Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit einer Nichtigkeitsklage. Wiederaufnahmeverfahren: Nichtigkeitsklage. Zuständigkeit. Zulässigkeit: Beginn der Notfrist des § 586 Abs. 1 ZPO. Prozeßrecht
Leitsatz (amtlich)
Die Notfrist von einem Monat zur Erhebung der Wiederaufnahmeklage (§ 586 Abs. 1 ZPO) beginnt, sobald die Partei vom Nichtigkeits- oder Restitutionsgrund erfährt (§ 586 Abs. 2 Satz 1 ZPO). “Kenntnis vom Anfechtungsgrund” im Sinne dieser Vorschrift bedeutet grundsätzlich die positive, sichere Kenntnis der Tatsachen, die den Wiederaufnahmegrund ausfüllen. Diesem positiven Wissen stehen aber Tatsachen gleich, deren Kenntnisnahme sich die Partei bewußt verschließt. Weiß sie schon länger um die Anfechtungsgründe, unterläßt sie es aber, sich positive, sichere Kenntnis der näheren Umstände zu verschaffen, so hemmt dies den Lauf der Notfrist des § 586 Abs. 1 ZPO nicht. Sinn und Zweck der Notfrist ist es, dem Gebot der Rechtssicherheit Geltung zu verschaffen. Dem widerspräche es, wenn ein Wiederaufnahmekläger die Ermittlungen, die ihm die Präzisierung seines Vortrages erlauben, innerhalb der Fünf-Jahres-Frist des § 586 Abs. 2 Satz 2 ZPO beliebig lange hinaus zögern könnte.
Orientierungssatz
- Wiederaufnahmeklagen sind nur statthaft gegen rechtskräftige Endurteile (§ 578 Abs. 1 ZPO). Wird ein Revisionsurteil angefochten, so ist für die Nichtigkeitsklage gemäß § 579 ZPO das Revisionsgericht zuständig (§ 584 Abs. 1 letzte Alternative ZPO). Dies gilt auch dann, wenn der Nichtigkeitsgrund nicht im Revisionsverfahren, sondern im vorausgegangenen Berufungsrechtszug gesehen wird.
- Die Notfrist von einem Monat zur Erhebung der Wiederaufnahmeklage (§ 586 Abs. 1 ZPO) beginnt, sobald die Partei vom Nichtigkeits- oder Restitutionsgrund erfährt (§ 586 Abs. 2 Satz 1 ZPO). “Kenntnis vom Anfechtungsgrund” im Sinne dieser Vorschrift bedeutet grundsätzlich die positive, sichere Kenntnis der Tatsachen, die den Wiederaufnahmegrund ausfüllen. Diesem positiven Wissen stehen aber Tatsachen gleich, deren Kenntnisnahme sich die Partei bewußt verschließt. Weiß sie schon länger um die Anfechtungsgründe, unterläßt sie es aber, sich positive, sichere Kenntnis der näheren Umstände zu verschaffen, so hemmt dies den Lauf der Notfrist des § 586 Abs. 1 ZPO nicht. Sinn und Zweck der Notfrist ist es, dem Gebot der Rechtssicherheit Geltung zu verschaffen. Dem widerspräche es, wenn ein Wiederaufnahmekläger die Ermittlungen, die ihm die Präzisierung seines Vortrages erlauben, innerhalb der Fünf-Jahres-Frist des § 586 Abs. 2 Satz 2 ZPO beliebig lange hinaus zögern könnte.
Normenkette
ZPO § 578 Abs. 1, § 579 Abs. 1 Nr. 1, § 586 Abs. 1, 2 Sätze 1-2
Tenor
- Die Nichtigkeitsklage wird als unzulässig verworfen.
- Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Kläger begehrt im Wege einer Nichtigkeitsklage die Feststellung, daß die in einem vorausgegangenen Rechtsstreit gefällten Urteile des Bundesarbeitsgerichts und des Landesarbeitsgerichts Hamburg nichtig sind, da das Landesarbeitsgericht nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen sei.
