 2.255,30 DM = 81.190,80 DM). Auch insoweit müßte der Kläger den durch die längere Laufzeit der Rente bedingten versicherungsmathematischen Abschlag hinnehmen. Die vom Kläger angestellten Berechnungen, die zu einem höheren Schadensbetrag führen, sind in den Hilfsantrag nicht eingegangen. Die weiteren Rechtsfragen (culpa in contrahendo, Schuldanerkenntnis) können auf sich beruhen.
Unterschriften
Dr. Dieterich, Schaub, Griebeling, Hoechst, Zieglwalner
Fundstellen