Normenkette

BGB § 611

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Urteil vom 26.05.1976; Aktenzeichen 3 Sa 457/75)

 

Tenor

  • Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 26. Mai 1976 – 3 Sa 457/75 – wird zurückgewiesen.
  • Der Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger Arbeitnehmer oder freier Mitarbeiter ist.

Der Kläger ist seit 1964 für den Beklagten im Bereich Fernsehen in der Hauptabteilung “Politik” tätig. Innerhalb dieser Hauptabteilung bestehen Redaktionsgruppen, u. a. die Gruppen “Ost-West-Spuren” und “Feature und Dokumentation”. Der Kläger stellt im Auftrag einer dieser beiden Redaktionen pro Jahr etwa drei Filme her. Er schlägt entweder die Themen selbst vor oder sie werden ihm von den Redakteuren angetragen. Der Kläger entwirft dann eine Exposition dieses Themas, führt sämtliche Vorarbeiten und Recherchen durch, sammelt Material. Die Filmaufnahmen finden unter seiner Leitung statt, er wird insoweit als Regisseur tätig. Danach leitet er die Schnittarbeiten. Eine solche Produktion dauert zwischen drei und fünf Monaten. Jede Produktion wird einzeln auf Honorarscheinen abgerechnet. In den Jahren 1971 bis 1973 erzielte der Kläger auf diese Weise einen Bruttoverdienst von ca. 18.000,-- DM, 32.000,-- DM und 45.000,-- DM. Für die Zeit von Januar bis Juli 1974 zahlte der Beklagte insgesamt an Honoraren 21.500,-- DM (nach der Behauptung des Beklagten) oder 25.200,-- DM (nach der Behauptung des Klägers).

Mit der im Juli 1974 beim Arbeitsgericht Köln erhobenen Klage hat der Kläger die Auffassung vertreten, er sei Arbeitnehmer des Beklagten. Dazu hat er behauptet, der Beklagte plane ihn fest in sein Programm ein, er übertrage ihm auch redaktionelle Aufgaben. Im übrigen arbeite er zeitlich im gleichen Umfang wie ein festangestellter Mitarbeiter des Beklagten. Bei der Durchführung der einzelnen Produktionen sei er von Weisungen und Dispositionen des Beklagten abhängig. Der Beklagte schreibe die Produktionszeiten und die Zusammensetzung des Mitarbeiterteams vor. Insgesamt unterscheide sich seine Tätigkeit nicht von der des festangestellten Mitarbeiters B…, der für den Beklagten ebenfalls Filmbeiträge der gleichen Art herstelle.

Der Kläger hat beantragt,

festzustellen, daß er sich in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis zum Beklagten befinde.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat behauptet, jeder Auftrag werde mit dem Kläger abgesprochen. Der Kläger könne ein Angebot ablehnen, ohne Nachteile befürchten zu müssen. Die Arbeit des Klägers sei durch seine Autorenleistung geprägt. Diese künstlerische Tätigkeit spreche für eine losere Form der Zusammenarbeit. Der Beklagte stelle während der eigentlichen Produktion nur die technischen Hilfsmittel zur Verfügung. Thema, Umfang und zeitlicher Ablauf seien Inhalt des Auftrages. Das fertige Werk werde dann abgenommen. Mit Herrn B… könne sich der Kläger nicht vergleichen. Ursprünglich sei Herr B… als Redakteur oder Kameramann eingestellt worden. Erst nachträglich habe man ihn – entsprechend seiner Neigung und seinen Fähigkeiten – mit der Herstellung von Features beauftragt. Herr B… habe auch die betriebliche Arbeitszeit einhalten müssen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht dieses Urteil abgeändert und hat der Klage stattgegeben. Mit der Revision erstrebt der Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils, während der Kläger um Zurückweisung der Revision bittet.

 

Entscheidungsgründe

Das Berufungsgericht hat mit Recht festgestellt, daß der Kläger Arbeitnehmer und kein freier Mitarbeiter ist.

1. Zwischen den Parteien ist eine Dauerrechtsbeziehung zustande gekommen. Die Rechtsbeziehung der Parteien erschöpft sich nicht in Einzelleistungen. Der Kläger gehört zu den Mitarbeitern, die der Beklagte regelmäßig einsetzt. Das Berufungsgericht hat festgestellt, daß der Kläger seine Filme in einem auf ein Jahr im voraus festgelegten Programm produziert hat. Die bisherige Praxis bestätigt dies; der Kläger wird in einem Umfang beschäftigt, der dem eines festangestellten Mitarbeiters entspricht. Daß eine Dauerrechtsbeziehung besteht, wird auch von der Revision nicht in Frage gestellt. Dementsprechend streiten die Parteien allein über den Status des Klägers als Arbeitnehmer.

2. Das Berufungsgericht ist bei der Abgrenzung eines Arbeitsverhältnisses von dem Rechtsverhältnis eines freien Mitarbeiters von den Grundsätzen ausgegangen, die der Senat in ständiger Rechtsprechung entwickelt hat. Danach kann durch praktische Durchführung und Gestaltung der Vertragsbeziehungen trotz entgegenstehender Erklärungen ein Arbeitsverhältnis entstehen, das durch einen höheren Grad an persönlicher Abhängigkeit gekennzeichnet ist (vgl. zuletzt Urteil des Senats vom 9. März 1977 – 5 AZR 110/76 – [demnächst] AP Nr. 21 zu § 611 BGB Abhängigkeit [zu 1a der Gründe] – Fernsehreporterin – mit weiteren Nachweisen).