Im Vorprozeß hatten die Parteien um die Höhe der Versorgungsbezüge des am 4. Mai 1952 geborenen Klägers gestritten. Er erhält seit dem 1. Januar 1994 gesetzliche Erwerbsunfähigkeitsrente und eine Zusatzrente der Versorgungsanstalt der Deutschen Bundespost (VAP). Bei der Berechnung dieser Zusatzrente blieb die Zeit zwischen dem 9. November 1981 und dem 31. März 1986, während der der Kläger als Werkstudent mit 20 bis 22 Arbeitsstunden wöchentlich bei der Deutschen Bundespost teilzeitbeschäftigt war, außer Betracht. Mit seiner vor dem Arbeitsgericht Hamburg erhobenen Klage versuchte der Kläger, auch diese Beschäftigungsphase als versorgungsrelevante Zeit anerkennen zu lassen.
Mit Urteil vom 11. Januar 2000 (– 2 Ca 628/95 –) gab das Arbeitsgericht Hamburg der Klage statt. Die Berufung der Beklagten wurde der Achten Kammer des Landesarbeitsgerichts Hamburg zugeteilt (– 8 Sa 18/00 –). Diese hatte schon einige Jahre zuvor in einem dasselbe Arbeitsverhältnis betreffenden Rechtsstreit entschieden. Den Berufungsrechtsstreit verhandelte die Achte Kammer am 28. Juni 2000 mit dem Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Nordmann-Bromberger als Vorsitzenden und den ehrenamtlichen Richtern Henkensmeier und Diederichsen. Der Geschäftsverteilungsplan des Landesarbeitsgerichts Hamburg für das Jahr 2000 (GVP 2000) lautet auszugsweise wie folgt:
“C. Verteilung der Eingänge auf die Kammern
1 a) Die Sachen werden in der Reihenfolge ihres Eingangs auf der Geschäftsstelle des Landesarbeitsgerichts auf die vorhandenen Kammern verteilt. Die Erste Kammer wird jeweils nach einer Zuteilung einmal übersprungen.
…
1 b) Sämtlich in einer Rechtssache anhängig werdende Verfahren (Berufungen und Beschwerden) werden unter Anrechnung auf den Turnus von derjenigen Kammer bearbeitet, bei der das erste Verfahren anhängig geworden ist oder anhängig war.
…
Wird in mehreren Verfahren über Rechte und Pflichten aus demselben Arbeitsverhältnis gestritten oder über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung desselben Arbeitsverhältnisses, so ist für das zweite und die weiteren Verfahren dieser Art diejenige Kammer zuständig, an die das vorausgegangene Verfahren gelangt. Das gilt auch dann, wenn dieses Verfahren inzwischen beendet ist. Zu den vorstehend genannten Verfahren gehören auch Beschwerden in Beschlussverfahren, sofern sie ein bestimmtes Arbeitsverhältnis betreffen.”
Eine Anweisung des Vorsitzenden der Achten Kammer des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 7. Dezember 1999 bestimmt unter 1), daß die der Kammer zugewiesenen ehrenamtlichen Richter/Richterinnen in der Reihenfolge der unter 1) a) aufgeführten Liste zu den Sitzungen des Geschäftsjahres 2000 zu laden sind. Auf dieser Liste erscheint der ehrenamtliche Richter Henkensmeier als Nummer 7 der ehrenamtlichen Richter aus Kreisen der Arbeitgeber, der ehrenamtliche Richter Diederichsen wird auf Position 3 der ehrenamtlichen Richter aus Kreisen der Arbeitnehmer aufgeführt. Die Anweisung bestimmt weiter:
“4) Ehrenamtliche Richter/Richterinnen, die an einer Besprechung einer Sache im Kollegium oder an einer Verhandlung oder an einer Entscheidung nach § 66 Abs. 2 S. 2 ArbGG teilgenommen haben, werden in dieser Sache weiter herangezogen.
…
Entsprechendes gilt auch für die in der Geschäftsverteilung unter C. 1 b) im letzten Absatz genannten Verfahren.”
Bei der Terminsanberaumung hatte der Vorsitzende der Achten Kammer des Landesarbeitsgerichts Hamburg am 4. Mai 2000 vermerkt:
“Der T.… ist abgespr. mit H.… Henkensmeier + H.… Diederichsen.”
