Entscheidungsstichwort (Thema)

Fertigbauarbeiten als baugewerbliche Tätigkeit. Herstellung überwiegend auftragsbezogener individueller Fertigteile aus Beton und deren überwiegende Montage durch Subunternehmer im Rahmen von Werklieferungsverträgen unter Überwachung der Montage durch einen Mitarbeiter der Herstellerin als bauliche Leistungen iSd. BRTV-Bau?. Tarifrecht

 

Normenkette

BRTV-Bau § 1 Abs. 2 Abschn. V Nr. 13

 

Verfahrensgang

LAG Niedersachsen (Urteil vom 07.12.1998; Aktenzeichen 11 Sa 1364/98)

ArbG Nienburg (Urteil vom 27.05.1998; Aktenzeichen 1 Ca 1505/97)

 

Tenor

  • Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 7. Dezember 1998 – 11 Sa 1364/98 – aufgehoben.
  • Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Arbeitsgerichts Nienburg vom 27. Mai 1998 – 1 Ca 1505/97 – abgeändert:

    Es wird festgestellt, daß auf das Arbeitsverhältnis der Parteien die Normen der Tarifverträge für das Baugewerbe über den 31. März 1997 hinaus zur Anwendung kommen.

  • Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte über den 31. März 1997 hinaus unter den Geltungsbereich der Tarifverträge des Baugewerbes fällt oder ob die Tarifverträge der Beton- und Fertigteilindustrie Nordwestdeutschland anzuwenden sind.

Die Kläger sind überwiegend langjährige gewerbliche Arbeitnehmer der Beklagten, und zwar in erster Linie Fertigbau(spezial)facharbeiter. Einer ist Betonvorarbeiter, zwei sind Fertigbauwerkpoliere, einer ist Bauschlosser – Spezialfacharbeiter, einer ist Bautischler – Spezialfacharbeiter. Sie sind Mitglieder der IG Bauen-Agrar-Umwelt.

Die Beklagte betreibt in L… ein Beton-Fertigteil-Werk. Sie stellt überwiegend auftragsbezogene individuelle Fertigteile aus Beton her. Die Betonfertigteile werden entsprechend den Vorgaben des Auftraggebers konstruiert und sodann gefertigt. Mit den Auftraggebern schließt die Beklagte Werklieferungsverträge ab. Die Montage der Fertigteile erfolgte ursprünglich auf der Baustelle durch eigene Arbeitnehmer der Beklagten. Von 1995 noch mit der Montage beschäftigten 28 Mitarbeitern ist die Montagekolonne 1997 auf sechs Mitarbeiter reduziert worden. Die Montage wird nunmehr überwiegend durch Subunternehmer durchgeführt. Auch bei der Fremdmontage schließt die Beklagte Werklieferungsverträge mit den Endabnehmern ab. Das Eigentum an den Fertigteilen geht nicht an die Subunternehmer, sondern nach der Montage und der Bezahlung des Gesamtwerks auf die Endabnehmer über. Bis zur schlüsselfertigen Übergabe der Bauwerke bleibt die Beklagte Eigentümerin der selbst hergestellten und in diesen Bauwerken durch Subunternehmer eingebauten Fertigteile. Die Montage wird durch einen Mitarbeiter der Beklagten überwacht.

Seit dem 1. April 1997 wurden von 40.354 produzierten Tonnen 28,2 % durch eigene Montagearbeiter der Beklagten auf den Baustellen montiert, 61,4 % durch Subunternehmer und 10,4 % der produzierten Tonnage wurden ohne Montage geliefert. Neben der auftragsbezogenen individuellen Fertigung produzierte die Beklagte vom 1. April bis 31. Dezember 1997 Fertigteilgaragen in einer Gesamt-Tonnage von 4.105 Tonnen, deren Montage und Aufstellung durch eine externe Montagegesellschaft erfolgte.

Bis zum 31. Dezember 1996 war die Beklagte Mitglied im Verband der Bauindustrie in Niedersachsen. Sie kündigte die Mitgliedschaft zu diesem Zeitpunkt. Ab 1. April 1997 ist sie Mitglied im Verband der Beton- und Fertigteilindustrie Nord e.V. Seit diesem Zeitpunkt wendet sie auf die Arbeitsverhältnisse der bei ihr beschäftigten Mitarbeiter die Tarifverträge der Beton- und Fertigteilindustrie Nord an. Sie gruppierte die Mitarbeiter um in die Lohn- und Gehaltsgruppen der Lohn- und Gehaltstarifverträge für die Beton- und Fertigteilindustrie Nord. Die Umgruppierung ist für die Kläger mit Lohneinbußen bis 2,80 DM/h verbunden.

