Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung einer Versorgungszusage für den Fall der vorgezogenen Inanspruchnahme einer Betriebsrente. Auslegung einer Versorgungsordnung – Vorgezogene Inanspruchnahme einer Betriebsrente nach § 6 BetrAVG – Überprüfbarkeit einer zweitinstanzlichen Auslegung durch das Revisionsgericht
Orientierungssatz
1. Die Aussage des Bundesarbeitsgerichts, bei der Berechnung der vorgezogen in Anspruch genommenen Betriebsrente (§ 6 BetrAVG), sei eine zeitanteilige Kürzung ohne weiteres möglich, ein versicherungsmathematischer Abschlag aber nur dann, wenn die Versorgungszusage ihn vorsieht, ist eine Auslegungsregel, die nur dann greift, wenn die betriebliche Versorgungsregelung lückenhaft ist, weil sie für den Fall des § 6 BetrAVG keine eigene billigenswerte Bestimmung zur Berechnung der vorgezogenen Betriebsrente getroffen hat (zuletzt BAG 29. Juli 1997 – 3 AZR 134/96 – AP BetrAVG § 6 Nr. 24 = EzA BetrAVG § 6 Nr. 20).
2. Regelungen in einer Versorgungszusage dazu, welcher Teilanspruch sich aus einer unverfallbaren Versorgungszusage ergibt, betreffen grundsätzlich nicht den Fall des § 6 BetrAVG. Bei der vorgezogenen Inanspruchnahme einer Betriebsrente nach dieser Bestimmung kommt es auf die Erfüllung der Unverfallbarkeitsvoraussetzungen des § 1 BetrAVG nicht an.
3. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist die Auslegung von Willenserklärungen in der Revisionsinstanz nach unterschiedlichen Maßstäben vorzunehmen, je nach dem, ob es sich um Willenserklärungen individueller Art oder sog. typische Vertragsklauseln handelt. Im ersten Fall kann das Revisionsgericht nur überprüfen, ob das Berufungsgericht fehlerhaft eine Auslegung völlig unterlassen hat, ob es bei seiner Auslegung Auslegungsregeln verletzt, also einen Rechtsverstoß begangen hat, und ob bei der Auslegung gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen oder der Tatsachenstoff unvollständig verwertet worden ist. Demgegenüber sind typische Vertragsklauseln vom Revisionsgericht selbständig und unbeschränkt auszulegen, wenn dies der festgestellte Sachverhalt ermöglicht. Dies gilt insbesondere dann, wenn es um die Auslegung von Urkunden geht und besondere Umstände des Einzelfalles, die der Auslegung eine bestimmte Richtung geben könnten, nicht in Frage stehen.
Normenkette
BetrAVG §§ 6, 2, 1
Verfahrensgang
Tenor
1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 14. Januar 2000 – 5 Sa 49/99 – aufgehoben. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 11. März 1999 – 15 Ca 8669/98 – wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Höhe der dem Kläger zustehenden vorgezogenen betrieblichen Altersrente.
Der Kläger ist am 2. Juli 1935 geboren. Er war seit dem 1. Oktober 1982 bei der Beklagten beschäftigt. Unter dem 30. Dezember 1982 erhielt er eine von der Beklagten unterschriebene „Pensionszusage”, in der es ua. heißt:
„In Anerkennung Ihrer uns bisher geleisteten Dienste und im Vertrauen darauf, daß Sie unserem Unternehmen auch weiterhin die Treue halten werden, haben wir uns entschlossen, Ihnen nach Maßgabe der auf der nächsten Seite genannten Bestimmungen folgende Alters-, Invaliden- und Hinterbliebenenversorgung zu gewähren.
Sie erhalten:
Altersrente
Beim Ausscheiden aus den Diensten unserer Firma nach vollendetem 65. Lebensjahr eine lebenslängliche Altersrente von monatlich
DM 300,–.
Erfolgt das Ausscheiden vorzeitig wegen der Inanspruchnahme der vorgezogenen Altersrente aus der Sozialversicherung (flexible Altersgrenzen), so vermindert sich die Altersrente für jeden Monat, den Sie vor Erreichen des o.a. Pensionsalters ausscheiden, um 0,5 %.
Die Altersrentenleistung setzt eine ununterbrochene Mindestbetriebszugehörigkeit von 10 Jahren voraus. Angerechnet werden nur ununterbrochene Dienstjahre bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres.