Zu Beginn der Berufungsverhandlung erklärte der Kläger:
“Ich lehne die gesamte Kammer wegen Besorgnis der Befangenheit ab, weil das Gericht offensichtlich falsch besetzt ist.
…
Durch die gleiche Besetzung der Kammer ist davon auszugehen, dass die nach dem Gesetz vorgeschriebene Besetzung des Gerichts nicht gegeben ist.
…”
Der Ablehnungsantrag des Klägers wurde von der abgelehnten Kammer durch Beschluß vom 28. Juni 2000 als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen. Die Besetzung der Richterbank sei durch den Geschäftsverteilungsplan des Landesarbeitsgerichts Hamburg zwingend vorgeschrieben. Durch am gleichen Tag verkündetes Urteil wies die Kammer die Berufung der Beklagten gegen das arbeitsgerichtliche Urteil zurück. Die Beklagte legte darauf die im Urteil zugelassene Revision ein (– 3 AZR 515/00 –).
Am 14. August 2000 reichte der Kläger beim Arbeitsgericht Hamburg eine Nichtigkeitsklage gegen ein arbeitsgerichtliches Urteil in anderer Rechtssache ein (– 2 Ca 341/00 –). In diesem Rechtsstreit erhob der Kläger dann unter dem 16. August 2000 eine Besetzungsrüge, da die Vorsitzenden in Fällen wie dem seinen die Anweisung gäben, die ehrenamtlichen Richter nicht in der Reihenfolge der Liste heranzuziehen. Auch beim Landesarbeitsgericht gebe es die gleiche, nicht im Geschäftsverteilungsplan ausgewiesene und daher “geheime” Anweisung, die gleichen ehrenamtlichen Richter wie im Vorprozeß heranzuziehen, wovon er, der Kläger, erstmalig am 13. Juli 2000 durch den Präsidenten des Landesarbeitsgerichts erfahren habe. Da alle Hamburger Richterinnen und Richter diese verfassungswidrige Praxis pflegten, könnten sie über seine Besetzungsrüge nicht entscheiden, vielmehr müsse das Bundesarbeitsgericht hierüber befinden.
In sein eigenes, laufendes Revisionsverfahren (– 3 AZR 515/00 –) brachte der Kläger indes derartige Bedenken nicht ein, vielmehr beschränkte er sich darauf, die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamburg materiellrechtlich zu verteidigen. Durch Urteil, das am 22. Mai 2001 verkündet wurde, hob das Bundesarbeitsgericht das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 28. Juni 2000 auf und wies unter Abänderung des arbeitsgerichtlichen Urteils die Klage ab. Dieses Urteil wurde dem Klägervertreter am 27. Juni 2001 zugestellt.
Mit Eingang am 23. August 2001 ließ der Kläger beim Landesarbeitsgericht Hamburg die vorliegende Nichtigkeitsklage erheben (– 8 SHa 2/01 –). Sie richtete sich zunächst ausschließlich gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 28. Juni 2000 (– 8 Sa 18/00 –) und wurde vom Kläger darauf gestützt, dieses Gericht sei nicht vorschriftsgemäß besetzt gewesen. Da es sich für ihn um ein obsiegendes Urteil gehandelt habe, habe er dessen Nichtigkeit nicht mittels eines Rechtsmittels geltend machen können. Das aufhebende Urteil des Bundesarbeitsgerichts sei ihm, dem Kläger, mit Wirkung vom 27. Juni 2001 zugestellt worden, “so daß es mit dem 30. Juli 2001 rechtskräftig geworden” sei.
Nach entsprechendem Hinweis durch den Vorsitzenden der Achten Kammer des Landesarbeitsgerichts Hamburg (– 8 SHa 2/01 –), nur das Urteil des Bundesarbeitsgerichts, nicht aber das des Landesarbeitsgerichts Hamburg sei im Vorprozeß rechtskräftig geworden, änderte der Kläger seine Auffassung zur sachlichen Zuständigkeit und regte eine Verweisung an das Bundesarbeitsgericht an. Daraufhin erklärte sich das Landesarbeitsgericht Hamburg durch Beschluß vom 11. Februar 2002 für unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das Bundesarbeitsgericht.
