Leitsatz (amtlich)
Verhindert an demselben Tage eintretende Arbeitsunfähigkeit i. S. § 1 Abs. 1 LohnFG bereits den Antritt der Arbeitsschicht, so wird der erste Fehltag des Arbeiters bei der Berechnung des sechswöchigen Lohnfortzahlungszeitraums mitgerechnet. Dabei ist die besondere Frage der Erkrankung auf dem Wege zur Arbeit aber nicht mitentschieden.
Normenkette
LohnFG § 1; BGB §§ 187-188
Verfahrensgang
LAG Schleswig-Holstein (Urteil vom 12.01.1971; Aktenzeichen 4 Sa 201/70) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 12. Januar 1971 – 4 Sa 201/70 – wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die seit 1968 bei der Beklagten als Arbeiterin beschäftigte Klägerin war ab 9. Februar 1970 arbeitsunfähig krank. An diesem Tage erschien sie bereits nicht mehr zur Arbeit. Die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin dauerte über den 23. März 1970 hinaus an. Für die Zeit von Montag, dem 9. Februar 1970, bis einschließlich Freitag, dem 20. März 1970, hat die Beklagte der Klägerin den Lohn fortgezahlt.
Mit der Klage fordert die Klägerin die Fortzahlung des Lohnes für einen weiteren Tag der Arbeitsunfähigkeit. Ihrer Auffassung nach darf der 9. Februar 1970 nicht in den Sechs-Wochen-Zeitraum einbezogen werden, in erster Linie deshalb nicht, weil die Frist nicht bereits mit dem Tage des Eintrittes der Arbeitsunfähigkeit, sondern erst am Tage danach zu laufen beginne, in zweiter Linie deshalb, weil sie am 9. Februar 1970 die Arbeit versäumt habe, um zum Arzt zu gehen.
Sie hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 30, 93 DM netto zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie ist den Rechtsausführungen der Klägerin entgegengetreten.
Die Klägerin ist in beiden Vorinstanzen unterlegen. Das Landesarbeitsgericht hat sein Urteil wie folgt begründet:
Die Klägerin habe unstreitig den Lohn für insgesamt 42 Kalendertage fortgezahlt erhalten. Damit seien ihre Ansprüche nach dem Lohnfortzahlungsgesetz befriedigt. Ein Anspruch auf Bezahlung eines weiteren Tages der Arbeitsunfähigkeit stehe ihr nicht zu. Berechne man die Sechs-Wochen-Frist des Lohnfortzahlungsgesetzes mit der von ihr vertretenen Meinung nach § 187 Abs. 1 BGB, so habe die Klägerin zwar Anspruch auf Lohnfortzahlung bis einschließlich 23. März 1970. Sie habe in diesem Falle jedoch keinen Anspruch auf Lohn für den 9. Februar 1970. Dann habe sie aber für den 9. Februar zu Unrecht Lohn mit der Folge erhalten, daß die Beklagte mit einem Bereicherungsanspruch gegen den für den 23. März 1970 noch zu zahlenden Lohn aufrechnen könnte. Gehe man andererseits davon aus, daß der Lohnfortzahlungsanspruch sich unmittelbar an den Zeitpunkt des Beginns der Erkrankung anschließe, so könne die Klägerin keine Bezahlung für den 23. März 1970 mehr fordern, weil sie Lohn für insgesamt sechs Wochen erhalten habe.
Der 9. Februar 1970 könne auch nicht etwa deshalb aus der Sechs-Wochen-Frist herausfallen, weil die Klägerin an diesem Tage zum Arzt gegangen sei, um sich untersuchen und eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausstellen zu lassen. Ein solcher Anspruch scheitere an der Vorschrift des § 616 Abs. 3 BGB in der Fassung des Art. 3 § 1 LohnFG, wonach die Ansprüche eines durch Arbeitsunfähigkeit an der Dienstleistung verhinderten Arbeiters sich allein nach dem Lohnfortzahlungsgesetz bestimmten. Die Klägerin sei nicht erst seit der Ausstellung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung an der Arbeitsleistung verhindert gewesen, sondern bereits vom Beginn ihrer Erkrankung an; der Arzt stelle lediglich fest, daß Arbeitsunfähigkeit vorliege. Auch die Klägerin habe den Arzt nur aufgesucht, weil sie sich bereits krank gefühlt habe.