Das Berufungsgericht hat diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall auch zutreffend angewendet.

a) Für die Arbeitnehmereigenschaft des Klägers spricht, daß der Beklagte im Rahmen der Dauerrechtsbeziehung vom Kläger eine ständige Dienstbereitschaft erwartete. Dies ist ein taugliches Abgrenzungskriterium (vgl. das eben genannte Urteil des Senats vom 9. März 1977 [zu 2b der Gründe]).

Das Berufungsgericht hat dazu festgestellt, daß der Beklagte den Kläger in seine Produktionsgestaltung fest einplane und mit der regelmäßigen Mitarbeit des Klägers rechne; das Programm und die Beiträge des Klägers würden auf ein Jahr im voraus festgelegt. Diese Feststellungen rechtfertigen die Annahme, der Kläger müsse über den einzelnen Auftrag hinaus ständig zu Dienstleistungen bereit sein. Die Programmplanung ist nur so lange sinnvoll, wie der Beklagte mit der Bereitschaft derjenigen, die Beiträge produzieren sollen, rechnen kann. Von dieser Erwartung des Beklagten, daß der Kläger in dem erwarteten Umfang weiter mitarbeite, mußte der Kläger im Interesse seiner Weiterbeschäftigung ausgehen. Das System der Programmplanung schließt es praktisch aus, daß der Kläger die ihm angetragenen Aufträge nach Belieben ablehnen konnte. In der Auftragsvergabe bestand deshalb auch, wie das Berufungsgericht noch festgestellt hat, kein Unterschied zu dem festangestellten Mitarbeiter B…. Der Vortrag des Beklagten darüber, wie es zu der Festanstellung des Herrn B… kam, ist dabei unerheblich.

b) Bei der unstreitig großen Intensität der Inanspruchnahme bestand auch kein Anlaß, eine von beiden Seiten möglicherweise gewollte losere Form der Zusammenarbeit ernsthaft in Betracht zu ziehen (vgl. Urteil vom 8. Oktober 1975 – 5 AZR 430/74 – [demnächst] AP Nr. 18 zu § 611 BGB Abhängigkeit [zu II 5 der Gründe] – Rundfunkredakteur).

Zwar wird bei künstlerischer – ebenso wie bei wissenschaftlicher oder journalistischer – Tätigkeit häufig von beiden Seiten eine losere Form der Zusammenarbeit gewünscht. Die Parteien haben aber ersichtlich nicht nur eine lose, sondern eine intensive Form der Zusammenarbeit gepflogen. Der Kläger lieferte nicht nur vereinzelte Beiträge; vielmehr wurde er auf Dauer zu verschiedenartigen Beiträgen herangezogen. Deshalb kann ihm gegenüber der Einwand des Beklagten nicht überzeugen, er müsse zur Sicherung der Meinungsvielfalt auf einen größeren Kreis von freien Mitarbeitern zurückgreifen können, die er nicht ständig beschäftigen wolle. Der Beklagte hat den Kläger in der Vergangenheit regelmäßig und in einem relativ großen zeitlichen Umfang eingesetzt. Das bestätigt, daß der Beklagte im Tätigkeitsbereich des Klägers auch ständige Mitarbeiter braucht, die als Autoren und Regisseure Programmbeiträge liefern können. Die Ansicht des Beklagten, der Kläger könne deshalb kein Arbeitnehmer sein, weil sich ein Arbeitsverhältnis nicht mit einer Tätigkeit als Regisseur und insbesondere als Autor vereinbaren lasse, wird mithin durch das Verhalten der Parteien widerlegt.

c) Das Berufungsgericht hat weiter festgestellt, daß der Kläger bei der Durchführung eines Auftrages in gleicher Weise tätig wurde wie der Zeuge B…. Danach ist davon auszugehen, daß der Kläger zwar bei den Vorarbeiten und Recherchen weitgehend selbständig arbeitet, daß er sich aber bei den eigentlichen Aufnahmen und bei der Schnittüberwachung nach den Dispositionen des Beklagten richten mußte. Der Beklagte verfügte damit in erheblichem Umfang über Arbeitszeit und Arbeitskraft des Klägers. Der Kläger hat solche Dispositionen des Beklagten vorgelegt; sie bestätigen sein Vorbringen.

d) Die erörterten Umstände reichen aus, um die Arbeitnehmereigenschaft des Klägers feststellen zu können. Es kommt nicht darauf an, ob der Kläger zu redaktionellen Sonderleistungen verpflichtet werden konnte. Deshalb kann dahingestellt bleiben, ob die gegen diese Feststellung des Berufungsgerichts gerichteten Verfahrensrügen begründet sind.

 

Unterschriften

Dr. Hilger, Dr. Heither, Werner, Dr. Gundelach

Dr. Seidensticker ist im Urlaub

Dr. Hilger

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1767493

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