Entscheidungsstichwort (Thema)
Erneute Zeugenvernehmung in der Berufungsinstanz
Normenkette
ZPO §§ 398, 286
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 01.02.1990; Aktenzeichen 13 Sa 68/89) |
ArbG Mannheim (Urteil vom 22.02.1989; Aktenzeichen 9 Ca 426/88) |
Tenor
1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 1. Februar 1990 – 13 Sa 68/89 – aufgehoben.
2. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an die Erste Kammer des Landesarbeitsgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der verheiratete und zwei Kindern unterhaltspflichtige Kläger war in dem Großkraftwerk der Beklagten seit dem 11. Februar 1980 als Helfer gegen einen Bruttomonatsverdienst von zuletzt 3.200,– DM beschäftigt und in der Abteilung BC – Betrieb Chemielabor – eingesetzt.
Zu seinen Aufgaben gehörte es, für die Mitarbeiter dieser Abteilung in der im Sozialgebäude befindlichen Kantine Essen zu besorgen. In diesem Rahmen nahm er die Essen- und Getränkewünsche der Mitarbeiter für die Frühstückspause, die zwischen 9.00 Uhr und 9.15 Uhr liegt, sowie deren Flaschenleergut entgegen. Hierfür verwendete er ein von der Kantinenverwaltung zur Verfügung gestelltes hektographiertes Formblatt, auf dem er die Namen, die Essenwünsche sowie das zurückgegebene Leergut eintrug. Das Sozialgebäude befindet sich etwa 500 Meter vom Chemielabor entfernt. Für den Transport der Waren verwendete der Kläger einen offenen Schiebehandwagen. Über die eingekaufte Ware und das zurückgegebene Pfandgeld erhält er einen Kassenbon. Die darauf eingetragenen Daten werden auch auf einem in der Kasse verbleibenden Kontrollstreifen festgehalten.
Am 15. September 1988 besorgte der Kläger für die Frühstückspause Essen und Getränke. Er kam mit seinem Handwagen zu der auf der Rückseite des Sozialgebäudes befindlichen Leergutabgabestelle, in der zu diesem Zeitpunkt die Arbeiterin G eingesetzt war, und gab dort Leergut ab. Anschließend begab er sich zu den auf der Vorderseite des Sozialgebäudes befindlichen Kantinenschaltern. Er kaufte an dem von der Arbeiterin S. besetzten Schalter ein und ließ sich von ihr für 12 Flaschen á 20,– DM, 17 á 30,– DM sowie einen Kunststofflaschenkasten á 3,– DM, insgesamt 10,50 DM Pfandgeld auszahlen. Diese Leergutdaten waren auf dem Einkaufszettel eingetragen.
Die Beklagte behauptet, der Kläger habe an diesem Tag in Wahrheit nur zwei Flaschen á 0,20 DM und sieben Flaschen á 0,30 DM, somit insgesamt nur Leergut für 2,50 DM zurückgegeben. Diese Daten habe er zunächst auf dem Einkaufszettel vermerkt und sich von der Arbeiterin G. durch daneben angebrachte Namenskürzel bestätigen lassen. Nach Rückgabe des Leergutes habe er die Bestätigung verfälscht. Er habe vor die Zahlen 2 und 7 jeweils noch die Zahl 1 gesetzt und zusätzlich einen Leergutkasten á 3,– DM eingetragen. Er habe dann bewußt den von der Mitarbeiterin S. besetzten Kantinenschalter aufgesucht, weil diese die Leergutrückgabe nicht beobachtet habe. Durch diese Täuschungshandlung habe er sich unrechtmäßig um 8,– DM Pfandgeld bereichert.
