Entscheidungsstichwort (Thema)
Beförderungspauschale im Baugewerbe
Leitsatz (amtlich)
- Die Beförderung von Arbeitnehmern mit firmeneigenem Kraftfahrzeug außerhalb der Arbeitszeit ist auch für Fahrten von der Wohnung und nicht nur vom Betriebssitz aus zu vergüten.
- Fehlt eine Vereinbarung über die Vergütung der Beförderung von Arbeitnehmern zur Baustelle außerhalb der Arbeitszeit, greifen §§ 315, 316 BGB ein.
Normenkette
TVG § 1 Tarifverträge: Bau; BRTV-Bau § 5; BGB §§ 315-316
Verfahrensgang
LAG Hamm (Urteil vom 08.02.1989; Aktenzeichen 15 Sa 1803/88) |
ArbG Bocholt (Urteil vom 22.09.1988; Aktenzeichen 1 Ca 1209/88) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers werden die Urteile des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 8. Februar 1989 – 15 Sa 1803/88 – und des Arbeitsgerichts Bocholt vom 22. September 1988 – 1 Ca 1209/88 – aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 427,50 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich daraus ergebenden Nettobetrag seit 26. Juli 1988 zu zahlen.
Der Kläger hat 1/5, die Beklagte 4/5 der Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der 44jährige Kläger ist seit Juli 1982 bei der Beklagten, die ein Bauunternehmen mit Sitz in B… betreibt, als Einschaler beschäftigt. Er wohnt 60 km vom Betriebssitz der Beklagten entfernt. Seit 1983 stellte die Beklagte dem Kläger für die Fahrten von seiner Wohnung zu den Baustellen einen Pkw zur Verfügung, mit dem er auch die in der Nähe seines Wohnortes in den Niederlanden wohnenden Arbeitskollegen (zeitweise vier, derzeit zwei) zu den einzelnen Baustellen befördert.
Am 20. Juni 1985 schlossen die Beklagte und der bei ihr bestehende Betriebsrat folgende Betriebsvereinbarung:
“
Es wird vereinbart, daß die jeweiligen Fahrer eines Firmen-Busses, die Mitarbeiter vom Bauhof aus zur Baustelle befördern, für die Fahrzeit der Hin- und Rückfahrt folgende Pauschalen täglich erhalten:
bis 50 km |
einf. Strecke, wie z.B. Wesel, Emmerich |
DM 15,00 |
bis 75 km |
einf. Strecke, wie z.B. Dinslaken, Oberhausen |
DM 22,50 |
über 75 km |
einf. Strecke, wie z.B. Düsseldorf, Krefeld, Duisb. |
DM 30,00 |
Diese Beträge werden als Lohn behandelt und über die monatliche Lohnabrechnung ausbezahlt.
Diese Vereinbarung hat Gültigkeit ab 01.07.1985 bis auf weiteres.”
Im Jahre 1987 erfuhr der Kläger, daß anderen Arbeitskollegen die Fahrten von der Wohnung zur Baustelle nach dieser Betriebsvereinbarung vergütet wurden. Auf seine Forderung hin zahlte ihm die Beklagte von November 1987 bis 27. März 1988 Fahrzeiten von der Wohnung zur Baustelle nach der pauschalierten Regelung der Betriebsvereinbarung.
Am 28. März 1988 nahmen der Kläger und die beiden Arbeitskollegen, die er mit dem firmeneigenen Pkw von und zur Baustelle beförderte, die Arbeit auf einer Baustelle in B… auf, die vom Bauhof der Beklagten mindestens 2, nach Darstellung des Klägers 3,5 km entfernt ist. Seit dieser Zeit zahlt die Beklagte dem Kläger keine Beförderungspauschale mehr.
