Entscheidungsstichwort (Thema)
Karenzentschädigung. Ausschlussfrist. Bezugnahme auf Tarifvertrag
Orientierungssatz
- Bei einer Anspruchshäufung muss sich die Geltendmachung – wenn tarifvertraglich nichts anderes geregelt ist – auf jeden einzelnen Anspruch beziehen, auch wenn die Teilansprüche auf einem einheitlichen Anspruchsgrund beruhen.
- Wenn ein Anspruch wegen Nichteinhaltung der tariflichen Ausschlussfristen verfallen ist, kann ein zeitlich nachfolgendes Verhalten des Schuldners nicht dazu führen, dass seine im Prozess vorgebrachte Einwendung, der Anspruch sei verfallen, als Verstoß gegen Treu und Glauben gem. § 242 BGB angesehen wird.
Normenkette
HGB § 74 ff.; BGB § 242
Verfahrensgang
LAG München (Urteil vom 30.03.2004; Aktenzeichen 6 Sa 580/03) |
ArbG Kempten (Urteil vom 10.04.2003; Aktenzeichen 1 Ca 1650/02) |
Tenor
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf Zahlung einer Karenzentschädigung.
Der Kläger war bei der Beklagten auf Grund eines Arbeitsvertrages vom 3. September 1996 seit dem 1. Januar 1997 als Betriebsleiter tätig. Im Arbeitsvertrag hatten die Parteien in mehreren Regelungen, ua. betr. Arbeitsbefreiung in besonderen Fällen, Gehaltsfortzahlung bei Krankheit und Ableben und Betriebliche Altersversorgung vereinbart. Diese richteten sich nach den tariflichen Bestimmungen. Weiter hat der Arbeitsvertrag, soweit von Bedeutung, folgenden Wortlaut:
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Urlaub
Der Urlaubsanspruch von Herrn S… richtet sich nach den Bestimmungen des Mantel-Tarifvertrages der Steine- und Erden-Industrie …
§ 11
Nebenbeschäftigung und Wettbewerbsverbot
…
Herr S… verpflichtet sich, für den Zeitraum eines halben Jahres nach Beendigung des Vertrages ohne Genehmigung der Firma für keine Firma sowohl für eigenen als auch fremden Namen und Rechnung tätig zu werden, welche gleichartige oder gleichen Zwecken dienende Erzeugnisse herstellt oder vertreibt und im Liefergebiet der Firma tätig ist.
…
Für die Dauer des Wettbewerbsverbots erhält Herr S… eine Karenzentschädigung von 75 % der letzten vertraglichen Bezüge (monatliches Gesamteinkommen = 1/13tel des Jahreseinkommens), berechnet auf der Grundlage der letzten 12 Monate vor Beendigung des Vertrages. Die Karenzentschädigung wird fällig am Schluß eines jeden Monats.
Herr S… verpflichtet sich, im Hinblick auf das Wettbewerbsverbot, den Arbeitgeber während der Kündigungsfrist und während der Dauer des Wettbewerbsverbotes unverzüglich jeden neuen Arbeitgeber, jeden Wohnsitzwechsel und jede Änderung seines Bruttoeinkommens mitzuteilen.
Für die Abrechnung des anderweitigen Verdienstes gilt § 74 HGB.
…
Die Firma behält sich vor, auf dieses Wettbewerbsverbot zu verzichten. Die Verzichtserklärung erfolgt schriftlich mit Ausspruch einer evtl. Kündigung oder eines Aufhebungsvertrages.
Im übrigen gelten die Vorschriften des HGB.
…
§ 14
Hinweis
Für das Angestelltenverhältnis gelten außer den vorstehenden Vertragsbestimmungen die Vorschriften des Tarifvertrages der Steineund Erdenindustrie, die gesetzlichen Bestimmungen und die Betriebsvereinbarungen. Auf Wunsch kann jederzeit im Lohnbüro in den Tarifvertrag Einsicht genommen werden. Änderungen und Ergänzungen der getroffenen vertraglichen Vereinbarungen bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Schriftform.”
