Entscheidungsstichwort (Thema)
Beihilfefähigkeit. Sonderkindergarten
Leitsatz (amtlich)
- Nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 BhV ist der Beihilfeanspruch für eine ärztlich angeordnete Heilbehandlung beschränkt, wenn mit dieser zugleich in erheblichem Umfang allgemeinbildende Zwecke verfolgt werden.
- Die ärztlich verordnete Betreuung in einem Sonderkindergarten für behinderte Kinder ist eine Heilbehandlung. Durch sie werden in der Regel in erheblichem Umfang allgemeinbildende Zwecke verfolgt; für das Gegenteil ist im Einzelfall der Beihilfeberechtigte, der die Leistung in unbeschränkter Höhe fordert, darlegungs- und beweispflichtig.
Normenkette
BAT § 40; BSHG § 90; ZPO § 286; Beihilfevorschriften für das Land Niedersachsen (BhV) § 6 Abs. 1 Nr. 3
Verfahrensgang
LAG Niedersachsen (Urteil vom 12.07.1989; Aktenzeichen 5 (10) Sa 1651/88) |
ArbG Lüneburg (Urteil vom 26.08.1988; Aktenzeichen 1 Ca 146/88) |
Tenor
- Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 12. Juli 1989 – 5 (10) Sa 1651/88 – wird zurückgewiesen.
- Die Kosten der Revision hat der Kläger zu tragen.
Von Rechtswegen!
Tatbestand
Der Kläger macht gegen die Beklagte einen Anspruch aus übergegangenem Recht geltend.
Auf das Arbeitsverhältnis der bei der Beklagten als Angestellte beschäftigten Frau Waltraud S… findet aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) Anwendung. Nach § 40 BAT werden für die Gewährung von Beihilfen in Krankheits-, Geburts- und Todesfällen die bei dem Arbeitgeber jeweils geltenden Bestimmungen angewendet.
Die im Jahre 1983 geborene Tochter J… der Angestellten S… ist körperbehindert. Sie hat einen angeborenen Turmschädel und leidet an cerebralen Bewegungsstörungen. Ihre Entwicklung ist allgemein und ihre sprachliche Entwicklung erheblich retardiert. Aufgrund einer schriftlichen Stellungnahme des Landesarztes für Körperbehinderte vom 26. Juni 1986, in der eine Förderung und Eingliederung in einen Sonderkindergarten für körperbehinderte Kinder zur umfassenden Therapie als dringend notwendig angesehen wurde, wurde das Kind J… im Sonderkindergarten für körperlich behinderte Kinder der Gemeinnützigen Gesellschaft für paritätische Sozialarbeit-B… mbH in L… betreut. Außerdem wurden außerhalb des Sonderkindergartens krankengymnastische, beschäftigungs- und sprachtherapeutische Heilbehandlungen durchgeführt.
Der Kläger ist als Sozialhilfeträger für die Unterbringungskosten des Kindes J… im Sonderkindergarten in der Zeit vom 1. Juli 1986 bis 30. April 1987 in Höhe von 29.450,-- DM aufgekommen und hat den vermeintlichen Beihilfeanspruch der Mutter des Kindes gegen die Beklagte nach § 90 BSHG auf sich übergeleitet. Er stützt diesen Anspruch auf § 6 Abs. 1 Nr. 3 der Beihilfevorschriften für das Land Niedersachsen (BhV). Darin heißt es:
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Die Beklagte hat die Beihilfefähigkeit der Aufwendungen in Höhe von 20,-- DM pro Tag anerkannt und darüber hinausgehende Zahlungen abgelehnt. Die Aufwendungen für die Heilbehandlungen außerhalb des Sonderkindergartens wurden gesondert abgerechnet.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, daß alle Aufwendungen für die Unterbringung des Kindes J… im Sonderkindergarten beihilfefähig seien. Es handele sich um Aufwendungen für Heilbehandlungen, bei denen die Begrenzung auf 20,-- DM pro Tag nicht in Betracht komme. Im Sonderkindergarten seien die krankengymnastischen, beschäftigungs- und sprachtherapeutischen Maßnahmen fortgesetzt worden. Damit sei das Kind J… nicht wie in einem sonstigen Kindergarten betreut, sondern heilpädagogisch behandelt worden. Heilbehandlungen bei einem behinderten Kind im Vorschulalter verfolgten nicht in erheblichem Umfang allgemeinbildende Zwecke, sondern dienten dazu, körperliche, geistige und seelische Einschränkungen, in denen die Gesundheitsschädigung zum Ausdruck komme, auszugleichen und zu lindern.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 15.034,-- DM nebst 4 % Zinsen seit dem 26. August 1987 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, daß die Aufwendungen für die Unterbringung des Kindes J… im Sonderkindergarten über den Tagessatz von 20,-- DM hinaus nicht beihilfefähig seien. Selbst wenn die Betreuung des Kindes im Sonderkindergarten als Heilbehandlung anzusehen sei, würden mit ihr in erheblichem Umfang allgemeinbildende Zwecke verfolgt. Ein Sonderkindergarten diene wie jeder Kindergarten der Förderung der kindlichen Entwicklung durch erzieherische und sonstige Maßnahmen. Dies seien allgemeinbildende Zwecke im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 3 Halbsatz 2 BhV. Außerdem habe der Kläger die geltend gemachten Aufwendungen nicht hinreichend spezifiziert.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben zu Recht erkannt, daß die Aufwendungen für die Unterbringung des Kindes J… im Sonderkindergarten nur in Höhe von 20,-- DM pro Tag beihilfefähig sind.
