Entscheidungsstichwort (Thema)
Ordentliche Kündigung nach Einigungsvertrag
Normenkette
Einigungsvertrag Art. 20 Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1; PersVG-DDR §§ 79, 82 Abs. 6, § 116b Abs. 2
Verfahrensgang
Sächsisches LAG (Urteil vom 09.03.1993; Aktenzeichen 6 (4) Sa 59/92) |
KreisG Bautzen (Urteil vom 30.01.1992; Aktenzeichen 5 Ca 3629/91) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Chemnitz vom 9. März 1993 – 6 (4) Sa 59/92 – wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer auf Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 Ziff. 1 des Einigungsvertrages (fortan: Abs. 4 Ziff. 1 EV) gestützten ordentlichen Kündigung.
Der im Jahre 1944 geborene Kläger war mit einer zweijährigen Unterbrechung infolge der Ableistung seines Wehrdienstes seit 1963 im schulischen Bereich tätig. Im Jahre 1971 schloß er die Ausbildung zum Horterzieher ab und erwarb die Lehrbefähigung für die unteren Klassen der polytechnischen Oberschule in den Fächern Körpererziehung und Werkunterricht. Von 1963 bis 1964 und erneut nach Ableistung des Wehrdienstes von 1966 bis 1968 und dann wieder von 1969 bis 1978 war er als Freundschaftspionierleiter tätig. 1968 arbeitete er als Leiter Gesellschaftswissenschaften im Haus der Pioniere B. Von 1975 bis 1979 war der Kläger Vorsitzender der Kreisrevision der FDJ. Von 1978 bis 1987 war er Lehrer für Wehrunterricht. In den Jahren 1987 bis 1988 arbeitete der Kläger erneut als Freundschaftspionierleiter und als Lehrer. In der Zeit vom 1. Januar 1989 bis zum 1. Februar 1990 war er stellvertretender Direktor der zweiten Oberschule in W. Der Kläger besuchte 1974 die Betriebsparteischule für Marxismus-Leninismus in B. Er nahm 1985 an einem dreimonatigen Lehrgang der Bezirksparteischule teil und absolvierte dort von 1988 bis 1989 ein Fernstudium. Von 1988 bis 1989 war der Kläger ehrenamtlicher Parteisekretär an der zweiten Oberschule in W.
Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 25. September 1991, dem Kläger am 27. September 1991 zugegangen, zum 31. Dezember 1991 wegen mangelnder fachlicher Qualifikation und persönlicher Eignung unter Berufung auf Abs. 4 Ziff. 1 EV.
Mit der am 4. Oktober 1991 beim Kreisgericht eingegangenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, er sei zur Erteilung des Wehrunterrichts verpflichtet worden, weil er den Erwerb einer Zusatzqualifikation als Staatsbürgerkundelehrer abgelehnt habe. Er habe sich bereits zu Beginn der 80er Jahre verschiedentlich darum bemüht, von dieser Verpflichtung wieder entbunden zu werden. Der Beklagte überschätze die Bedeutung eines ehrenamtlichen Parteisekretärs. Als stellvertretender Direktor sei er wegen mangelnder Pflichterfüllung bei seinem Studium an der Bezirksparteischule abberufen worden. Allein aus den ausgeübten Funktionen könne auf das Fehlen seiner persönlichen Eignung nicht geschlossen werden. Der örtliche Personalrat sei zuständig und nicht ordnungsgemäß beteiligt worden.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 25. September 1991 nicht beendet wird, sondern auf unbestimmte Zeit fortbesteht.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat geltend gemacht, aus den vom Kläger bekleideten Positionen in der FDJ und der SED sowie aus dem Besuch der Parteischulen ergebe sich, daß sich der Kläger in besonderem Maße mit den Zielen und der Ausrichtung der SED identifiziert und diese gefördert habe.
