Entscheidungsstichwort (Thema)
Gewillkürte Schriftform; unbeglaubigte Fotokopie
Leitsatz (amtlich)
Die gewillkürte Schriftform kann unter besonderen Umständen auch durch Aushändigung einer unbeglaubigten Fotokopie der ordnungsgemäß unterzeichneten Originalurkunde gewahrt werden (hier: Übergabe einer unbeglaubigten Fotokopie des in der Gerichtsakte enthaltenen Kündigungsschreibens in einem Gerichtstermin).
Normenkette
BGB § 127
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 22.04.1997; Aktenzeichen 16 Sa 64/96) |
ArbG Mannheim (Urteil vom 03.06.1992; Aktenzeichen 8 Ca 84/92) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das am 22. April 1997 verkündete Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg - 16 Sa 64/96 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Tatbestand
Der Kläger war seit 1. November 1987 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin mit einem Monatsverdienst von ca. 2.100,00 DM als Zeitungszusteller beschäftigt. In den - für jeden der dem Kläger übertragenen drei Zustellbezirke gesondert ausgefertigten - Arbeitsverträgen heißt es u.a., eine Kündigung des Vertrages könne beiderseits nur schriftlich zum Monatsende mit einer Frist von vier Wochen erfolgen.
Im Jahr 1991 kam es gehäuft zu Reklamationen der vom Kläger betreuten Abonnenten, die monierten, sie hätten entweder überhaupt keine Zeitung erhalten oder diese sei nach sieben Uhr oder nicht an dem dafür vorgesehenen Platz zugestellt worden. Mit Schreiben vom 24. Oktober 1991 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum 30. November 1991 und bot ihm an, ihn nur noch in zwei Zustellbezirken weiter zu beschäftigen. Diese Kündigung nahm sie später zurück, mahnte den Kläger aber wegen weiterer Reklamationen von Abonnenten mit Schreiben vom 22. November, 5. Dezember, 6. Dezember und 31. Dezember 1991 ab. Eine erneute schriftliche Kündigung der Beklagten vom 6. Dezember 1991 zum 1. Februar 1992, die die Beklagte später ebenfalls nicht aufrecht erhalten hat, war Gegenstand des Vorprozesses - 8 Ca 498/91 - Arbeitsgericht Mannheim, Kammern Heidelberg. In diesem Verfahren kündigte die Beklagte, vertreten durch ihren Prozeßbevollmächtigten, wegen weiterer Vorfälle dem Kläger mit Schriftsätzen vom 13. und 18. Februar 1992 erneut außerordentlich, hilfsweise ordentlich. Die Schriftsätze wurden jeweils im vom Prozeßbevollmächtigten der Beklagten unterzeichneten Original nebst zwei für den Kläger bestimmten, nicht beglaubigten Fotokopien eingereicht. Diese Fotokopien wurden dem Kläger im Termin vom 19. Februar 1992 durch den Kammervorsitzenden in Anwesenheit des Geschäftsführers und des Prozeßbevollmächtigten der Beklagten ausgehändigt. Eine weitere fristlose, hilfsweise fristgerechte Kündigung zum 31. März 1992 erklärte der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten in der Sitzung vom 19. Februar 1992 mündlich zu Protokoll. Im vorliegenden Verfahren streiten die Parteien über die Wirksamkeit der dem Kläger am 19. Februar 1992 überreichten Kündigungen sowie der am 19. Februar 1992 mündlich ausgesprochenen Kündigung.
Der Kläger hat in erster Linie geltend gemacht, die Kündigungen seien schon wegen Formmangels nichtig. Die unleserliche Unterschrift des Prozeßbevollmächtigten der Beklagten auf den unbeglaubigten Fotokopien reiche nicht zur Einhaltung der vertraglich vereinbarten Schriftform aus.
Der Kläger hat zuletzt sinngemäß beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch die ordentlich erklärten Kündigungen der Beklagten, zugegangen am 19. Februar 1992, nicht aufgelöst worden ist.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer angemessenen Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes gemäß §§ 9, 10 KSchG aufzulösen.
Sie hat geltend gemacht, die im ordnungsgemäß unterschriebenen Original bei der Gerichtsakte befindlichen Kündigungen seien formal in Ordnung. Wenn zur Wahrung der Schriftform sogar ein Telegramm genüge, müsse auch eine fotokopierte Unterschrift ausreichen, die nichts anderes wiedergebe als die Originalunterschrift auf der Urkunde.
