Entscheidungsstichwort (Thema)
Entgeltfortzahlung für Personalratsmitglied. Urlaubslohnaufschlag. Lohnausfallprinzip. teleologische Reduktion
Leitsatz (amtlich)
Einem Personalratsmitglied steht für die Zeit seiner Schulungsteilnahme kein Anspruch auf den Urlaubslohnaufschlag iSd. § 26 Abs. 2 iVm. § 67 Nr. 40 BMT-G II zu. Diese Bestimmungen finden auf Freistellungszeiten gemäß § 42 Abs. 5 LPVG NW keine Anwendung.
Orientierungssatz
1. Ein Personalratsmitglied ist für die Teilnahme an Schulungs- und Fortbildungsveranstaltungen unter Fortzahlung der Bezüge vom Dienst freizustellen. Diese Regelung in § 42 Abs. 5 LPVG NW soll wie § 46 Abs. 6 BPersVG verhindern, daß ein Personalratsmitglied infolge der Schulungsteilnahme eine Entgelteinbuße erleidet.
2. Der Umfang der fortzuzahlenden Bezüge richtet sich nach dem Lohnausfallprinzip. Die Tarifvertragsparteien dürfen keine von diesem Prinzip abweichende Regelung schaffen. Das folgt aus dem Begünstigungs- und Benachteiligungsverbot in § 107 Absatz 1 BPersVG und aus dem Fehlen einer Tariföffnungsklausel.
3. Zu den gemäß § 42 Abs. 5 LPVG NW fortzuzahlenden Bezügen gehört nicht der Urlaubslohnaufschlag iSv. § 26 Abs. 2 Satz 1 iVm. § 67 Nr. 40 BMT-G II. Die Regelung des § 26 Abs. 2 BMT-G II findet auf schulungsbedingte Freistellungszeiten von Personalratsmitgliedern keine Anwendung. Das folgt aus einer gesetzeskonformen Auslegung der tariflichen Regelungen.
4. Die Höhe des Urlaubslohnaufschlags entspricht nicht dem gesetzlichen Lohnausfallprinzip. Vielmehr handelt es sich um einen Durchschnittswert, der dem Referenzprinzip entsprechend anhand eines in der Vergangenheit liegenden Zeitraums ermittelt wird. Daher ist die Regelung des § 26 Abs. 2 BMT-G II im Wege teleologischer Reduktion dahingehend einzuschränken, daß sie auf schulungsbedingte Freistellungszeiten von Personalratsmitgliedern keine Anwendung findet.
Normenkette
BMT-G II §§ 26, 67 Nr. 40; LPVG NW § 42 Abs. 5
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 6. Juni 2001 – 10 Sa 204/01 – wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
3. Der Wert des Streitgegenstandes wird festgesetzt auf 29,33 Euro.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Höhe des dem Kläger für eine Personalratsschulung fortzuzahlenden Entgelts.
Der Kläger ist bei der Beklagten seit vielen Jahren als Arbeiter beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft beiderseitiger Tarifbindung der Bundes-Manteltarifvertrag für Arbeiter gemeindlicher Verwaltungen und Betriebe – BMT-G II – Anwendung.
Als Mitglied des Personalrats nahm er in der Zeit vom 17. bis 22. Oktober 1999 an einem Seminar mit dem Thema „PC und EDV: Basiswissen für Betriebs- und Personalräte und VLS-Grundlagenseminar” teil. Die Beklagte zahlte dem Kläger für die Zeit der Freistellung die reguläre Vergütung für 38,5 Wochenstunden gemäß § 42 Abs. 5 Landespersonalvertretungsgesetz Nordrhein-Westfalen (LPVG NW).
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ihm stehe für diesen Zeitraum auch der Urlaubslohnaufschlag gemäß § 26 Abs. 2 iVm. § 67 Nr. 40 BMT-G II zu. Diese Vorschriften lauten:
„§ 26
Lohnanspruch und Lohnfortzahlung
(1) Der Lohn wird nur für angeordnete und geleistete Arbeit gezahlt, es sei denn, daß tarifvertraglich etwas anderes vereinbart ist.
(2) Ist der Lohn ohne Arbeitsleistung für volle Arbeitstage fortzuzahlen, wird der Urlaubslohn gezahlt. Ist er für einzelne Arbeitsstunden fortzuzahlen, wird der Lohn fortgezahlt, den der Arbeiter erhalten würde, wenn er gearbeitet hätte.