Das Landesarbeitsgericht hat die Revision zugelassen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin das Ziel ihrer Klage weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat keinen Erfolg, wenn auch die Begründung des Landesarbeitsgerichts in einem entscheidenden Punkt der rechtlichen Nachprüfung nicht standhält. Es kann nicht, wie das Landesarbeitsgericht meint, offen bleiben, ob der erste durch die Arbeitsunfähigkeit verursachte und die volle Arbeitsschicht umfassende Fehltag der Klägerin – der 9. Februar 1970 – in den sechswöchigen Lohnfortzahlungszeitraum des § 1 Abs. 1 Satz 1 LohnFG fällt oder nicht. Beginnt an einem solchen Tage nicht der Lohnfortzahlungszeitraum, so steht er überhaupt außerhalb der durch § 1 Abs. 1 LohnFG erfaßten Zeit der Arbeitsunfähigkeit, damit also auch außerhalb des Schutzbereichs des Lohnfortzahlungsgesetzes. Dann bleibt die Möglichkeit bestehen, den Anspruch auf Lohnzahlung für diesen Tag auf einer Rechtsgrundlage außerhalb des Lohnfortzahlungsgesetzes, insbesondere auf der Grundlage des § 616 Abs. 1 BGB zu prüfen. Dies wird entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts durch die neue Vorschrift des § 616 Abs. 3 BGB nicht verhindert. Sie schließt sonstige Rechtsgrundlagen für den Lohnfortzahlungsanspruch nur insoweit aus, als der Schutzbereich des Lohnfortzahlungsgesetzes reicht. Die Bestimmung wurde durch dasselbe die Fortzahlung des Arbeitsentgelts an Arbeiter im Krankheitsfalle betreffende Gesetz geschaffen.
Der vorbezeichnete Rechtsfehler berührt jedoch nicht den Bestand des Urteils des Landesarbeitsgerichts, da die Entscheidung sich aus anderen Gründen als richtig erweist (§ 563 ZPO). Der erste Fehltag eines Arbeiters ist, wenn die Arbeitsunfähigkeit die Dienstleistung während der gesamten Arbeitsschicht verhindert, zugleich der erste Tag des sechswöchigen Lohnfortzahlungszeitraums nach § 1 Abs. 1 LohnFG.
Dies folgt bereits aus Sinn und Zweck des Lohnfortzahlungsgesetzes. Dieser Zweck geht dahin, dem erkrankten Arbeiter den Lohnanspruch im bisherigen Umfang für die Dauer bis zu sechs Wochen zu sichern, und zwar in unmittelbarem Anschluß an den Eintritt der Arbeitsunfähigkeit. Die bisherige Lebensgrundlage des erkrankten Arbeiters soll nicht beeinträchtigt werden, soweit sie auf Einkünften aus abhängiger Arbeit beruht (vgl. BAG 10, 7 [10] = AP Nr. 20 zu § 63 HGB unter III, 1 der Gründe). Danach ist es aber geboten, den Lohnfortzahlungszeitraum möglichst nahtlos mit dem vorangegangenen Zeitraum der Arbeitsfähigkeit zu verbinden und damit eine ununterbrochene Lohnzahlung zu gewährleisten. Zwanglos folgt daraus die Notwendigkeit, mit dem mit einer vollen Fehlschicht belasteten ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit zugleich den gesetzlichen Sechs-Wochen-Zeitraum beginnen zu lassen. Hiergegen sprechen bei einer am Gesetzeszweck orientierten Betrachtung keine ernsthaften Bedenken; insbesondere läßt sich nicht ins Feld führen, der erkrankte Arbeiter benötige den ersten Tag der Erkrankung zum Aufsuchen des Arztes. Denn neben dem Lohnfortzahlungsanspruch nach § 1 LohnFG bestehen keine Ansprüche auf Lohnfortzahlung wegen Inanspruchnahme des Arztes, weder für die erste Inanspruchnahme noch für die folgenden; dies klarzustellen ist nicht zuletzt der Sinn des durch Art. 3 § 1 LohnFG neu angefügten Absatz 3 des § 616 BGB. Der Lohnfortzahlungszeitraum verlängert sich daher in keinem Falle um die Zeit, die für das Aufsuchen des Arztes benötigt wird.