Das Kreisgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Beklagten die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision begehrt der Kläger Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Das Berufungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
A. Das Landesarbeitsgericht hat im wesentlichen ausgeführt:
Die Voraussetzungen für eine Kündigung nach Abs. 4 Ziff. 1 EV seien erfüllt. Der Kläger habe zumindest seit 1975 nahezu durchgehend staatliche Positionen und Parteifunktionen wahrgenommen, die eine besondere Identifikation mit den Vorstellungen und Zielen der SED erforderten. Es könne dahingestellt bleiben, ob bereits die langjährige Tätigkeit als Freundschaftspionierleiter diese besondere Identifikation begründe, denn jedenfalls habe die Betrauung mit dem Vorsitz des organisationsinternen Kontrollorgans der FDJ-Kreisrevision ein hohes Vertrauen in die politische Zuverlässigkeit und Linientreue des Klägers erfordert. Sodann habe der Kläger nahezu zehn Jahre lang als Lehrer für Wehrunterricht nach den staatlichen Unterrichtshilfen die Aufgabe wahrgenommen, Unterrichtsinhalte zu vermitteln, die sich durch eine besonders scharfe Ablehnung des Staats Systems der Bundesrepublik Deutschland und damit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung auszeichneten. Daß der Kläger diese Aufgabe nicht richtliniengetreu wahrgenommen hätte, habe er selbst nicht behauptet. Ebensowenig habe er vorgetragen, daß seine Bemühungen zu Beginn der 80er Jahre, von dieser Aufgabe entbunden zu werden, in einer kritischen Haltung und Distanz zu Vorstellung und Zielen der SED begründet gewesen seien. Darüber hinaus sei dem Kläger alsbald nach Beendigung der Tätigkeit als Lehrer für Wehrunterricht die Funktion eines ehrenamtlichen Parteisekretärs an der Schule übertragen worden. Auch dieses Amt zeichne sich durch eine besondere Identifikation mit den Zielen des SED-Staates aus. Nach den Besuchen der Betriebs- und Bezirksparteischule sei dem Kläger folgerichtig die Position des stellvertretenden Direktors übertragen worden.
Die Kündigung sei nicht wegen unterbliebener Beteiligung des Personalrats unwirksam, denn bei der kündigenden Dienststelle habe kein zuständiger Personalrat bestanden.
B. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Dabei wird davon ausgegangen, daß Streitgegenstand allein die zwischen den Parteien streitige Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch die Kündigung vom 25. September 1991 zum 31. Dezember 1991 ist, also die Worte „sondern auf unbestimmte Zeit fortbesteht” keinen selbständigen zweiten Streitgegenstand kennzeichnen, vielmehr ohne eigenständige Bedeutung, lediglich formelhaft, den ersten Streitgegenstand verdeutlichen sollen.
I. Die Kündigung ist nicht schon deshalb unwirksam, weil der Personalrat nicht ordnungsgemäß beteiligt worden ist.
1. Nach § 79 Abs. 1 des Personalvertretungsgesetzes der DDR vom 22. Juli 1990 (GBl. I S. 1014) – PersVG-DDR –, der nahezu wörtlich mit § 79 Abs. 1 BPersVG übereinstimmt, ist der Personalrat vor ordentlichen Kündigungen zu hören. Nach § 79 Abs. 4 beider Gesetze ist eine Kündigung unwirksam, wenn der Personalrat nicht beteiligt worden ist. Kündigungsberechtigt war das Oberschulamt D. Die Schule, an der der Kläger beschäftigt wurde, war nicht zur Kündigung berechtigt. Nach § 82 Abs. 1 PersVG-DDR/BPersVG wäre die Stufenvertretung zu beteiligen gewesen. Eine solche bestand bei der Schulaufsichtsbehörde unstreitig nicht.
2. Eine andere Vertretung war nach den §§ 82 Abs. 6, 116 b Abs. 2 Nr. 5 PersVG-DDR nicht zu beteiligen.
a) Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Vorschriften auf die vorliegende Kündigung überhaupt noch anzuwenden waren oder ob nicht bereits ausschließlich das Bundespersonalvertretungsgesetz galt, das eine entsprechende Regelung nicht enthält (vgl. Senatsurteil vom 9. Juni 1993 – 8 AZR 659/92 – n.v., zu B II 2 a der Gründe).
b) Auch bei Annahme der Weitergeltung der §§ 82, 116 b PersVG-DDR ergab sich nicht die Notwendigkeit, einen anderen Personalrat anzuhören.
