Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf Ersatz des Steuerschadens. Ausschlußfrist. Ausschlußfristen. Schadenersatz
Leitsatz (redaktionell)
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 28. Juni 2001 – 1 Sa 393/00 – wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Orientierungssatz
- Zahlt ein Arbeitgeber verspätet die Arbeitsvergütung aus, obwohl er auf die Wirksamkeit einer von ihm ausgesprochenen Kündigung nicht vertrauen durfte, muß er dem Arbeitnehmer den hieraus entstandenen Steuerschaden ersetzen.
- Die Höhe des Schadens bestimmt sich aus einem Vergleich der steuerlichen Lage bei verspäteter Zahlung mit der bei rechtzeitiger Zahlung.
- Zu den zu erstattenden Kosten gehören dabei grundsätzlich auch die Kosten für die Einschaltung eines Steuerberaters, der die Höhe des Schadens ermittelt.
- Ein solcher Steuerschaden ist ein Anspruch “aus dem Arbeitsverhältnis”.
- In der Erhebung einer Kündigungsschutzklage liegt keine Geltendmachung von Steuerverzögerungsschäden.
- Ein Steuerverzögerungsschaden wird frühestens mit Bekanntgabe des Steuerbescheides fällig, mit der die – progressionsbedingt erhöhte – Steuer gefordert wird. Ob zu diesem Zeitpunkt eine weitere Frist hinzutritt, innerhalb der ein Arbeitnehmer seinen Steuerschaden unter Einschaltung sachverständiger Personen berechnen kann, bleibt offen.
- Die Geltendmachung eines Anspruchs verlangt lediglich eine Spezifizierung nach Grund und Höhe. Dem genügt grundsätzlich auch eine übersetzte Forderung, es sei denn, die Geltendmachung wird hierdurch gänzlich unbestimmt.
- Bei besonderer Schwierigkeit der Berechnung führt eine Zuvielforderung jedenfalls dann nicht zur Unbestimmtheit, wenn der Schuldner die Erklärung des Gläubigers als Aufforderung zur Bewirkung der tatsächlich geschuldeten Leistung verstehen muß und der Gläubiger zur Annahme der gegenüber seinen Vorstellungen geringeren Leistung bereit ist.
- Eine Geltendmachung kann auch vor Fälligkeit erfolgen.
Normenkette
BGB § 286 Abs. 1, § 284 Abs. 2, § 285 a.F.; MTV für die Angestellten und gewerblichen Arbeitnehmer im KFZ-Gewerbe Mecklenburg-Vorpommern vom 1. April 1991 i.d.F. vom 13. Mai 1996 § 14
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Parteien streiten über den Ersatz des dem Kläger durch verspätete Lohnzahlungen entstandenen Steuerschadens.
Der Kläger war bei dem Beklagten seit 1991 als Vorarbeiter mit einer monatlichen Vergütung von 3.000,00 DM brutto beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand der Manteltarifvertrag für die Angestellten und gewerblichen Arbeitnehmer im Kraftfahrzeuggewerbe Mecklenburg-Vorpommern vom 1. April 1991 idF vom 13. Mai 1996 Anwendung. Dieser bestimmt in § 14:
“Alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis mit Ausnahme von Urlaub sind zunächst innerhalb von vier Wochen nach Fälligkeit beim Arbeitgeber bzw. beim Arbeitnehmer schriftlich geltend zu machen.
Zu dieser Forderung ist von der anderen Partei spätestens innerhalb von 14 Tagen schriftlich Stellung zu nehmen.
Lehnt eine Partei die Ansprüche der anderen Partei ab, so muß innerhalb einer weiteren Vier-Wochen-Frist (nach Ablehnung) Klage beim Arbeitsgericht erhoben werden; es sei denn, daß die Einhaltung der Frist wegen unabwendbarem Zufall nachweislich oder schriftlich noch durch einen Beauftragten nötig war (bei schwerer Krankheit, zwingender Ortsabwesenheit usw.). Die Ablehnung der Ansprüche hat ebenfalls schriftlich zu erfolgen.
Bei Nichtbeachtung dieser Bestimmung erlöschen die Ansprüche.”
Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 31. März 1996. Mit seiner Kündigungsschutzklage hat der Kläger vor dem Arbeitsgericht Schwerin – 2 Ca 965/96 – durch Urteil vom 12. August 1996 und vor dem Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern – 1 Sa 393/96 – durch Urteil vom 10. April 1997 obsiegt. Im nachfolgenden Rechtsstreit – 3 Ca 2078/97 – um die Vergütungsansprüche des Klägers schlossen die Parteien vor dem Arbeitsgericht Schwerin am 25. September 1997 einen Vergleich, in dem ua. folgendes vereinbart wurde:
- “
- Der Beklagte rechnet das Arbeitsverhältnis der Parteien für die Zeit vom 1. April 1996 bis zum 10. Juli 1997 ordnungsgemäß ab und zahlt die sich ergebenden Nettobeträge abzüglich gesetzlicher Forderungsübergänge an den Kläger aus.
- …
- Das Arbeitsverhältnis der Parteien endet aufgrund ordentlicher, fristgerechter, betriebsbedingter Kündigung der Beklagten mit Schreiben vom 19. August 1997 zum 31. Oktober 1997.
- …
- Mit diesem Vergleich sind der vorliegende Rechtsstreit und der Rechtsstreit zum Aktenzeichen: – 3 Ca 3382/97 – erledigt.”
Die gesamte nachzuzahlende Vergütung hat der Beklagte Ende 1997 zur Auszahlung gebracht.
Der Einkommenssteuerbescheid vom 17. Februar 1998 für das Jahr 1996 wies ein Steuerguthaben von 912,00 DM aus. Am 11. Januar 1999 erhielt der Kläger einen Einkommenssteuerbescheid vom 8. Januar 1999 für das Jahr 1997, aus dem sich eine Nachzahlungspflicht von 3.698,98 DM ergab. Der Kläger beauftragte sodann die RUB Datenverarbeitungs GmbH Steuerberatungsgesellschaft und legte gegen den Steuerbescheid Einspruch ein.
Mit Schreiben vom 4. Februar 1999 teilte die IG Metall für den Kläger folgendes mit:
“… Hiermit mache ich im Auftrag unseres Mitglieds E R Schadensersatzforderungen wegen verspäteter Lohnzahlungen für den Zeitraum 04 – 12/96 und den damit entstandenen Steuerschaden in Höhe von ca. 10.000,00 DM geltend.
Eine genaue Bezifferung der Ansprüche geht Ihnen nach Berechnung eines Steuerberaters in den nächsten Tagen zu ...”
Der Beklagtenvertreter wies diesen Anspruch mit Schreiben vom 10. Februar 1999 zurück.
Die Steuerberatungsgesellschaft teilte dem Kläger mit Schreiben vom 11. Februar 1999 mit, daß die Nachzahlung der Einkommenssteuer für 1997 nur 3.084,15 DM hätte betragen dürfen. Auf dieser Grundlage errechnete die Steuerberatungsgesellschaft einen durch verspätete Zahlung des Lohnes für 1996 im Jahr 1997 entstandenen Gesamtsteuerschaden iHv. 3.603,14 DM. Auf die Berechnung in der Anlage K 1 zur Klageschrift wird Bezug genommen.
In einem Telefonat teilte der Klägervertreter dem Beklagtenvertreter am 19. Februar 1999 mit, daß der Schaden um die 3000,00 DM betrage.
Darauf erwiderte der Beklagte mit Schreiben vom 19. Februar 1999:
“… Nachstehend möchten wir auf das letztgeführte Telefonat zurückkommen ….
Zunächst gehen Sie davon aus, daß der Steuerschaden sich möglicherweise doch nur in einer Höhe von ungefähr 3.000,00 DM bewegt. …
Im übrigen werden wir aus Rechtsgründen heraus unserer Mandantschaft nicht zur Zahlung raten können. Die von Ihnen fernmündlich am 19. Februar 1999 gesetzte Frist wird insoweit verstreichen. Sollten Sie Klage erheben und unsere Mandantschaft sich nach Urlaubsrückkehr eine andere Auffassung bilden, werden wir Sie selbstverständlich in gebotener Form informieren.”
Mit seiner bei Gericht am 10. März 1999 eingegangenen Klage hat der Kläger zunächst den Ersatz des durch die Steuerberatungsgesellschaft errechneten Steuerschadens einschließlich Steuerberatungskosten von 173,42 DM iHv. insgesamt 3.776,56 DM geltend gemacht.
