Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirksamkeit tarifvertraglicher Berechnungsklauseln für das Urlaubsentgelt. Ausschlussfristen. Urlaubsrecht
Leitsatz (amtlich)
- Die Tarifvertragsparteien dürfen jede Methode zur Berechnung des Urlaubsentgelts heranziehen, die ihnen geeignet erscheint, ein Urlaubsentgelt sicherzustellen, wie es der Arbeitnehmer bei Weiterarbeit ohne Freistellung voraussichtlich hätte erwarten können. Damit sind Regelungen nicht vereinbar, die das Ziel der Kürzung des Urlaubsentgelts im Vergleich zum Arbeitsentgelt verfolgen.
- Bei der Prüfung der Frage, ob eine Regelung des Urlaubsentgelts günstiger ist als die gesetzliche, sind weder das Urlaubsgeld noch eine gegenüber dem Gesetz höhere Anzahl von Urlaubstagen in den Günstigkeitsvergleich einzustellen.
- Urlaubsentgelt unterliegt tariflichen und vertraglichen Ausschlußfristen.
Orientierungssatz
- Die Berechnung des Urlaubsentgelts ist für den den gesetzlichen Mindesturlaub übersteigenden Urlaub nicht im BUrlG zwingend geregelt. Es steht sowohl den Tarifvertrags- als auch den Arbeitsvertragsparteien frei, abweichende Regelungen zu finden. Das BUrlG greift nur ein, wenn solche Regelungen nicht bestehen.
- Wegen des Grundsatzes der Vertragsfreiheit kann ein Gewerkschaftsmitglied das Tarifwerk einer anderen Gewerkschaft arbeitsvertraglich vereinbaren. Das gilt auch, wenn die eigene Gewerkschaft einen einschlägigen Tarifvertrag abgeschlossen hat. Auch die Vereinbarung eines fachfremden Tarifwerks ist zulässig, soweit nicht im Einzelfall zwingende tarifliche Mindestbedingungen entgegenstehen. Ebenso kann ein "fehlerhafter" Tarifvertrag arbeitsvertraglich vereinbart werden. Der Grundsatz, daß die Arbeitsvertragsparteien regelmäßig einen Tarifvertrag nur so in Bezug nehmen wollen, wie er auch tarifrechtlich gilt, ist lediglich ein Auslegungsgrundsatz.
- Ob hinsichtlich der Berechnung des Urlaubsentgelts für den gesetzlichen Mindesturlaub eine Abweichung von der gesetzlichen Regelung der Urlaubsentgeltberechnung vorliegt, ist ohne Berücksichtigung von Urlaubsgeld zu prüfen.
- § 13 Abs. 1 BUrlG ermächtigt nicht zu Eingriffen in den Grundsatz des bezahlten Mindesturlaubs, wie er aus §§ 1, 2 und 3 Abs. 1 BUrlG folgt. Die Tarifvertragsparteien dürfen nur solche Berechnungsmethoden zur Berechnung des Urlaubsentgelts vereinbaren, die geeignet sind, ein Urlaubsentgelt sicherzustellen, wie es der Arbeitnehmer bei der Weiterarbeit ohne Freistellung voraussichtlich hätte erwarten können. Wegen der Tarifautonomie kommt ihnen dabei ein weiter Beurteilungsspielraum zu. Sie dürfen aber keine Berechnungsvorschriften vereinbaren, die zielgerichtet der Kürzung des Urlaubsentgelts dienen. Damit ist es nicht vereinbar, daß die CGM-Tarifverträge für das Elektrohandwerk in Thüringen Zuschläge für Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeit von der Berechnung des Urlaubsentgelts ausnehmen.
- Bei der Beurteilung, ob eine tarif- oder arbeitsvertragliche Regelung günstiger ist als die gesetzliche Berechnung des Urlaubsentgelts sind weder ein Urlaubsgeld noch zusätzliche Urlaubstage in den Vergleich einzubeziehen. Da die Tarifvertragsparteien bei Abschluß des Tarifvertrages wissen müssen, ob die von ihnen getroffene Regelung wirksam ist oder nicht, kommt es beim Günstigkeitsvergleich auf eine abstrakte Betrachtung der tariflichen Regelung und nicht ihre konkreten Auswirkungen im Einzelfall an.
