Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Kündigung. Anhörung des Betriebsrats. Grundsatz der „subjekti-ven Determinierung”. Angabe von Sozialdaten bei verhaltensbedingter Kündigung. Beginn der Frist zur Stellungnahme bei ergänzenden Informationen
Orientierungssatz
1. Für die Mitteilung der Kündigungsgründe gemäß § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG gilt der Grundsatz der „subjektiven Determinierung”. Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben. Dem kommt er dann nicht nach, wenn er dem Betriebsrat einen schon aus seiner eigenen Sicht unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt darstellt. Zu einer vollständigen und wahrheitsgemäßen Information gehört darüber hinaus die Unterrichtung über Tatsachen, die ihm – dem Arbeitgeber – bekannt und für eine Stellungnahme des Betriebsrats möglicherweise bedeutsam sind, weil sie den Arbeitnehmer entlasten und deshalb gegen eine Kündigung sprechen können.
2. Die subjektive Determination des Inhalts der Anhörung führt nicht dazu, dass bei der verhaltensbedingten Kündigung auf die Mitteilung persönlicher Umstände des Arbeitnehmers ganz verzichtet werden könnte, wenn sie für den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers ohne Bedeutung waren. Bei den „Sozialdaten” handelt es sich zwar um Umstände, die nicht das beanstandete Verhalten des Arbeitnehmers selbst betreffen. Nach Sinn und Zweck der Anhörung darf der Arbeitgeber dem Betriebsrat aber keine persönlichen Umstände des Arbeitnehmers vorenthalten, die sich bei objektiver Betrachtung entscheidend zu seinen Gunsten auswirken und deshalb schon für die Stellungnahme des Betriebsrats bedeutsam sein können (im Streitfall verneint für die Angabe, die Arbeitnehmerin sei beurlaubte Beamtin).
3. Eine nähere Begründung der den Kündigungsentschluss tragenden Abwägung ist wegen des Grundsatzes der subjektiven Determinierung regelmäßig nicht erforderlich. Die Anhörung zu der Absicht, das Arbeitsverhältnis zu kündigen, impliziert eine Abwägung zu Lasten des Arbeitnehmers.
4. Die Mitteilungspflicht des Arbeitgebers im Rahmen von § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG reicht nicht so weit wie seine Darlegungslast im Prozess. Die Anhörung des Betriebsrats soll diesem nicht die selbständige Überprüfung der Wirksamkeit der beabsichtigten Kündigung, sondern eine Einflussnahme auf die Willensbildung des Arbeitgebers ermöglichen. Der Betriebsrat soll in die Lage versetzt werden, sachgerecht auf den Arbeitgeber einzuwirken, dh. die Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe zu überprüfen und sich über sie eine eigene Meinung zu bilden. Dieser Zweck wird bei der Anhörung zu einer fristlosen Kündigung grundsätzlich auch dann nicht verfehlt, wenn der Arbeitgeber dem Betriebsrat eine objektiv zu lange Dauer der Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers und eine Kündigungsfrist von sieben statt in Wirklichkeit fünf Monaten zum Monatsende mitgeteilt hat.
5. Mit ergänzenden Angaben des Arbeitgebers im Rahmen einer bereits in Gang gesetzten Anhörung, die über das Notwendige einer ordnungsgemäßen Information hinausgehen, beginnt die Frist zur Stellungnahme für den Betriebsrat regelmäßig nicht neu zu laufen.
Normenkette
BetrVG § 102 Abs. 1, 2 S. 3
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 2. Juli 2013 – 16 Sa 223/13 – aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Revisionsverfahrens – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.
Die Beklagte vertreibt Telekommunikationsdienstleistungen. Die Klägerin war seit Oktober 1989 Beamtin bei der D. Sie wurde im Beamtenverhältnis beurlaubt und war seit Mai 2004 für die Beklagte als Leiterin eines „T-Shops” tätig.
Mit Schreiben vom 3. September 2012 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu ihrer Absicht an, das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich, hilfsweise ordentlich, jeweils sowohl wegen begangener Pflichtverletzungen als auch wegen eines entsprechenden Verdachts zu kündigen. In dem Anhörungsschreiben ist zum Stichwort „Betriebszugehörigkeit gesamt” das Datum „23.10.1989” genannt, als „Betriebszugehörigkeit TSG” der „01.05.2004”. Unter der Überschrift „Daten zur beabsichtigten Kündigung” ist ausgeführt:
„Wir beabsichtigen daher, das Arbeitsverhältnis mit [der Klägerin] durch verhaltensbedingte, außerordentlich fristlose Kündigungen zu beenden, wie eingangs dieses Schreibens erläutert. Die Kündigungen soll wirksam werden mit Ablauf des Tages der Zustellung.