Das vorstehende Ergebnis wird bestätigt, wenn man Beginn und Ende des Lohnfortzahlungszeitraums nach den Grundgedanken der fristenrechtlichen Vorschriften des allgemeinen bürgerlichen Rechts bestimmt (§§ 187, 188 BGB).
Die Anwendung dieser Vorschriften für die Berechnung des Lohnfortzahlungszeitraums wird im Schrifttum einhellig befürwortet (Schmatz-Fischwasser, Vergütung der Arbeitnehmer bei Krankheit und Mutterschaft, 6. Aufl., § 1 Anm. VI C 121; Marienhagen, Lohnfortzahlungsgesetz, 3. Aufl., § 1 Anm. 32; Kehrmann-Pelikan, Lohnfortzahlungsgesetz, § 1 Anm. 56; Doetsch-Schnabel, Paulsdorff, Lohnfortzahlungsgesetz, 2. Aufl., § 1 Anm. 22; Töns, Die wirtschaftliche Sicherung der Arbeitnehmer bei Arbeitsunfähigkeit, C 124 ff. Vgl. auch Hueck-Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, Bd. I, 7. Aufl., S. 343; Schelp-Trieschmann, Das Arbeitsverhältnis im Krankheitsfalle, S. 83; ferner BAG 10, 7 [9] = AP Nr. 20 zu § 63 HGB [unter II 2 der Entscheidungsgründe] und BAG 11, 19 [21] = AP Nr. 27 zu § 63 HGB [Bl. 964]). Sie ist auch gerechtfertigt. Denn unter Frist wird in der Rechtsordnung jeder abgegrenzte genau bestimmte oder doch bestimmbare Zeitraum verstanden (RGZ 120, 355 [362]; BAG 18, 345 [349] = AP Nr. 4 zu § 5 BUrlG [Bl. 642]; Enneccerus-Nipperdey, Allgemeiner Teil des bürgerlichen Rechts, 15. Aufl., 2. Halbband, S. 1355). Daher sind Fristen nicht nur Ausschluß- und Verjährungsfristen, sondern auch abgegrenzte Leistungszeiträume (vgl. Mugdan, Die gesamten Materialien zum BGB für das Deutsche Reich, Bd. 1, S. 508) und also auch der Leistungszeitraum des § 1 Abs. 1 LohnFG.
Ziel der Fristenregelung in den §§ 187, 188 BGB ist es, aus Gründen der Vereinfachung Fristen nach vollen Tagen zu berechnen. Der Beginn einer Frist wird daher stets vom Beginn eines Tages an berechnet. Deshalb wird nach § 187 Abs. 1 BGB dann, wenn nicht der Beginn des Tages selbst der für den Fristanfang maßgebliche Zeitpunkt ist (§ 187 Abs. 2 BGB), sondern ein bestimmtes Ereignis oder ein in den Lauf des Tages fallender Zeitpunkt, der Tag nicht mitgerechnet, in welchen das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt. Sogenannte angebrochene Tage werden also in den Lauf der jeweiligen Frist nicht einbezogen.
