Leitsatz (redaktionell)
Die Spesenregelung nach § 8 Nr. 2 und 3 des Bezirksmanteltarifvertrags für die gewerblichen Arbeitnehmer im privaten Güterverkehrsgewerbe Nordrhein-Westfalens vom 30. Juni 1988 stellt darauf ab, ob der Arbeitnehmer im Güternah- oder Güterfernverkehr tätig ist. Dabei kommt es auf die Nahzone im Sinne des § 2 Abs. 2 Güterkraftverkehrsgesetz (GüKG) an. Sie ist vom Standort des Kraftfahrzeugs aus zu berechnen. Dies gilt auch für den sog. angenommenen Standort (§ 6 a Abs. 1 GüKG).
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger verlangt für die Monate Juni bis einschließlich Oktober 1992 höhere Spesen. Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger im Güternah- oder Güterfernverkehr tätig war.
Seit 7. Oktober 1991 ist der Kläger als Kraftfahrer bei der Beklagten, einem Speditions- und Transportunternehmen, beschäftigt. Im Jahre 1992 begannen und endeten die Lkw-Fahrten des Klägers regelmäßig am Betriebssitz der Beklagten in Gelsenkirchen. Der Lkw wurde in Hürth, Frechen und Bergheim (Erftkreis) mit Kohle beladen und in Geseke entladen. Gemäß § 6 a Güterkraftverkehrsgesetz (GüKG) hatte die Beklagte nicht ihren Sitz oder eine geschäftliche Niederlassung, sondern Dortmund als Standort bestimmt. Bis Ende Mai 1992 war Nahzone i.S.d. § 2 Abs. 2 GüKG das Gebiet innerhalb eines Umkreises von 50 km, gerechnet in der Luftlinie vom Mittelpunkt des Standortes des Kraftfahrzeugs aus. Durch Gesetz vom 21. Februar 1992 (BGBl. I S. 287) wurde die Nahzone ab 27. Mai 1992 von 50 km auf 75 km erweitert. Die vom Kläger angefahrenen Orte liegen, vom Standort Dortmund aus gesehen, in der nunmehrigen Nahzone. Seit 1. Juni 1992 zahlte die Beklagte dem Kläger nur noch Spesen nach den Regelungen für den Güternahverkehr.
Nach § 10 des zwischen den Parteien geschlossenen Formulararbeitsvertrages gelten "für das Arbeitsverhältnis ... die Bestimmungen des Bezirksmanteltarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer des Speditions-, Lagerei- und Transportgewerbes des Landes NW bzw. des Bundes-Manteltarifvertrages für den Güterfernverkehr in der jeweiligen Fassung". Der Bezirksmanteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer im privaten Güterverkehrsgewerbe Nordrhein-Westfalens vom 30. Juni 1988 (BezMTV) bestimmte u.a.:
"§ 8
Zulagen und Spesen
1. Mit den Spesen ist der Mehraufwand unter Berücksichtigung der zu Hause eingesparten Kosten abgegolten.
2. Kraftfahrer und Beifahrer im Güter- und Möbelfernverkehr erhalten unter Beachtung lohnsteuerrechtlicher Vorschriften für die Zeit, in der sie vom Sitz des Betriebes oder vom Standort des Fahrzeuges abwesend sind, folgende Spesensätze:
bei einer Abwesenheit von über 5 - 7 Stunden DM 10,30
bei einer Abwesenheit von über 7 - 12 Stunden DM 16,50
bei einer Abwesenheit von über 12 - 18 Stunden DM 28,00
bei einer Abwesenheit von über 18 Stunden DM 32,50
...
3. Bei auswärtigen Arbeiten im Nahverkehr (50 km) von mehr als 5stündiger Dauer täglich, wenn keine Gelegenheit besteht, sich zu Hause oder an der ständigen Arbeitsstätte zu verpflegen, sind unter Beachtung lohnsteuerrechtlicher Vorschriften folgende im gesamten Tarifgebiet gleichmäßige Spesensätze zu zahlen:
für Mittagessen DM 8,00 nach 14.00 Uhr
für Abendessen DM 8,00 nach 21.00 Uhr
für Frühstück DM 5,50 nach Übernachtung.