Bei den – wie erläutert – zusätzlich durchweg hilfsweise beabsichtigten verhaltensbedingten ordentlichen Kündigungen wird die tarifliche Kündigungsfrist eingehalten werden. Sie beträgt gemäß § 21 Abs. 4 MTV TSG sieben Monate zum Monatsende.
Wir bitten Sie um Stellungnahme zu den beabsichtigten außerordentlichen und ordentlichen Kündigungen innerhalb der gesetzlich vorgegebenen Fristen.”
Mit einem weiteren Schreiben an den Betriebsrat vom 4. September 2012 nahm die Beklagte Bezug auf das vorausgegangene Schreiben und teilte mit, sie wolle „im Rahmen der Beteiligung” die Darstellung der Berufsdaten der Klägerin wie folgt ergänzen:
„[Die Klägerin] ist Beamtin auf Lebenszeit. Sie wurde zur Begründung des Arbeitsverhältnisses bei der TSG am 01.05.2004 im Beamtenverhältnis beurlaubt.
Dies ist bei der Interessenabwägung zu berücksichtigen. Durch die beabsichtigte Kündigung des Arbeitsverhältnisses wird [die Klägerin] nicht in die Arbeitslosigkeit entlassen. Vielmehr entfällt mit dem Arbeitsverhältnis auch der Beurlaubungsgrund, so dass das Beamtenverhältnis als Bundesbeamtin wieder auflebt. [Die Klägerin] wird mit Wirksamkeit der Kündigung von der D AG, welche die Dienstherrneigenschaft ausübt, zu besolden und zu beschäftigten sein.
Dass [die Klägerin] wegen der vorgeworfenen Handlungen, soweit sie strafrechtlich relevant sind, mit disziplinarischen Maßnahmen im Beamtenverhältnis rechnen muss, ist in der arbeitsrechtlichen Interessenabwägung hingegen nicht berücksichtigungsfähig. Die Prüfung solcher Maßnahmen ist dem Dienstherrn vorbehalten.
Wir hatten im ersten Schreiben bereits ausgeführt, dass bei den hilfsweise zusätzlich beabsichtigten ordentlichen Kündigungen die tarifvertragliche Kündigungsfrist maßgebend ist. Bei einer beurlaubten Beamtin ist als Betriebszugehörigkeit zur Ermittlung der Kündigungsfrist nur die Zeit im Arbeitsverhältnis (ab 01.05.2004) maßgebend, nicht jedoch die Zeit als aktive Beamtin (Zeit vom 23.10.1989 bis 30.04.2004), § 7 Abs. 1 MTV TSG.
Die TSG-Betriebszugehörigkeit von [der Klägerin] beträgt demnach 8 Jahre. Wir stellen richtig, dass sich die tarifliche Kündigungsfrist nach § 21 Abs. 4 MTV TSG auf fünf Monate zum Monatsende beläuft.”
Mit Schreiben vom 7. September 2012 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich, mit Schreiben vom 11. September 2012 hilfsweise ordentlich. Die außerordentliche Kündigung wurde noch am 7. September 2012 in den Briefkasten der Klägerin eingeworfen.
Die Klägerin hat rechtzeitig Klage gegen beide Kündigungen erhoben. Sie hat gemeint, weder für die außerordentliche noch für die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung sei ein Grund gegeben. Sie sei überdies zu den Vorwürfen nicht ordnungsgemäß angehört worden. Im Übrigen habe die Beklagte für die außerordentliche Kündigung die Erklärungsfrist nicht gewahrt. Sie habe die Aufklärungsmaßnahmen nicht hinreichend zügig durchgeführt. Darüber hinaus sei der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört worden. Dieser habe erst durch das Schreiben vom 4. September 2012 von ihrer Stellung als Beamtin erfahren. Dabei handele es sich um einen für ihre soziale Situation entscheidenden Umstand. Die außerordentliche Kündigung sei ihr damit bereits vor Ablauf der Frist von drei Tagen für eine Stellungnahme des Betriebsrats zugegangen. Im Übrigen sei die Anhörung unvollständig, weil dem Betriebsrat die Protokolle der Anhörungen der Mitarbeiterinnen G und S nicht zugeleitet worden seien. Die Mitarbeiterin S habe entlastende Angaben gemacht.
Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die Kündigung vom 7. September 2012 noch durch die Kündigung vom 11. September 2012 beendet worden ist.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat der Klägerin verschiedene Pflichtverletzungen zur Last gelegt. Jedenfalls bestehe insoweit ein dringender Verdacht. Die Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB sei eingehalten. Sie habe nach zügigen Ermittlungen erst am 24. August 2012 über ausreichende Kenntnisse verfügt, um sachgerecht darüber entscheiden zu können, ob sie kündigen solle oder nicht. Der Betriebsrat sei bereits mit dem Schreiben vom 3. September 2012 vollständig angehört worden. Sie habe als bekannt voraussetzen dürfen, dass die Klägerin Beamtin sei. Dem Betriebsrat sei dies bereits bei der Einstellung der Klägerin mitgeteilt worden. Im Übrigen habe ein Betriebsratsmitglied von der Stellung der Klägerin als Beamtin definitiv gewusst. Auf die Erläuterungen vom 4. September 2012 komme es deshalb nicht an.
Das Arbeitsgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten durch Teilurteil insoweit zurückgewiesen, wie das Arbeitsgericht die Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung festgestellt hat. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte weiterhin den Antrag, schon die Klage gegen die außerordentliche Kündigung abzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg. Mit der gegebenen Begründung durfte das Landesarbeitsgericht der Klage gegen die außerordentliche Kündigung vom 7. September 2012 nicht stattgegeben (I.). Ob die Kündigung wirksam ist, steht noch nicht fest (II.).
I. Auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen ist die Kündigung, anders als das Landesarbeitsgericht angenommen hat, nicht gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Die Beklagte hat den Betriebsrat mit Schreiben vom 3. September 2012 ordnungsgemäß über die beabsichtigte außerordentliche Kündigung informiert (1.). Durch das weitere Schreiben vom 4. September 2012 ist die Frist für die Anhörung des Betriebsrats zur außerordentlichen Kündigung nicht neu in Gang gesetzt worden (2.).
1. Die Beklagte hat mit dem Schreiben vom 3. September 2012 das Verfahren zur Anhörung des Betriebsrats zu der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung ordnungsgemäß eingeleitet. Falls das Schreiben dem Betriebsrat noch am selben Tag zugegangen ist – wofür der Eingangsvermerk spricht, eindeutige Feststellungen aber fehlen –, wäre die dreitägige Frist zur Stellungnahme am 7. September 2012 – dem Tag des Einwurfs des Kündigungsschreibens in den Briefkasten der Klägerin – bereits abgelaufen gewesen.
a) Nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Der Arbeitgeber hat ihm gemäß § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Will der Betriebsrat gegen eine außerordentliche Kündigung Bedenken erheben, muss er dies gemäß § 102 Abs. 2 Satz 3 BetrVG dem Arbeitgeber spätestens innerhalb von drei Tagen schriftlich mitteilen. Eine vor Fristablauf ausgesprochene Kündigung ist gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam, es sei denn, es liegt bereits eine abschließende Stellungnahme des Betriebsrats vor (vgl. BAG 12. Dezember 1996 – 2 AZR 803/95 – zu II 1 der Gründe; 13. November 1975 – 2 AZR 610/74 – zu 3 a der Gründe, BAGE 27, 331).
b) Für die Mitteilung der Kündigungsgründe gilt der Grundsatz der „subjektiven Determinierung” (BAG 21. November 2013 – 2 AZR 797/11 – Rn. 24, BAGE 146, 303; 19. Juli 2012 – 2 AZR 352/11 – Rn. 41, BAGE 142, 339). Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben (BAG 21. November 2013 – 2 AZR 797/11 – aaO). Dem kommt er dann nicht nach, wenn er dem Betriebsrat einen schon aus seiner eigenen Sicht unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt darstellt (BAG 21. November 2013 – 2 AZR 797/11 – aaO; 12. August 2010 – 2 AZR 945/08 – Rn. 18). Zu einer vollständigen und wahrheitsgemäßen Information gehört darüber hinaus die Unterrichtung über Tatsachen, die ihm – dem Arbeitgeber – bekannt und für eine Stellungnahme des Betriebsrats möglicherweise bedeutsam sind, weil sie den Arbeitnehmer entlasten und deshalb gegen eine Kündigung sprechen können (BAG 3. November 2011 – 2 AZR 748/10 – Rn. 38; 6. Februar 1997 – 2 AZR 265/96 – zu II 1 der Gründe).