Die Arbeiterinnen G. und S. hätten diese Manipulation bereits während der Frühstückspause bei einem Leergutabgleich bemerkt. Beide hätten sich handschriftliche Aufzeichnungen über zurückgegebene Leergutkästen gemacht und bei der Stichprobe eine Differenz von einem Kasten zu einem Pfandbetrag von 3,– DM festgestellt. Frau S. habe sich dann erinnert, daß der Kläger gegen 8.15 Uhr einen Leergutkasten als Pfand abgerechnet habe. Daraufhin hätten die beiden den in der Kasse befindlichen Kontrollstreifen überprüft, der auch die jeweilige Buchungszeit festhalte, und die Eintragungen über einen Leergutkasten á 3,– DM sowie 12 Flaschen á 0,20 DM und 17 Flaschen á 0,30 DM festgestellt. Hierbei hätten sich Frau G. sowie der ebenfalls an der Leergutabgabe eingesetzte Arbeiter R. daran erinnert, daß der Kläger nur zwei Flaschen á 0,20 DM und sieben Flaschen á 0,30 DM, dagegen keinen Leergutkasten abgegeben habe.
Nach Mitteilung dieses Vorgangs an seinen Vorgesetzten habe der Kläger auf die Weisung, die Einkaufsunterlagen vorzulegen, Teile des zerrissenen Einkaufszettels sowie einen Kassenbon vorgelegt, dessen oberer Teil abgerissen gewesen sei. Die fehlenden Teile, die die Angaben über das Pfand enthielten, seien nicht mehr aufgefunden worden. Sie, die Beklagte, habe die Schnipsel des Einkaufszettels mit Tesaband zusammengeklebt. Von dem Teil, der die Angaben über das Pfand enthalten habe, sei nur noch die Angabe 17 × 0,30 sichtbar geblieben.
Sie habe noch am selben Tag mit dem Kläger Rücksprache genommen und über den Vorgang eine Aktennotiz gefertigt. Eine Abschrift hiervon habe der Kläger erhalten. Unter dem 16. September 1988 habe sie den Betriebsrat schriftlich von dem Vorgang sowie davon unterrichtet, daß die fristlose Entlassung des Klägers beabsichtigt, sie jedoch bereit sei, den Kläger im Hinblick auf seine sozialen Verhältnisse zunächst befristet auf ein Jahr in einer anderen Abteilung weiterzubeschäftigen, falls er sein Fehlverhalten vorbehaltlos eingestehe. Auch hiervon habe der Kläger eine Abschrift erhalten. Die Arbeiterinnen G. und S. sowie der Arbeiter R. hätten ihre Angaben am 19. September 1988 schriftlich bestätigt.
Nachdem der Kläger die Vorwürfe weiterhin bestritten hatte, kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 22. September 1988, das ihm am selben Tag ausgehändigt wurde, unter Bezugnahme auf die seit dem 15. September 1988 geführten Gespräche sowie die ihm überlassenen Schriftstücke vom 15. und 16. September 1988 fristlos aus wichtigem Grund.
Gegen diese Kündigung hat sich der Kläger mit der am 28. September 1988 bei Gericht eingegangenen Klage gewandt. Er hat die gegen ihn erhobenen Vorwürfe bestritten und hierzu vorgetragen:
Er habe am 15. September 1988 das auf seinem Einkaufszettel eingetragene Leergut auch tatsächlich abgegeben. Die Flaschen hätten sich in zwei Holztragekisten und teilweise auch in dem Leergutkasten befunden. An der Leergutabgabestelle habe er unangemessen lange warten müssen. Deshalb habe er bereits begonnen, die Flaschen in noch nicht gefüllte Kästen in der Leergutkammer zu stellen. Als er damit fertig gewesen sei, sei Frau G. aus dem Verkaufsraum erschienen, habe auf seinen Einkaufszettel geschaut und ihn wortlos zurückgegeben, ohne, wie sonst üblich, das Leergut abgehakt zu haben. An dem von Frau S. besetzten Kantinenschalter habe er ständig und nicht nur an diesem Tag eingekauft. Er habe gewußt, daß in der Kasse ein Kontrollstreifen zurückbleibe, so daß jede Pfandgeldmanipulation aufgedeckt werden könne. Gegen 10.45 Uhr sei er mit dem Vorwurf des Betruges konfrontiert worden und habe keine Gelegenheit zu einer Rechtfertigung erhalten.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß sein Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten nicht aufgelöst wird, sondern über den 22. September 1988 hinaus zu unveränderten Bedingungen fortbesteht.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat weiter vorgetragen, der Kläger habe bereits im Mai 1988 eine Manipulation vorgenommen. Sie gebe u.a. an Mitarbeiter in der Abteilung BC täglich Milch aus. Der Vorgesetzte händige dem Essenholer eine Anforderungsliste aus, in der die bezugsberechtigten anwesenden Mitarbeiter aufgeführt seien. Der Kläger habe mehrfach die Anforderungslisten selbst geschrieben und mit dem Namen des Vorgesetzten unterzeichnet, mehr Bezugsberechtigte als tatsächlich anwesend eingetragen und die überzählige Milch für sich verbraucht. Ferner habe er in der Probezeit vorgelegte Zeugnisse zu seinen Gunsten verfälscht.