§ 67
Begriffsbestimmungen
…
40. Urlaubslohn
(1) Als Urlaubslohn werden gewährt
- der Teil des Monatsgrundlohnes, (ggf. zuzüglich der nach § 25 Abs. 3 zustehenden Beträge für Mehrarbeit) den der Arbeiter während des Urlaubs erhalten würde, wenn er dienstplanmäßig oder betriebsüblich im Rahmen seiner regelmäßigen Arbeitszeit gearbeitet hätte,
- ständige Lohnzuschläge in der Höhe, in der sie dem Arbeiter während des Urlaubs zugestanden hätten,
- ein Akkordmehrverdienst,
- der Aufschlag gemäß Absatz 2, der nach Maßgabe des § 26 a Abs. 1 Unterabs. 2 zu berücksichtigen ist.
(2) Der Aufschlag nach Absatz 1 Buchst. d ergibt sich aus dem Verhältnis des Lohnes für Überstunden, der nicht zum Monatsgrundlohn gehörenden Lohnzulagen, der Zeitzuschläge und der Erschwerniszuschläge zu dem Monatsgrundlohn oder Teilen des Monatsgrundlohnes für die im Rahmen der regelmäßigen Arbeitszeit des Arbeiters im letzten abgelaufenen Kalenderjahr tatsächlich geleistete Arbeit. Dies gilt nicht für Lohnbestandteile, die nach Absatz 1 Buchst. a oder b gewährt werden.
Ein Arbeiter, der im abgelaufenen Kalenderjahr nicht an mindestens 50 Tagen im Rahmen desselben Arbeitsverhältnisses gearbeitet hat, erhält den Aufschlag in Höhe des Durchschnitts der beiden letzten Kalendermonate. Hat dieser Arbeiter in den beiden letzten Kalendermonaten nicht an mindestens 30 Tagen gearbeitet, so werden so viele weitere Kalendermonate in die Durchschnittsberechnung einbezogen, daß hierin mindestens 30 Tage enthalten sind, an denen er gearbeitet hat.”
Der Kläger hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 57,37 DM brutto nebst 8,42 % Zinsen für den Zeitraum vom 17. Mai bis zum 31. August 2000 sowie 9,26 % Zinsen für die Zeit ab dem 1. September 2000 aus dem sich ergebenden Nettobetrag zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen zuletzt gestellten Klageantrag weiter. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen. Dem Kläger steht für die Zeit seiner Schulungsteilnahme kein Anspruch auf Zahlung des Urlaubslohnaufschlags iSd. § 26 Abs. 2 iVm. § 67 Nr. 40 BMT-G II zu. Diese Bestimmungen finden auf Freistellungszeiten gemäß § 42 Abs. 5 LPVG NW keine Anwendung. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt.
I. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Vergütung nach § 26 Abs. 2 BMT-G II, obwohl er in der Zeit vom 17. – 22. Oktober 1999 nicht gearbeitet hat. Das folgt aus § 42 Abs. 5 LPVG NW. Danach sind Mitglieder des Personalrats unter Fortzahlung der Bezüge für die Teilnahme an Schulungs- und Bildungsveranstaltungen vom Dienst freizustellen, soweit diese Kenntnisse vermitteln, die für die Tätigkeit im Personalrat erforderlich sind.
Diese Vorschrift dient dem Entgeltschutz der Mitglieder des Personalrats. Sie soll wie die Regelung in § 46 Abs. 6 BPersVG verhindern, daß ein Personalratsmitglied infolge der Schulungsteilnahme eine Entgelteinbuße erleidet (Cecior/Dietz/Vallendar/ Lechtermann/Klein Das Personalvertretungsrecht in Nordrhein-Westfalen Bd. 1 Stand: März 2002 § 42 Rn. 95; Altvater/Bacher/Hörter/Peiseler/Sabottig/Schneider/Vohs BPersVG 4. Aufl. § 46 Rn. 9, 61; Grabendorff/Windscheid/Ilbertz/Widmaier BPersVG 8. Aufl. § 46 Rn. 11; Fürst GKÖD Bd. V Teil 2 Stand: Juli 2002 K § 46 Rn. 35 a, 80; Dietz/Richardi BPersVG 2. Aufl. Bd. 1 § 46 Rn. 22, 93).