Der Vorsitzende des Dritten Senats des Bundesarbeitsgerichts hat unter dem 24. Mai 2002 Bedenken gegen die Zulässigkeit der Nichtigkeitsklage geäußert, da das Urteil des Bundesarbeitsgerichts nicht (erst) am 30. Juli 2001, sondern bereits mit seiner Verkündung am 22. Mai 2001 rechtskräftig geworden sei. Nachfolgend hat der Kläger die Behauptung aufgestellt, von den wesentlichen Umständen seines Anfechtungsgrundes Kenntnis erst ab Mitte Juli 2002 erhalten zu haben. Im August 2001 sei die Nichtigkeitsklage auf Grund von Vermutungen, “auf Verdacht hin” und nicht auf Grund sicherer Kenntnis der Wiederaufnahmegründe erfolgt. So habe er unterstellt, daß der Geschäftsverteilungsplan des Landesarbeitsgerichts Hamburg für das Jahr 2000 und die Anweisung des Kammervorsitzenden über die Heranziehung von ehrenamtlichen Richtern für das gleiche Jahr identisch gewesen seien mit denjenigen für das Jahr 1995 (die er sich schon Ende Juli 2000 habe kopieren lassen). Definitive Kenntnis habe er aber erst in der Zeit zwischen dem 10. Juli 2002 und Ende Juli 2002 erlangt. Auch die Besetzungsrüge und der Befangenheitsantrag gegen die Richter der Achten Kammer des Landesarbeitsgerichts Hamburg am 28. Juni 2000 seien nur auf Grund einer Vermutung erfolgt. Es sei ihm mathematisch unwahrscheinlich erschienen, daß in mehreren voneinander unabhängig betriebenen Verfahren an unterschiedlichen Terminstagen immer die gleichen ehrenamtlichen Richter mitwirkten, wenn diese nach der Reihenfolge einer Liste geladen worden wären.
Der Kläger meint, die Bestimmungen des Geschäftsverteilungsplans des Landesarbeitsgerichts Hamburg, die bei laufenden, aber auch bei beendeten Rechtsstreitigkeiten die Zuständigkeit der Ausgangskammer vorsähen, verstießen gegen das Abstraktions-, das Jährlichkeits- und das Vorauswirkungsprinzip. Die Praxis der Heranziehung von ehrenamtlichen Richtern verstoße gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 GG, weil sich der Richter nicht im Voraus “blindlings” auf Grund einer abstrakt-generellen Norm bestimmen ließe. Zudem sei die Anweisung, mit der die ehrenamtlichen Richter Henkensmeier und Diederichsen vom Vorsitzenden der Achten Kammer des Landesarbeitsgerichts Hamburg geladen worden seien, nicht Teil des Geschäftsverteilungsplans und damit unwirksam.
Der Kläger beantragt
festzustellen, daß die Urteile des Bundesarbeitsgerichts vom 22. Mai 2001 – 3 AZR 515/00 – und des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 28. Juni 2000 – 8 Sa 18/00 – nichtig sind.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hält die Klage für rechtsmißbräuchlich, weil der Kläger die Besetzung eines Gerichts rüge, das ihm vollumfänglich Recht gegeben habe. Seine Einwendungen habe er zudem schon im nachfolgenden Revisionsverfahren vor dem Bundesarbeitsgericht vortragen können und müssen. Auch habe er die gebotene Sachverhaltsaufklärung grob fahrlässig unterlassen, so daß die Klagefrist für die Wiederaufnahme des Verfahrens nicht gewahrt sei. Als Ausnahmevorschriften seien die entsprechenden Regelungen der ZPO nach allgemeinen Grundsätzen eng auszulegen.