Am 31. Oktober 2000 schlossen die Parteien eine als “Abwicklungsvertrag” bezeichnete Vereinbarung, die neben der Zahlung einer Abfindung in Höhe von 50.000,00 DM ua. folgende Regelungen aufwies:
“1. Das zwischen der Firma und dem Mitarbeiter bestehende Arbeitsverhältnis wird in gegenseitigem Einvernehmen auf Veranlassung der Firma aus betriebsbedingten Gründen mit dem 31.03.01 beendet. Diesem Abwicklungsvertrag ging eine arbeitgeberseitige, ordentliche, betriebsbedingte Kündigung zum 31.03.01 voraus.
2. …
Der Mitarbeiter wird ab dem 01.11.00 unter Anrechnung von etwaigem Resturlaub unwiderruflich von der Arbeit freigestellt. Dem Mitarbeiter ist bereits während der Freistellung die Eingehung von Dienstverhältnissen aller Art oder die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit in allen Geschäftszweigen gestattet. Der Bestand des Arbeitsverhältnisses mit der Firma bis zum 31.03.01 bleibt hiervon unberührt.
Soweit der Mitarbeiter während der Freistellung anderweitige Einkünfte hat, werden diese nicht auf die Vergütungsfortzahlung angerechnet.
…
6. Das in § 11 des Anstellungsvertrages aufgeführte nachvertragliche Wettbewerbsverbot wird in gegenseitigem Einverständnis mit Wirkung vom 31.03.01 nur dann aufgehoben, wenn Herr S… bis zum 01.04.01 ein neues Arbeitsverhältnis eingegangen ist. Analog gilt dies monatlich bis zum 30.09.01 für eine mögliche spätere Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses. Karenzentschädigungsansprüche bestehen in diesem Fall der verspäteten Arbeitsaufnahme bis zum letzten Tag eines evtl. ALO-Bezuges.”
Am 31. März 2001 endete das Arbeitsverhältnis der Parteien. Der Kläger teilte über eine neue Arbeitsaufnahme im Folgenden nichts mit und erhielt für die sechs Monate bis zum Ende der Karenzentschädigungszeit (30. September 2001) jeweils 3.484,36 DM, zusammen 20.906,16 DM.
Auf eine in einem Schreiben der Beklagten vom 3. Mai 2001 enthaltene Berechnung der monatlichen Karenzentschädigung beanstandete der Kläger mit Schreiben vom 15. Mai 2001 die Berechnungsweise; er könne sich damit nicht einverstanden erklären, weil die Karenzentschädigung alle vertraglichen Bezüge zu umfassen habe. Die Anrechnung von Arbeitslosengeld sei in fehlerhafter Weise erfolgt, er bitte um kurze Abstimmung. Die Beklagte widersprach in einem Schreiben vom 5. Juni 2001 beiden Argumenten; als Ergebnis wurde mitgeteilt, man werde den zu Grunde gelegten Betrag weiter an den Kläger zahlen. Mit Schreiben vom 11. September 2001 wandte sich erstmals der spätere Prozessbevollmächtigte des Klägers an die Beklagte, erläuterten seine Bedenken gegen die Berechnungsweise und bat, die Rechtsauffassung noch einmal zu überprüfen und die Karenzentschädigung neu zu berechnen. Am 30. Oktober 2001 legte die Beklagte gegenüber den Bevollmächtigten des Klägers dar, warum nach ihrer Auffassung die erstellte Berechnung zutreffend sei. Man habe sie noch einmal überprüft und eine Korrektur der Berechnung sei nicht vorzunehmen. Darauf antworteten die Klägervertreter erneut mit Schreiben vom 4. Dezember 2001, übersandten Auszüge aus Kommentarliteratur in Fotokopie und baten darum, die Berechnung noch einmal zu überprüfen.