Das Arbeitsgericht hat festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien bis 31. März 1992 fortbestanden hat und hat im übrigen die Klage abgewiesen. Die hiergegen vom Kläger, soweit er unterlegen ist, eingelegte Berufung blieb erfolglos. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Antrag auf Feststellung weiter, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigungen der Beklagten auch nicht zum 31. März 1992 aufgelöst worden ist.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Rüge des Klägers, das Berufungsgericht habe materielles Recht verletzt, insbesondere § 127, § 125 Satz 2 BGB fehlerhaft angewandt, ist unbegründet.
I. Das Berufungsgericht hat angenommen, die im Arbeitsvertrag vereinbarte Schriftformklausel sei zwar konstitutiv. Bei gewillkürter Schriftform könne jedoch eine schriftliche Erklärung auch mittels Fernschreiben, Fernkopie oder Teletex formgerecht abgegeben werden, weil bei diesen Übermittlungsformen das Erscheinungsbild der Vorlage einschließlich der Unterschrift originalgetreu wiedergegeben werde. Dem sei gleichzusetzen die Aushändigung der Fotokopie einer handschriftlich unterzeichneten Erklärung in Anwesenheit des Erklärenden. Dies gelte zumal dann, wenn wie im vorliegenden Fall der Adressat die Möglichkeit habe, die Übereinstimmung von Original und Kopie sofort zu überprüfen.
II. Dem folgt der Senat im Ergebnis und auch in wesentlichen Teilen der Begründung.
1. Die Wirksamkeit der Kündigungen der Beklagten laut Schreiben vom 13. und 18. Februar 1992 scheitert nicht an § 127, § 125 Satz 2 BGB.
a. Zutreffend ist das Berufungsgericht zunächst davon ausgegangen, daß die vertraglich vereinbarte Schriftform nicht lediglich der Beweissicherung oder Klarstellung diente, sondern konstitutive Bedeutung hatte. Die Auslegung berücksichtigt den insoweit eindeutigen Wortlaut der Fomulararbeitsverträge und wird auch von der Beklagten nicht mit Gegenrügen angegriffen.
b. Die Rüge der Revision, das Berufungsgericht habe nach dem von ihm festgestellten Sachverhalt die Schriftform nicht als erfüllt ansehen dürfen, ist unberechtigt.
Nach den den Senat nach § 561 Abs. 2 ZPO bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts sind dem Kläger - was zumindest in der Berufungsinstanz zwischen den Parteien auch unstreitig war - die Fotokopien der beiden Schriftsatzkündigungen im Termin vom 19. Februar 1992 in Anwesenheit des Geschäftsführers und des Prozeßbevollmächtigten der Beklagten überreicht worden.
Die nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist vom Kläger geäußerten Bedenken, ob der vom Landesarbeitsgericht festgestellte Sachverhalt insoweit wirklich zutrifft und ob nicht doch die Fotokopien vom Gericht im normalen Geschäftsgang abgesandt worden und beim Kläger erst nach dem Termin eingegangen sind, sind mangels einer rechtzeitigen und zulässigen Verfahrensrüge revisionsrechtlich unerheblich (§ 567 Abs. 2, § 554 Abs. 3 Nr. 3 b ZPO). Abgesehen davon ist im Gütetermin vom 25. März 1992 im vorliegenden Verfahren dem Kläger jeweils eine weitere Fotokopie der Schriftsätze vom 13. und 18. Februar 1992 in Anwesenheit des Geschäftsführers und des Prozeßbevollmächtigten der Beklagten durch das Gericht überreicht worden.
c. Mit der Aushändigung der unbeglaubigten Fotokopien der Kündigungsschreiben vom 13. und 18. Februar 1992 ist die vereinbarte Schriftform gewahrt. Die gewillkürte Schriftform kann unter besonderen Umständen auch durch Aushändigung einer unbeglaubigten Fotokopie der ordnungsgemäß unterzeichneten Originalurkunde erfüllt werden.
Die strengen Formvorschriften des § 126 BGB gelten nur für die gesetzliche Schriftform. Selbst dort hat der Gesetzgeber Formerleichterungen für den Fall der Mitwirkung eines Gerichts vorgesehen. So konnte die gesetzliche Schriftform durch gerichtliche oder notarielle Beurkundung (nunmehr allein durch notarielle Beurkundung) ersetzt werden (§ 126 Abs. 3 BGB); und bei einem gerichtlichen Vergleich ersetzt die Aufnahme der Erklärungen in ein nach den Vorschriften der Zivilprozeßordnung errichtetes Protokoll selbst die notarielle Beurkundung, also auch die gesetzliche Schriftform (§ 127 a BGB; § 925 Abs. 1 Satz 3 BGB). Die Anerkennung der Vaterschaft kann schließlich anstatt durch öffentliche Beurkundung auch in der mündlichen Verhandlung zur Niederschrift des Gerichts erklärt werden (§ 641 c ZPO).