Der Kläger meint, für seine arbeitstäglichen Fahrten von seiner Wohnung zur Baustelle unter Mitnahme der beiden Arbeitskollegen stehe ihm nach der Betriebsvereinbarung vom 20. Juni 1985 eine arbeitstägliche Beförderungspauschale in Höhe von 22,50 DM zu. Seine Ansprüche für März und April 1988 hat er mit Schreiben der ihn vertretenden Gewerkschaft vom 10. Juni 1988 gegenüber der Beklagten geltend gemacht. Den ihm danach zustehenden Betrag beziffert der Kläger auf insgesamt 517,50 DM; davon entfallen auf den Monat März 1988 90,-- DM.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an der Kläger 517,50 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 26. Juli 1988 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, die Fahrt eines Arbeitnehmers von seiner Wohnung zum Betrieb sei grundsätzlich nicht Arbeitszeit, auch wenn Fahrgemeinschaften gebildet würden. Der Kläger sei auch nicht verpflichtet, seine Arbeitskollegen im Fahrzeug vom Wohnsitz zur Arbeitsstelle mitzunehmen. Nach den tariflichen Bestimmungen ständen dem Kläger Vergütungen für Fahrten außerhalb der Arbeitszeit nur dann zu, wenn er mit einem Firmenfahrzeug Arbeitskollegen vom Betriebssitz (Bauhof) zur Baustelle befördere.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren nur noch in Höhe von 427,50 DM brutto (ab 1. April 1988) unter Beschränkung des Zinsanspruchs auf den Nettobetrag weiter. Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile im beantragten Umfang und insoweit zur antragsgemäßen Verurteilung der Beklagten. Die Beklagte ist verpflichtet, an den Kläger 427,50 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich daraus ergebenden Nettobetrag seit 26. Juli 1988 zu zahlen. Denn für die Zeit ab 1. April 1988 steht dem Kläger nach § 5 Nr. 3 Abs. 2 BRTV-Bau Vergütung für die Übernahme der Beförderung von Arbeitskollegen außerhalb seiner Arbeitszeit zu und von den Arbeitsstellen des Betriebes zu. Die von ihm beanspruchte arbeitstägliche Beförderungspauschale in Höhe von 22,50 DM entspricht der Billigkeit.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft Allgemeinverbindlichkeit der Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe (BRTV-Bau) mit unmittelbarer und zwingender Wirkung Anwendung (§ 5 Abs. 4, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG). Danach kommt für den Anspruch des Klägers auf Vergütung von Fahrzeiten die Vorschrift des § 5 Nr. 3 Abs. 2 BRTV-Bau in der Fassung vom 29. April 1988, die ab 1. April 1988 galt, in Betracht, die wie folgt lautet:
“Übernimmt der Arbeitnehmer außerhalb seiner Arbeitszeit mit einem vom Arbeitgeber gestellten Fahrzeug die Beförderung von Arbeitnehmern zur Bau- oder Arbeitsstelle des Betriebes (Hin- und/oder Rückfahrt), so ist die Vergütung für diese Tätigkeit einzelvertraglich zu regeln.”
Bei einer – wie im vorliegenden Fall – fehlenden einzelvertraglichen Vereinbarung ist der Umfang der dem Kläger zustehenden Gegenleistung (für die Fahrdienste) nicht bestimmt, so daß ihm die Bestimmung zusteht (§ 316 BGB). Diese Bestimmung hat der Kläger durch die Bezifferung seiner Klageforderung ausgeführt. Sie entspricht der Billigkeit und ist daher rechtlich nicht zu beanstanden (vgl. § 315 BGB).
Der Kläger hat im Klagezeitraum außerhalb seiner Arbeitszeit mit einem von der Beklagten gestellten Fahrzeug die Beförderung von mindestens jeweils zwei Arbeitskollegen zu den Baustellen des Betriebs mit Hin- und Rückfahrt übernommen. Damit sind alle Voraussetzungen des § 5 Nr. 3 Abs. 2 BRTV-Bau erfüllt, so daß dem Kläger ein Vergütungsanspruch zusteht.
Entgegen der Auffassung der Beklagten und der Vorinstanzen läßt sich der Vorschrift des § 5 Nr. 3 Abs. 2 BRTV-Bau weder nach Wortlaut noch nach Sinn und Zweck entnehmen, daß sie sich nur auf Fahrten zwischen Betriebssitz (Bauhof) des Arbeitgebers und den jeweiligen Baustellen bezieht. Für die Auslegung eines Tarifvertrages sind in erster Linie der Tarifwortlaut und der tarifliche Gesamtzusammenhang maßgebend (BAGE 46, 308, 313 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung). Bei Fahrtkostenabgeltung und Auslösung differenzieren die Tarifvertragsparteien ausdrücklich danach, ob der Arbeitnehmer in einer bestimmten Entfernung von seinem Wohnort arbeitet (Fahrtkostenabgeltung) oder ob die Arbeitsstelle in einer bestimmten Entfernung vom Betrieb liegt (Auslösung). Dies ist in § 7 BRTV-Bau im einzelnen geregelt. Wenn die Tarifvertragsparteien dann in § 5 Nr. 3 Abs. 2 BRTV-Bau die Vergütung der Beförderung von Arbeitskollegen zu den Baustellen allein davon abhängig machen, daß der Arbeitnehmer sie außerhalb seiner Arbeitszeit mit einem Firmenfahrzeug übernimmt, kann daraus nicht geschlossen werden, daß damit nur Fahrten vom Betriebssitz (Bauhof) zu den Baustellen gemeint sind. Anderenfalls hätten die Tarifvertragsparteien dies ebenso wie bei den Regelungen des § 7 BRTV-Bau zum Ausdruck gebracht.
Dies entspricht auch dem Sinn und Zweck der Regelung. Danach ergibt die Bestimmung des § 5 Nr. 3 Abs. 2 BRTV-Bau nur einen vernünftigen Sinn, wenn sie auch die Fahrten des Arbeitnehmers von seiner Wohnung zur Baustelle erfaßt. Im Baugewerbe ist es nicht die Regel, sondern eher ungewöhnlich, daß ein Arbeitnehmer außerhalb seiner Arbeitszeit vom Betriebssitz (Bauhof) des Arbeitgebers Arbeitskollegen mit einem Firmenfahrzeug zur Baustelle befördert. Insoweit weist die Revision zutreffend darauf hin, eine etwa dahingehende Weisung des Arbeitgebers würde dazu führen, daß die Arbeitszeit des Arbeitnehmers, der Arbeitskollegen vom Betriebssitz zur Baustelle befördert, damit mit dem Eintreffen am Betriebssitz beginnt, so daß insoweit eine Beförderung zu den Baustellen “außerhalb” der Arbeitszeit überhaupt nicht in Betracht käme.