Danach kam es zu (nach Datum, Art und Inhalt) nicht spezifizierten telefonischen Kontakten zwischen dem Bevollmächtigten des Klägers und dem Personalleiter der Beklagten. Schließlich erklärte die Beklagte in einem Schreiben vom 13. Februar 2002 an den Kläger, man werde eine Neuberechnung der Karenzentschädigung vornehmen, und bat um Übersendung von für erforderlich gehaltenen Unterlagen. Mit Schreiben vom 8. März 2002 wurden die Papiere erneut angemahnt und präzisiert. Der Bevollmächtigte des Klägers verweigerte die Übersendung mit Schreiben vom 19. März 2002 und forderte erneut die Neuberechnung. Die Beklagte lehnte eine Neuberechnung ohne die entsprechenden Unterlagen ab.
Der Kläger hat am 23. Mai 2002 beim Arbeitsgericht Klage erhoben und die Zahlung weiterer 28.048,93 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweils geltenden Basiszinssatz seit dem 1. Oktober 2001 verlangt.
Die Beklagte hat ihren Klageabweisungsantrag mit der Nichteinhaltung der tariflichen Ausschlussfrist durch den Kläger begründet.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, weil die von den Parteien einzelvertraglich wirksam in Bezug genommene tarifliche Ausschlussfrist durch den Kläger nicht gewahrt worden sei. Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil abgeändert und dem Kläger unter Abweisung der Klage im Übrigen einen Betrag von 24.092,43 Euro nebst Zinsen zugesprochen.
Die Beklagte begehrt mit der zugelassenen Revision die Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung einer weiteren Karenzentschädigung.
I. Das Landesarbeitsgericht hat zusammengefasst angenommen, dem Kläger stehe die Karenzentschädigung in dem ausgeurteilten Umfang zu. Der Anspruch des Klägers sei auch nicht wegen evtl. Nichtwahrung einer Ausschlussfrist verfallen. Mit dem Arbeitsgericht ist das Landesarbeitsgericht der Meinung, die tarifliche Ausschlussfrist sei wirksam in Bezug genommen. Die Anwendbarkeit dieser Frist führe jedoch nicht zu einer Klageabweisung. Die zweistufigen Ausschlussfristen seien bei Klageerhebung jedoch noch nicht abgelaufen gewesen bzw. sei es der Beklagten nach Treu und Glauben verwehrt, sich auf eine zur Jahreswende 2001/2002 eingetretene Verfristung der streitbefangenen Ansprüche zu berufen.
II. Dem folgt der Senat nicht. Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts ist ein möglicher weiterer Anspruch des Klägers auf Zahlung von Karenzentschädigung nach Ziff. 116 des Manteltarifvertrages für die kaufmännischen und technischen Angestellten sowie Meister der Steine- und Erden-Industrie und des Betonsteinhandwerks in Bayern vom 1. Juli 1998 (im Folgenden: MTV 1998) verfallen.
1. Das Landesarbeitsgericht geht zunächst zutreffend davon aus, dass die tarifliche Ausschlussfrist auf die geltend gemachten Karenzentschädigungsansprüche des Klägers Anwendung findet.
a) Ziff. 116 MTV 1998 lautet wie folgt:
“Ausschlußfristen
116. Alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Anstellungsverhältnis und solche, die mit dem Anstellungsverhältnis in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden.
Lehnt die Gegenpartei den Anspruch ab oder erklärt sie sich nicht innerhalb von zwei Wochen nach der Geltendmachung des Anspruchs, so verfällt dieser, wenn er nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Ablehnung oder dem Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird.”
Eine wortgleiche Regelung findet sich in Ziff. 115 des durch den MTV 1998 abgelösten vorher gültigen Manteltarifvertrag vom 22. April 1993 (im Folgenden: MTV 1993).