Nach § 1 Abs. 1 LohnFG ist das den Lohnfortzahlungsanspruch und den Beginn des Lohnfortzahlungszeitraums auslösende Ereignis die durch Erkrankung verursachte Arbeitsunfähigkeit des Arbeiters. Dieses Ereignis wird in aller Regel in den Lauf eines Kalendertages fallen, also nicht mit dem Beginn eines Tages zusammentreffen. Damit ist es erforderlich, in Anwendung des § 187 Abs. 1 BGB einen solchen Tag bei der Berechnung des Sechs-Wochen-Zeitraums grundsätzlich auszuscheiden; in diesem Sinne ist an dem Grundsatz festzuhalten, daß der Sechs-Wochen-Zeitraum am ersten Tag nach der Erkrankung beginnt (so das zur Veröffentlichung in der Amtl. Sammlung des Gerichts bestimmte Urteil des Senats vom 4. Mai 1971 – 1 AZR 305/70 – unter 2 a der Gründe mit weiteren Nachweisen). Dieser Grundsatz läßt sich sinnvoll aber nur durchführen, wenn man ihn der bei dem Arbeitsverhältnis gegebenen rechtlichen Situation anpaßt. Die Pflicht zur Leistung von abhängiger Arbeit ist in aller Regel nur an mehr oder minder regelmäßig bestimmten Teilen eines Kalendertages zu erbringen. Dies kann bei der Beantwortung der Frage, wann bei krankheits bedingtem Wegfall der Arbeitspflicht die Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers zu laufen beginnt, billigerweise nicht außer acht gelassen werden. Die Arbeitsschicht ist die für Arbeiter und Arbeitgeber in gleicher Weise maßgebende Zeiteinheit. Es muß also für die Frage, in welchen Tag das auslösende Ereignis der Arbeitsunfähigkeit fällt, statt auf den Beginn des Kalendertages auf denjenigen Tageszeitpunkt abgestellt werden, zu dem die Arbeitsunfähigkeit überhaupt erst rechtliche Bedeutung gewinnen kann, d. h. auf den Beginn der Arbeitsschicht. Ein sog. angebrochener, gemäß § 187 Abs. 1 BGB nicht mitzurechnender Tag liegt daher nur dann vor, wenn erst nach Beginn der Arbeitsschicht Arbeitsunfähigkeit eingetreten ist (siehe auch die Entscheidung vom 4. Mai 1971 – 1 AZR 305/70). Der gesetzliche Grundgedanke des § 187 Abs. 1 BGB wird den besonderen, von der Sache her zu berücksichtigenden Gegebenheiten des Arbeitslebens angepaßt. Die Berechnung des Lohnfortzahlungszeitraums nach vollen – also nicht angebrochenen – Zeiteinheiten selbst bleibt gewährleistet, wie dies das Ziel der fristenrechtlichen Vorschriften des BGB ist.
Wird danach verfahren, so ist dann, wenn Arbeitsunfähigkeit bereits den Antritt der Arbeitsschicht verhindert, der mit der Fehlschicht belastete erste Tag der Arbeitsunfähigkeit in den Sechs-Wochen-Zeitraum einzubeziehen. Das gilt unabhängig davon, wann die Erkrankung selbst eingetreten ist, also auch dann, wenn der Arbeiter erst nach Beginn des Kalendertages, in den die Arbeitsschicht fällt, erkrankt. Denn immer dann, wenn er infolge der Erkrankung überhaupt nicht zur Arbeit erscheinen kann, ist die Arbeitsunfähigkeit nicht in dem für die Fristberechnung maßgeblichen Teil des Kalendertages eingetreten; es besteht, wie gesagt, kein Grund, diesen Tag bei der Fristberechnung auszusondern.
Nicht zu entscheiden war die besondere Frage der Erkrankung auf dem Wege zur Arbeit, vor allem infolge eines Verkehrsunfalles. Der vorliegende Fall gibt keinen Anlaß, hierzu Stellung zu nehmen.
Wird nach alledem hier der 9. Februar in den Lohnfortzahlungszeitraum einbezogen, so kann die Klägerin für diesen Tag, wie die Revision selbst anerkennt, nur Ansprüche nach dem Lohnfortzahlungsgesetz erheben. Dies bedeutet zugleich, daß die Beklagte die Lohnfortzahlungsansprüche der Klägerin gehörig erfüllt hat.
Unterschriften
Dr. Müller, Siara, Wendel, Dr. Gerland, Dr. Erich Frey
Fundstellen
Haufe-Index 437401 |
BAGE 23, 444 |
BAGE, 444 |
BB 1972, 40 |
DB 1971, 2485 |
NJW 1972, 223 |
BetrR 1972, 95 |
ARST 1972, 150 |
SAE 1972, 214 |
AP § 1 LohnFG, Nr 6 |
AR-Blattei, ES 1000.3.1 Nr 10 |
AR-Blattei, Krankheit IIIA Entsch 10 |
ArbuR 1971, 377 |
EzA § 1 LohnFG, Nr 7 |
PERSONAL 1972, 30 |
SV-Beamte 1972, Nr 4, 4 |
SozSich 1972, 82 |