Entscheidungsstichwort (Thema)
Abwicklung nach Einigungsvertrag
Normenkette
Einigungsvertrag Art. 13, 20 Abs. 1; Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 2; Einigungsvertrag AnlageI Kap. XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 1 Abs. 3
Verfahrensgang
LAG Berlin (Urteil vom 08.05.1992; Aktenzeichen 10 Sa 84/91) |
ArbG Berlin (Urteil vom 30.08.1991; Aktenzeichen 94 Ca 5408/91) |
Tenor
1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 8. Mai 1992 – 10 Sa 84/91 – wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob das Arbeitsverhältnis der Klägerin gemäß Art. 20 Abs. 1 Einigungsvertrag in Verbindung mit Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 2 Sätze 2 und 5 (im folgenden: Nr. 1 Abs. 2 EV) ab 1. Januar 1991 geruht und mit Ablauf des 30. Juni 1991 geendet hat.
Die am 15. Januar 1957 geborene Klägerin war seit 1980 als Ärztin im Sportmedizinischen Dienst der Sportvereinigung Dynamo tätig.
Träger der Sportvereinigung Dynamo waren das Ministerium für Staatssicherheit, das Ministerium des Innern und die Zollverwaltung der DDR. Nach Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit bzw. des Amtes für Nationale Sicherheit wurde die Sportvereinigung Dynamo dem Ministerium des Innern der DDR zugeordnet und im September 1990 in Polizeisportvereinigung Dynamo umbenannt. Sie hatte im Oktober 1990 etwa 2.300 Mitarbeiter. Die SV Dynamo war DDR-weit tätig. Zu der SV Dynamo gehörte neben anderen Sportclubs auch der SC Dynamo Berlin, für den das Sportforum in Berlin-Hohenschönhausen unterhalten wurde. Zur SV Dynamo gehörte ein Sportmedizinischer Dienst mit zuletzt noch rd. 200 Mitarbeitern.
Der Bundesminister des Innern schob mit Verfügung vom 27. September 1990 die endgültige Entscheidung über die Überführung oder Abwicklung bestimmter Einrichtungen, zu denen auch das „Zentralbüro Polizeisportverein” und der „Sportverein Dynamo” gehörten, bis zum 31. Dezember 1990 hinaus. Am 18. Dezember 1990 entschied der Bundesminister des Innern, die Polizeisportvereinigung ab 1. Januar 1991 nicht fortzuführen.
Ebenfalls am 18. Dezember 1990 beschloß die Gesamtberliner Landesregierung aus Senat und Magistrat, das Sportforum Dynamo ohne Sport- und Kongreßzentrum, Krankenhaus, Sportmedizinischen Dienst und Sportschule Biesenthal auf das Land Berlin zu überführen. Die für das Gesundheitswesen zuständige Senatsverwaltung wurde beauftragt, bis zum 30. September 1991 eine Konzeption für den Sportmedizinischen Dienst im Sportforum Dynamo vorzulegen.
Mit Schreiben vom 4. Januar 1991, der Klägerin zugegangen am 7. Januar 1991, teilte das Bundesministerium des Innern der Klägerin mit, daß ihr Arbeitsverhältnis aufgrund der Bestimmungen des Einigungsvertrages mit Wirkung vom 1. Januar 1991 an ruhe und sie Anspruch auf Wartegeld habe. Seit dem Zugang dieses Schreibens ist die Klägerin nicht mehr beschäftigt worden.
Im April 1991 eröffnete das beklagte Land auf dem Gelände des Sportforums die Hauptberatungsstelle II und das Sportmedizinische Zentrum II. Hierfür wurden 31 Mitarbeiter eingestellt.
Die Klägerin hat geltend gemacht, der Bundesminister des Innern habe keine Regelungskompetenz gehabt, eine Entscheidung über die Auflösung und Abwicklung der SV Dynamo nach dem Einigungsvertrag herbeizuführen.
