Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausschlußfrist - Treu und Glauben
Leitsatz (redaktionell)
Die Berufung des Arbeitgebers auf die Ausschlußfrist des § 70 BAT verstößt nicht allein deswegen gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB), weil er dem Arbeitnehmer eine unzutreffende Auskunft über das Bestehen seines Anspruchs gegeben hat.
Normenkette
TVG § 4; BAT § 70; BGB § 242
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Zahlung einer Intensivpflegezulage für den Zeitraum vom 1. April 1991 bis zum 30. November 1993.
Der Kläger arbeitet seit dem 1. April 1991 bei der Beklagten in den Städtischen Kliniken auf der Intensivstation der Herzchirurgischen Abteilung als leitender Krankenpfleger. Kraft vertraglicher Vereinbarung findet auf das Arbeitsverhältnis der BAT Anwendung.
Im Juni 1991 fragte der Kläger einen Verwaltungsangestellten der Personalabteilung der Beklagten, ob ihm eine Intensivpflegezulage zustehe. Dies wurde verneint. Der Kläger hat daraufhin keinen Antrag auf Zahlung einer Intensivpflegezulage gestellt.
Mit Schreiben vom 21. Juni 1994 teilte die Beklagte dem Kläger und anderen betroffenen Arbeitnehmern mit, daß ihm ab dem 1. April 1991 eine Intensivpflegezulage in Höhe von monatlich 90,00 DM zustehe, die ihm jedoch rückwirkend nur für die Zeit vom 1. Dezember 1993 bis 30. Juni 1994 gewährt werde. Für die Vergangenheit berief sich die Beklagte auf die Ausschlußfrist des § 70 BAT. Mit der Klageschrift vom 28. September 1994 hat der Kläger erstmals die Intensivpflegezulage schriftlich geltend gemacht.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Berufung auf die Ausschlußfrist sei treuwidrig, weil die Beklagte ihn durch ihre fehlerhafte Auskunft veranlaßt habe, die ihm zustehende Intensivpflegezulage nicht geltend zu machen.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.880,00 DM
brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 1. September
1994 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Ansicht, die Berufung auf die tarifliche Ausschlußfrist sei zulässig, da sie den Kläger zu keinem Zeitpunkt abgehalten habe, seinen Anspruch frist- und formgerecht geltend zu machen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der aufgrund einer Nichtzulassungsbeschwerde zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Zahlungsbegehren weiter. Die Beklagte bittet um Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
I. Die Ansprüche des Klägers auf die Intensivpflegezulage gemäß der Protokollerklärung Nr. 1 Abs. 2 der Anlage 1 b zum BAT sind für den Zeitraum vom 1. April 1991 bis zum 30. November 1993 mangels rechtzeitiger schriftlicher Geltendmachung gemäß § 70 BAT verfallen. Danach verfallen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlußfrist von 6 Monaten nach Fälligkeit vom Angestellten schriftlich geltend gemacht werden.
Nach den bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts sind die Ansprüche auf die Intensivpflegezulage für den genannten Zeitraum erstmalig schriftlich mit der Klageschrift vom 28. September 1994, also später als sechs Monate nach der letzten Fälligkeit des Anspruchs geltend gemacht worden. Damit sind diese Ansprüche wegen Versäumung der Ausschlußfrist gemäß § 70 BAT verfallen.
II. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, daß die Berufung der Beklagten auf den Verfall der Ansprüche nicht gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstößt.