I. Das Landesarbeitsgericht nimmt an, die Betreuung im Sonderkindergarten sei wegen der Behinderung des Kindes als Heilbehandlung im Sinne von § 6 Abs. 1 Nr. 3 BhV anzusehen. Diese diene jedoch in erheblichem Umfang allgemeinbildenden Zwecken. Die therapeutischen Bemühungen im Sonderkindergarten seien dazu bestimmt, die Behinderung des Kindes J… auszugleichen und die auf ihr beruhenden Folgen nach Möglichkeit zu beseitigen oder zu lindern. Die Fähigkeiten des behinderten Kindes sollten ausgebildet und entwickelt werden, damit es bessere Möglichkeiten gewinne, sich in seiner Umwelt zurecht zu finden. Damit würden Ziele verfolgt, die jeder Bildungsvermittlung immanent und geeignet seien, den Besuch von (Sonder-)schulen vorzubereiten. Allgemeinbildende Zwecke könnten auch bei Maßnahmen außerhalb eines schulischen Unterrichts verfolgt werden.
II. Diesen Erwägungen des Landesarbeitsgerichts ist zuzustimmen. Aus ihnen ergibt sich die Beschränkung der Beihilfefähigkeit.
1. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß der Kläger, der als Sozialhilfeträger für die Aufwendungen aufgekommen ist, den Beihilfeanspruch der Mutter des Kindes auf sich übergeleitet hat (§ 90 BSHG). Der Kläger erwarb dadurch den Anspruch jedoch nur in der Höhe, in der er gegen die Beklagte bestand.
2. Der Beihilfeanspruch der Mutter des Kindes gegenüber der Beklagten hat seine Rechtsgrundlage in § 40 BAT. Diese tarifliche Bestimmung verweist auf die bei dem Arbeitgeber geltenden Bestimmungen und damit auf die Beihilfevorschriften des Landes Niedersachsen, die denen des Bundes entsprechen. Nach § 6 Abs. 3 Nr. 3 BhV sind Aufwendungen für eine vom Arzt schriftlich angeordnete Heilbehandlung grundsätzlich in vollem Umfange beihilfefähig. Eine Beschränkung der Beihilfefähigkeit der Aufwendungen ist jedoch in § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 3 Halbsatz 2 BhV bei Heilbehandlungen vorgesehen, mit denen zugleich in erheblichem Umfang allgemeinbildende Zwecke verfolgt werden.
a) In Übereinstimmung mit der Auffassung der Parteien geht das Landesarbeitsgericht zutreffend davon aus, daß beim Kind Jennifer im Sonderkindergarten im Klagezeitraum aufgrund schriftlicher ärztlicher Anordnung Heilbehandlungen im Sinne von § 6 Abs. 1 Nr. 3 BhV vorgenommen wurden.
Unter Heilbehandlung im Sinne der Beihilfevorschrift ist jede zur Wiedererlangung der Gesundheit, der Besserung oder Linderung von Leiden oder zur Beseitigung von Körperschäden dienende Maßnahme zu verstehen (vgl. Ahrens/Beisel, Das neue Beihilferecht, S. 53). Dazu gehören auch die in § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 BhV ausdrücklich genannten Maßnahmen, wie Massagen, Bestrahlungen, Krankengymnastik, Bewegungs-, Beschäftigungs- und Sprachtherapie. Zwar erfolgte eine krankengymnastische, beschäftigungs- und sprachtherapeutische Behandlung des Kindes außerhalb des Sonderkindergartens und wurde auch beihilfemäßig gesondert abgerechnet, jedoch wurden diese Maßnahmen nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts im Sonderkindergarten durch geeignetes Fachpersonal fortgesetzt. Daraus hat das Landesarbeitsgericht mit Recht gefolgert, daß alle im Sonderkindergarten durchgeführten Maßnahmen, die dazu dienten, die mit der Behinderung des Kindes verbundenen Schäden auszugleichen und die auf der Behinderung beruhenden körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen zu lindern, als Heilbehandlung im Sinne der Beihilfevorschrift anzusehen sind.
b) Mit den im Sonderkindergarten durchgeführten Heilbehandlungen wurden jedoch zugleich in erheblichem Umfang allgemeinbildende Zwecke verfolgt, so daß die Beihilfefähigkeit der Aufwendungen nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 3 Halbsatz 2 BhV beschränkt ist.