- Sofern eine tarifvertragliche oder arbeitsvertragliche Regelung über die Berechnung des Urlaubsentgelts unwirksam ist, tritt die gesetzliche Bemessung nach § 11 Abs. 1 BUrlG an ihre Stelle.
- Urlaubsentgelt ist das während der urlaubsbedingten Freistellung weitergezahlte Arbeitsentgelt des Arbeitnehmers. Es unterliegt deshalb im selben Umfange wie sonstiges Arbeitsentgelt tarifvertraglichen oder arbeitsvertraglichen Ausschlußfristen.
Normenkette
BUrlG § 11 Abs. 1, § 13 Abs. 1; CGM "Tarifvertrag zur Regelung des Urlaubs für gewerbliche Arbeitnehmer und Angestellte in den Elektrohandwerken des Landes Thüringen"; CGM "Manteltarifvertrag für Arbeitnehmer in den Elektrohandwerken des Landes Thüringen"
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 8. Mai 2000 – 8 Sa 429/99 – teilweise aufgehoben.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Eisenach vom 12. Mai 1999 – 1 Ca 1692/98 – teilweise abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 50,75 Euro brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich daraus ergebenden Nettobetrag ab 28. Dezember 1998 zu zahlen.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
Im übrigen werden die Berufung und die Revision des Klägers zurückgewiesen.
Der Kläger hat 21/26 und die Beklagte 5/26 der Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte bei der Bemessung des Urlaubsentgelts die Zuschläge für Spätschicht, Nachtschicht, Sonntagsarbeit und Feiertagsarbeit berücksichtigen muß.
Die Beklagte erbringt Serviceleistungen aus dem Bereich der Arbeitsvorbereitung und Instandsetzung. Sie ist mit ihrem Eisenacher Betrieb in die Handwerksrolle eingetragen. Dort arbeiten ca. 150 Mitarbeiter. Der Kläger bewarb sich im Dezember 1997 auf ein Inserat, in dem sich die Beklagte als "ein erfolgreiches operierendes Industrieunternehmen in der Instandhaltung" bezeichnete. Die Beklagte stellte den Kläger, der der IG-Metall angehört, ein.
Der Kläger ist in der 40-Stunden-Woche tätig. Der zwischen den Parteien abgeschlossene Arbeitsvertrag enthält – soweit von Interesse – folgende Vereinbarungen:
"§ 1 – Inhalt und Beginn des Arbeitsverhältnisses
§ 2 – Arbeitsentgelt
Der Arbeitnehmer erhält ein gleichmäßiges Monatsentgelt (Festlohn) auf der Basis des vereinbarten Stundenlohnes:
Stundenlohn:
- |
Tariflohn der Lohngruppe 7 |
DM |
16,23 |
- |
außertarifliche Zulage |
DM |
2,74 |
Bruttolohn insgesamt |
DM |
18,97 |
gleichmäßiges Monatsentgelt:
- |
Tarifliches Monatsentgelt |
DM |
2.824,02 |
- |
außertarifliche Zulage |
DM |
475,98 |
Monatsentgelt |
DM |
3.300,00 |
Das gleichmäßige Monatsentgelt ergibt sich aus den tariflichen Bestimmungen, d.h. durch Multiplikation des vereinbarten Bruttolohnes mit der individuellen wöchentlichen Arbeitszeit und dem Wochenfaktor 4,35.
- …
- Das Arbeitsentgelt ist jeweils am 15. des Folgemonats zahlbar.
- …
§ 3 – Besondere Bezüge
- …
- Der Arbeitgeber gewährt auf freiwilliger Basis vermögenswirksame Leistung ab dem 2. Beschäftigungsmonat in Höhe von 52,00 DM.
- …
§ 4 – Urlaub
- Der Arbeitnehmer erhält einen jährlichen Erholungsurlaub von 30 Arbeitstagen. Dieser Anspruch setzt sich zusammen aus dem tariflichen Anspruch gemäß Tarifvertrag für das Elektrohandwerk in Thüringen (das sind z.Zt. 23 Arbeitstage) und einem übertariflichen Urlaub von derzeit 7 Arbeitstagen. Erhöht sich der tarifliche Urlaubsanspruch, wird der übertarifliche Urlaub auf die Erhöhung des tariflichen Urlaubs angerechnet.
- Die Höhe des zusätzlichen Urlaubsgeldes richtet sich nach dem Tarifvertrag für das Elektrohandwerk in Thüringen.