aa) Die Regelung des § 82 Abs. 1 und Abs. 5 PersVG-DDR ist zwingend. Ist bei der für die Entscheidung zuständigen Dienststelle eine Stufenvertretung nicht gebildet worden, ergibt sich daraus nicht eine Beteiligungszuständigkeit des Personalrats der nachgeordneten, nicht entscheidungsbefugten Dienststelle (vgl. Lorenzen/Haas/Schmitt, BPersVG, Stand November 1993, § 82 Rz 18 und 48; Dietz/Richardi, BPersVG, 2. Aufl., § 82 Rz 6 und 22; Grabendorff/Windscheid/Ilbertz/Widmaier, BPersVG mit WO, 7, Aufl., § 82 Rz 27). Auch im Einverständnis der Beteiligten kann von der Zuständigkeitsregelung des § 82 Abs. 1 und 5 PersVG-DDR nicht abgewichen werden, so daß aus einer etwaigen Zusage, eine nicht zuständige Personalvertretung zu beteiligen, eine Zuständigkeit nicht hergeleitet werden kann.
bb) Eine Zuständigkeit des Kreisschulpersonalrats oder des Schulpersonalrats folgt nicht aus § 82 Abs. 6 PersVG-DDR. Diese Vorschrift begründet keine neue sachliche Zuständigkeit für eine Personalvertretung. Sie betrifft, wie sich aus den dort aufgeführten Fällen der §§ 69 Abs. 3 und 4, 70, 71, 72 Abs. 4 ergibt, die Beteiligung der Stufenvertretung im „Instanzenzug”. Wesentlich ist in diesen Fällen, daß die personalvertretungsrechtliche Zuständigkeit beim jeweils zuständigen örtlichen Personalrat liegt und die Stufenvertretungen erst in Aktion treten, nachdem die erste örtliche Ebene ausgeschöpft ist. Ist ein Hauptpersonalrat noch nicht gebildet, der im mehrstufigen Beteiligungsverfahren mitwirken kann, soll nach § 82 Abs. 6 PersVG-DDR die im Instanzenzug in einer vorangegangenen Stufe bereits beteiligte Personalvertretung oder, falls auch diese nicht vorhanden ist, die bereits beteiligte und zuständige Personalvertretung an seine Stelle treten, um sich nochmals an der zu treffenden Maßnahme zu beteiligen. Der Sinn des § 82 Abs. 6 PersVG-DDR liegt also allein darin, ein mehrstufiges Verfahren auch dann zu gewährleisten, wenn ein Hauptpersonalrat nicht besteht.
cc) Dieselben Überlegungen wie für § 82 Abs. 6 PersVG-DDR gelten auch für § 116 b Abs. 2 Nr. 5 Satz 4 PersVG-DDR. § 116 b PersVG-DDR will die in § 82 Abs. 6 PersVG-DDR getroffene Regelung nicht inhaltlich erweitern. Eine analoge Anwendung des § 82 Abs. 6 PersVG-DDR hätte das Vorhandensein einer ursprünglichen personalvertretungsrechtlichen Zuständigkeit des Kreisschulpersonalrats und/oder Schulpersonalrats zum Zeitpunkt der Kündigung des Klägers vorausgesetzt. Auch § 116 b Abs. 2 Nr. 5 PersVG-DDR will nur den „Instanzenzug” sichern unter der Voraussetzung, daß ein personalvertretungsrechtlich erstzuständiger Personalrat vorhanden ist.
3. Die Unwirksamkeit der Kündigung kann auch nicht daraus abgeleitet werden, daß das Sächsische Staatsministerium für Kultus die Einleitung der Wahl eines Hauptpersonalrats bzw. Bezirkspersonalrats in rechtswidriger Weise unterlassen haben soll. Eine Rechtsvorschrift, aus der eine solche Folge hergeleitet werden könnte, existiert nicht und kann auch nicht aus der Denkschrift zum Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion vom 18. Mai 1990 entnommen werden. Dem dort geäußerten Anliegen hat das PersVG-DDR bereits Rechnung getragen.