...
§ 16
Schlußbestimmungen
1. Die Bestimmungen dieses Tarifvertrages, soweit sie überwiegend im Güter- und Möbelfernverkehr beschäftigte Kraftfahrer und Beifahrer betreffen, sind für die Dauer der Geltung des Bundes-Manteltarifvertrages für den Güter- und Möbelfernverkehr - BMT-Fernverkehr - in der jeweils gültigen Fassung suspendiert, ausgenommen die Bestimmungen des § 3 Nr. 1 c, § 9 Nr. 8 bis 10, § 10.
..."
Der Bundes-Manteltarifvertrag für den Güter- und Möbelfernverkehr vom 14. Juli 1988 (BMTV) regelt seinen Geltungsbereich wie folgt:
"§ 1
...
(2) Fachlich: für alle Betriebe des privaten Verkehrsgewerbes, soweit sie Güterfernverkehr und Umzugsverkehr im Fernbereich - im folgenden Fernverkehr genannt - nach dem GüKG in der jeweils gültigen Fassung betreiben;
(3) Persönlich: für alle Kraftfahrer und Beifahrer, die überwiegend im Fernverkehr tätig sind. Für alle übrigen gewerblichen Arbeitnehmer gelten die bezirklichen Tarifverträge für das private Verkehrsgewerbe (Güternahverkehr, Fuhrgewerbe, Spedition und Lagerei, Möbeltransport).
..."
Der Kläger hat gemeint, sein Spesenanspruch richte sich nach den tarifvertraglichen Regelungen für den Güterfernverkehr. Nach § 8 Nr. 3 BezMTV belaufe sich die Nahverkehrszone unabhängig von den Änderungen des GüKG auf 50 km. Im übrigen komme es nicht auf den angenommenen Standort, sondern auf den Betriebssitz an, von dem aus er täglich die Fahrten angetreten habe. Der Kläger hat den rechnerisch unstreitigen Unterschiedsbetrag zwischen den gezahlten und den nach § 8 Nr. 2 BezMTV berechneten Spesen verlangt und beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.100,50 DM an weiteren Spesen für Juni bis einschließlich Oktober 1992 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Kläger sei nicht im Güterfernverkehr tätig gewesen. Sowohl der BezMTV als auch der BMTV knüpften an die Vorschriften des Güterkraftverkehrsgesetzes an. Die Erweiterung der Nahverkehrszone in § 2 GüKG erfasse die tarifvertraglichen Spesenregelungen. Bei der Zonenberechnung müsse der vom Arbeitgeber bestimmte Standort zugrunde gelegt werden. Dies gelte auch für den angenommenen Standort nach § 6 a GüKG.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger kann nicht die Spesensätze für Kraftfahrer im Güterfernverkehr nach § 8 Nr. 2 BezMTV oder dem inhaltsgleichen § 15 Abs. 2 BMTV, sondern lediglich die Spesen für auswärtige Arbeiten im Nahverkehr (§ 8 Nr. 3 BezMTV) verlangen. Diesen Anspruch hat die Beklagte unstreitig erfüllt.
I. Die Spesensätze sind in § 8 Nr. 2 und 3 BezMTV umfassend und lückenlos geregelt. Die Kraftfahrer erhalten ihre Spesen entweder nach § 8 Nr. 2 oder nach § 8 Nr. 3 BezMTV (BAG Urteil vom 10. Mai 1994 - 3 AZR 721/93 - AP Nr. 3 zu § 1 TVG Tarifverträge: Verkehrsgewerbe, zu B II 1 der Gründe). Soweit ein Kraftfahrer im Nahverkehr i.S.d. § 8 Nr. 3 BezMTV tätig ist, erhält er keine Spesen nach § 8 Nr. 2 BezMTV.