b) Diese Bestimmung findet durch einzelvertragliche Inbezugnahme der Parteien Anwendung auf ihr Arbeitsverhältnis. Die einzelvertragliche Vereinbarung über die Inbezugnahme tariflicher Regelungen ist im Rahmen der Vertragsfreiheit möglich und weitgehend üblich. Sie ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auch dann wirksam, wenn der Tarifvertrag bei beiderseitiger Tarifbindung nicht auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden wäre, etwa weil das Arbeitsverhältnis nicht unter den betrieblichen oder persönlichen Anwendungsbereich fällt, weil der in Bezug genommene Tarifvertrag bereits im Nachwirkungszeitraum ist (27. Juni 1978 – 6 AZR 59/77 – AP BUrlG § 13 Nr. 12 = EzA BUrlG § 13 Nr. 13) oder weil er unwirksam ist (7. Dezember 1977 – 4 AZR 474/76 – AP TVG § 4 Nachwirkung Nr. 9). Auch die Inbezugnahme eines branchenfremden Tarifvertrages begegnet keinen Bedenken, sondern ist auf Grund der Vertragsfreiheit zulässig (BAG 25. Oktober 2000 – 4 AZR 506/99 – BAGE 96, 177).
Auch das Objekt der Bezugnahme ist hinreichend klar definiert. In § 5 des Arbeitsvertrages ist der “Mantel-Tarifvertrag der Steine- und Erden-Industrie” genannt. In § 14 des Arbeitsvertrages wird auf die Vorschriften “des Tarifvertrages der Steine- und Erdenindustrie” Bezug genommen. Damit ist ersichtlich der in § 5 genannte Mantel-Tarifvertrag gemeint. Es kann damit im Ergebnis dahinstehen, ob es sich bei der Inbezugnahme um eine dynamische Klausel in dem Sinne handelt, dass der jeweilige MTV der Steine- und Erden-Industrie anwendbar ist (wofür allerdings viel spricht, vgl. dazu BAG 20. November 2001 – 1 AZR 12/01 – EzA BetrVG 1972 § 77 Nr. 70, zu I 2 der Gründe; 20. März 1991 – 4 AZR 455/90 – BAGE 67, 330, 335), oder ob die Klausel sich statisch auf den zur Zeit des Vertragsschlusses geltenden MTV 1993 bezog. Denn die hier anzuwendenden Ausschlussklauseln der beiden in Frage kommenden, zeitlich aufeinanderfolgenden Tarifverträge sind wortgleich.
c) Die Anwendbarkeit der Ausschlussfristen scheitert nicht daran, dass die Beklagte ihre Verpflichtung aus § 2 Abs. 1 Nr. 10 NachwG verletzt hätte. Denn nach dieser Vorschrift genügt ein in allgemeiner Form gehaltener Hinweis auf die Tarifverträge, die auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden sind. Dazu ist es nicht erforderlich, die einzelnen Ausschlussfristen konkret nachzuweisen (BAG 5. November 2003 – 5 AZR 676/02 – AP NachwG § 2 Nr. 7 = EzA NachwG § 2 Nr. 6, für die nahezu wortgleichen Vorschriften des § 16 BRTV-Bau). Das gilt auch dann, wenn der nachzuweisende Tarifvertrag nicht normativ, sondern nur auf Grund einzelvertraglicher Inbezugnahme gilt (BAG 23. Januar 2002 – 4 AZR 56/01 – BAGE 100, 225, 230 ff.; 17. April 2002 – 5 AZR 89/01 – BAGE 101, 75, 79). Der entsprechende Hinweis ist in § 14 des Arbeitsvertrages enthalten. Eine Nachweispflichtverletzung der Beklagten liegt nicht vor.
d) Die vom Kläger geltend gemachte Karenzentschädigung unterliegt der Ausschlussfristenregelung gemäß Ziff. 116 MTV 1998, weil der Anspruch auf Karenzentschädigung eine Forderung ist, die mit dem Arbeitsvertrag in rechtlichem und wirtschaftlichem Zusammenhang steht. Sie ist die zwischen den Parteien vereinbarte Gegenleistung für die vom Kläger für die Dauer des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots geschuldete Wettbewerbsenthaltung und setzt den Bestand des Arbeitsverhältnisses voraus (BAG 17. Juni 1997 – 9 AZR 801/95 – AP HGB § 74b Nr. 2 = EzA HGB § 74 Nr. 60, zu II 3a der Gründe).
