Entscheidungsstichwort (Thema)
Umdeutung einer unwirksamen Betriebsvereinbarung
Normenkette
BGB §§ 140, 151, 611 Abs. 1; BetrVG § 77 Abs. 3, § 87 Abs. 1 Nr. 10
Verfahrensgang
LAG Hamm (Urteil vom 27.04.1988; Aktenzeichen 3 Sa 1864/87) |
ArbG Gelsenkirchen (Urteil vom 21.07.1987; Aktenzeichen 2 Ca 1914/87) |
Tenor
1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 27. April 1988 – 3 Sa 1864/87 – wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte berechtigt ist, eine tarifliche Gehaltserhöhung auf eine übertariflich gewährte Zulage anzurechnen.
Die Klägerin ist seit April 1964 in der Arzneimittelgroßhandlung der Beklagten als Angestellte beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden die Tarifverträge für die Arbeitnehmer im Groß- und Außenhandel Nordrhein-Westfalen Anwendung.
Am 27. März 1974 schloß die Beklagte mit dem Betriebsrat die folgende
„BETRIEBSVEREINBARUNG NR. 4
Geschäftsleitung und Betriebsrat schließen folgende unkündbare Vereinbarung:
- Soweit die Firma ihren Mitarbeitern zusätzlich zum Tariflohn bzw. -gehalt eine übertarifliche Zahlung (ÜTZ) zugesagt hat bzw. zusagen wird, soll diese wie durch Tarifvertrag abgesichert gelten unter Maßgabe der Vereinbarungen nach Ziffer 2 und 3.
- Als ÜTZ gelten nur als solche ausgewiesene Zulagen. Funktions- und Leistungszulagen insbesondere sind nicht Gegenstand dieser Vereinbarung.
- Falls die Tarifpartner gegenwärtig oder zukünftig kostenneutrale Vorweganhebungen beschließen, werden die ÜTZ darauf angerechnet. Gleiches gilt bei grundsätzlichen Neuordnungen des Lohn- und Gehaltskatalogs.
- Es gilt als vereinbart, daß gegenwärtige oder zukünftige Tariferhöhungen immer nur den tariflichen Bestandteil des vertraglich abgesicherten Lohnes bzw. Gehaltes als Basis haben können”.
Die Beklagte erhöhte in der Folgezeit das Gehalt der Klägerin entsprechend der Tarifentwicklung. Eine Anrechnung auf die ihr gewährte übertarifliche Zulage erfolgte nicht. Mit Schreiben vom. 13. März 1987 teilte die Beklagte der Klägerin jedoch folgendes mit:
„BETREFF:
Neufestsetzung Ihrer Bezüge
Sehr geehrte Frau W., aufgrund der derzeitigen wirtschaftlichen Situation unseres Unternehmens müssen wir zu unserem Bedauern die per 01. März 1987 anstehende Tariferhöhung von 1,7 % gegen die bestehende übertarifliche Zulage verrechnen. Wir bitten um Ihr Verständnis.
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Bezüge Februar 1987 DM |
Bezüge März 1987 DM |
Tarifgehalt |
2.235,– |
2.273,– |
übertarifliche Zulage |
40,– |
2,– |
freiwillige Zulage |
– |
– |
Funktionszulage |
100,– |
100,– |
Leistungszulage |
– |
– |
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2.375,– |
2.375,– |
Mit freundlichen Grüßen”
Durch Beschluß vom 12. Mai 1987 – 2 BV 18/87 – entschied das Arbeitsgericht Gelsenkirchen, die Betriebsvereinbarung vom 27. März 1974 sei gemäß § 77 Abs. 3, § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG unwirksam. Dieser Beschluß wurde rechtskräftig. Die Parteien gehen von der Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung aus.