II. Die tarifliche Nahverkehrszone des § 8 Nr. 3 BezMTV beläuft sich seit dem 27. Mai 1992 auf 75 km. Bereits im Urteil vom 10. Mai 1994 (- 3 AZR 721/93 -, aaO, zu B II 2 der Gründe) hat der Senat darauf hingewiesen, daß der in § 8 Nr. 3 BezMTV enthaltene Klammerzusatz "(50 km)" hinter dem Wort Nahverkehr nicht dazu dient, die maßgebliche Nahzone eigenständig festzulegen. Die tarifliche Abgrenzung des Güternah- und Güterfernverkehrs sollte nicht vom Güterkraftverkehrsgesetz losgelöst werden. Der Klammerzusatz weist lediglich auf die bei Tarifabschluß geltende Gesetzeslage hin. Daran hält der Senat fest.
III. § 8 Nr. 2 und 3 BezMTV knüpft an die Nahzone i.S.d. § 2 Abs. 2 GüKG an. Sie ist vom Standort des Kraftfahrzeugs aus zu berechnen. Nach § 6 a Abs. 1 GüKG hat die von der Landesregierung bestimmte Behörde auf Antrag des Unternehmers einen Ort als Standort zu bestimmen, an dem der Unternehmer weder den Sitz seines Unternehmens noch eine geschäftliche Niederlassung hat. Auch dieser sog. angenommene Standort ist für die tarifliche Spesenregelung maßgebend.
1. Der BezMTV spricht von Güterfernverkehr und Güternahverkehr, ohne diese Begriffe selbst zu definieren. Einen festumrissenen allgemeinen Sprachgebrauch gibt es nicht. Im Anwendungsbereich des BezMTV findet sich aber eine branchenspezifische gesetzliche Begriffsbestimmung (§§ 2 und 3 GüKG). Verwenden die Tarifvertragsparteien einen gesetzlich definierten Rechtsbegriff, so ist grundsätzlich anzunehmen, daß er auch innerhalb der Tarifnorm diesen Inhalt haben soll (BAG Urteil vom 28. April 1993 - 4 AZR 329/92 - AP Nr. 16 zu § 611 BGB Croupier, zu II 3 b der Gründe; Urteil vom 23. Februar 1995 - 6 AZR 615/94 - AP Nr. 5 zu § 42 TVAL II, zu 1 der Gründe). Soweit die Tarifvertragsparteien etwas anderes bestimmen wollen, bringen sie dies in der Regel unmißverständlich zum Ausdruck.
2. Entgegen der Ansicht des Klägers läßt sich dem Wortlaut des § 8 Nr. 2 und 3 BezMTV nicht entnehmen, daß die Tarifvertragsparteien den Begriff des Güterfernverkehrs ausdehnen und den Begriff des Güternahverkehrs einschränken wollten. Der "Sitz des Betriebs" gewinnt nach § 8 Nr. 2 BezMTV erst bei der Berechnung der Abwesenheitszeit Bedeutung. Zwischen den Voraussetzungen und der Höhe des Anspruchs muß unterschieden werden, wie das Landesarbeitsgericht richtig erkannt hat. Auf die Abwesenheitszeiten des § 8 Nr. 2 BezMTV kommt es nur dann an, wenn überhaupt ein Güterfernverkehr vorliegt. Mit der Abgrenzung des Güterfernverkehrs vom Güternahverkehr befaßt sich § 8 Nr. 2 BezMTV nicht.
3. Die Auffassung des Klägers, daß § 8 Nr. 2 BezMTV einen weiteren Begriff des Güterfernverkehrs verwendet als § 3 GüKG, ist mit § 16 BezMTV nicht zu vereinbaren. Nach dieser Vorschrift kommt es für die Anwendbarkeit des BezMTV auf die Abgrenzung zwischen Güternah- und Güterfernverkehr an, wie sie der Bundes-Manteltarifvertrag für den Güter- und Möbelfernverkehr (BMTV) vornimmt. Der BezMTV ist in seiner Wirkung ausgesetzt, soweit der BMTV anwendbar ist. § 1 BMTV stellt darauf ab, ob überwiegend Güterfernverkehr nach dem Güterkraftverkehrsgesetz in seiner jeweiligen Fassung betrieben wird. Diese zulässige dynamische Verweisung gilt nicht nur für die Bestimmung der Geltungsbereiche der beiden Tarifverträge. Auch innerhalb der Tarifverträge ist das Güterkraftverkehrsgesetz in seiner jeweiligen Fassung maßgeblich. Nur so wird die von den Tarifvertragsparteien angestrebte Geschlossenheit durchgehalten und werden Wertungswidersprüche vermieden (BAG Urteil vom 10. Mai 1994 - 3 AZR 721/93 - AP Nr. 3 zu § 1 TVG Tarifverträge: Verkehrsgewerbe, zu B II 2 c der Gründe).