Demgegenüber ist es durchaus sinnvoll, daß der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer, der mit einem Firmenfahrzeug Arbeitskollegen zur Baustelle befördert, hierfür eine Vergütung schuldet. Denn dadurch werden dem Arbeitgeber Kosten für die Fahrtkostenabgeltung erspart, die die Arbeitskollegen des Arbeitnehmers beanspruchen könnten, wenn sie auf eigene Kosten sich zur Baustelle begeben hätten (§ 7 Nr. 3.1 Abs. 4 BRTV-Bau). Da der Arbeitnehmer nach § 7 Nr. 3.1 BRTV-Bau Anspruch auf Fahrtkostenabgeltung hat, wenn er auf einer mindestens 6 km von seiner Wohnung entfernten Baustelle arbeiten muß, werden ihm damit Kosten erstattet, die in anderen Branchen üblicherweise der Arbeitnehmer selbst tragen muß, weil sie außerhalb seiner Arbeitszeit entstehen. Ist aber für Fahrten von der Wohnung zur Arbeitsstelle vom Arbeitgeber eine Fahrtkostenabgeltung zu gewähren und entfällt diese dadurch, daß ein Arbeitnehmer Arbeitskollegen mitnimmt, entspricht es dem System der Kostenerstattung für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstelle außerhalb der Arbeitszeit, daß derjenige, der dem Arbeitgeber entsprechende Kosten erspart und hierfür Zeit aufwendet, dafür eine Vergütung erhält.
Es ist unerheblich, daß der Kläger nicht von vornherein verpflichtet war, seine Arbeitskollegen in dem Firmenfahrzeug zu den Baustellen mitzunehmen. Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, eine Unterredung des Komplementär-Geschäftsführers Rudolf S… mit dem Kläger habe zum Ergebnis gehabt, daß dem Kläger ein Pkw Mercedes 220 D zur Verfügung gestellt werden sollte, mit dem der Kläger die übrigen Kollegen zu der Baustellen befördern sollte. Damit ist eine Vereinbarung der Parteien über die Beförderung der Arbeitskollegen durch den Kläger zustande gekommen, mag der Kläger sich hierzu auch freiwillig bereiterklärt haben. Dies genügt zur Erfüllung der Voraussetzung “Übernahme der Beförderung” für eine Vergütung nach § 5 Nr. 3 Abs. 2 BRTV-Bau.
Nach dem tariflichen Gesamtzusammenhang kommt es nicht darauf an, ob die Baustelle in der Nähe des Betriebssitzes (Bauhof) liegt, wie dies im vorliegenden Fall für den strittigen Zeitraum zutrifft. Auch die Fahrtkostenabgeltung des § 7 Nr. 3.1 BRTV-Bau stellt darauf nicht ab. Insoweit berücksichtigen die Tarifvertragsparteien die dem Arbeitnehmer für die Fahrt von seiner Wohnung zur Baustelle entstehenden Kosten. Es ist unerheblich, ob die Baustelle in der Nähe oder weit entfernt vom Betriebssitz liegt. Die Abgeltungsansprüche der Arbeitnehmer für Fahrtkosten werden in ihrer Höhe dadurch nicht berührt. Dies muß dann auch für den Anspruch eines Arbeitnehmers auf Vergütung für die Beförderung von Arbeitskollegen zur Baustelle gelten.
Nach dem Tarifvertrag ist hinsichtlich der Vergütung des Klägers für die Beförderung von Arbeitskollegen zur Baustelle eine einzelvertragliche Vereinbarung zu treffen. Da diese nicht getroffen ist, fehlt es an einer Bestimmung, so daß § 316 BGB eingreift. Die danach von dem Kläger als Gläubiger der geschuldeten Leistung (Beförderung) zu treffende Entscheidung hat nach billigem Ermessen zu erfolgen, die gerichtlich überprüfbar ist (§ 315 BGB). Wenn der Kläger hierbei an die Betriebsvereinbarung der Beklagten anknüpft, die für Fahrten zwischen Bauhof und Baustelle gilt, die die Beklagte zudem in der Vergangenheit – jedenfalls gelegentlich – für Fahrten des Klägers von seiner Wohnung zur Baustelle entsprechend angewendet hat, widerspricht dies nicht der Billigkeit, sondern erscheint sogar naheliegend und sachgerecht.
Die Zinsen stehen dem Kläger als Prozeßzinsen zu (§ 291 in Verb. mit § 288 Abs. 1 BGB).
Da der Kläger einen Teil seiner ursprünglichen Klageforderung in der Revisionsinstanz nicht mehr weiterverfolgt hat, waren die Kosten gemäß § 92 ZPO anteilmäßig zu verteilen.
Unterschriften
Dr. Neumann, Dr. Freitag, Dr. Etzel, Koerner, Dr. Kiefer
Fundstellen
Haufe-Index 872078 |
RdA 1990, 62 |