Die Kläger haben die Auffassung vertreten, die Tarifverträge des Bauhauptgewerbes seien weiter anzuwenden. Es sei unerheblich, ob die Beklagte die zu erstellenden Werke aufgrund von Werkverträgen mit eigenen Mitarbeitern oder durch Subunternehmen erstellen lasse. Es sei die Beklagte, die den Kunden das fertige Werk schulde. Sie setzte sowohl bei der Eigenmontage von Fertigbetonteilen als auch zur Überwachung derjenigen Baustellen, auf denen Subunternehmer im Auftrag der Beklagten tätig seien, Bauleiter ein. Es finde daher nicht ein Veräußern von hergestellten Teilen an nicht beteiligte Dritte statt. Die Beklagte veräußere gerade nicht an nicht beteiligte Dritte, sondern an Kunden. Anwendbar sei der Tarifvertrag des Betonsteingewerbes nur dann, wenn die Betonfertigteile für den “anonymen Markt” produziert würden.

Die Kläger haben beantragt,

festzustellen, daß auf das Arbeitsverhältnis der Parteien die Normen der Tarifverträge für das Baugewerbe in ihrer jeweils geltenden Fassung über den 1. April 1997 hinaus zur Anwendung kommen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, seit 1. April 1997 fänden die Tarifverträge der Beton- und Fertigteilindustrie Anwendung. Sie unterfalle dem Baugewerbe deshalb nicht, weil sie die Montage der Beton- und Fertigteile überwiegend nicht selbst, sondern durch Subunternehmen vollziehen lasse.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Kläger zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihren Klageantrag weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision der Kläger zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

  • Die Revision der Kläger ist begründet. Denn für das Arbeitsverhältnis des jeweiligen Klägers mit der Beklagten gelten die Normen der Tarifverträge für das Baugewerbe über den 31. März 1997 hinaus.

    • Der Antrag, festzustellen, daß für das jeweilige Arbeitsverhältnis der Parteien die Normen der Tarifverträge des Baugewerbes über den 31. März 1997 hinaus zur Anwendung kommen, ist zulässig. Mit der Feststellung oder mit ihrer Ablehnung würde der Streit der Parteien in vollem Umfang entschieden. Daraus ergibt sich das Feststellungsinteresse der Kläger (vgl. BAGE 3, 303, 305).
    • Die Klage ist auch begründet. Der Betrieb der Beklagten unterliegt über den 31. März 1997 hinaus den Tarifverträgen für das Baugewerbe.

      • Die Parteien stimmen darin überein, daß sich ihr jeweiliges Arbeitsverhältnis über den 31. März 1997 hinaus nach den Tarifverträgen für das Baugewerbe richtet, sofern der Betrieb L… auch nach diesem Zeitpunkt nach der in ihm überwiegend ausgeübten Geschäftstätigkeit unter den betrieblichen Geltungsbereich des BRTV-Bau fällt.
      • Dies ist der Fall. Das haben die Vorinstanzen verkannt.