4. Gegen die vom Kläger vertretene Auslegung spricht auch, daß der angenommene Standort (§ 6 a) bereits in der Neufassung des Güterkraftverkehrsgesetzes vom 6. August 1975 (BGBl. I S. 2132) enthalten war. Trotzdem sahen die Tarifvertragsparteien im BezMTV vom 30. Juni 1988 keinen Anlaß, den sog. angenommenen Standort auszunehmen und insoweit vom Nahzonenbegriff des § 2 GüKG abzuweichen.
5. Sinn und Zweck der tariflichen Spesenregelung erfordern es nicht, einen nach § 6 a GüKG angenommenen Standort unberücksichtigt zu lassen.
a) Eine erweiternde Auslegung des § 8 Nr. 2 BezMTV läßt sich entgegen der Ansicht des Klägers nicht damit begründen, daß § 8 Nr. 2 und 3 BezMTV die Beachtung der lohnsteuerrechtlichen Vorschriften verlangt. Dadurch wird vermieden, daß für die als Aufwendungsersatz geleisteten Zahlungen Lohnsteuer anfällt. Dabei handelt es sich allenfalls um eine Begrenzung der Spesenhöhe. Das Lohnsteuerrecht enthält keine Kriterien für die Abgrenzung von Güternah- und Güterfernverkehr. Diese Unterscheidung ist lohnsteuerrechtlich nicht entscheidend. Der als Werbungskosten anzuerkennende Aufwand eines Arbeitnehmers im Güternahverkehr kann ebenso hoch oder höher liegen als der eines Kollegen im Güterfernverkehr.
b) Die unterschiedlichen Zuschlags-, Zulagen- und Spesenregelungen erklären sich nicht zuletzt daraus, daß der Unternehmer im Güterfern- und Güternahverkehr von den Kunden unterschiedliche Tarife verlangen kann. Rechtlich ist es nicht zu beanstanden, daß die Tarifvertragsparteien neben den sonstigen Unterschieden auch den niedrigeren Tarifen im Güternahverkehr Rechnung getragen haben und die Ausgleichsleistungen im Güternahverkehr insgesamt gesehen ungünstiger ausfallen als im Güterfernverkehr. Für die Tarifgestaltung gegenüber den Kunden spielt es keine Rolle, weshalb Güternahverkehr vorliegt. Folgerichtig ist bei der tarifvertraglichen Nahzonenberechnung auch ein nach § 6 a GüKG angenommener Standort zugrunde zu legen.
6. Die unveränderte Übernahme des gesetzlichen Begriffs des Güternah- und Güterfernverkehrs führt auch zu vernünftigen und praktisch brauchbaren Ergebnissen. Abgrenzungsschwierigkeiten werden vermieden. Der maßgebliche Standort ist für alle Beteiligten leicht zu erkennen. Über die Bestimmung des Standorts ist nach § 6 Abs. 3 GüKG eine amtliche Bescheinigung zu erteilen, die bei allen Fahrten im Kraftfahrzeug mitzuführen ist.
7. Entgegen der Auffassung des Klägers wird dem Arbeitgeber nicht die Möglichkeit eröffnet, durch Schaffung von Scheintatbeständen die Voraussetzungen des Güterkraftverkehrsgesetzes zu umgehen. § 6 a GüKG ermächtigt den Unternehmer nicht, den Standort ohne weitere Überprüfung einseitig festzulegen. Die zuständige Behörde darf dem Antrag des Unternehmers nur dann stattgeben, wenn die Voraussetzungen des § 6 a GüKG erfüllt sind.
IV. Der Kläger hat die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.
Fundstellen
Haufe-Index 438698 |
BB 1998, 1012 |
DB 1998, 1335 |
NZA 1998, 781 |
RdA 1998, 250 |
AP, 0 |
ArbuR 1998, 252 |