Bei der gewillkürten Schriftform, also bei den Rechtsgeschäften, für die an sich der Grundsatz der Formfreiheit besteht, hat der Gesetzgeber in § 127 Satz 2 BGB Erleichterungen geschaffen, die "den Bedürfnissen des Verkehrs Rechnung" tragen sollen (so ausdrücklich Prot I 149; Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, §§ 125-129, Seite 652). Beim Telegramm wird bewußt in Kauf genommen, daß der Empfänger nicht die Originalurkunde erhält und zumindest nach einiger Zeit nicht einmal mehr das Aufnahmetelegramm vorhanden ist, mit dem die dem Erklärungsempfänger zugegangene Erklärung verglichen werden könnte (Prot ,aaO). Wenn in die endgültige Fassung des BGB nicht das Erfordernis aufgenommen worden ist, das Aufgabetelegramm müsse ordnungsgemäß unterzeichnet sein, so ist daraus zu Recht gefolgert worden, daß § 127 Satz 2 BGB im Sinne der vom Gesetzgeber beabsichtigten Erleichterung des Rechtsverkehrs weit ausgelegt werden muß und deshalb z. B. auch die bei Inkrafttreten des BGB noch nicht erfundenen technischen Übermittlungsmöglichkeiten der im Gesetz erwähnten telegraphischen Übermittlung gleichzustellen sind (so schon Planck, BGB, 1913, § 127 Anm 1 zum "Ferndrucker"). Es ist deshalb allgemein anerkannt, daß eine schriftliche Erklärung formgerecht nicht nur durch ein telefonisch aufgegebenes, ordnungsgemäß zugestelltes Telegramm, sondern auch mittels Fernschreibens oder per Telefax abgegeben werden kann (MünchKomm/Förschler, BGB, 3. Aufl., § 127 Rz 10 a; Palandt/Heinrichs, BGB, 57. Aufl., § 127 Rz 2; Erman - Brox, BGB, 9. Aufl., § 127 Rz. 7; BGH Urteil vom 22. April 1996 - II ZR 65/96 - NJW-RR 1996, 866 (Telefax); OLG Düsseldorf Urteil vom 30. Januar 1992 - 5 U 133/91 - NJW 1992, 1050). Die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sieht sogar bei der rechtsgeschäftlich vereinbarten Schriftform je nach den Umständen von dem Unterschriftserfordernis ab, wenn Urheber und Inhalt der Erklärung in anderer Weise hinreichend klargestellt sind (BGH Urteil vom 21. Februar 1996 - IV ZR 297/94 - NJW-RR 1996, 641).
Es muß danach zur Erfüllung der gewillkürten Schriftform ausreichen, wenn dem Erklärungsempfänger in Anwesenheit des Erklärenden in einem Gerichtstermin eine nicht beglaubigte Fotokopie der bei der Gerichtsakte befindlichen, die Schriftform erfüllende Originalurkunde überreicht wird. Die Beklagte weist zutreffend darauf hin, daß auch eine solche Form der Erklärung den durch die Vereinbarung der Schriftform bezweckten Schutz des Erklärungsempfängers voll verwirklicht. Dieser kann die Authentizität der schriftlichen Erklärung sofort nachprüfen. Er steht sich insoweit sogar besser als jemand, dem eine schriftliche Erklärung per Brief oder ein telefonisch aufgegebenes Telegramm zugeht, denn die Fotokopie gibt das Original fotomechanisch wieder und ein Vergleich mit dem in der Gerichtsakte befindlichen Original und eine entsprechende Rückfrage beim Erklärenden sind während des Gerichtstermins jederzeit möglich. Auch der Schutzgedanke der Vollständigkeit der Erklärung ist ebenso gewahrt wie der Übereilungsschutz. Die Überreichung der das Original wiedergebenden Fotokopie in Anwesenheit des Erklärenden schließt auch aus, daß es sich bei der nicht noch einmal handschriftlich unterzeichneten Kopie lediglich um einen Entwurf oder gar um eine Fälschung handelt. Allein durch die Anwesenheit des Erklärenden bei der Übergabe der Fotokopie und das Vorhandensein des Originals in der Gerichtsakte steht hier die Fotokopie, was den Schutz des Erklärungsempfängers anbelangt, dem Original gleich.
