Entscheidungsstichwort (Thema)
Annahmeverzug. tarifliche Ausschlußfrist
Normenkette
MTV für das Wach- und Sicherheitsgewerbe im Lande NW vom 14. Dezember 1989 – Nr. 10.1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 24. November 1994 – 16 Sa 743/94 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Der Kläger war seit 1988 als Pförtner bei der Beklagten beschäftigt, und zwar zuletzt gegen eine Vergütung von monatlich 561,68 DM brutto. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund ordentlicher Kündigung der Beklagten vom 16. April 1993 mit dem 16. Mai 1993. Zuvor hatte die Beklagte mit Schreiben vom 1. September 1992 außerordentlich gekündigt. Aufgrund rechtskräftigen Urteils des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 28. April 1993 (– 2 Ca 2102/92 –) ist festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis durch diese Kündigung nicht aufgelöst worden ist.
Mit Mahnbescheid vom 29. September 1993, zugestellt am 13. Oktober 1993, hat der Kläger Gehaltsansprüche für die Zeit vom 1. Oktober 1992 bis zum 16. Mai 1993 in Höhe von insgesamt 4.208,72 DM brutto gegen die Beklagte geltend gemacht und dazu behauptet, er habe die Beklagte bereits mit Schreiben vom 13. Mai 1993 aufgefordert, seine Vergütungsansprüche seit dem 1. September 1992 bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses abzurechnen.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 4.208,72 DM brutto nebst Zinsen zu zahlen.
Die Beklagte hat sich mit ihrem Klageabweisungsantrag auf Nr. 10.1 des allgemeinverbindlichen Manteltarifvertrages für das Wach- und Sicherheitsgewerbe im Lande Nordrhein-Westfalen vom 14. Dezember 1989 (im folgenden: MTV) berufen, der wie folgt lautet:
Alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis können rückwirkend nur für einen Zeitraum von drei Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden.
Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses können die beiderseitigen Ansprüche nur noch spätestens sechs Wochen nach dem Ausscheiden bzw. spätestens einen Monat nach Erhalt der Arbeitspapiere schriftlich geltend gemacht werden.
Sie hat bestritten, das Geltendmachungsschreiben vom 13. Mai 1993 erhalten zu haben.
Das Arbeitsgericht hat nach dem Klageantrag erkannt. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Die geltend gemachten Ansprüche sind wegen Annahmeverzugs der Beklagten begründet und nicht nach Nr. 10.1 MTV verfallen.
I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet: Der aus §§ 615 Abs. 1, 295, 296 BGB begründete Anspruch sei nach der tariflichen Klausel nicht verfallen, weil der Kläger mit der Erhebung der Kündigungsschutzklage im Vorprozeß die streitigen Ansprüche geltend gemacht habe. Etwas anderes lasse sich auch nicht Satz 2 der Tarifbestimmung entnehmen, denn wenn der Arbeitnehmer einmal seine Ansprüche geltend gemacht habe, so könne der Arbeitgeber nicht davon ausgehen, der Arbeitnehmer habe auf die erhobenen Ansprüche verzichtet, nur weil er sie nicht innerhalb der verkürzten Frist erneut geltend gemacht habe.
II. Dieser Entscheidung tritt der Senat bei. Die Revision rügt zu Unrecht, das Landesarbeitsgericht habe die im Streit stehende Bestimmung des Manteltarifvertrages falsch ausgelegt.
1. Das Berufungsgericht hat zunächst einmal angenommen, aufgrund des Urteils des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 28. April 1993 (– 2 Ca 2102/92 –) stehe rechtskräftig der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses jedenfalls bis zum Auslaufen der Kündigungsfrist nach der zweiten Kündigung vom 16. April 1993 fest, so daß die Beklagte grundsätzlich nach §§ 615, 295, 296 BGB Verzugslohn schulde. Dagegen werden von der Revision keine Einwendungen erhoben; die diesbezüglichen Ausführungen sind auch aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden, so daß auf das Vorbringen des Klägers in der Revisionserwiderung nicht mehr eingegangen zu werden braucht.