aa) Zwar verweist der Kläger mit Recht darauf, daß die Vermittlung von Allgemeinbildung im Sinne einer Grund- und Elementarbildung, die es dem Menschen ermöglicht, sich in seiner Welt zurecht zu finden, nach herkömmlichem Verständnis (vgl. Meyers Enzyklopädisches Lexikon, Stichwort: Allgemeinbildung) grundsätzlich Aufgabe der Schulen ist. Heilbehandlungen, die im schulischen bzw. berufsbildenden Bereich durchgeführt werden, sind in § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 3 Halbsatz 1 und 2 BhV jedoch gesondert aufgeführt. Daraus folgt, daß Heilbehandlungen, mit denen zugleich in erheblichem Umfang allgemeinbildende Zwecke verfolgt werden, auch dann von der Beschränkung der Beihilfefähigkeit der Aufwendungen im Sinne von § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 3 2. Halbsatz BhV erfaßt werden, wenn sie außerhalb schulischer bzw. berufsbildender Maßnahmen erfolgen.
Dem Landesarbeitsgericht ist darin zu folgen, daß allgemeinbildende Zwecke im Sinne der Beihilfevorschrift auch durch die Betreuung eines Kindes in einem Kindergarten bzw. Sonderkindergarten und damit im vorschulischen Bereich verfolgt werden können. Aufgabe eines Kindergartens ist die Betreuung, Förderung, Erziehung und Bildung von Kindern. Der Kindergarten hat damit im Elementarbereich des Bildungssystems einen eigenständigen Bildungsauftrag (vgl. z. B. §§ 1, 2 Abs. 1 Kindergartengesetz-Nordrhein-Westfalen). Im Kindergarten werden in Ergänzung und Unterstützung der familiären Erziehung elementare Kenntnisse und Fähigkeiten vermittelt, die dem Kind helfen sollen, sich in seiner Welt zu bewegen und verständlich zu machen. Im Mittelpunkt der Erziehungs- und Bildungsarbeit stehen dabei Sprachförderung, soziale Erziehung, Umweltbegegnung und spielerische Betätigung. Dies gilt auch für einen Sonderkindergarten, in dem bei der Erfüllung dieser Aufgabe jedoch die besondere Lage behinderter Kinder zu berücksichtigen ist, die eine besonders intensive Beschäftigung mit den Kindern erfordert. Soweit der Kläger darauf verweist, der Personalschlüssel für das Betreuungspersonal sei in Sonderkindergärten höher als in sonstigen Kindergärten, berechtigt dies nicht zu der Annahme, im Sonderkindergarten würden nur in geringem Umfang allgemeinbildende Zwecke verfolgt. Daraus ergibt sich nur, daß im Sonderkindergarten die allen Kindergärten obliegende Betreuung, Förderung, Erziehung und Bildung der Kinder eine intensivere Beschäftigung mit dem einzelnen behinderten Kind erfordert, nicht aber, daß der Betrieb eines Sonderkindergartens sich auf reine Behindertentherapie beschränkt.
bb) Die Betreuung in dem Sonderkindergarten, in dem das Kind J… sich befand, diente in erheblichem Umfang allgemeinbildenden Zwecken. Dies ergibt sich aus den mit Revisionsrügen nicht angefochtenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts. Das Landesarbeitsgericht weist zu Recht auf das Gutachten des Kinder- und Jugendpsychiaters Dr. med. Peter W… hin. Darin ist ausgeführt, daß es sich bei einem Großteil der in dem Sonderkindergarten entfalteten Bemühungen um erzieherische und übende Maßnahmen handelte, welche auch in Regelkindergärten durchgeführt werden und welche bei behinderten ebenso wie bei nichtbehinderten Kindern die Förderung der kindlichen Entwicklung zum Ziel haben. Bestätigt wird dies durch den vom Landesarbeitsgericht in Bezug genommenen Wochenplan. Danach nahm das Kind Jennifer an Ausflügen in den Wald, Sing- und Bewegungsspielen, Salzteigbäckereien, Schaukelspielen und Malübungen teil, wie sie zum Betreuungsprogramm auch jedes sonstigen Kindergartens gehören. Diese Maßnahmen dienten dazu, sowohl die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Kindes zu fördern als auch sein Sozialverhalten zu entwikkeln. Sie verfolgten damit auch soweit sie im Hinblick auf die Behinderung des Kindes J… als Heilbehandlungen anzusehen waren, allgemeinbildende Zwecke im Sinne von § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 3 Halbsatz 2 BhV. Daß der Umfang dieser allgemeinbildenden Zwecke nicht erheblich gewesen sei, hat der insoweit darlegungspflichtige Kläger nicht substantiiert dargelegt. Bereits deshalb geht die Rüge der Revision fehl, das Berufungsgericht habe § 286 ZPO verletzt.
III. Der Kläger hat die Kosten seiner erfolglosen Revision nach § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.
Unterschriften
Dr. Peifer, Dr. Jobs, Dr. Freitag, Marx, Ziegenhagen
Fundstellen
Haufe-Index 839227 |
BAGE, 384 |
NZA 1992, 336 |
RdA 1992, 64 |