Der Umfang der fortzuzahlenden Bezüge richtet sich nach dem Lohnausfallprinzip. Danach ist die Vergütung zu ermitteln, die das Personalratsmitglied erhalten hätte, wenn es nicht durch die Schulung an der Erbringung seiner Arbeitsleistung gehindert gewesen wäre (BAG 13. November 1991 – 7 AZR 469/90 – AP BPersVG § 46 Nr. 17, zu II 2 b der Gründe; 29. Juni 1988 – 7 AZR 651/87 – AP BPersVG § 24 Nr. 1 = EzA BetrVG 1972 § 37 Nr. 97, zu I der Gründe). Diesen Betrag hat der Kläger erhalten.
II. Zu den Bezügen, die nach § 42 Abs. 5 LPVG NW fortzuzahlen sind, gehört nicht der Urlaubslohnaufschlag iSd. § 26 Abs. 2 Satz 1 iVm. § 67 Nr. 40 BMT-G II. Diese Bestimmung findet auf Freistellungszeiten nach § 42 Abs. 5 LPVG NW keine Anwendung. Das folgt aus einer gesetzeskonformen Auslegung des § 26 Abs. 2 Satz 1 BMT-G II.
1. In § 26 Abs. 2 Satz 1 BMT-G II haben die Tarifvertragsparteien eine allgemeine Regel für die Höhe der Lohnfortzahlung aufgestellt, die der Arbeitgeber auf Grund eines Gesetzes, des Tarifvertrags oder des Einzelarbeitsvertrags dem Arbeitnehmer zu leisten hat, auch wenn der Arbeitnehmer an einem ganzen Tag nicht gearbeitet hat (Scheuring/Lang/Hoffmann BMT-G Bd. 1 Stand: September 2002 § 26 BMT-G II Erl. 12, 13). Der danach zu zahlende Lohn besteht gemäß § 67 Nr. 40 BMT-G II nicht nur aus dem anteiligen Monatsgrundlohn, sondern ggf. auch aus den anteiligen ständigen Lohnzuschlägen, dem Akkordmehrverdienst und dem Urlaubslohnaufschlag.
2. Diese Bestimmung findet jedoch bei Ausfallzeiten wegen der Teilnahme an Schulungsveranstaltungen keine Anwendung.
a) Der Urlaubslohnaufschlag stellt einen finanziellen Ausgleich für sog. unständige Lohnbestandteile dar, die ein Arbeiter während des Urlaubs nicht verdienen kann (Scheuring/Lang/Hoffmann BMT-G Bd. 2 Stand: September 2002 § 67 BMT-G II Erl. 47.5). Dabei handelt es sich um den Durchschnittsbetrag bestimmter im vorangegangenen Kalenderjahr erzielter Lohnbestandteile wie etwa Zeitzuschläge iSv. § 22 BMT-G II und Erschwerniszuschläge iSv. § 23 BMT-G II.
b) Die Höhe dieses Urlaubslohnaufschlags entspricht nicht dem Lohnausfallprinzip. Entgegen der Auffassung des Klägers handelt es sich bei der Berechnung des Urlaubslohnaufschlags nicht um eine tarifliche Modifikation, durch die das gesetzliche Lohnausfallprinzip exakt ausgefüllt und die ausgefallene Vergütung realistisch ermittelt wird. Denn die Höhe des Aufschlags wird nicht anhand einer hypothetischen Betrachtungsweise der unständigen Lohnbestandteile errechnet, die der Arbeiter ohne den Urlaub tatsächlich erzielt hätte. Vielmehr wird dem Referenzprinzip entsprechend anhand eines in der Vergangenheit liegenden Zeitraums ein Durchschnittswert der unständigen Lohnbestandteile ermittelt. Da der Anteil dieser Lohnbestandteile am Monatslohn bereits ihrem Begriff nach Schwankungen unterliegt und gerade nicht ständig gleich hoch bleibt, weicht der Durchschnittswert regelmäßig von den während des Urlaubs hypothetisch angefallenen Lohnbestandteilen ab.
c) Die Regelung des § 26 Abs. 2 BMT-G II findet auf Freistellungszeiten nach § 42 Abs. 5 LPVG NW keine Anwendung. Das folgt aus einer gesetzeskonformen Auslegung dieser tariflichen Regelung.