- …
In der Anlage zum Arbeitsvertrag ist geregelt:
"Die Schichtarbeit wird mit einem Zuschlag auf den Stundenlohn wie folgt vergütet:
Spätschicht |
10 % Zuschlag – vor 20.00 Uhr |
25 % Zuschlag – nach 20.00 Uhr |
Nachtschicht |
25 % Zuschlag – für die gesamte Nachtschicht |
Sonntagsarbeit |
70 % Zuschlag – für die gesamte Schicht |
Feiertagsarbeit |
100 % Zuschlag – an einem Feiertag, der auf einen Sonntag fällt |
150 % Zuschlag – an einem Feiertag, der auf einen Wochentag fällt." |
Vor Abschluß des Arbeitsvertrages wies die Beklagte den Kläger darauf hin, sie sei Mitglied des Landesinnungsverbandes für die Elektrohandwerke des Landes Thüringen. Die Inbezugnahme der von diesem Verband mit der Christlichen Gewerkschaft Metall (CGM) abgeschlossenen Tarifverträge sei zur Wahrung der Tarifeinheit im Betrieb Eisenach unverzichtbar.
Im Jahre 1998 gewährte die Beklagte dem Kläger Urlaub: Im Januar an zwei Tagen, im April an sechs Tagen, im Juli an fünf Tagen, im August an fünf Tagen, im Oktober an sechs Tagen und im Dezember ebenfalls an sechs Tagen.
Die Beklagte zahlte dem Kläger pro Urlaubstag 151,72 DM Urlaubsentgelt und gewährte die vermögenswirksamen Leistungen auch während des Urlaubs weiter. Außerdem zahlte sie dem Kläger mit der Junivergütung einmalig pro Urlaubstag 25,79 DM Urlaubsgeld. Berechnungsgrundlage für das Urlaubsentgelt war das gleichmäßige Monatsentgelt in Höhe von 3.300,00 DM.
Der Kläger hat weitere Zahlungen für die 24 Urlaubstage von Januar bis Oktober 1998 verlangt. Er hat seine Forderung nach dem Durchschnitt des in den letzten drei Monaten vor dem Urlaubsantritt bezogenen Bruttoarbeitsentgelts bemessen. Dabei hat er nicht die Vergütung für Mehrarbeit, wohl aber die Zuschläge wegen der Lage der Arbeitszeit und die Arbeitnehmersparzulage einbezogen. Das von der Beklagten bereits gezahlte Urlaubsentgelt, nicht jedoch das Urlaubsgeld hat er sich anrechnen lassen. Nachdem der Kläger den jeweiligen Unterschiedsbetrag für die Monate Januar, April und Juli 1998 mit Schreiben vom 26. August 1998 und für die Monate August und Oktober 1998 mit Schreiben vom 12. Oktober 1998 erfolglos geltend gemacht hatte, hat er am 28. Dezember 1998 Klage erhoben.
Der Kläger hat seinen Anspruch auf die Auslegung des von der Beklagten in Bezug genommenen Tarifwerk der CGM gestützt. Hilfsweise hat er geltend gemacht, der Anspruch ergebe sich aus den zwingenden Vorschriften des BUrlG. Davon habe das in Bezug genommene Tarifwerk der CGM nicht abweichen können. Einerseits sei diese Organisation nicht tariffähig und könne deshalb überhaupt keine Tarifverträge abschließen. Zum anderen gehöre die Beklagte nicht zum Elektrohandwerk, sondern zur fachfremden Elektroindustrie.
Der Kläger hat in der Sache zuletzt beantragt,
- die Beklagte zu verurteilen, an ihn 517,11 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich hieraus ergebenden Nettobetrag ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hält das Urlaubsentgelt für richtig berechnet.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit seiner vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger weiterhin sein erstinstanzliches Klageziel.
Entscheidungsgründe
Unterschriften
Düwell, Reinecke, Zwanziger, Schwarz, Gosch
Fundstellen
Haufe-Index 779223 |
BAGE, 189 |
BB 2002, 1920 |
DB 2002, 1835 |
ARST 2003, 41 |
JR 2003, 132 |
NZA 2002, 1041 |
SAE 2003, 81 |
ZTR 2003, 33 |
AP, 0 |
EzA-SD 2002, 5 |
EzA |
NJ 2002, 668 |
PERSONAL 2002, 54 |
AUR 2002, 358 |
BAGReport 2003, 1 |