        • Im BRTV-Bau vom 3. Februar 1981 in dessen seinerzeit geltenden Fassung vom 2. September 1996 wie in der derzeit geltenden vom 19. April 2000 ist dessen betrieblicher Geltungsbereich in § 1 Abs. 2 wie folgt geregelt:
        • “§ 1 Geltungsbereich
        • (2) Betrieblicher Geltungsbereich:
        • Betriebe des Baugewerbes. Das sind alle Betriebe, die unter einen der nachfolgenden Abschnitte I bis IV fallen.
        • Abschnitt I
        • Betriebe, die nach ihrer durch die Art der betrieblichen Tätigkeiten geprägten Zweckbestimmung und nach ihrer betrieblichen Einrichtung gewerblich Bauten aller Art erstellen.
        • Abschnitt II
        • Betriebe, die, soweit nicht bereits unter Abschnitt I erfaßt, nach ihrer durch die Art der betrieblichen Tätigkeiten geprägten Zweckbestimmung und nach ihrer betrieblichen Einrichtung gewerblich bauliche Leistungen erbringen, die – mit oder ohne Lieferung von Stoffen oder Bauteilen – der Erstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen.
        • Abschnitt III
        • Betriebe, die, soweit nicht bereits unter Abschnitt I oder II erfaßt, nach ihrer durch die Art der betrieblichen Tätigkeiten geprägten Zweckbestimmung und nach ihrer betrieblichen Einrichtung – mit oder ohne Lieferung von Stoffen oder Bauteilen – gewerblich sonstige bauliche Leistungen erbringen.
        • Abschnitt V
        • Zu den in den Abschnitten I bis III genannten Betrieben gehören zB diejenigen, in denen Arbeiten der nachstehend aufgeführten Art ausgeführt werden:
        • 13. Fertigbauarbeiten: Einbauen oder Zusammenfügen von Fertigbauteilen zur Erstellung, Instandsetzung, Instandhaltung oder Änderung von Bauwerken; ferner das Herstellen von Fertigbauteilen, wenn diese zum überwiegenden Teil durch den Betrieb, einen anderen Betrieb desselben Unternehmens oder innerhalb von Unternehmenszusammenschlüssen – unbeschadet der gewählten Rechtsform – durch den Betrieb mindestens eines beteiligten Gesellschafters zusammengefügt oder eingebaut werden;
        • Abschnitt VI
        • Betriebe, soweit in ihnen die unter den Abschnitten I bis V genannten Leistungen überwiegend erbracht werden, fallen grundsätzlich als Ganzes unter diesen Tarifvertrag. Selbständige Betriebsabteilungen sind Betriebe im Sinne dieses Tarifvertrages.
        • Werden in Betrieben des Baugewerbes in selbständigen Abteilungen andere Arbeiten ausgeführt, so werden diese Abteilungen dann nicht von diesem Tarifvertrag erfaßt, wenn sie von einem spezielleren Tarifvertrag erfaßt werden.
        • Abschnitt VII
        • Nicht erfaßt werden Betriebe:
        • 1. des Betonwaren und Terrazzowaren herstellenden Gewerbes,
        • …”
        • Der Rahmentarifvertrag für die Angestellten des Baugewerbes hat hinsichtlich seines betrieblichen Geltungsbereichs diese Regelung des BRTV-Bau übernommen.
        • Der Betrieb L… der Beklagten wurde auch noch nach dem 31. März 1997 vom betrieblichen Geltungsbereich des BRTV-Bau und damit von demjenigen des Rahmentarifvertrages für die Angestellten und für die Poliere erfaßt.

          • Nach der ständigen Rechtsprechung des Zehnten Senats des Bundesarbeitsgerichts fällt ein Betrieb als Ganzes unter den betrieblichen Geltungsbereich des BRTV-Bau, wenn in ihm arbeitszeitlich überwiegend Tätigkeiten ausgeführt werden, die unter die Abschnitte I bis V des § 1 Abs. 2 BRTV-Bau fallen. Auf handels- oder gewerberechtliche Kriterien kommt es dafür ebensowenig an wie auf wirtschaftliche Gesichtspunkte, zB Umsatz oder Verdienst. Werden in dem Betrieb arbeitszeitlich überwiegend ein oder mehrere der in den Beispielen des Abschnitts V des § 1 Abs. 2 BRTV-Bau genannten Tätigkeiten ausgeführt, fällt der Betrieb unter den betrieblichen Geltungsbereich des BRTV-Bau, ohne daß die Erfordernisse der allgemeinen Merkmale der Abschnitte I bis II geprüft werden müssen. Können die Tätigkeiten nicht den Beispielen in § 1 Abs. 2 Abschnitt V BRTV-Bau zugeordnet werden, kommt es darauf an, ob der Betrieb nach den Abschnitten I bis III vom betrieblichen Geltungsbereich des BRTV-Bau erfaßt wird. Dabei ist maßgeblich auf die Zweckbestimmung des Betriebes abzustellen. Für die den Betrieb prägende Zweckbestimmung ist der Zweck der Gesamtleistung entscheidend (zB BAG 11. Juni 1997 – 10 AZR 525/96 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 200 = EzA TVG § 4 Bauindustrie Nr. 85 und 7. Juli 1999 – 10 AZR 582/98 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 221 = EzA TVG § 4 Bauindustrie Nr. 95 mwN).
          • Die überwiegende Tätigkeit im Betrieb L… ist das Herstellen von Fertigbauteilen, die zum überwiegenden Teil durch den Betrieb zusammengefügt werden, im Sinne des Beispiels des § 1 Abs. 2 Abschnitt V Nr. 13 2. Alternative BRTV-Bau.