Entscheidungsgründe
- Das Bundesarbeitsgericht ist für die Entscheidung über die Nichtigkeitsklage zuständig. Es ist als aufnehmendes Gericht an den Verweisungsbeschluß des Landesarbeitsgerichts Hamburg gebunden (§ 48 Abs. 1 ArbGG, § 17a Abs. 1 GVG). Unabhängig davon ist nach § 584 Abs. 1 letzte Alternative ZPO das Revisionsgericht zuständig, wenn ein in der Revisionsinstanz erlassenes Urteil nach § 579 ZPO angefochten wird. Der Kläger stützt seine Wiederaufnahmeklage auf § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Daß er zunächst nur das Urteil des Landesarbeitsgerichts angefochten hat, ist unerheblich. Insoweit hat das Landesarbeitsgericht zutreffend darauf hingewiesen, daß die Wiederaufnahmeklage nur statthaft gegen rechtskräftige Endurteile ist (§ 578 Abs. 1 ZPO). In Rechtskraft ist nur das Revisionsurteil erwachsen. Dementsprechend hat der Kläger nach der Verweisung seinen Antrag auf dieses Urteil erstreckt. Die Beklagte hat sich auf diese Klageänderung in der mündlichen Verhandlung rügelos eingelassen, so daß sie zulässig ist (§§ 267, 263 ZPO).
Die Klage ist unzulässig, weil sie nicht binnen der Notfrist eines Monats (§ 586 Abs. 1 ZPO) erhoben wurde. Die Frist beginnt, sobald die Partei vom Nichtigkeits- oder Restitutionsgrund erfährt, jedoch nicht vor eingetretener Rechtskraft des Urteils (§ 586 Abs. 2 ZPO).
- Zwar war die am 23. August 2001 bei der gemeinsamen Annahmestelle beim Amtsgericht Hamburg eingegangene Klage nicht schon deswegen verfristet, weil sie zunächst vor dem (unzuständigen) Landesarbeitsgericht erhoben wurde. Die Klageerhebung vor einem unzuständigen Gericht kann die Frist wahren, sofern die Verweisung an das zuständige Gericht erfolgt (BGH 21. September 1961 – III ZR 120/60 – BGHZ 35, 374).
- Entgegen der zunächst vom Kläger vertretenen Ansicht, das Revisionsurteil sei erst mit seiner Zustellung am 27. Juni 2001 rechtskräftig geworden, trat die Rechtskraft jedoch schon mit der Verkündung am 22. Mai 2001 ein. Bei Urteilen, gegen die ein statthaftes Rechtsmittel schlechthin nicht gegeben ist, tritt die formelle Rechtskraft (§ 705 ZPO) mit Verkündung ein.
Im Streitfall hätte die Nichtigkeitsklage bis zum 22. Juni 2001 erhoben werden müssen, um die Notfrist des § 586 Abs. 1 ZPO zu wahren. Dies ist nicht geschehen. Der Kläger hat nicht glaubhaft gemacht, daß er erst nach dem 22. Mai 2001 von den von ihm geltend gemachten Nichtigkeitsgründen Kenntnis erhalten hat (§ 589 Abs. 2 ZPO).
Der Kläger hat in einer Erklärung, die er in der mündlichen Verhandlung überreicht und als “eidesstattliche Versicherung” bezeichnet hat, vorgetragen, vom Geschäftsverteilungsplan des Landesarbeitsgerichts Hamburg für das Jahr 2000 und von der Heranziehungsverfügung des Vorsitzenden Richters der Achten Kammer des Landesarbeitsgerichts Hamburg für das Jahr 2000 jeweils Kenntnis erst Mitte Juli 2002 erlangt zu haben, als er Einsicht nahm und sich Kopien aushändigen ließ. Dieser Vortrag ist unglaubhaft. Der Kläger hat in einem eigenen Schriftsatz in seiner weiteren Wiederaufnahmeklage vor dem Arbeitsgericht Hamburg (– 2 Ca 341/00 –) vom 16. August 2000, den die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vorgelegt hat und den der Kläger als seinen eigenen Schriftsatz gelesen und anerkannt hat, ausgeführt: Er habe am 13. Juli 2000, also wenig mehr als zwei Wochen nach der mündlichen Verhandlung des Landesarbeitsgerichts Hamburg im Vorprozeß, vom Präsidenten des Landesarbeitsgerichts Hamburg, Herrn Kirsch, Kenntnis von der Anweisung zur Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter erhalten. Das Landesarbeitsgericht habe in seinem das Ablehnungsgesuch zurückweisenden Beschluß vom 28. Juni 2000 fälschlicherweise auf den Geschäftsverteilungsplan des Landesarbeitsgerichts und nicht auf die “geheime” Anweisung der Kammervorsitzenden zur Heranziehung von ehrenamtlichen Richtern verwiesen; zum Beweis hat sich der Kläger auf den “Geschäftsverteilungsplan” bezogen. Es liegt daher nahe, daß er von dem Geschäftsverteilungsplan 2000 und von der Heranziehungsanweisung 2000 des Vorsitzenden Richters der Achten Kammer schon damals Kenntnis hatte, seine anderslautenden Angaben sind nicht glaubhaft.