Die Klägerin hat geltend gemacht, die Beklagte sei nicht berechtigt, die übertarifliche Zulage in der mit Schreiben vom 13. März 1987 angekündigten Weise zu verrechnen. Sie verlangt daher die Nachzahlung der für die Monate März bis Juni 1987 abgezogenen Beträge von insgesamt 152,– DM brutto.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 152,– DM brutto zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, sie sei zu der vorgenommenen Verrechnung befugt gewesen, nachdem die Betriebsvereinbarung vom 27. März 1974 sich als unwirksam herausgestellt habe. Eine andere Rechtsgrundlage für das Zahlungsverlangen der Klägerin bestehe nicht.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision, mit der die Beklagte ihr Ziel der Klageabweisung weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Der Klägerin steht der erhobene Anspruch zu.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Betriebsvereinbarung sei unwirksam, weil ihre Regelungen in Ziffer 1 a und Ziffer 2 Arbeitsbedingungen beträfen, die durch die für den Betrieb der Beklagten maßgeblichen Tarifverträge geregelt würden. Die Nichtigkeit der genannten Regelungen führe zur Nichtigkeit der gesamten Betriebsvereinbarung. Gleichwohl sei die Klageforderung begründet. Denn die Parteien hätten die Anrechnung von Tariferhöhungen auf die übertarifliche Zulage durch vertragliche Vereinbarung ausgeschlossen. Die Auslegung der nichtigen Betriebsvereinbarung ergebe nämlich, daß diese entsprechend § 140 BGB in ein gebündeltes Vertragsangebot an alle Arbeitnehmer mit übertariflichen Zulagen umzudeuten sei und die Arbeitnehmer dieses Angebot stillschweigend angenommen hätten (§ 151 BGB).
Dem ist zu folgen.
II. Auch wenn man mit dem Landesarbeitsgericht und den Parteien im Anschluß an die Entscheidung des Arbeitsgerichts Gelsenkirchen vom 12. Mai 1987 – 2 BV 18/87 – davon ausgeht, daß die Betriebsvereinbarung vom 27. März 1974 nach § 77 Abs. 3, § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG, § 134 BGB unwirksam ist, steht der Klägerin der erhobene Anspruch aufgrund einzelvertraglicher Regelung zu.
1. Eine unwirksame Betriebsvereinbarung kann durch Umdeutung analog § 140 BGB zum Inhalt der Einzelverträge der Arbeitnehmer werden. Das ist von der Rechtsprechung bereits mehrfach erörtert worden (vgl. BAG Urteil vom 13. August 1980 – 5 AZR 325/78 – AP Nr. 2 zu § 77 BetrVG 1972, zu III 1 a und b der Gründe; BAGE 49, 151, 159 = AP Nr. 14 zu § 77 BetrVG 1972, zu 4 b der Gründe; BAG Urteil vom 14. November 1984 – 5 AZR 262/82 –, nicht veröffentlicht, zu II 2 der Gründe; BAG Urteil vom 5. Dezember 1984 – 5 AZR 531/83, –, nicht veröffentlicht, zu II 1 c der Gründe; BAG Urteil vom 9. Juni 1988 – 8 AZR 752/85 –, nicht veröffentlicht, zu I 3 b der Gründe) und wird auch in der Literatur als möglich bejaht (vgl. Wiedemann/Stumpf, TVG, 5. Aufl., § 4 Rz 289; Fitting/Auffarth/Kaiser/Heither, BetrVG, 15. Aufl., § 77 Rz 66, 66 a; Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, 3. Aufl., § 77 Rz 93; v. Hoyningen-Huene, DB 1984, Beilage Nr. 1, S. 8; Galperin/Löwisch, BetrVG, 6. Aufl., § 77 Anm. 89; Stadler, BB 1971, 709, 711; a.A. Thiele, GK-BetrVG, 3. Bearb., § 77 Rz 111). Im Einzelfall kann dies geschehen aufgrund gebündelter Vertragsangebote des Arbeitgebers mit stillschweigender Annahme (§ 151 BGB) durch die Arbeitnehmer, aufgrund einer Gesamtzusage des Arbeitgebers oder aufgrund betrieblicher Übung.