Die gesamte Sportvereinigung habe einen homogenen Block gebildet, in dem der Betrieb eines Bereichs von dem Betrieb anderer Bereiche mehr oder weniger abhängig gewesen sei. Eine selbständige Abwicklung von organisatorisch nicht abgrenzbaren Unterfunktionseinheiten sei daher nicht möglich gewesen.
Das beklagte Land habe klar zum Ausdruck gebracht, daß es sowohl das Sportforum Dynamo als auch den Sportmedizinischen Dienst weiterführen wolle.
Die Gemeinsame Landesregierung habe am 18. Dezember 1990 hinsichtlich des Sportmedizinischen Dienstes eine unzulässige Teilabwicklung versucht.
Deshalb habe das Arbeitsverhältnis der Klägerin nicht geruht und über den 30. Juni 1991 hinaus fortbestanden.
Die Klägerin hat beantragt
- festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis in der Zeit vom 1. Januar 1991 bis zum 30. Juni 1991 nicht geruht hat und über den 30. Juni 1991 hinaus zum beklagten Land fortbesteht;
- das beklagte Land zu verurteilen, die Klägerin zu den bisherigen Arbeitsbedingungen bis zum rechtskräftigen Abschluß des Rechtsstreits weiterzubeschäftigen.
Das beklagte Land hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es hat vorgetragen, der Bund und nicht das Land Berlin sei gem. Art. 13 Abs. 2 des Einigungsvertrages zur Entscheidung über die Abwicklung der SV Dynamo zuständig gewesen. Es sei heute allgemeine Meinung, daß der Bund verfassungsrechtlich berufen sei, den bundesdeutschen Leistungssport zu fördern.
Außerdem sei die SV Dynamo nicht dem beklagten Land, sondern dem Bund zugeordnet worden.
Die Gesamtberliner Landesregierung habe am 18. Dezember 1990 nur über das Sportforum Dynamo und die Sicherung dieser Liegenschaft ohne den Sportmedizinischen Dienst entschieden.
Beim Sportforum Dynamo habe es sich um eine selbständige organisatorische Einheit der SV Dynamo gehandelt, so daß hinsichtlich des Sportforums Dynamo auch eine gesonderte Überführungsentscheidung ohne Einbeziehung des Sportmedizinischen Dienstes habe getroffen werden können.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des beklagten Landes das Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Dagegen richtet sich die vom Landesarbeitsgericht zugelassene Revision der Klägerin.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Das Berufungsgericht hat die Klage zu Recht als unbegründet abgewiesen.
I. Zwischen den Parteien hat kein aktives Arbeitsverhältnis bestanden, das mit Ablauf des 30. Juni 1991 hätte enden können. Die Klägerin hat keinen Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf das beklagte Land gemäß Nr. 1 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 1 EV dargelegt.
1. Wie der Senat mit Urteil vom 3. September 1992 (– 8 AZR 45/92 –, zur Veröffentlichung vorgesehen) erstmalig entschieden hat, trat kraft Gesetzes die Auflösung der Einrichtung bzw. der nicht überführten Teile ein, wenn bis zu dem nach dem Einigungsvertrag vorgesehenen letztmöglichen Zeitpunkt keine (positive) Überführungsentscheidung getroffen wurde. Mit dem Eintritt der Abwicklung war kraft Gesetzes das Ruhen der Arbeitsverhältnisse gemäß Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 2 EV verbunden. Der Übergang eines aktiven Arbeitsverhältnisses konnte nur als gesetzliche Folge der Überführung der Beschäftigungseinrichtung eintreten.
2. Aus dem zu berücksichtigenden Sach- und Streitstand ergibt sich nicht, daß das beklagte Land die Einrichtung oder Teileinrichtung, in der die Klägerin vor dem 3. Oktober 1990 beschäftigt wurde, im Sinne von Art. 13 Abs. 1 EV überführt hätte.
a) Eine Einrichtung oder Teileinrichtung wurde nur dann im Sinne von Art. 13 EV überführt, wenn der Träger öffentlicher Verwaltung die (Teil-)Einrichtung unverändert fortführte oder er sie unter Erhaltung der Aufgaben, der bisherigen Strukturen sowie des Bestandes an sächlichen Mitteln in die neue Verwaltung eingliederte (Urteil vom 28. Januar 1993 – 8 AZR 169/92 –, zur Veröffentlichung vorgesehen).