Der Kläger hat diese Vorwürfe bestritten.
Das Arbeitsgericht hat die Arbeiterin G. sowie den Arbeiter R. als Zeugen vernommen und die Klage abgewiesen. Es hat den von der Beklagten vorgetragenen Sachverhalt für nachgewiesen erachtet und in diesem Verhalten des Klägers einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung gesehen. Seine Feststellungen zum Tatvorwurf hat es im wesentlichen wie folgt begründet:
Die Zeugin G. habe einen außerordentlich glaubhaften Eindruck gemacht. Sie sei sich sicher gewesen, daß sie vom Kläger keinen leeren Kasten erhalten habe. Sie habe dazu besonders anschaulich geschildert, wenn der Kläger tatsächlich 18 Flaschen und dazu einen Leerkasten gehabt hätte, hätte sie ihn gebeten, den Kasten zu füllen, so daß für einen gefüllten Leergutkasten hätte abgerechnet werden können. Das bestätige die allgemeine Erfahrung. Wer leere Wasserflaschen und einen leeren Wasserflaschenkasten transportiere, tue das nicht getrennt, sondern fülle den Kasten mit den leeren Flaschen. Die Zeugin habe eigenen Angaben zufolge den Zettel auch abgehakt. Das bestreite der Kläger, die Kammer gehe aber davon aus. Dabei brauche dem Kläger zwar die Tatsache, daß ausgerechnet jener Teil in dem Einkaufszettel fehle, in welchem die Pfandgabe vermerkt sei, nicht unbedingt angelastet zu werden. Aber es sei überhaupt nicht ersichtlich, wozu die Zeugin G. bei der Leergutannahme beschäftigt werde, wenn es dem Leergutabgebenden möglich sei, das Leergut einzuräumen und ohne Kontrolle kraft Selbstaufschrieb den entsprechenden Betrag zu kassieren.
Diese Aussage werde durch diejenige des Zeugen R. nicht widerlegt. Dieser habe zwar die Aussage der Zeugin G. nicht bestätigen können. Er mache aber Angaben, die dem Vortrag beider Parteien widersprächen. Er habe ziemlich viel durcheinander gebracht und seine Aussage sei wertlos.
Mit der Berufung hat der Kläger die Beweiswürdigung des Arbeitsgerichts angegriffen. Er hat auf die Widersprüche zwischen den Aussagen der Zeugin G. und des Zeugen R. verwiesen, und weiter vorgetragen, alle Mitarbeiter könnten bestätigen, daß er nur Holzkörbe benutzt habe, während beide Zeugen behauptet hätten, er habe einen Drahtkorb gehabt. Es sei auch auffallend, daß sich die Zeugen gerade in diesen wesentlichen und leicht festzustellenden Punkten widersprächen, sich jedoch hinsichtlich der Zahl der Flaschen genau zu erinnern glaubten, obwohl diese ungleich schwerer festzustellen und zu merken sei. Bedenklich sei auch, daß sich die Zeugin G. so genau an die Flaschenzahl erinnere, obwohl doch an diesem Morgen ein erheblicher Betrieb geherrscht und er ca. zehn Minuten habe warten müssen. Zwischen seiner Abfertigung und der Überprüfung anhand des Kontrollstreifens habe nochmals ein erheblicher Zeitraum gelegen, in dem mehrere Einkäufer bedient worden seien. Die angebliche Differenz im Bestand der Zeugin G. könne daher durchaus von einem anderen Einkäufer stammen. Für seine Angaben spreche weiter, daß er sich geweigert habe, ein Schuldanerkenntnis zu unterschreiben, obwohl ihm für diesen Fall eine befristete Weiterbeschäftigung angeboten worden sei. Wäre er sich einer Schuld bewußt gewesen, hätte er schon aus Verantwortung für seine Familie das Anerkenntnis unterschrieben.