2. Für eine Umdeutung ist in jedem Falle aber Voraussetzung ein besonderer Verpflichtungswille des Arbeitgebers, der über die Erklärung, eine Betriebsvereinbarung abschließen zu wollen, erkennbar hinausgeht. Zu Recht wird in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß Arbeitgeber und Betriebsrat sich von einer Betriebsvereinbarung durch Kündigung lösen können, ohne daß die Arbeitsverträge berührt werden, während eine Kündigung der Arbeitsverträge regelmäßig nur unter erschwerten Umständen möglich ist (Stadler, BB 1971, 709, 711, 712; Hess/Schlochauer/Glaubitz, a.a.O., § 77 Rz 93). So hat auch die Rechtsprechung strenge Anforderungen an die Annahme eines Verpflichtungswillens des Arbeitgebers gestellt und immer wieder betont, bei einer irrtümlichen fehlerhaften Normanwendung allein könne ohne das Vorhandensein besonderer Umstände von einem solchen Verpflichtungswillen nicht ausgegangen werden (vgl. Senatsurteil vom 13. August 1980 – 5 AZR 325/78 – AP Nr. 2 zu § 77 BetrVG 1972, zu III 1 a und b der Gründe; sowie Senatsurteil vom 14. November 1984 – 5 AZR 262/82 – zu II 2 a der Gründe, m.w.N.).
III. Derartige besondere Umstände hat das Landesarbeitsgericht im Streitfall jedoch festgestellt und seiner Würdigung zugrunde gelegt.
1. Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, die Beklagte habe die Betriebsvereinbarung freiwillig geschlossen, d.h. also ohne vom Betriebsrat dazu gedrängt worden zu sein. Der Abschluß der Betriebsvereinbarung sei zudem erfolgt, um ihre Arbeitnehmer bei künftigen Tarifbewegungen wegen ihrer übertariflichen Zulagen zufriedenzustellen. Das Landesarbeitsgericht hat insoweit auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils verwiesen, wo als unstreitig festgestellt ist, daß im Betrieb der Beklagten im Jahre 1974 erhebliche Unruhe entstanden sei, weil festgestellt wurde, daß eine erhebliche Zahl von Betriebsangehörigen übertariflich bezahlt werde. Es habe die Befürchtung bestanden, daß die Beklagte künftig die übertariflichen Vergütungsbestandteile kürzen würde. Um eine Befriedung herbeizuführen, sei dann die Betriebsvereinbarung vom 27. März 1974 abgeschlossen worden. Schließlich hat das Landesarbeitsgericht noch besonders darauf hingewiesen, daß sich die Betriebsvereinbarung schon in ihrem Einleitungssatz als unkündbare Vereinbarung bezeichnet.
Die Revision hat die tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht mit Verfahrensrügen im Sinne von § 554 Abs. 3 Nr. 3 b ZPO angegriffen, so daß sie für den Senat bindend sind (§ 561 Abs. 2 ZPO).
2. Aus den von ihm festgestellten besonderen Umständen, die zum Abschluß der Betriebsvereinbarung geführt haben, hat das Landesarbeitsgericht den Schluß gezogen, daß die Beklagte freiwillig, unbedingt und unwiderruflich eine Anrechnungsfestigkeit der ihren Arbeitnehmern gewährten übertariflichen Zulagen mit der Betriebsvereinbarung habe bewirken wollen und dies bei Kenntnis der Nichtigkeit der Betriebsvereinbarung durch ein gebündeltes Angebot an die Arbeitnehmer ebenfalls getan hätte. Diese rechtliche Bewertung durch das Landesarbeitsgericht ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Sie folgt den unter II aufgeführten Grundsätzen und läßt einen revisionsrechtlich erheblichen Fehler nicht erkennen.
Unterschriften
Dr. Thomas, Dr. Gehring, Dr. Olderog, Fischer, Nitsche
Fundstellen