Invalidenrente
…
Witwenrente
…”
Auf der nicht unterschriebenen Rückseite wird zunächst erläutert, welche Voraussetzungen für die Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrente bestehen, inwieweit Abtretungen oder Verpfändungen möglich sein sollen sowie daß die Beklagte berechtigt sei, eine Rückdeckungsversicherung abzuschließen. Sodann behält sich die Beklagte einen Widerruf wegen wirtschaftlicher Notlage vor und unterstellt die Pensionszusage Änderungen durch Betriebsvereinbarungen, die aber nur Auswirkungen auf die Verpflichtungen gegenüber den zur Zeit der Abänderung aktiven Mitarbeitern habe. Im 6. Absatz heißt es:
„Bei Beendigung Ihres Arbeitsverhältnisses vor Eintritt des Versorgungsfalles und vor Eintritt der im „Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung” (BetrAVG) geregelten Unverfallbarkeit von Versorgungsanwartschaften besteht kein Anspruch aus dieser Zusage.
Bei Beendigung Ihres Arbeitsverhältnisses vor Eintritt des Versorgungsfalles, aber nach Eintritt der Unverfallbarkeit der Versorgungsanwartschaft, wird bei Eintritt des Versorgungsfalles nur eine Teilleistung nach Maßgabe des o. a. Gesetzes gewährt.
Im Falle der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses werden wir Ihnen Auskunft darüber erteilen, ob für Sie die Voraussetzungen einer unverfallbaren Versorgungsanwartschaft erfüllt sind und in welcher Höhe gegebenenfalls Rentenleistungen bei Eintritt des Versorgungsfalles beansprucht werden können.
…”
Der Kläger, der zum 31. Juli 1998 bei der Beklagten ausgeschieden ist, bezieht seit dem 1. August 1998 gesetzliche Altersrente für langjährig Versicherte nach § 36 SGB VI. Seither erhält er von der Beklagten eine monatliche Betriebsrente von 235,00 DM. Diesen Betrag hat die Beklagte ermittelt, indem sie die zugesagte monatliche Betriebsrente von 300,00 DM zunächst im Hinblick auf das Ausscheiden mit 63 statt mit 65 zeitanteilig kürzte, und dann von dem ermittelten Betrag einen versicherungsmathematischen Abschlag von insgesamt 12 % vornahm.
Der Kläger hat den Standpunkt eingenommen, die Beklagte könne den ihm versprochenen monatlichen Rentenbetrag nur einmal versicherungsmathematisch kürzen. Dies sei in der Versorgungszusage so abschließend geregelt. Eine ergänzende Vertragsauslegung iSd. ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach bei Inanspruchnahme der flexiblen Altersgrenze die Berechtigung bestehe, die zum 65. Lebensjahr zugesagte Leistung entsprechend § 2 BetrAVG zu kürzen, sei deshalb ausgeschlossen. Die Beklagte schulde ihm danach über die von ihr gezahlten 235,00 DM hinaus weitere 29,00 DM monatlich.
Der Kläger hat beantragt,
- die Beklagte zu verurteilen, an ihn für die Zeit vom 1. August 1998 bis 31. Oktober 1998 eine weitere Betriebsrente iHv. insgesamt 87,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 1. November 1998 zu zahlen;
- die Beklagte zu verurteilen, an ihn ab dem 1. November 1998 eine über den Betrag von monatlich 235,00 DM hinausgehende weitere Betriebsrente iHv. 29,00 DM monatlich, fällig jeweils am Ende des jeweiligen Monats, nebst jeweils 4 % Zinsen seit dem jeweiligen Fälligkeitstag zu bezahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Nach ihrer Auffassung ist mit der Wiedergabe der Regelung des § 2 BetrAVG auf der zweiten Seite der Pensionszusage und der Bezugnahme dieser Regelung in der Zusage selbst auch der Fall des vorzeitigen Ausscheidens wegen vorgezogener Inanspruchnahme der Betriebsrente mit geregelt. Sie, die Beklagte, habe damit ersichtlich an die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu den Kürzungsbefugnissen des Arbeitgebers bei Inanspruchnahme der Rechte aus § 6 BetrAVG angeknüpft.