Auf den Einspruch des Klägers hin ist die Einkommenssteuer für 1997 mit Bescheid vom 14. Juni 1999 neu festgesetzt worden. Danach ergab sich eine Nachzahlungspflicht bezüglich der Einkommenssteuer iHv. 2.622,00 DM und bezüglich des Solidaritätszuschlages iHv. 392,43 DM. Der Kläger hat seine Klage mit Schriftsatz vom 5. Juli 1999 auf diese Beträge nebst der Steuerberaterkosten von 173,42 DM auf 3.187,85 DM reduziert.
Der Kläger hat gemeint, daß die entstandenen steuerlichen Nachteile zu dem vom Arbeitgeber zu ersetzenden Verzugsschaden gehörten. Die tarifliche Ausschlußfrist gelte zwar, sei aber gewahrt. Das Schreiben vom 4. Februar 1999 habe als Geltendmachung zur Wahrung der Frist genügt. Es habe deutlich gemacht, daß der Kläger wegen der verspäteten Lohnzahlung für die Zeit von April bis Dezember 1996 den Ersatz des Steuerschadens verlange. Eine genauere Bezifferung habe er bereits in dem Schreiben angekündigt, den Steuerbetrag von 3.000,00 DM telefonisch mitgeteilt und dann in der Klageschrift die genaue Berechnung nachgereicht.
Im übrigen sei die Ausschlußfrist noch nicht in Lauf gesetzt gewesen. Bei einem Schadensersatzanspruch beginne die Ausschlußfrist erst dann, wenn der Schaden für den Gläubiger feststellbar sei und geltend gemacht werden könne. Dazu habe der am 11. Januar 1999 zugegangene Steuerbescheid noch nicht genügt, weil der Kläger der Hilfe eines Steuerberaters bedurft habe, um den Schaden beziffern zu können. Ferner sei davon auszugehen, daß die Ausschlußfrist für derartige Steuerschäden erst mit Rechtskraft des Steuerbescheides beginne, da vorher eine endgültige Bezifferung des Schadens nicht möglich sei. Nach Vorliegen des rechtskräftig gewordenen Steuerbescheides habe der Kläger seine – nunmehr reduzierte – Forderung im Schriftsatz vom 5. Juni 1999 umgehend beziffert.
Der Kläger hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an ihn 3.187,85 DM zuzüglich 4 % Zinsen seit dem 12. März 1999 zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat sich auf die tarifvertragliche Ausschlußfrist berufen. Da der Beklagte auf Grund des Vergleichs Ende 1997 gezahlt habe, habe der Kläger seine Forderung bereits innerhalb von vier Wochen seit dem 1. Januar 1998 geltend machen müssen. Für den Kläger oder seinen Steuerberater sei der drohende Steuerschaden schon bei Abgabe der Steuererklärung im Jahre 1998 erkennbar gewesen; auch habe der Kläger sich vom Finanzamt beraten lassen können. Er sei aber trotz der Offensichtlichkeit der Steuerproblematik mehr als ein Jahr lang untätig geblieben. Da der Kläger gegen den Steuerbescheid Einspruch eingelegt habe, also dessen Fehlerhaftigkeit erkannt habe, sei davon auszugehen, daß er jedenfalls zu diesem Zeitpunkt auch die positive Kenntnis von dem Steuerschaden erlangt habe. Spätestens habe er jedenfalls auf Grund der Berechnung seines Steuerberaters vom 11. Februar 1999 den Schaden angeben können. Die zunächst pauschale Einforderung von 10.000,00 DM habe der Substantiierungspflicht nicht genügt und deshalb die Ausschlußfrist nicht gewahrt. Im übrigen sei die Berechnung nicht nachvollziehbar.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr auf die Berufung des Klägers im wesentlichen bis auf einen Teil der Zinsen stattgegeben. Mit der Revision verfolgt der Beklagte sein Klageabweisungsbegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Zu Recht hat das Berufungsgericht dem Kläger einen Schadensersatz zuerkannt.
Unterschriften
Hauck, Dr. Wittek, Laux, Brückmann, Dr. Haible
Fundstellen
DB 2002, 2275 |
HFR 2003, 413 |
NJW 2003, 1069 |
NWB 2002, 3933 |
ARST 2003, 56 |
FA 2002, 390 |
NZA 2003, 268 |
ZAP 2002, 1333 |
ZTR 2003, 96 |
EzA |
BAGReport 2003, 183 |
PP 2002, 33 |