II. Die Voraussetzungen nach Abs. 4 Ziff. 1 EV haben vorgelegen. Danach ist die ordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses in der öffentlichen Verwaltung auch zulässig, wenn der Arbeitnehmer wegen mangelnder persönlicher Eignung den Anforderungen nicht entspricht. Die Wirksamkeit der Kündigung ist aufgrund einer auf den Kündigungszeitpunkt bezogenen Einzelfallprüfung zu beurteilen.
1. Die mangelnde persönliche Eignung im Sinne von Abs. 4 Ziff. 1 EV ist eine der Person des Arbeitnehmers anhaftende Eigenschaft, die sich auch aus der bisherigen Lebensführung herausgebildet haben kann. Die persönliche Eignung eines Angestellten des öffentlichen Dienstes erfordert, daß er sich durch sein gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen muß. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volks Souveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition (vgl. BVerfGE 2, 1 – Leitsatz 2 –).
Die hiernach zu stellenden Anforderungen haben sich an den Aufgaben des Angestellten auszurichten. Ein Lehrer muß den ihm anvertrauten Schülern glaubwürdig die Grundwerte des Grundgesetzes vermitteln. Er muß insbesondere die Gewähr dafür bieten, daß er in Krisenzeiten und ernsthaften Konfliktsituationen zu den Grundwerten der Verfassung steht (BVerfG Beschluß vom 22. Mai 1975 – 2 BvL 13/73 – BVerfGE 39, 334 = AP Nr. 2 zu Art. 33 Abs. 5 GG; BAG Urteil vom 18. März 1993 – 8 AZR 356/92 – AP Nr. 12 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, zu B III 1, 2 der Gründe, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen).
Der Regelung in Abs. 4 Ziff. 1 EV liegt zugrunde, daß Arbeitnehmer von einem früheren Arbeitgeber eingestellt worden sind, mit denen der jetzige Arbeitgeber einen Arbeitsvertrag nicht geschlossen hätte, wenn er an ihrer persönlichen Eignung berechtigte Zweifel gehabt hätte. Abs. 4 Ziff. 1 EV erlaubt daher – auch – eine Prüfung, ob der früher eingestellte Arbeitnehmer für die jetzige Tätigkeit persönlich geeignet ist, ohne daß bereits Vertragsverletzungen und damit konkrete Störungen des Arbeitsverhältnisses eingetreten sein müßten. Die Regelung in Abs. 4 Ziff. 1 EV zwingt den öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber im übergeordneten staatlichen Interesse nicht, gleichsam die rechtsstaatliche Einstellung eines Arbeitnehmers in jedem Falle zunächst zu erproben (BAG Urteil vom 18. März 1993, a.a.O.). Ein gerichtlich nur beschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum hinsichtlich der gesetzlichen Voraussetzungen der Nr. 1 Abs. 4 EV ist damit nicht verbunden. Es gelten nicht die Grundsätze für Einstellungen in den öffentlichen Dienst, sondern die für Kündigungen (vgl. zum Beurteilungsspielraum BAG Urteil vom 6. Juni 1984 – 7 AZR 456/82 – AP Nr. 11 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung, zu II 2 a, aa der Gründe; BAG Urteil vom 28. Januar 1993 – 8 AZR 169/92 – AP Nr. 3 zu Art. 13 Einigungsvertrag, zu III der Gründe, zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt; BVerwG Urteil vom 27. November 1980 – 2 C 38.79 – AP Nr. 10 zu Art. 33 Abs. 2 GG, betr. die Zulassung zum Vorbereitungsdienst für das Lehramt an Volksschulen; BVerwG Urteil vom 28. November 1980 – 2 C 24.78 – AP Nr. 12 zu Art. 33 Abs. 2 GG, betr. die Entlassung eines Beamten auf Probe), denn durch eine auf Abs. 4 Ziff. 1 EV gestützte Kündigung wird in besonderer Weise in das Grundrecht der Berufsfreiheit des einzelnen Beschäftigten eingegriffen. Ein Beurteilungsspielraum kann sich nur im Rahmen der vorzunehmenden Einzelfallprüfung auf eine Abwägung besonders belastender Umstände bei der Identifikation mit den Staats- und Parteizielen in der ehemaligen DDR gegenüber spezifisch entlastenden Tatsachen zur persönlichen Eignung des Arbeitnehmers beziehen. Darum geht es im Streitfalle jedoch nicht.