Den Tarifvertragsparteien ist es wegen des Begünstigungs- und Benachteiligungsverbots in § 107 Satz 1 BPersVG, das auch unmittelbar für die Länder gilt, und wegen des Fehlens einer Tariföffnungsklausel verwehrt, eine vom gesetzlichen Lohnausfallprinzip abweichende Regelung zu schaffen (BAG 10. Februar 1988 – 7 AZR 36/87 – BAGE 58, 1 = AP BetrVG 1972 § 37 Nr. 64, zu III der Gründe). Von diesem in § 42 Abs. 5 LPVG NW verankerten Lohnausfallprinzip weicht die Regelung des § 26 Abs. 2 BMT-G II nach der gebotenen Auslegung nicht ab. Sie ist auf Grund des vorrangigen gesetzlichen Lohnausfallprinzips im Wege der teleologischen Reduktion dahingehend einzuschränken, daß sie auf schulungsbedingte Freistellungszeiten von Personalratsmitgliedern keine Anwendung findet. Weder dem Wortlaut der tariflichen Regelung noch ihrem Sinn und Zweck oder der Systematik des Tarifvertrags läßt sich entnehmen, daß die Tarifvertragsparteien die allgemeine Regelung über die Entgeltfortzahlung in Form des Urlaubslohnes einschließlich des Urlaubslohnaufschlags auf die schulungsbedingte Freistellung eines Personalratsmitglieds erstrecken wollten. Zwar bezieht sich § 26 Abs. 2 Satz 1 BMT-G II ausdrücklich auf alle Fälle, in denen Lohn ohne Arbeitsleistung fortzuzahlen ist. Durch § 26 Abs. 1 2. Halbsatz BMT-G II sind aber bereits Ausnahmen für andere tarifliche Regelungen vorgesehen. Das betrifft etwa die Lohnfortzahlung bei persönlicher Arbeitsverhinderung in § 29 BMT-G II, die Lohnfortzahlung an Wochenfeiertagen in § 30 BMT-G II und die Lohnfortzahlung für einzelne Arbeitsstunden in § 26 Abs. 2 Satz 2 BMT-G II. Daraus folgt, daß die Regelung des § 26 Abs. 2 Satz 1 BMT-G II nicht abschließend ist und daher auch für gesetzliche Regelungen Raum läßt. Dafür spricht auch der Zweck der Tarifvorschrift und ihre systematische Stellung im Rahmen des gesamten Tarifvertrags. Während die Tarifvertragsparteien in § 26 Abs. 2 Satz 1 BMT-G II einen Auffangtatbestand für alle nicht speziell geregelten Fälle geschaffen haben, in denen Lohn ohne Arbeitsleistung fortzuzahlen ist, folgen die abweichenden tariflichen Regelungen in den §§ 26 Abs. 2 Satz 2, 29 und 30 BMT-G II.
3. Zu Unrecht rügt der Kläger eine vermeintliche Benachteiligung von Personalratsmitgliedern gegenüber anderen Arbeitnehmern auf Grund der Anwendung des gesetzlichen Lohnausfallprinzips. Zwar kann abstrakt nicht ausgeschlossen werden, daß ein Personalratsmitglied auf Grund der langfristigen Planung einer Schulungsmaßnahme für deren Dauer nicht zur Mehrarbeit eingeteilt wird. In diesem Fall kann ihm dennoch nach dem Lohnausfallprinzip ein Anspruch auf Mehrarbeitsvergütung zustehen, zB wenn er ohne Schulungsteilnahme ebenso wie die anderen Mitarbeiter zu Mehrarbeit eingeteilt worden wäre.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
IV. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 25 Abs. 2 GKG, § 3 ZPO.
Unterschriften
Dörner, Gräfl, Pods, G. Güner, V. Ludwig
Fundstellen
Haufe-Index 906802 |
BAGE 2004, 158 |
BB 2003, 791 |
ARST 2003, 70 |
FA 2002, 389 |
NZA 2003, 624 |
ZTR 2003, 23 |
ZTR 2003, 361 |
AP, 0 |
EzA-SD 2002, 3 |
EzA |
PersV 2003, 267 |
AuS 2002, 61 |
BAGReport 2003, 310 |
GK/Bay 2003, 415 |
Tarif aktuell 2003, 8 |