2. Ein evtl. Anspruch des Klägers ist verfallen. Denn der Kläger hat die Ausschlussfrist gemäß Ziff. 116 MTV 1998 nicht gewahrt.
a) Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts zur Wahrung der Ausschlussfristen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
aa) Das Landesarbeitsgericht hat sich mit der Frage der konkreten, ggf. fristwahrenden Erklärungen des Klägers nicht im Einzelnen beschäftigt. Es hat auch nicht dargelegt, von welchem Beginn und Ende welcher Frist es ausgegangen ist. Stattdessen hat es eine “Gesamtwürdigung” vorgenommen und befunden, dass der Anspruchsgrund zwischen den Parteien nie im Streit gewesen sei, die Höhe der Karenzentschädigung dagegen von Anfang an durch den Kläger substantiiert bestritten worden sei. Daraus und ergänzend aus dem Inhalt der Schreiben der Beklagten vom 13. Februar, 8. und 28. März 2002 sowie den “mündlich geführten Verhandlungen” ergebe sich, dass die Beklagte sich nicht auf die Ausschlussfristen berufen dürfe.
bb) Diese Darlegungen lassen nicht erkennen, dass das Landesarbeitsgericht eine Überprüfung des Vorliegens der auch von ihm für maßgeblich gehaltenen Tatbestandsvoraussetzungen der Wahrung einer Ausschlussfrist vorgenommen hat. Bereits der Ansatz des Landesarbeitsgerichts, sich nicht mit den einzelnen Ansprüchen zu befassen, sondern eine “Gesamtwürdigung” vorzunehmen, ist unzutreffend.
Der Anspruch des Klägers auf Zahlung von Karenzentschädigung entsteht mit Schluss eines jeden Monats der vereinbarten Wettbewerbsverbotszeit, in dem der Kläger nicht ein neues Arbeitsverhältnis eingegangen ist (Ziff. 6 des Abwicklungsvertrages vom 31. Oktober 2000), neu. Dementsprechend sollte das Wettbewerbsverbot während der Karenzzeit jeweils zum Monatsende aufgehoben werden können. Gem. § 11 des Arbeitsvertrages wird die Karenzentschädigung am Schluss eines jeden Monats fällig.
Streitgegenstand sind die Ansprüche des Klägers auf die Differenz zwischen den ihm jeweils monatlich gezahlten Karenzentschädigungen und den von ihm jeweils für zutreffend gehaltenen Beträgen für die Monate April bis September 2001. Bei einer Anspruchshäufung muss sich die Geltendmachung – wenn tarifvertraglich nichts anderes geregelt ist, zB wie in § 70 Satz 2 BAT – auf jeden einzelnen Anspruch beziehen, auch wenn die Teilansprüche auf einem einheitlichen Anspruchsgrund beruhen (BAG 30. Mai 1972 – 1 AZR 427/71 – AP TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 50, zu II 1 der Gründe). Dass es dabei “nur” um die Höhe der Karenzentschädigung geht und nicht um den Anspruchsgrund, kann die Anwendung der auch vom Landesarbeitsgericht für maßgeblich gehaltenen Ausschlussfristen nicht ausschließen.
b) Der Kläger hat weder die erste noch (hilfsweise) die zweite Stufe der Ausschlussfrist für die monatlichen Ansprüche eingehalten.
aa) Die erste Stufe der Ausschlussfrist beginnt mit der Fälligkeit des Anspruchs. Der Anspruch des Klägers auf Karenzentschädigung ist nach § 11 des Arbeitsvertrages am Schluss jeden Monats fällig; die Ausschlussfrist beginnt daher an diesem Tag.
Die erste Stufe der Ausschlussfrist für die erste monatliche Karenzentschädigung betr. April 2001 begann am 30. April 2001 und endete nach zwei Monaten. Für die jeweils folgenden Monate gilt das entsprechend.
Bis Ende November 2001 lag keine schriftliche Geltendmachung des Klägers betr. eines Anspruchs über die jeweils geleisteten Zahlungen hinaus vor. Weder im Schreiben des Klägers vom 15. Mai 2001 noch in dem seines Bevollmächtigten vom 11. September 2001 ist eine Geltendmachung im Sinne von Ziff. 116 MTV 1998 zu sehen.