2. Das Berufungsgericht hat ferner zutreffend entschieden, daß diese Verzugslohnansprüche nicht nach Nr. 10.1 MTV Bewachungsgewerbe erloschen sind, weil sie mit der Erhebung der Kündigungsschutzklage im Vorprozeß der Parteien schriftlich geltend gemacht worden sind.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteile vom 16. Juni 1976 – 5 AZR 224/75 – AP Nr. 56 zu § 4 TVG Ausschlußfristen; zuletzt Urteil vom 7. November 1991 – 2 AZR 34/91 – AP Nr. 114, a.a.O.) kann die Erhebung der Kündigungsschutzklage je nach Lage des Falles als ein geeignetes Mittel angesehen werden, die Ansprüche, die während des Kündigungsstreits fällig werden und von dessen Ausgang abhängen, geltend zu machen, sofern die einschlägige Verfallklausel nur eine formlose oder schriftliche Geltendmachung verlangt. In derartigen Fällen ist über den prozessualen Inhalt des Kündigungsschutzbegehrens hinaus das Gesamtziel der Klage zu beachten, das sich in der Regel nicht auf die Erhaltung des Arbeitsplatzes beschränkt, sondern zugleich auch auf die Sicherung der Ansprüche gerichtet ist, die durch den Verlust der Arbeitsstelle möglicherweise verloren gehen; im allgemeinen – so hat das BAG a.a.O. weiter ausgeführt – sei dieses Ziel dem Arbeitgeber auch klar erkennbar, womit er ausreichend von dem Willen des Arbeitnehmers unterrichtet werde, die durch die Kündigung bedrohten Einzelansprüche aus dem Arbeitsverhältnis aufrechtzuerhalten. Anders seien nur die Fälle der sog. zweistufigen Ausschlußklausel zu beurteilen, wonach Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis nach erfolgter schriftlicher Geltendmachung außerdem innerhalb einer bestimmten Frist eingeklagt werden müßten, wie z.B. bei § 16 BRTV-Bau. Die in der zweiten Stufe vorgeschriebene gerichtliche Geltendmachung von Lohnansprüchen erfordere dann die Erhebung einer fristgerechten Zahlungsklage (vgl. u.a. BAG Urteil vom 9. August 1990 – 2 AZR 579/89 – AP Nr. 46 zu § 615 BGB, zu B II 2 b der Gründe). Diese Rechtsprechung hat allgemein Zustimmung gefunden (KR-Friedrich, 4. Aufl., § 4 KSchG Rz 38, 40 m.w.N.).
b) Auch in der vorliegend zu beurteilenden Ausschlußklausel der Nr. 10.1 MTV Bewachungsgewerbe haben die Tarifparteien auf eine Differenzierung zwischen schriftlicher und gerichtlicher Geltendmachung in Form einer sog. zweistufigen Ausschlußklausel verzichtet. Sie haben auch nicht ausdrücklich klargestellt, die tarifliche Ausschlußfrist werde etwa nicht durch die Erhebung einer Kündigungsschutzklage gewahrt. Daher ist der typische Sachverhalt der Auslegung zugrundezulegen: Danach erstrebt der Arbeitnehmer in aller Regel mit der Kündigungsschutzklage auch die Sicherung der nach § 615 BGB anfallenden Vergütungsansprüche. Das Landesarbeitsgericht ist vorliegend im Anschluß an die in der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Auslegung von Tarifverträgen (vgl. u.a. BAGE 46, 308 = AP Nr. 135 zu § 4 TVG Auslegung) davon ausgegangen, Nr. 10.1 MTV Bewachungsgewerbe sei nicht etwa in diesem Sinne atypisch, weil dort von einer Geltendmachung „rückwirkend nur für einen Zeitraum von drei Monaten nach Fälligkeit” die Rede sei. Damit ist in der Tat nur gesagt, daß die Verfallklausel für bereits entstandene und fällige Ansprüche gilt und durch die Geltendmachung nur ein Zeitraum von bis zu drei Monaten erfaßt wird. Auch die Revision hat nicht geltend gemacht, die Klausel sei etwa in dem Sinne zu verstehen, daß die Ansprüche nur rückwirkend geltend gemacht werden könnten und nicht etwa durch Erhebung einer Kündigungsschutzklage für die laufenden Ansprüche. Im übrigen könnte auch die Weiterverfolgung der Kündigungsschutzklage bis zum Urteil des Arbeitsgerichts Bielefeld vom 28. April 1993 gleichsam als „permanente” und damit auch rückwirkende Geltendmachung der zugrundeliegenden Ansprüche verstanden werden. Der beklagten Arbeitgeberin mußte damit jedenfalls klar sein, die Klage diene dem Kläger auch zur Sicherung seiner Ansprüche.