Das Arbeitsgericht hat die Beklagte im Wege des ersten Versäumnisurteils antragsgemäß verurteilt und dieses Urteil im streitigen Verfahren aufrecht erhalten. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht dieses Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit seiner Revision strebt der Kläger die Wiederherstellung des Urteils Erster Instanz an.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat seine Klage zu Unrecht abgewiesen.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Pensionszusage sehe für den Fall der vorgezogenen Inanspruchnahme nach § 6 BetrAVG sowohl einen versicherungsmathematischen Abschlag als auch eine zeitratierliche Kürzung vor. Die Angabe des versicherungsmathematischen Abschlages auf der ersten Seite der Pensionszusage sei erfolgt, weil die Beklagte der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts habe Rechnung tragen wollen, daß ein versicherungsmathematischer Abschlag nur dann in Betracht komme, wenn er auch ausdrücklich vereinbart worden sei. Dadurch habe aber der besondere Versorgungsfall des § 6 BetrAVG nicht auch zu einem Versorgungsfall iSd. Pensionszusage gemacht werden sollen. Die auf der zweiten Seite der Pensionszusage vorgesehene zeitanteilige Kürzung entsprechend § 2 BetrAVG wegen nicht vollständiger Erbringung der geforderten Betriebstreue sei dadurch nicht ausgeschlossen worden. Auch der Fall des § 6 BetrAVG werde in der Pensionszusage als vorzeitiges Ausscheiden bezeichnet, für das in der auf der ersten Seite ausdrücklich in Bezug genommenen Berechnungsregel der zweiten Seite eine zeitanteilige Kürzung vorgesehen sei. Bei anderer Auffassung ergebe sich das ungereimte Ergebnis, daß nach der Pensionszusage zwar ein Arbeitnehmer, der auch nur kurz vor der Inanspruchnahme der vorgezogenen Altersrente aus dem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten ausgeschieden sei, sowohl eine ratierliche Kürzung als auch einen versicherungsmathematischen Abschlag hinnehmen müsse, ein Arbeitnehmer, der nur wegen der Inanspruchnahme der vorgezogenen Altersrente vorzeitig ausscheide, jedoch lediglich einen versicherungsmathematischen Abschlag. Eine derartige, sachlich kaum zu rechtfertigende Differenzierung sei von der Beklagten schwerlich gewollt worden. Die Pensionszusage sehe deshalb mit noch hinreichender Deutlichkeit sowohl eine versicherungsmathematische als auch eine zeitanteilige Kürzung der versprochenen Vollrente vor.
II. Dem folgt der Senat nicht. Die Beklagte ist auf Grund ihrer Pensionszusage vom 30. Dezember 1982 bei der Berechnung der vorgezogenen Betriebsrente nach § 6 BetrAVG gehalten, nur eine Kürzung vorzunehmen, nämlich um den in der Pensionszusage selbst vorgesehenen versicherungsmathematischen Abschlag. Eine zeitanteilige Kürzung ist ausgeschlossen. Dem Kläger stehen deshalb über die von der Beklagten gezahlten 235,00 DM weitere 29,00 DM, insgesamt also 264,00 DM monatlich als Betriebsrente zu.
1. Es kann dahinstehen, nach welchen Maßstäben die Auslegung der Versorgungszusage einer revisionsgerichtlichen Überprüfung zu unterziehen ist.
Die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts unterscheidet zwischen Willenserklärungen individueller Art und sog. typischen Vertragsklauseln. Die Auslegung von individuellen Verträgen oder Willenserklärungen ist grundsätzlich Sache der Tatsacheninstanz. Es geht um die Ermittlung der Tatsache, welchen Willen die Parteien mit ihrer Vertragserklärung verfolgt haben. Eine Überprüfung individueller Vereinbarungen durch das Revisionsgericht ist nur daraufhin möglich, ob das Berufungsgericht fehlerhaft eine Auslegung völlig unterlassen hat, ob es bei seiner Auslegung Auslegungsregeln verletzt, also einen Rechtsverstoß begangen hat, oder ob bei der Auslegung gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstoßen oder der Tatsachenstoff unvollständig verwertet worden ist(statt aller BAG 22. September 1992 – 9 AZR 385/91 – AP BGB § 117 Nr. 2 = EzA BGB § 117 Nr. 3; 8. Juni 2000 – 2 AZR 207/99 – AP ArbGG 1979 § 5 Nr. 49 = EzA ArbGG 1979 § 5 Nr. 35). Demgegenüber können nach ständiger Rechtsprechung sog. typische Vertragsklauseln vom Revisionsgericht selbständig und unbeschränkt ausgelegt werden, wenn der festgestellte Sachverhalt dies ermöglicht. Letzteres ist insbesondere dann zu bejahen, wenn es um die Auslegung von Urkunden geht und besondere Umstände des Einzelfalles, die dieser Auslegung eine bestimmte Richtung geben könnten, nicht in Frage stehen(BAG 16. Oktober 1991 – 5 AZR 35/91 – AP BErzGG § 19 Nr. 1= EzA BErzGG § 19 Nr. 1 mwN).