Die Geltendmachung muss eine ernsthafte Leistungsaufforderung darstellen. Geht es – wie vorliegend – um einen Zahlungsanspruch, muss der Anspruch grundsätzlich nach Grund und Höhe angegeben werden (BAG 17. April 2002 – 5 AZR 644/00 – AP BGB § 611 Mehrarbeitsvergütung Nr. 40 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 148). Eine ganz präzise Benennung des Betrages ist nicht erforderlich, eine ungefähre Bezifferung ist jedoch unerlässlich. Es genügt nicht, wenn der Gläubiger eine “korrekte Abrechnung” verlangt oder den Schuldner zum ”Überdenken” oder zur ”Überprüfung” auffordert. Von einer Bezeichnung der Höhe des geforderten Betrages kann nur dann abgesehen werden, wenn dem anderen Vertragspartner die Höhe eindeutig bekannt oder für ihn ohne weiteres errechenbar ist (BAG 5. Dezember 2001 – 10 AZR 197/01 – EzA TVG § 3 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 18; 30. März 1989 – 6 AZR 769/85 – EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 79) und die schriftliche Geltendmachung erkennbar davon ausgeht (BAG 26. Februar 2003 – 5 AZR 223/02 – BAGE 105, 181).
Diese Anforderungen erfüllt das Schreiben des Klägers vom 15. Mai 2001 nicht. Er weist darauf hin, dass die Karenzentschädigung alle vertraglichen Bezüge zu umfassen habe, ohne zu benennen, welche Vergütungsbestandteile bei der Berechnung der Beklagten nicht berücksichtigt worden seien. Sodann bemängelt er, dass die Beklagte bei der Ermittlung des Abzugsbetrages für Arbeitslosengeld nicht das tatsächlich nach § 148 SGB III von der Beklagten erstattete, sondern das auf der Basis eines Leistungssatzes des Arbeitsamtes berechnete zu Grunde gelegt hat. Er bittet um “eine kurze Abstimmung”, was allenfalls als Aufforderung zu einer Stellungnahme, ergänzenden Erläuterung oder – am weitesten reichend – einer Neuberechung zu verstehen ist. Dies lässt den Umfang einer möglichen Zahlungsaufforderung nicht einmal ungefähr erkennen.
Auch das Schreiben des Bevollmächtigten vom 11. September 2001 ist nicht als Geltendmachung des Zahlungsanspruchs im Sinne von Ziff. 116 MTV 1998 anzusehen. Dieses unterscheidet sich weder nach Inhalt noch nach Duktus von dem klägerischen Schreiben vom 15. Mai 2001. Die vom Kläger gegen die Berechnung angeführten Argumente werden teilweise in etwas ausführlicherer Form erneut vorgebracht, und sodann erfolgt die Bitte, die Rechtsauffassung noch einmal zu überprüfen und die Karenzentschädigung neu zu berechnen. Auch dies setzt die Beklagte nicht hinreichend über den (auch nur ungefähren) Umfang eines geltend gemachten Zahlungsanspruchs in Kenntnis.
bb) Aber selbst wenn die erste Stufe durch eines der beiden Schreiben von Klägerseite als gewahrt angesehen würde, so mangelte es darüber hinaus an der Einhaltung der zweiten Stufe der Ausschlussfrist. Denn nach Verstreichen der 14tägigen Stellungnahmefrist aus Ziff. 116 MTV 1998 beginnt die zweimonatige zweite Stufe, innerhalb derer der Anspruch gerichtlich geltend gemacht werden muss. Für das Schreiben vom 15. Mai 2001 gilt insoweit die ablehnende Antwort der Beklagten vom 5. Juni 2001. Diese Frist ist für die zum Zeitpunkt des Schreibens vom 11. September 2001 fälligen (und damit von ihm allenfalls erfassten) Ansprüche bis August 2001 spätestens zum Ende des Monats November 2001 abgelaufen. Der Anspruch für September 2001 könnte allenfalls auch von einer außergerichtlichen Geltendmachung bereits vor seiner Fälligkeit erfasst werden (zu dieser Möglichkeit BAG 27. März 1996 – 10 AZR 668/95 – AP TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 134 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 123); dann aber begänne die zweite Stufe der Frist mit der Fälligkeit des Anspruchs, also am 30. September 2001. Der Anspruch auch für September 2001 wäre damit Ende November 2001 verfallen; entsprechendes gilt für die monatlichen Karenzentschädigungen aus dem davor liegenden Zeitraum.