Im übrigen wäre die einmonatige Klagefrist des § 586 Abs. 1 ZPO auch dann nicht gewahrt, wenn die Angaben des Klägers zuträfen. Zwar bedeutet “Kenntnis vom Anfechtungsgrund” iSv. § 586 Abs. 2 Satz 1 ZPO grundsätzlich die positive, sichere Kenntnis der Tatsachen, die den Wiederaufnahmegrund ausfüllen. Dem positiven Wissen stehen aber Tatsachen gleich, deren Kenntnisnahme sich die Partei bewußt verschließt (BGH 30. März 1993 – X ZR 51/92 – NJW 1993, 1596, 1597).
So verhält es sich hier. Der Kläger hatte spätestens zwischen dem 13. Juli und dem 14. August 2000 Kenntnis davon erhalten, daß die Heranziehung von ehrenamtlichen Richtern nicht durch den Geschäftsverteilungsplan des Landesarbeitsgerichts Hamburg, sondern durch Heranziehungsanweisungen der Kammervorsitzenden geregelt wird. Der Kläger hatte somit ab Sommer 2000 hinreichend Veranlassung, sich den Geschäftsverteilungsplan 2000 des Landesarbeitsgerichts und die Heranziehungsanweisung 2000 für die Achte Kammer des Landesarbeitsgerichts Hamburg zu beschaffen. Dies hat er unterlassen. Eine Partei, die auf Grund konkreter Anhaltspunkte an der vorschriftsmäßigen Besetzung des erkennenden Gerichts zweifelt und dies rügt, hat es nicht in der Hand, die Ermittlungen, die ihr die Präzisierung ihres Vertrages erlauben, innerhalb der Frist des § 586 Abs. 2 Satz 2 ZPO beliebig lange hinauszuzögern.
Ergänzend sei darauf hingewiesen, daß das Landesarbeitsgericht bei seiner Entscheidung zutreffend besetzt war. C Ziff. 1 b) des GVP 2000 des Landesarbeitsgerichts Hamburg verstößt weder gegen das Abstraktionsprinzip noch gegen das Jährlichkeitsprinzip oder das Vorauswirkungsprinzip, so daß ein Nichtigkeitsgrund im Sinne von § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO nicht vorliegt.
Kennzeichen der Gewährleistung des gesetzlichen Richters ist die normative, abstrakt-generelle Vorherbestimmung des jeweils für die Entscheidung zuständigen Richters. Der gesetzliche Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) ist nicht gewahrt, wenn er durch eine Ermessensentscheidung bestimmt werden kann. Für einzelne Geschäfte dürfen nicht bestimmte Richter ausgesucht werden, vielmehr muß die Zuteilung der Verfahren nach allgemeinen Merkmalen erfolgen (BAG 16. November 1995 – 8 AZR 864/93 – BAGE 81, 265; 22. März 2001 – 8 AZR 565/00 – AP GG Art. 101 Nr. 59 = EzA GG Art. 101 Nr. 5). Bestimmt jedoch der Geschäftsverteilungsplan eines Gerichts, daß sämtliche dasselbe Arbeitsverhältnis betreffende Verfahren von derjenigen Kammer bearbeitet werden, bei der das erste Verfahren anhängig geworden ist oder anhängig war, so handelt es sich um ein allgemeines Merkmal, nach dem abstrakt-generell zu verfahren ist. Der Kläger verkennt, daß nicht für seine Prozesse bestimmte Richter ausgesucht wurden, sondern daß seine Verfahren auf Grund der objektiven, abstrakt-generellen Regelungen des Geschäftsverteilungsplans stets der Kammer zuzuteilen sind, die sein erstes Verfahren, das gleiche Arbeitsverhältnis betreffend zu bearbeiten hatte. Er wird nicht anders behandelt als jede andere Partei, die mehrere dasselbe Arbeitsverhältnis betreffende Verfahren betreibt.