Die Beklagte hat noch geltend gemacht, die Aussagen der Zeugen G. und R. würden durch den Umstand unterstützt, daß der Kläger bis heute auch nicht andeutungsweise vorgetragen habe, von wem die angeblich zurückgegebene große Leergutmenge stamme. Er habe ja Leergut von Mitarbeitern abgeliefert. Wenn er wirklich einen Kasten abgegeben hätte, so hätte er, als er nur zwei Stunden später wegen dieses Vorfalls angesprochen worden sei, ohne jede Schwierigkeit die Herkunft des Kastens erklären können. Das gleiche gelte für die Flaschen. Diese naheliegende Erklärung habe der Kläger nicht versucht.
Das Landesarbeitsgericht hat ohne weitere Beweisaufnahme das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die fristlose Kündigung vom 22. September 1988 nicht aufgelöst ist, sondern über den 22. September 1988 hinaus fortbesteht.
Mit der Revision verfolgt die Beklagte die Wiederherstellung des Urteils des Arbeitsgerichts. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits, an das Berufungsgericht. Hierbei hat der Senat von der Möglichkeit des § 565 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht.
I. Das Berufungsgericht hat angenommen, die fristlose Kündigung der Beklagten sei unwirksam. Nach dem Beweisergebnis bestünden vernünftige Zweifel an der Richtigkeit der Behauptung der Beklagten, der Kläger habe die Empfangsbestätigung über das von ihm abgegebene Leergut nachträglich verändert. Der Beweiswürdigung des Arbeitsgerichts könne es sich nicht anschließen. Im einzelnen hat es hierzu ausgeführt:
Die Beklagte habe nicht vorgetragen, daß sich am Ende des fraglichen Tages ein dem behaupteten Vorteil des Klägers entsprechendes Kassenmanko ergeben habe. Ein Kassenabgleich sei zum Zeitpunkt, als die Zeugin G. die angebliche Zuvielzahlung an den Kläger bemerkt haben wolle, nicht vorgenommen worden.
Das Arbeitsgericht stütze sich vielmehr allein auf die Aussage der Zeugin G. Diejenige des Zeugen R. habe es für seine Überzeugungsbildung zu Recht nicht herangezogen.
Es bestünden aber ebenso Zweifel an der Verläßlichkeit der Aussage der Zeugin G. Zwar gehe das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Urteil von der subjektiven Glaubwürdigkeit der Zeugin aus. Es könne aber aufgrund vernünftiger Anhaltspunkte nicht ausgeschlossen werden, daß die Zeugin sich irre.
Eine Überlagerung ihres objektiven Erinnerungsbildes sei hier zunächst deswegen nicht auszuschließen, weil sie dem fraglichen Vorgang nicht neutral und unbeteiligt gegenübergestanden habe. Nach ihrer Aussage habe es am Vortage ein Kassenmanko von 30,– DM gegeben. Hierzu habe die Beklagte in der mündlichen Verhandlung über die Berufung ausgeführt, Abmängel der Kantine seien bis zu einem bestimmten geringen Betrag täglich aus der Trinkgeldkasse auszugleichen, im übrigen erhielten die dort beschäftigten Mitarbeiter ein Mankogeld von 30,– DM monatlich. Das Mankogeld der Zeugin für diesen Monat sei durch den Fehlbestand des Vortages daher weitgehend verbraucht gewesen. Sie habe befürchten müssen, daß weitere Abmängel ihren Monatsverdienst unmittelbar schmälern würden. Dadurch sei zwar, wie die Zeugin auch selbst angegeben habe, einerseits ihre Sensibilität für etwa vorkommende Fehler gesteigert worden, andererseits aber naturgemäß auch ihre latente Bereitschaft, scheinbare Mankoursachen für wirkliche zu halten. Mithin könne nicht ausgeschlossen werden, daß die Zeugin bei dem Kläger deswegen eine Mankoursache gesehen habe, weil sie an diesem Tage ein erneutes Manko auf jeden Fall habe vermeiden wollen, und daß sie deswegen gemeint habe, der Kläger habe zuviel aufgeschrieben, nicht aber, weil sie sich an die von ihm tatsächlich zurückgegebene Leergutmenge wirklich erinnert habe.