3. Der Beklagten ist es entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts auch auf Grund der dem 1. Dezember 2001 nachfolgenden Ereignisse nicht gem. § 242 BGB verwehrt, sich auf die Nichteinhaltung der Ausschlussfristen zu berufen. Anhaltspunkte für ein widersprüchliches Verhalten der Beklagten sind nicht ersichtlich; insbesondere hat die Beklagte den Kläger nicht von der gerichtlichen Geltendmachung des Anspruchs abgehalten. Sie hat sich bis zum Verfall der Ansprüche stets darauf bezogen, dass die von ihr vorgenommene Berechnung zutreffend sei.
Die Erklärungen, die die Beklagte in den nach Eintritt des Anspruchsverfalls verfassten Schreiben abgegeben hat, können auch nicht rückwirken auf den Zeitraum vor Eintritt des Anspruchsverfalls. Denn nur dann, wenn das Verhalten des Anspruchsgegners kausal für die Nichtgeltendmachung der Forderung war, kommt überhaupt eine treuwidrige Berufung auf die Anschlussfrist in Betracht. Ist der Anspruch aber einmal verfallen, weil keine gerichtliche Geltendmachung erfolgte, kann diese Unterlassung des Gläubigers nicht auf ein nach diesem Zeitpunkt liegendes Verhalten des Schuldners zurückgeführt werden. Gleiches gilt für die vom Landesarbeitsgericht nicht näher spezifizierten Gespräche zwischen den Parteien nach dem erneuten Schreiben der Klägervertreter vom 4. Dezember 2001. Denn abgesehen davon, dass es insoweit an den notwendigen Tatsachenfeststellungen des Landesarbeitsgerichts mangelt, waren alle Ansprüche des Klägers bereits zu diesem Zeitpunkt verfallen.
4. Das angefochtene Urteil erweist sich auch nicht aus anderem Grunde als richtig. Denn der vom Kläger geltend gemachte Zahlungsanspruch steht ihm unter keinen denkbaren Umständen zu. Er kann sich zur Begründung seines Zahlungsanspruchs auch nicht auf eine andere Anspruchsgrundlage berufen. Insbesondere liegt in der nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts anzunehmenden später erklärten Bereitschaft der Beklagten zu einer Neuabrechnung und entsprechender Zahlung kein Schuldversprechen oder Schuldanerkenntnis (§§ 780, 781 BGB), auf das der Kläger einen Zahlungsanspruch stützen könnte. Denn die Beklagte hat damit (allenfalls) zugesagt, für den Fall eine neue Berechnung der Karenzentschädigung vorzunehmen, dass der Kläger die von ihr erbetenen Unterlagen bei ihr einreicht. Hierauf lässt sich ein Zahlungsanspruch nicht stützen, schon weil völlig unklar ist, zu welcher Berechnung die Beklagte gekommen wäre, wenn der Kläger – was er darüber hinaus nicht getan hat – die angeforderten Unterlagen eingereicht hätte.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
Unterschriften
Dr. Freitag, Brühler, Creutzfeldt, Dr. Freitag, Lindemann
Die Amtszeit der ehrenamtlichen Richterin Frau Ließ ist beendet.
Fundstellen
Haufe-Index 1444034 |
NZA 2005, 1319 |
ZTR 2006, 140 |
AP, 0 |
EzA-SD 2005, 16 |
EzA |
NJOZ 2005, 4750 |