1. Eine gegen Treu und Glauben verstoßende und damit gemäß §§ 242, 134 BGB unzulässige Rechtsausübung stellt die Berufung auf eine Ausschlußfrist dann dar, wenn die zum Verfall des Anspruches führende Untätigkeit des Arbeitnehmers hinsichtlich der gemäß § 70 BAT erforderlichen schriftlichen Geltendmachung des Anspruches bzw. der Einhaltung der Verfallfrist durch ein Verhalten des Arbeitgebers veranlaßt worden ist. Der Arbeitgeber muß also den Arbeitnehmer von der Geltendmachung des Anspruchs bzw. der Einhaltung der Verfallfrist abgehalten haben. Das wird angenommen, wenn der Arbeitgeber durch positives Tun oder durch pflichtwidriges Unterlassen dem Arbeitnehmer die Geltendmachung des Anspruchs oder die Einhaltung der Frist erschwert oder unmöglich gemacht hat bzw. an objektiven Maßstäben gemessen den Eindruck erweckt hat, der Arbeitnehmer könne darauf vertrauen, daß der Anspruch auch ohne Wahrung einer tariflichen Ausschlußfrist erfüllt werde (vgl. BAGE 11, 150, 155 f.; 14, 140, 145 ff.; 24, 84, 89 ff.; 52, 33 ff.; BAG Urteil vom 6. September 1972 - 4 AZR 422/71 - AP Nr. 2 zu § 4 BAT; BAG Urteil vom 11. Januar 1995 - 10 AZR 5/94 - n.v.). In diesen Fällen setzt sich der Arbeitgeber in Widerspruch zu seinem eigenen früheren Verhalten, wenn er zunächst den Arbeitnehmer zu Untätigkeit veranlaßt, und dann, indem er den Verfall geltend macht, aus dieser Untätigkeit einen Vorteil für sich ableiten will.
2. Die Beklagte hat weder durch die unzutreffende Auskunft, daß ein Anspruch auf Intensivpflegezulage gemäß der Protokollerklärung Nr. 1 Abs. 2 der Anlage 1 b zum BAT ab dem 1. April 1991 nicht besteht, noch durch Unterlassen eines Hinweises über den Verfall eventueller Ansprüche bei nicht rechtzeitiger schriftlicher Geltendmachung gemäß § 70 BAT, den Kläger von der Geltendmachung seines Anspruchs abgehalten bzw. diese unmöglich gemacht oder erschwert.
a) Durch die unzutreffende Auskunft über den Anspruch auf eine Intensivpflegezulage hat die Beklagte den Kläger nicht an der Geltendmachung seines Anspruchs in irgendeiner Art gehindert. Von einem Arbeitnehmer muß verlangt werden, daß er sich hinsichtlich der Rechtslage über die Berechtigung eines vermeintlichen Anspruchs selbst informiert. Denn eine Unkenntnis über die rechtlichen oder tatsächlichen Voraussetzungen eines tariflichen Anspruchs bzw. dessen Verfall aufgrund einer tariflichen Ausschlußfrist sind rechtlich unbeachtlich (BAG Urteil vom 16. Mai 1984 - 7 AZR 143/81 - AP Nr. 85 zu § 4 TVG Ausschlußfrist; BAG Urteil vom 23. August 1990 - 6 AZR 554/88 - ZTR 1991, 120).
Davon ausgehend hätte es dem Kläger jederzeit freigestanden, die Ansprüche auf eine Intensivpflegezulage schriftlich geltend zu machen, wenn er den Anspruch für berechtigt angesehen hätte. Nachdem die Beklagte das Bestehen eines solchen Anspruchs verneint hatte, war der Kläger geradezu aufgefordert, die Ansprüche frist- und formgerecht geltend zu machen, wenn er seine Rechte für die Zukunft gewahrt wissen wollte. Denn der Kläger konnte bei der für die hinsichtlich der Erfüllung seines Anspruchs ungünstigen Rechtsauskunft der Beklagten nicht darauf vertrauen, daß deren Rechtsstandpunkt auch zutreffend ist. Wenn er gleichwohl der ungünstigen Auskunft der Beklagten glaubte und es unterließ, den Anspruch rechtzeitig und formgerecht geltend zu machen, so ist das sein Risiko und kann nicht zu Lasten der Beklagten gehen.