Ein Lehrer ist nicht schon deshalb ungeeignet, weil er nach den früheren gesetzlichen Bestimmungen bei der Verwirklichung der Staatsziele der DDR mitzuwirken hatte. Eine mangelnde persönliche Eignung ist aber indiziert, wenn er sich in der Vergangenheit in besonderer Weise mit dem SED-Staat identifiziert hat. Dies ist anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer nicht nur kurzfristig Funktionen wahrgenommen hat, aufgrund derer er in hervorgehobener Position oder überwiegend an der ideologischen Umsetzung der Ziele der SED mitzuwirken hatte. Der kündigende Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes hat die vom Arbeitnehmer wahrgenommene Funktion einschließlich ihrer Grundlagen und ihrer Bedeutung in der Verfassungswirklichkeit der DDR darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen. Der Arbeitnehmer hat die Möglichkeit, die Annahme der besonderen Identifikation durch substantiierten Sachvortrag zu entkräften. Dabei können neben den Umständen der früheren Tätigkeit auch sonstige die Eignung des Arbeitnehmers begründende Tatsachen berücksichtigt werden. Liegt ein dahingehender schlüssiger und nachprüfbarer substantiierter Vortrag vor, hat der Arbeitgeber darzutun, daß die behaupteten erheblichen, nachprüfbaren Tatsachen nicht vorliegen oder daß trotz dieser Umstände aus weiteren Tatsachen auf eine Ungeeignetheit zu schließen ist.
Wie der Senat wiederholt entschieden hat, verstößt die Anwendung von Abs. 4 Ziff. 1 EV nicht gegen das ILO-Übereinkommen Nr. 111 über die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf vom 25. Juni 1958 (BGBl. 1961 II S. 98). Die Kündigung wegen Nichteignung eines Lehrers knüpft nicht an die politische Meinung des einzelnen Lehrers an, sondern an die durch seine in der ehemaligen DDR wahrgenommenen Funktionen begründeten Zweifel, ob er zukünftig für die freiheitliche demokratische Grundordnung und damit aus der Sicht der ehemaligen DDR für eine revanchistische und imperialistische verfassungsmäßige Ordnung eintreten wird (u.a. Senatsurteil vom 20. Januar 1994 – 8 AZR 24/93 – n.v., zu B III 1 e der Gründe; Senatsurteil vom 17. Februar 1994 – 8 AZR 128/93 – n.v., zu B III 2 der Gründe). Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob nicht das mit dem Rang eines innerstaatlichen Gesetzes geltende Übereinkommen Nr. 111 verfassungskonform im Lichte der mit Verfassungsrang bestehenden politischen Treuepflicht (Art. 33 Abs. 2 und 5 GG) einschränkend auszulegen ist (vgl. BAG Urteil vom 13. Oktober 1988 – 6 AZR 144/85 – AP Nr. 4 zu § 611 BGB Abmahnung).
2. Bei Anwendung dieser Maßstäbe ergeben sich keine Rechtsfehler im Urteil des Landesarbeitsgerichts, die eine Aufhebung des Urteils rechtfertigen könnten.
a) Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend vom materiellrechtlichen Regelungsgehalt des Abs. 4 Ziff. 1 EV ausgegangen. Es hat erkannt, daß es auf die Eignung im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung und damit auf die zu diesem Zeitpunkt gegebene Sachlage ankommt. Im Hinblick darauf, daß der Kläger Lehrer ist, hat es zu Recht erhöhte Anforderungen gestellt. Die Annahme, den Anforderungen an die zu gewährleistende Verfassungstreue werde im allgemeinen derjenige nicht gerecht, der sich in der Vergangenheit in besonderer Weise mit dem SED-Staat identifiziert habe, entspricht der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Das Landesarbeitsgericht hat beachtet, daß diese Identifikation nicht nur durch eine unmittelbare intensive Parteiarbeit, sondern etwa auch in herausgehobenen Staatsämtern erfolgen kann. Es hat insbesondere die Funktion des Klägers als Lehrer für Wehrunterricht in der Vergangenheit daraufhin untersucht. Ist die mangelnde persönliche Eignung des Arbeitnehmers durch längerfristige Funktionsausübung indiziert, so bedarf es zunächst keines weiteren Vortrags des öffentlichen Arbeitgebers.
b) Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechts fehler angenommen, die langjährige Tätigkeit des Klägers als Lehrer für Wehrunterricht indiziere seine Ungeeignetheit, weiterhin als Lehrer tätig sein zu können. Es hat zutreffend darauf abgestellt, daß ein Lehrer für Wehrunterricht die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland beständig abzulehnen und zu bekämpfen hatte. Hierzu hat es auf die staatlichen Unterrichtshilfen hingewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Maßgeblichkeit der staatlichen Unterrichtshilfen festgestellt. Der Kläger mußte demnach die Ideologie der SED neun Jahre lang gegenüber zahlreichen jugendlichen Schülern umsetzen. Damit hat das Landesarbeitsgericht in Übereinstimmung mit dem Urteil des erkennenden Senats vom 16. Dezember 1993 (– 8 AZR 679/92 –, n.v.) der langjährigen Tätigkeit als Lehrer für Wehrunterricht die Indizwirkung zuerkannt. Mit Recht ist es zu dem Ergebnis gelangt, daß der Kläger keine Tatsachen vorgetragen hat, die geeignet wären, die Indizwirkung zu erschüttern. Die Gründe seiner Bemühungen um Entbindung von den Aufgaben eines Lehrers für Wehrunterricht sind von ihm nicht konkret angegeben worden und belegen deshalb keinen substantiellen Zweifel an der Identifikation des Klägers mit dem SED-Staat.
Vielmehr hat das Berufungsgericht, zutreffend zu Lasten des Klägers berücksichtigt, daß weitere Tatsachen gegen seine Eignung sprechen. Bereits die langjährige Tätigkeit des Klägers als Freundschaftspionierleiter stellt einen Grund dar, die persönliche Eignung eines Lehrers kritisch zu prüfen (vgl. Urteil des Senats vom 4. November 1993 – 8 AZR 127/93 – AP Nr. 18 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung bestimmt), und bekräftigt die Indizwirkung der Tätigkeit des Klägers als Lehrer für Wehrunterricht. In gleicher Weise ist zu berücksichtigen, daß der Kläger sich mit den Zielen des SED-Staates durch die Wahrnehmung der Funktion eines ehrenamtlichen Parteisekretärs an der Schule identifiziert hat. Weiter wird die zutreffend festgestellte Indizwirkung noch durch die Tätigkeit als stellvertretender Direktor verstärkt. Dieses Amt bezog sich nicht ausschließlich auf den organisatorischen Ablauf des Schulgeschehens, war vielmehr parteinah ausgerichtet (vgl. Senatsurteile vom 20. Januar 1994 – 8 AZR 24/33 – n.v., zu B III 2 c bb der Gründe; – 8 AZR 613/92 – n.v., zu B II 3 b bb der Gründe).
Ob das vom Kläger wahrgenommene Amt des Vorsitzenden der Kreisrevision der FDJ seinerseits geeignet ist, die besondere Identifikation mit den Zielen des SED-Staates zu begründen, ist somit nicht entscheidungserheblich und kann dahingestellt bleiben.
Im Rahmen der Einzelfallprüfung sind dem Landesarbeitsgericht keine revisionsrechtlich erheblichen Fehler unterlaufen. Insbesondere können aus der zum 1. Februar 1990 und damit erst im Verlaufe der Wende erfolgten Abberufung des Klägers vom Amt des stellvertretenden Direktors keine ihn entlastenden Umstände gewonnen werden. Das Gegenteil liegt sogar näher.
III. Ist die streitgegenständliche Kündigung gemäß Abs. 4 Nr. 1 EV wegen mangelnder Eignung des Klägers zulässig und damit wirksam, kommt es in der Sache nicht auf das Vorliegen des zweiten Kündigungsgrundes „mangelnde fachliche Qualifikation” gemäß Abs. 4 Nr. 1 EV an.
C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Ascheid, Dr. Wittek, Dr. Müller-Glöge, Dr. Weiss, E. Schmitzberger
Fundstellen