Auch das Jährlichkeitsprinzip (§ 21e Abs. 1 Satz 2 GVG) ist nicht verletzt. Der Geschäftsverteilungsplan des Landesarbeitsgerichts Hamburg regelt nur die Zuteilung aller im Jahre 2000 anhängig werdenden Verfahren. Das schließt entgegen der Ansicht des Klägers nicht aus, daß an die Verteilungsregeln in einem vorangegangenen GVP angeknüpft wird. Wird der Geschäftsverteilungsplan eines Gerichts über viele Jahre hinweg jeweils wortgleich beschlossen, so kann dies durchaus zu einer länger andauernden, gleichen Zuständigkeit der Richter für ein Arbeitsverhältnis führen. Gegen das Jährlichkeitsprinzip wird damit nicht verstoßen, weil dieses nicht beinhaltet, daß die Zuständigkeit jährlich anders als im Vorjahr festgelegt werden müßte.
Schließlich ist die Berufung des Klägers nicht rückwirkend, sondern vom Geschäftsverteilungsplan im Voraus der Achten Kammer des Landesarbeitsgerichts zugeteilt worden. Ein Verstoß gegen das Vorauswirkungsprinzip ist nicht ersichtlich.
Entsprechendes gilt, soweit der Kläger die Heranziehung der ehrenamtlichen Richter Henkensmeier und Diederichsen rügt. Auch insoweit liegt ein Nichtigkeitsgrund im Sinne von § 579 Abs. 1 Nr. 1 ZPO nicht vor. Der Kläger übersieht, daß die ehrenamtlichen Richter nicht abweichend von einer Heranziehungsliste des Vorsitzenden der Achten Kammer des Landesarbeitsgerichts Hamburg geladen wurden. Vielmehr hatte der Vorsitzende im Voraus und abstrakt-generell für das Jahr 2000 und mit Bezugnahme auf den Geschäftsverteilungsplan bestimmt, daß für Nachfolgeverfahren aus demselben Arbeitsverhältnis dieselben Beisitzer wie beim ersten Verfahren heranzuziehen sind. Durch eine solche, von vornherein feststehende und abstrakte Regelung der Heranziehung von ehrenamtlichen Richtern und Richterinnen wird weder § 39 ArbGG noch Art. 101 GG verletzt. Der Kläger verkennt insoweit wiederum, daß nicht willkürlich von der Liste abgewichen wurde, sondern daß auf Grund der bestehenden abstrakt-generellen Regelung eine Befassung anderer als der herangezogenen ehrenamtlichen Richter, etwa solcher, die in der Reihenfolge der Liste gestanden hätten, das Gebot des gesetzlichen Richters verletzt hätte. Mit anderen Worten: Auf Grund der allgemeinen Festlegung im Voraus mußten diese und konnten keine anderen ehrenamtlichen Richter über das Verfahren des Klägers entscheiden.
Unterschriften
Reinecke, Kremhelmer, Breinlinger, D. Offergeld
Der ehrenamtliche Richter Schoden ist durch Urlaub an der Unterschrift gehindert
Reinecke
Fundstellen
Haufe-Index 894011 |
BAGE 2004, 242 |
BB 2003, 692 |
DB 2003, 836 |
FA 2003, 192 |
FA 2003, 207 |
JR 2003, 396 |
NZA 2003, 453 |
SAE 2003, 271 |
AP, 0 |
EzA |
MDR 2003, 592 |