b) Der Beklagten kann auch nicht vorgeworfen werden, sie habe den Kläger durch vertragswidriges Unterlassen einer Aufklärung über den Verfall der von ihr abgelehnten Ansprüche auf eine Intensivpflegezulage, davon abgehalten, diese geltend zu machen. Dies setzt eine Rechtspflicht zum Handeln voraus. Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers aus dem Arbeitsverhältnis umfaßt jedoch nicht die Verpflichtung, den Arbeitnehmer auf drohenden Verfall seiner Ansprüche durch eine tarifliche Ausschlußfrist hinzuweisen. Auch im Bereich des öffentlichen Dienstes ist es Sache des Arbeitnehmers, sich Gewißheit darüber zu verschaffen, in welchen Formen und Fristen er seine Ansprüche geltend zu machen hat (BAG Urteil vom 26. Juli 1972 - 4 AZR 365/71 - AP Nr. 1 zu § 4 MTB II; BAGE 52, 33 = AP Nr. 12 zu § 4 BAT).
c) Schließlich hat die Beklagte auch nicht durch ihr Verhalten gegenüber dem Kläger den Eindruck erweckt, sie werde den Anspruch auf die Intensivpflegezulage auch ohne Wahrung der tariflichen Ausschlußfrist erfüllen. Anders als in der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAGE 11, 150, 154), wo über einen bisher vom Arbeitgeber gewährten Anspruch eine zeitweilige Rechtsunsicherheit über das weitere Bestehen des Anspruchs bestand und der Arbeitnehmer somit davon ausgehen konnte, daß der Arbeitgeber sich für die Zeit der Rechtsunsicherheit nicht auf die tarifliche Ausschlußfrist berufen werde, hat der Kläger sich hier bei der Beklagten lediglich erkundigt, ob er einen Anspruch auf eine Intensivpflegezulage habe. Da die Beklagte den Anspruch verneint hat, bestand zwischen den Parteien keine Rechtsunsicherheit; vielmehr war klar, daß ein solcher Anspruch von der Beklagten als nicht gegeben angesehen wurde. Bei dieser Sachlage fehlt es an einem Verhalten der Beklagten, aus dem der Kläger hätte schließen können, die Beklagte werde auch ohne Wahrung der tariflichen Ausschlußfrist den Anspruch erfüllen.
III. Die Kostentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Matthes Dr. Jobs Böck
Großmann Peters
Fundstellen
Haufe-Index 436631 |
BB 1997, 1158 (Leitsatz 1 und Gründe) |
BB 1997, 792 (Leitsatz 1) |
DB 1997, 880 (Leitsatz 1 und Gründe) |
NJW 1997, 1724 |
NJW 1997, 1724 (Leitsatz 1) |
EBE/BAG Beilage 1997, Ls 70/97 (Leitsatz 1) |
ARST 1997, 99-100 (Leitsatz 1 und Gründe) |
NZA 1997, 445-446 (Leitsatz 1 und Gründe) |
RdA 1997, 192 (Leitsatz 1) |
ZTR 1997, 277-278 (Leitsatz 1 und Gründe) |
AP § 242 BGB (Leitsatz 1), Nr 14 |
AP § 4 TVG Ausschlußfristen (Leitsatz 1), Nr 139 |
AP § 70 BAT (Leitsatz 1 und Gründe), Nr 27 |
AR-Blattei, ES 350 Nr 154 (Leitsatz 1 und Gründe) |
ArbuR 1997, 211 (Leitsatz 1) |
EzA-SD 1997, Nr 7, 5-5 (Leitsatz 1 und Gründe) |
EzA § 4 TVG Ausschlußfristen, Nr 125 (Leitsatz 1 und Gründe) |
EzBAT § 70 BAT, Nr 44 (Leitsatz 1 und Gründe) |
PersR 1997, 422 |
PersR 1997, 422-423 (Leitsatz 1 und Gründe) |
ZMV 1997, 189 |
ZMV 1997, 189-190 (red. Leitsatz 1-4, Kurzwiedergabe) |
ZfPR 1998, 17 (Leitsatz 1) |
PflR 1997, 14 |