Zum zweiten könne nicht ausgeschlossen werden, daß der Kläger, wie er behaupte, noch in Abwesenheit der Zeugin G. von sich aus Flaschen und/oder den von ihm behaupteten Kasten weggeräumt habe. Die Zeugin habe hierzu lediglich angegeben, „ihres Wissens” habe er das nicht getan, und er dürfe das auch gar nicht. Eigene Wahrnehmungen aber habe die Zeugin nicht gemacht. Daß der Kläger nicht selbst habe wegräumen dürfen, schließe naturgemäß nicht aus, daß er es trotzdem getan habe. Hierfür spreche u.a., daß er auch nach den Angaben der Zeugin zwischen fünf und zehn Minuten habe warten müssen und nach dem Vortrage der Beklagten von vornherein erklärt habe, er habe es eilig.
Die Zeugin habe allerdings weiter angegeben, wenn der Kläger wirklich einen Leergutkasten von 12 oder mehr Sprudelflaschen zurückgebracht hätte, hätte sie ihm gesagt, er solle die Flaschen in den Kasten stellen und hätte ihm dann einen Leergutbetrag von 6,60 DM aufgeschrieben. Das Arbeitsgericht habe diesem Gesichtspunkt erhebliche Bedeutung beigemessen. Für seine Überlegung, erfahrungsgemäß gebe derjenige, der einen Leergutkasten mit entsprechender Flaschemenge zurückgebe, diese zusammen ab, spreche eine gewisse empirische Erfahrung. Sie überzeuge hier aber nicht. Vielmehr erwecke diese Aussage der Zeugin zusätzliche Zweifel. Denn der Kläger habe unstreitig das von ihm gebrachte Leergut selbst auf dem Rückgabezettel aufgeschrieben. Wenn er dort, wie er selbst behaupte, den Leergutkasten ohne Pfandflaschen vermerkt habe, habe für die Zeugin, die die zurückgebrachte Menge nur abgehakt haben wolle, überhaupt kein Anlaß bestanden, den Kläger aufzufordern, seine Vermerke zu streichen und die Leergutmenge in einer anderen Weise zu notieren, die gegenüber den eigenen Aufzeichnungen des Klägers keinen sachlichen Unterschied bedeutet hätte.
Diese Angabe der Zeugin erwecke darüber hinaus weitere Zweifel an der objektiven Verläßlichkeit ihres Erinnerungsbildes. Sie habe nach ihrer von der Beklagten aufgenommenen vorprozessualen Aussage vom 19. September 1988 an diesem Tage ihre Kollegin S. gefragt, „ob sie alle Kästen mit 5,– DM Pfand, 3,– DM Pfand und 2,– DM Pfand aufgeschrieben habe …”. Demnach sei es anscheinend gerade nicht üblich gewesen, zurückgebrachte Leergutkasten nach dem Betrag zu berechnen, der sich zusammen mit der möglichen Menge an leeren Flaschen ergeben habe, sondern eben nur isoliert als Kästen. Es sei deswegen gerade zweifelhaft, ob die Rückgabevermerke so gehandhabt würden, wie es die Zeugin zur Unterstützung der Verläßlichkeit: ihrer Aussage angegeben habe. Vielmehr bestünden aus den genannten Gründen Anhaltspunkte für die vom Kläger behauptete Handhabung.