Das beklagte Land hat weder das Ministerium des Innern der DDR noch die Sportvereinigung Dynamo überführt. Daß eine noch überführungsfähige Untereinheit der Sportvereinigung Dynamo als Teileinrichtung überführt worden wäre, ist von der Klägerin nicht dargelegt worden. Die Feststellung, das beklagte Land habe zumindest eine organisatorisch abgrenzbare Funktionseinheit mit eigener Aufgabenstellung und der Fähigkeit zu einer aufgabenbezogenen Eigensteuerung und damit eine Teileinrichtung als kleinste überführungsfähige Organisationseinheit der DDR-Verwaltung im Sinne von Art. 13 EV überführt (vgl. hierzu Urteil vom 3. September 1992 – 8 AZR 45/92 – Leitsatz 3), hätte vorausgesetzt, daß die bisherigen Aufgaben, Strukturen und wesentlichen sächlichen Mittel dieser Organisationseinheit der DDR-Verwaltung nicht nur pauschal, sondern substantiiert vorgetragen worden wären. Darüber hinaus wären die vom neuen Träger der öffentlichen Verwaltung fortgeführten Aufgaben, Strukturen und die dazu übernommenen sächlichen Mittel der früheren DDR-Verwaltung anzugeben gewesen. Die diesbezügliche Darlegungs- und gegebenenfalls Beweislast trifft den Arbeitnehmer, denn er macht geltend, sein Arbeitsverhältnis sei kraft Gesetzes als aktives auf den neuen Träger öffentlicher Verwaltung übergegangen (vgl. BAG Urteil vom 15. Oktober 1992 – 8 AZR 145/92 –, zur Veröffentlichung vorgesehen).
b) Die Klägerin hat dieser Darlegungspflicht auch nicht ansatzweise genügt. Die Aufgaben, Strukturen und wesentlichen sächlichen Mittel des Sportmedizinischen Dienstes der Sportvereinigung Dynamo sind nach dem Sach- und Streitstand derartig vage umschrieben, daß sie sich einem Vergleich mit den sportmedizinischen Aktivitäten des beklagten Landes in den Beitrittsbezirken entziehen. Dementsprechend kann bei Wahrunterstellung des Sachvortrags der Klägerin nicht gefolgert werden, das beklagte Land habe eine Teileinrichtung im Sinne von Art. 13 Abs. 1 EV überführt und damit den Übergang der Arbeitsverhältnisse der dort Beschäftigten ausgelöst. Insbesondere ist dem Gericht kein Funktionsvergleich möglich, denn Umfang und Bedeutung der verschiedenen Tätigkeitsbereiche des Sportmedizinischen Dienstes der Sportvereinigung Dynamo sind unbekannt.
II. Es kann deshalb im vorliegenden Rechtsstreit als unerheblich dahingestellt bleiben, ob das beklagte Land überhaupt im Sinne von Art. 13 Abs. 1 EV zuständig war, die Sportvereinigung Dynamo oder etwaige Teileinrichtungen der Sportvereinigung oder deren Träger-Verwaltung (Ministerium des Innern der DDR) zu überführen. Sollten die Strukturen und Aufgaben der Sportvereinigung Dynamo einschließlich ihrer Einbindung in den Staatsapparat der DDR (Ministerium für Staatssicherheit bzw. Ministerium des Innern der DDR) die Zuständigkeit des Bundes nach Art. 13 Abs. 2 EV begründet haben, wäre es unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zum Übergang eines aktiven Arbeitsverhältnisses auf das beklagte Land gekommen.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
Unterschriften
Michels-Holl, Dr. Ascheid, Dr. Müller-Glöge, Plenge, Hannig
Fundstellen