2. Es kommt damit nicht mehr darauf an, daß aus den unter II 1 c genannten Gründen auch keine Bedenken bestehen, eine mündliche Kündigung, die wie die Kündigung der Beklagten vom 19. Februar 1992 in einem Kündigungsschutzprozeß in der mündlichen Verhandlung zur Niederschrift des Gerichts erklärt und ordnungsgemäß protokolliert worden ist, zur Wahrung der Schriftform des § 127 BGB ausreichen zu lassen. Die Einhaltung der Form, die der Gesetzgeber selbst für die Anerkennung der Vaterschaft ausreichen läßt, muß, wenn nichts anderes vereinbart ist, regelmäßig auch zur Erfüllung einer lediglich rechtsgeschäftlich bestimmten Schriftform genügen.
3. Abgesehen davon könnte sich der Kläger jedenfalls nach den Gesamtumständen auf eine etwaige Formnichtigkeit nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht mehr berufen. Liegt eine sonst ordnungsgemäße schriftliche Erklärung vor und fehlt dieser nur die Unterschrift, so kann der Empfänger trotz vereinbarter Schriftform die nicht unterschriebene Erklärung gelten lassen. Erweckt für den Empfänger das Fehlen der Unterschrift den Anschein, als habe der Erklärende die Unterschrift nur versehentlich unterlassen, die Erklärung jedoch abgegeben, so kann für den Erklärungsempfänger je nach den Umständen die Pflicht bestehen, die Erklärung unverzüglich zurückzuweisen, wenn er sie nicht gegen sich gelten lassen will (Flume, Das Rechtsgeschäft, 4. Aufl., § 15 II 2 b, Seite 259). Dies muß insbesondere in einem Fall gelten, in dem eine Fotokopie der Erklärung dem Erklärungsempfänger in Anwesenheit des Erklärenden übergeben wird und eine sofortige Einsicht in das unterschriebene Original möglich ist. Der Erklärungsempfänger handelt in einem derartigen Fall treuwidrig, wenn er von diesen Aufklärungsmöglichkeiten nicht Gebrauch macht oder die Erklärung wegen Nichteinhaltung der vereinbarten Form unverzüglich zurückweist, sondern sich erst geraume Zeit nachher auf den Formmangel beruft (Flume aaO; vgl. OLG Düsseldorf Urteil vom 30. Januar 1992 - 5 U 133/91 - NJW 1992, 1050, 1051; BGH Urteil vom 21. Februar 1996 - IV ZR 297/94 - NJW-RR 1996, 641). Unter diesen Umständen kann die Schriftform u. U. sogar als stillschweigend abbedungen angesehen werden.
4. Die Kündigungen sind auch nicht nach § 180, § 174 Satz 1 BGB unwirksam. Wie das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei ausgeführt hat, ohne daß die Revision insoweit Rügen vorgebracht hätte, war der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten zum Ausspruch von Kündigungen gegenüber dem Kläger bevollmächtigt und der Kläger hat die Kündigung auch nicht unverzüglich wegen Fehlens einer Vollmachtsurkunde nach § 174 Satz 1 BGB zurückgewiesen.
5. Auch soweit das Berufungsgericht ohne erkennbaren Rechtsfehler angenommen hat, die Kündigungen seien nicht nach § 1 Satz 1 KSchG sozial ungerechtfertigt gewesen, weil das entsprechende tatsächliche Vorbringen des Klägers nach § 67 Abs. 2 ArbGG verspätet gewesen sei, erhebt die Revision keine Rügen.
6. Soweit das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei davon ausgegangen ist, zu der Kündigung des Klägers sei nach § 102 BetrVG nicht der Betriebsrat der R GmbH anzuhören gewesen, werden von der Revision ebenfalls keine Rügen erhoben.
Unterschriften
Etzel Bitter Bröhl Nipperdey Thelen
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 20.08.1998 durch Anderl, Amtsinspektorin als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 436359 |
BB 1998, 2480 |
DB 1999, 101 |
NJW 1999, 596 |
ARST 1998, 284 |
FA 1999, 66 |
NZA 1998, 1330 |
RdA 1999, 229 |
SAE 1999, 160 |
AP, 0 |
PersR 2004, 135 |