Die Auslegung des Landesarbeitsgerichts ist auch dann zu beanstanden, wenn man sie nur nach dem für individuelle Erklärungen geltenden Maßstab überprüft. Sie beachtet wesentliche Auslegungsregeln nicht und wendet Rechtsbegriffe unzutreffend an.
2. Eine zutreffende Auslegung der Pensionszusage, für die von keiner der Parteien außerhalb der Urkunde liegende Umstände zur Stützung der eigenen Auffassung vorgetragen werden, muß zu der Feststellung führen, daß die Beklagte dem Kläger für den Fall des vorzeitigen Ausscheidens wegen der Inanspruchnahme der vorgezogenen Altersrente eine Betriebsrente versprochen hat, die gegenüber der Vollrente lediglich um den versicherungsmathematischen Abschlag von 0,5 % pro Monat gekürzt werden muß.
a) Das Landesarbeitsgericht hat die Systematik der Pensionszusage außer Acht gelassen. Sie spricht für die Rechtsauffassung des Klägers.
Zwar bestimmt die eigentliche Pensionszusage, die sich auf der Vorderseite des doppelseitig bedruckten Blattes befindet, zunächst, daß sie die folgenden einzelnen Versorgungsleistungen nach Maßgabe der auf der nächsten Seite genannten Bestimmungen gewähren will. Sie nennt dann aber ausdrücklich als Unterfall der Altersrente, also der Vollrente, den Fall des vorzeitigen Ausscheidens wegen der Inanspruchnahme der vorgezogenen Altersrente und ordnet insoweit einen versicherungsmathematischen Abschlag von 0,5 % pro Monat an. Dies soll für „die Altersrente” gelten, womit die unmittelbar zuvor genannte und für den jeweiligen Begünstigten bezifferte monatliche lebenslängliche Altersrente in Bezug genommen wird. Die vorgezogene betriebliche Altersrente wird bereits in der unterschriebenen Pensionszusage selbst auch der Höhe nach geregelt. Sie wird also nicht erst in den Maßgaben auf der Rückseite der Versorgungszusage behandelt. Das spricht dafür, daß sich die Berechnung der vorgezogenen Altersrente bei Betriebstreue bis zu deren Inanspruchnahme ausschließlich nach den Maßgaben der Vorderseite der Pensionszusage richtet.
b) Diese Auslegung wird entscheidend durch die Feststellung gestützt, daß sich auf der Rückseite der Pensionszusage im sechsten Absatz, zweiten Unterabsatz entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts keine Regel für die Berechnung der Betriebsrente nach vorzeitigem Ausscheiden in den vorgezogenen Ruhestand findet.
In Abs. 6 der Maßgaben zur Pensionszusage wird in beiden Alternativen darauf abgestellt, inwieweit im Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine verfallbare oder unverfallbare Versorgungsanwartschaft entstanden ist. Wenn die Versorgungsanwartschaft unverfallbar geworden sei, werde bei Eintritt des Versorgungsfalles nur eine Teilleistung nach Maßgabe des Betriebsrentengesetzes gewährt. In beiden Fällen werde dann auch Auskunft darüber erteilt, ob für den Kläger die unmittelbaren Voraussetzungen einer unverfallbaren Versorgungsanwartschaft erfüllt seien und in welcher Höhe gegebenenfalls Rentenleistungen bei Eintritt des Versorgungsfalles beansprucht werden könnten. All dies paßt nicht auf den Fall der vorzeitigen Inanspruchnahme der betrieblichen Versorgungsleistungen bei einem Arbeitnehmer, der bis zu diesem Zeitpunkt betriebstreu geblieben ist. Der Anspruch auf eine vorgezogene Betriebsrente besteht für einen solchen Arbeitnehmer – nach Erfüllung der Wartezeit und sonstiger Leistungsvoraussetzungen – unabhängig davon, ob er bis zu diesem Überwechseln in den Ruhestand die Unverfallbarkeitsfristen zurückgelegt hat. Die Unverfallbarkeit seiner Versorgungsanwartschaft wird vom Gesetz gerade nicht vorausgesetzt(Blomeyer/Otto BetrAVG 2. Aufl. § 6 Rn. 64 mwN). Es handelt sich bei dem Ausscheiden wegen vorgezogener Inanspruchnahme der Betriebsrente nach § 6 BetrAVG nicht um ein vorzeitiges Ausscheiden iSd. §§ 1, 2 BetrAVG, das die unmittelbare Anwendung der letztgenannten Vorschrift eröffnen würde. Bei der vorgezogenen Inanspruchnahme der Betriebsrente handelt es sich vielmehr um einen besonderen gesetzlichen Versorgungsfall „Alter”. Für eine Auskunft nach § 2 Abs. 6 BetrAVG über die Höhe künftiger Versorgungsansprüche bei Erreichen der Altersgrenze ist schon deshalb kein Platz, weil der Anspruch auf vorgezogene Betriebsrente mit dem vorzeitigen Ausscheiden und dem Wechsel in den vorgezogenen Ruhestand entsteht.