c) Die fristwahrende Wirkung der Kündigungsschutzklage ist auch nicht dadurch wieder entfallen, daß nach Auslaufen der Kündigungsfrist aufgrund der zweiten Kündigung vom 16. April 1993 der Kläger möglicherweise nicht erneut die Forderung geltend gemacht hat. Insofern konnte in der Tat unaufgeklärt bleiben, ob der Kläger mit Schreiben vom 13. Mai 1993 Abrechnung verlangt hat, weil jedenfalls die in Rede stehende Verfallklausel nicht in dem Sinne zu verstehen ist, daß der Arbeitnehmer nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses die mit der Kündigungsschutzklage bereits erhobene Forderung hätte erneut geltend machen müssen.
Wie der Senat bereits im Urteil vom 7. November 1991 (– 2 AZR 34/91 – AP, a.a.O.) unter Bezugnahme auf seine frühere Entscheidung vom 9. August 1990 (– 2 AZR 579/89 – AP, a.a.O.) ausgeführt hat, müssen nach Rechtskraft des Urteils im Kündigungsschutzprozeß die mit der Kündigungsschutzklage fristwahrend erhobenen Lohnansprüche nicht erneut innerhalb der tariflichen Ausschlußfrist geltend gemacht werden, wenn der Tarifvertrag – wie auch im vorliegenden Fall – dies nicht ausdrücklich vorsieht. Nr. 10.1 MTV Bewachungsgewerbe regelt gerade nicht, daß – etwa im Sinne einer zweistufigen Ausschlußklausel – erfolglos geltend gemachte Ansprüche erneut und gegebenenfalls klageweise geltend gemacht werden müssen. Vielmehr kann Nr. 10.1 Abs. 2 MTV nur in dem Sinne verstanden werden, daß unabhängig von der grundsätzlichen dreimonatigen Verfallfrist für fällige Ansprüche im laufenden Arbeitsverhältnis nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine andere Verfallfrist, nämlich eine lediglich verkürzte Frist von sechs Wochen nach dem Ausscheiden bzw. spätestens einen Monat nach Erhalt der Arbeitspapiere festgelegt werden soll. Daraus folgt, daß Ansprüche nicht verfallen, wenn sie einmal rechtzeitig geltend gemacht worden sind; bei einer solchen Klausel ist davon auszugehen, daß der Verfall durch die Erhebung der Kündigungsschutzklage endgültig ausgeschlossen ist. Damit ist auch dem Sinn und Zweck des § 4 Abs. 4 Satz 3 TVG Rechnung getragen, durch Ausschlußfristen schnellstmöglich Klarheit über die Rechtsbeziehungen zwischen den Arbeitsvertragsparteien und die Gewähr für eine rasche Abwicklung von gegenseitigen Forderungen zu schaffen (vgl. Senatsurteil vom 7. November 1991, AP, a.a.O.). Die Rechtsfolge schriftlicher Geltendmachung im Sinne der Tarifvorschrift bleibt unabhängig davon bestehen, daß die Erhebung der Kündigungsschutzklage außerdem noch eine Prozeßhandlung im Sinne des § 4 Satz 1 KSchG ist; die Klage behält trotzdem den „Charakter” der schriftlichen Geltendmachung (so zutreffend Leser, AR-Blattei D Ausschlußfristen I, H V 5 d; siehe auch KR-Friedrich, a.a.O., § 4 KSchG Rz 40; Wiedemann, Anm. zu AP Nr. 56 bis 59 zu § 4 TVG Ausschlußfristen).
Unterschriften
Etzel, Bitter, Bröhl, Thelen, Beckerle
Fundstellen