            Die Beklagte erstellt mit ihrem Betrieb L… Bauwerke. Denn eine Erstellung von Bauwerken liegt nach dem vorgenannten Beispiel auch dann vor, wenn die vom Betrieb hergestellten Fertigbauteile von diesem zu Bauwerken zusammengefügt werden. Diese Tätigkeit überwiegt im Betrieb L…. Sie ist die ihn prägende Zweckbestimmung (vgl. § 1 Abs. 2 Abschnitt I, II, III BRTV-Bau), für die der Zweck der Gesamtleistung des Betriebs maßgebend ist. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat die Leistung der Beklagten die Herstellung des Gesamtbauwerkes zum Inhalt. Fertigbauteile für den Markt, dh. zum Verkauf an Dritte werden von der Beklagten in L… nur zu 10,4 % hergestellt. An die Subunternehmer werden die von der Beklagten hergestellten Betonfertigbauteile nicht veräußert, sondern das Eigentum daran geht unmittelbar auf den Auftraggeber über.

            Dies ergibt sich auch aus den in diesem Verfahren sowie in den Parallelsachen in den Tatsacheninstanzen vorgelegten Unterlagen (Managementbuch, interne Stellenausschreibungen, Prospektmaterial). Darin beschreibt die Beklagte ihre Geschäftstätigkeit stets dahin, daß sie “mit den sechs Niederlassungen Bauwerke unterschiedlichster Art” errichte; ihre Leistung umfasse die schlüsselfertige Fertigstellung von Bauwerken.

            Weil der Betrieb überwiegend auf die Errichtung von Bauwerken gerichtet ist und diesem Zweck die Herstellung der Fertigbauteile dient, sind alle Arbeitnehmer des Betriebes insoweit mit der Herstellung von Bauwerken befaßt. Insbesondere die Überwachungstätigkeiten ihrer Bauleiter auf den Baustellen sind bauliche Leistungen (BAG 11. Juni 1997 – 10 AZR 525/96 – aaO). Dies gilt auch für die Beaufsichtigung und Kontrolle der von der Beklagten mit der Montage der von ihr hergestellten Betonfertigbauteile beschäftigten Subunternehmer. Darin folgt der Senat der Rechtsprechung des Zehnten Senats (BAG 11. Juni 1997 – 10 AZR 525/96 – aaO). Maßgeblich für die Qualifizierung der genannten Bauleitungstätigkeiten, die der mangelfreien und termingerechten Herstellung des Bauwerkes dienen, als bauliche Leistungen der Beklagten ist, daß es sich bei den zur Bauherstellung eingesetzten Subunternehmern um solche der Beklagten handelt und ohne die Tätigkeit von Subunternehmern die Bauarbeiten von Arbeitnehmern der Beklagten hätten ausgeführt werden müssen. Dies ist hier der Fall. Unerheblich ist, ob die Aufsicht der Bauleiter der Beklagten werk- oder personenbezogen ist. Im einen wie im anderen Falle bezieht sich die Bauleitung auf eine von der Beklagten zu erbringende bauliche Leistung und ist Teil derselben. Da der Zweck dieser betrieblichen Tätigkeit der Beklagten insgesamt in der Erstellung von Bauwerken besteht, ist nicht rechtserheblich, wie viele Arbeitnehmer der Beklagten insoweit mit der Herstellung der Fertigbauteile und wie viele mit ihrer Zusammenfügung auf den Baustellen befaßt sind (Senat 14. April 1971 – 4 AZR 201/70 – AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 10).

          • Das Landesarbeitsgericht hat für den Senat gemäß § 561 Abs. 2 ZPO bindend, weil von der Beklagten nicht mit einer Verfahrensrüge angegriffen, festgestellt, daß die Eigenmontage – dh. die Montage der von der Beklagten hergestellten Betonfertigbauteile durch Arbeitnehmer der Beklagten- und die Montage ihrer Betonfertigbauteile durch von ihr beauftragte und überwachte Subunternehmer zusammengerechnet den zeitlich überwiegenden Teil ihrer betrieblichen Tätigkeit ausmacht. 89,6 % der Produktionsmenge in Tonnen im Restjahr 1997 wurden von Arbeitnehmern der Beklagten oder durch von ihr beauftragte Subunternehmer zu Bauwerken zusammengefügt.
  • Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
 

Unterschriften

Schliemann, Bott, Friedrich, J. Ratayczak, Sieger

 

Fundstellen

Dokument-Index HI892433

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