c) Auch im übrigen finden sich auf der Rückseite der Pensionszusage keine auf die vorgezogene Betriebsrente anwendbaren „Maßgaben”.
d) Nach alledem behandelt die eigentliche Pensionszusage die vorgezogene betriebliche Altersrente als Unterfall der von ihr versprochenen Altersrente und sieht selbst einen der vorgezogenen Inanspruchnahme adäquaten Abschlag vor: Die Maßgaben der Rückseite der Versorgungszusage regeln demgegenüber planwidrige Verläufe, wie ein vorzeitiges Ausscheiden vor Erreichen eines Versorgungsfalles nach § 1 BetrAVG oder eine wirtschaftliche Notlage der Beklagten. Sie enthalten keine Maßgaben für den besonderen gesetzlichen Versorgungsfall des § 6 BetrAVG. Danach spricht alles dafür, daß die Berechnung der Betriebsrente für den Fall der vorgezogenen Inanspruchnahme bei einer Betriebstreue bis zu diesem Zeitpunkt abschließend in der eigentlichen Pensionszusage geregelt ist.
e) Dies ist angesichts der Art der zugesagten Versorgung auch in sich stimmig: Die Beklagte hat dem Kläger wie offenbar allen von der Pensionszusage begünstigten Arbeitnehmern eine monatliche Festrente zugesagt. Ihre Höhe ist von der Dauer der Betriebszugehörigkeit unabhängig und kommt jedem Arbeitnehmer grundsätzlich in der ihm zugesagten Höhe zugute, wenn er nur die bis zum Versorgungsfall vorgesehene Wartezeit von zehn Jahren zurückgelegt hat. Bei einer solchen Zusage ist es folgerichtig, auf den besonderen Versorgungsfall des § 6 BetrAVG nur mit einem versicherungsmathematischen Abschlag zu reagieren, der den vorzeitigen und längeren Abruf der versprochenen Versorgungsleistungen auszugleichen hat und auf die fehlende Betriebstreue nicht zu reagieren. Sie hat im Falle des § 6 BetrAVG eine andere Qualität als bei einem vorzeitigen Ausscheiden im aktiven Arbeitsleben.
f) Mit dieser Wertung stimmt es schließlich überein, daß im nächsten Absatz der eigentlichen Pensionszusage, wo wieder von einem „vorzeitigen Ausscheiden” die Rede ist, für den Fall des vorzeitigen Ausscheidens in Folge von Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit eine Invalidenrente in gleicher Höhe wie die versprochene Altersrente in Aussicht gestellt wird, wenn nur die Wartezeit von zehn Jahren bis zum Eintritt des besonderen Versorgungsfalles zurückgelegt worden ist. Auch hier soll also die an sich geringere Betriebstreue nicht zu einer Minderung der versprochenen Festrente führen Das „vorzeitge Ausscheiden” wird hier wie auch im Falle des § 6 BetrAVG anders bewertet als im Falle der §§ 1, 2 BetrAVG, weil der Arbeitnehmer bis zum vorgezogenen besonderen Versorgungsfall betriebstreu geblieben ist.