Allerdings habe die Beklagte im Berufungsrechtszug darauf hingewiesen, daß der Kläger sich von dem gegen ihn erhobenen Vorwurf hätte befreien können, wenn er unmittelbar darauf sich von denjenigen Kollegen, in deren Auftrag er Leergut zurückgegeben habe, Art und Menge des Leergutes und die Tatsache der Zurückzahlung des Pfandes hätte bestätigen lassen. Hierzu habe der Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, ein Teil des Leergutes habe von Arbeitnehmern anderer Unternehmen (Fremdfirmen) gestammt, welche im Rahmen von Werkverträgen auf dem Gelände der Beklagten tätig gewesen seien. Daß solche Arbeiten stattfänden, sei unstreitig. Auch dann allerdings hätte es für den Kläger nahegelegen, sich von diesen Personen die Herkunft des Leergutes bestätigen zu lassen. Daß der Kläger diesen naheliegenden Entlastungsweg nicht beschritten hat, belaste ihn aber nur scheinbar. Es sei nämlich möglich und sogar nicht einmal unwahrscheinlich, daß der Kläger Anlaß gehabt oder zu haben geglaubt habe, die Herkunft eines Teiles des nach seiner Behauptung tatsächlich abgegebenen Leergutes zu verschweigen. Dies liege deswegen nicht ganz fern, weil auch die Zeugin G., bei ihrer Aussage Andeutungen in diese Richtung gemacht hat, nämlich sie (das sind die Mitarbeiter in der Kantine) glaubten schon zu wissen, woher die größere Menge Leergut, die der Kläger gelegentlich gebracht habe, gekommen sei. Möglicherweise sei dieses Leergut nicht auf korrekte Weise erworben worden.
Weitere Beweismittel für den entscheidenden Vorgang der Leergutabgabe habe die Beklagte nicht angeboten. Eine Verdachtskündigung sei nicht ausgesprochen worden.
II. Gegen diese Würdigung wendet sich die Revision zu Recht.
1. Auch eine vorsätzliche geringfügige Schädigung des Vermögens des Arbeitgebers durch Entwendung geringwertiger Sachen oder, wie hier in Frage steht, durch betrügerische Manipulationen mit einem verhältnismäßig geringen Pfandgeldbetrag, ist ein zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund geeigneter Umstand (vgl. Senatsurteil vom 17. Mai 1984 – 2 AZR 3/83 – AP Nr. 14 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung).
2. Wie die Revision durchgreifend rügt, beruht die Feststellung des Berufungsgerichts, dem Kläger könne eine betrügerische Pfandgeldmanipulation nicht nachgewiesen werden, auf einem Verfahrensfehler. Das Berufungsgericht hätte die Zeugin G. nochmals vernehmen müssen.
a) Es steht grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des Berufungsgerichts, ob es einen im ersten Rechtszug gehörten Zeugen nochmals nach § 398 ZPO vernimmt oder sich mit der Verwertung der protokollierten erstinstanzlichen Aussagen begnügt. Jedoch besteht im Rahmen dieses Ermessens eine Pflicht zur erneuten Vernehmung, wenn das Berufungsgericht die Aussage anders bewerten will als die erste Instanz und hierfür Faktoren im Vordergrund stehen, die die Glaubwürdigkeit und deren Beurteilung – wie die Urteilsfähigkeit des Zeugen, sein Erinnerungsvermögen und seine Wahrheitsliebe – betrafen und wesentlich vom persönlichen Eindruck des Zeugen auf den Richter abhängen. Geht es dagegen nur darum, ob der Inhalt der protokollierten Aussage (objektiv) für die Beweisfrage ergiebig ist oder nicht, kann der zweitinstanzliche Richter grundsätzlich die Aussage ohne nochmalige Vernehmung anders beurteilen (vgl. BAG Urteil vom 26. September 1989 – 3 AZR 375/89 – AP Nr. 3 zu § 398 ZPO; BGH Urteil vom 8. Januar 1985 – VI ZR 96/83 – VersR 1985, 341, 342 f., zu B II 2 der Gründe, jeweils m.w.N.).