3. Die hier vorgenommene Auslegung steht nicht im Widerspruch zur bisherigen Rechtsprechung des Senats zu § 6 BetrAVG.
Schon in der ersten einschlägigen Entscheidung hierzu hat der Senat ausgeführt, § 6 BetrAVG gestatte die Kürzung des vorgezogenen betrieblichen Altersruhegeldes, zwinge aber nicht dazu. Weiter heißt es in dieser Entscheidung, Versorgungsregelungen, die nur die Höhe der Leistungen für den mit Vollendung des 65. Lebensjahrs vereinbarten Versorgungsfall bestimmten, seien mit Einführung des § 6 BetrAVG lückenhaft und ergänzungsbedürftig geworden. Ihnen fehle die Angabe, welche Leistungen gewährt würden, wenn das betriebliche Altersruhegeld vor dem 65. Lebensjahr einsetze(BAG 1. Juni 1978 – 3 AZR 216/77 – BAGE 30, 333, 336). Später hat der Senat dann Regeln für die Ausfüllung einer solchen Regelungslücke aufgestellt. Er hat entschieden, daß dann, wenn eine Versorgungsordnung den Sonderfall der flexiblen Altersgrenze nicht regele, eine ergänzende Auslegung dahin geboten sei, daß der Arbeitgeber die Renten der vorzeitig pensionierten Arbeitnehmer zeitanteilig kürzen könne, einen versicherungsmathematischen Abschlag aber nicht vornehmen dürfe(BAG 24. Juni 1986 – 3 AZR 630/84 – AP BetrAVG § 6 Nr. 12; bestätigt durch BAG 13. März 1990 – 3 AZR 338/89 – AP BetrAVG § 6 Nr. 17 = EzA BetrAVG § 6 Nr. 13). Der Senat hat in allen Entscheidungen aber auch immer wieder deutlich gemacht, daß die Auslegungsregel, wonach ohne weiteres eine zeitratierliche Kürzung bei vorgezogener Inanspruchnahme möglich ist, während ein versicherungsmathematischer Abschlag nur erlaubt sei, wenn er in der Versorgungsordnung vorgesehen sei, nur dann und soweit gelte, wie die betriebliche Versorgungsregelung keine eigene billigenswerte Bestimmung getroffen habe(zuletzt BAG 28. März 1995 – 3 AZR 900/94 – AP BetrAVG § 6 Nr. 21 = EzA BetrAVG § 6 Nr. 17; 29. Juli 1997 – 3 AZR 114/96 – AP BetrAVG § 6 Nr. 23 = EzA BetrAVG § 6 Nr. 19; 29. Juli 1997 – 3 AZR 134/96 – AP BetrAVG § 6 Nr. 24 = EzA BetrAVG § 6 Nr. 20). Die von der Beklagten vertretene Auffassung, man müsse zu dem von ihr vertretenen Auslegungsergebnis in Anwendung der Regel kommen, daß im Zweifel eine gesetzeskonforme Versorgungsregelung gewollt sei, geht deshalb im Ansatz fehl. Es handelt sich bei den von der Beklagten angesprochenen Rechtssätzen des Bundesarbeitsgerichts nicht um ein gesetzliches Modell, sondern um eine Auslegungsregel für den Fall einer lückenhaften Versorgungszusage. Eine eigene billigenswerte Regelung hat demgegenüber immer Vorrang. Eine solche eigene Regelung hat die Beklagte in ihrer formularmäßigen Pensionszusage getroffen.
4. Entgegen der Auffassung der Beklagten und des Landesarbeitsgerichts ist die festgestellte Berechnungsregel der Pensionszusage nicht zu beanstanden. Es spricht nichts dagegen, daß ein Arbeitnehmer, der bis zum Eintritt in den vorgezogenen Ruhestand betriebstreu bleibt, im Verhältnis zu vorzeitig ausscheidenden Arbeitnehmern, die dann vorgezogen Betriebsrente in Anspruch nehmen, begünstigt wird. Dies muß nur tatsächlich in der Versorgungsordnung auch so zum Ausdruck kommen, wie dies hier geschehen ist. Das Gesetz verlangt nur eine zeitanteilig errechnete Versorgungsanwartschaft des vorzeitig Ausgeschiedenen im Verhältnis zum Versorgungsanspruch des bis zur festen Altersgrenze im Betrieb Verbliebenen. Dies ist durch die Pensionszusage gewährleistet. Daß Arbeitnehmer, die wegen des vorgezogenen Eintritts in den Ruhestand ausgeschieden sind und Betriebsrente in Anspruch nehmen, relativ günstiger stehen, kann insbesondere personalwirtschaftliche Gründe haben. Ein Arbeitgeber hat nicht selten ein eigenes Interesse daran, älteren Arbeitnehmern das vorgezogene Ausscheiden in den Ruhestand zu erleichtern. Dem Rechnung zu tragen, verbietet das Betriebsrentengesetz nicht.
Unterschriften
Reinecke, Kremhelmer, Bepler, Arntzen, Stemmer
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 20.03.2001 durch Kaufhold, Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 670496 |
EzA-SD 2002, 12 |
EzA |