b) Gegen diese Grundsätze hat das Berufungsgericht verstoßen. Es hat zwar die Zeugin G. subjektiv für glaubwürdig angesehen. Bei seiner weiteren Würdigung ist es jedoch offenbar davon ausgegangen, seine abweichende Wertung der Aussage dieser Zeugin bewege sich nicht im subjektiven, sondern im objektiven Bereich. Das ist nicht richtig. Das Arbeitsgericht hat einleitend ausgeführt, daß die Zeugin einen außerordentlich glaubhaften Eindruck gemacht habe. Sodann hat es die nach seiner Ansicht für die Richtigkeit ihrer Aussage sprechenden Umstände hervorgehoben, sie sei sich sicher, daß sie vom Kläger keinen leeren Kasten erhalten habe. Es hat darauf abgestellt, diese Erinnerung resultiere vom Tage des Geschehens selbst; insoweit komme ihr ein hoher Wahrscheinlichkeitswert zu ein Irrtum sei nahezu ausgeschlossen.
Ferner hat es der von der Zeugin geschilderten Handhabung der Pfandabrechnung für den Fall Bedeutung beigemessen, daß eine Vielzahl von Flaschen zusammen mit einem leeren Kasten abgegeben wird: In diesem Falle hätte sie den Kläger gebeten, den Kasten mit dem Leergut zu füllen. Diese nach Ansicht des Arbeitsgerichts für das Erinnerungsvermögen der Zeugin sprechenden Umstände liegen jedoch im subjektiven Bereich und können in ihrer Gesamtheit nur zuverlässig aufgrund eines persönlichen Eindrucks von der Zeugin erfaßt werden. Von einer nochmaligen Vernehmung hätte das Berufungsgericht deshalb nur absehen können, wenn ihm der objektive Beweiswert der als wahr unterstellten Aussage nicht ausgereicht hätte, die Beweis frage zu bejahen. Hierum geht es jedoch nicht, da die Zeugin ausgesagt hat, der Kläger habe keinen leeren Kasten zurückgegeben (vgl. BGH, a.a.O.). Soweit das Berufungsgericht aus den dargelegten Gründen eine Überlagerung des „objektiven” Erinnerungsbildes nicht auszuschließen vermochte und weitere Zweifel an der „objektiven” Verläßlichkeit ihres Erinnerungsbildes angemeldet hat, bewegt sich seine Wertung ebenfalls im subjektiven Bereich. Deshalb war die erneute Vernehmung der Zeugin erforderlich.
3. Auf diesem Verfahrensfehler beruht auch das angefochtene Urteil. Es ist nicht auszuschließen, daß die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts anders ausgefallen wäre, wenn es die Glaubwürdigkeit der Aussage der Zeugin G. aufgrund einer eigenen Vernehmung beurteilt hätte.
III. Der Verfahrens fehler macht die Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht erforderlich.
Wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, hat die Beklagte keine Verdachtskündigung ausgesprochen, sondern die Kündigung auf eine nach ihrer Ansicht erwiesene Straftat des Klägers gestützt. Dies ergibt sich aus dem Inhalt der in dem Kündigungsschreiben in Bezug genommenen und damit zu seinem Inhalt gemachten Schriftstücke vom 15. und 16. September 1988. In dem letztgenannten, an den Betriebsrat gerichteten Anhörungsschreiben wird ausdrücklich erklärt, der Kläger habe sich am 15. September 1988 eines Betruges bei der Abrechnung von Leergut schuldig gemacht. Im Hinblick auf diese dem Betriebsrat gegebene Begründung kann die Kündigung aus kollektivrechtlichen Gründen (§ 102 Abs. 1 BetrVG) auch nicht nachträglich noch auf den Verdacht einer solchen Handlung gestützt werden (BAG Urteil vom 3. April 1986 – 2 AZR 324/85 – AP Nr. 18 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung, zu II 1 c der Gründe). Die Entscheidung hängt somit allein davon ab, ob dem Kläger die angelastete strafbare Handlung nachgewiesen werden kann.
Unterschriften
Hillebrecht, Triebfürst, Bitter, Timpe, Dr. Roeckl
Fundstellen