c) Die subjektive Determination des Inhalts der Anhörung führt nicht dazu, dass bei der verhaltensbedingten Kündigung auf die Mitteilung persönlicher Umstände des Arbeitnehmers ganz verzichtet werden könnte, wenn sie für den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers ohne Bedeutung waren. Bei den „Sozialdaten” handelt es sich zwar um Umstände, die nicht das beanstandete Verhalten des Arbeitnehmers selbst betreffen. Nach Sinn und Zweck der Anhörung darf der Arbeitgeber dem Betriebsrat aber keine persönlichen Umstände des Arbeitnehmers vorenthalten, die sich bei objektiver Betrachtung entscheidend zu seinen Gunsten auswirken und deshalb schon für die Stellungnahme des Betriebsrats bedeutsam sein können (vgl. BAG 6. Oktober 2005 – 2 AZR 280/04 – zu B II 2 a der Gründe; 26. September 2002 – 2 AZR 424/01 – zu B II 3 a der Gründe). Der Wirksamkeit einer auf Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers gestützten Kündigung steht das Unterlassen der Angabe von dessen genauen „Sozialdaten” bei der Betriebsratsanhörung deshalb nur dann nicht entgegen, wenn es dem Arbeitgeber auf die genauen Daten ersichtlich nicht ankommt und der Betriebsrat jedenfalls die ungefähren Daten ohnehin kennt; er kann dann die Kündigungsabsicht des Arbeitgebers auch so ausreichend beurteilen (BAG 6. Oktober 2005 – 2 AZR 280/04 – aaO; 15. November 1995 – 2 AZR 974/94 – zu II 1 b der Gründe). Eine nähere Begründung der den Kündigungsentschluss tragenden Abwägung ist wegen des Grundsatzes der subjektiven Determinierung regelmäßig nicht erforderlich. Die Anhörung zu der Absicht, das Arbeitsverhältnis zu kündigen, impliziert eine Abwägung zu Lasten des Arbeitnehmers (vgl. BAG 21. November 2013 – 2 AZR 797/11 – Rn. 27, BAGE 146, 303).
d) Danach ist bisher weder festgestellt noch objektiv ersichtlich, dass dem 16 Betriebsrat der Kündigungssachverhalt im Schreiben vom 3. September 2012 nicht ausreichend mitgeteilt worden wäre. Das Landesarbeitsgericht ist davon ausgegangen, der Betriebsrat sei „am 03.09.2012 zum Kündigungsgrund umfassend angehört” worden. Aus dem in Bezug genommenen Anhörungsschreiben vom 3. September 2012 ergibt sich nichts Gegenteiliges. Ihm zufolge ist dem Betriebsrat auch das Protokoll einer Befragung der Mitarbeiterin G zugeleitet worden. Dass zudem die Mitarbeiterin S befragt und dies protokolliert worden wäre, wie von der Klägerin geltend gemacht, ist bislang nicht ersichtlich. Nach den Angaben im Anhörungsschreiben vom 3. September 2012 war diese Mitarbeiterin wegen ihres Erholungsurlaubs nicht gehört worden.
e) Das Anhörungsschreiben vom 3. September 2012 war auch nicht aus den vom Landesarbeitsgericht angeführten Gründen unzureichend.
aa) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Beklagte habe gegenüber dem Betriebsrat unrichtige Angaben über die „anrechenbare Betriebszugehörigkeit” der Klägerin gemacht. Das trifft zwar zu. Darin liegt jedoch kein Fehler in der Anhörung zur – hier allein streitgegenständlichen – außerordentlichen Kündigung.
(1) Die Beklagte hat in ihrem Schreiben vom 3. September 2012 die „anrechenbare Betriebszugehörigkeit” der Klägerin nicht explizit mitgeteilt. Sie hat vielmehr angegeben „Betriebszugehörigkeit TSG 01.05.2004” und „Betriebszugehörigkeit gesamt: 23.10.1989”. Aufgrund welcher Umstände die „Betriebszugehörigkeit gesamt” von der „Betriebszugehörigkeit TSG” abwich und weshalb es ihres Erachtens für die Kündigung auf die „Betriebszugehörigkeit gesamt” und nicht auf die „Betriebszugehörigkeit TSG” ankam, hat die Beklagte im Anhörungsschreiben nicht näher erläutert. Sie hat die mit sieben Monaten angegebene Länge der tariflichen Kündigungsfrist jedoch ersichtlich auf der Grundlage der angegebenen „Betriebszugehörigkeit gesamt” ermittelt.
(2) Soweit die Beklagte dem Betriebsrat damit eine objektiv unzutreffende – um zwei Monate zu lange – Kündigungsfrist mitgeteilt hat, macht dies die Anhörung zu der beabsichtigten fristlosen Kündigung nicht fehlerhaft.
(a) Es bedurfte keiner (zutreffenden) Angabe der Kündigungsfrist oder der Parameter zu ihrer Berechnung, um dem Betriebsrat Kenntnis darüber zu verschaffen, wann das Arbeitsverhältnis durch die angestrebte fristlose Kündigung beendet werden sollte.
(b) Die exakte Dauer der Kündigungsfrist benötigte der Betriebsrat auch nicht, um die Kündigungsabsicht der Beklagten im Übrigen sachgerecht prüfen zu können. Zwar kann eine kürzere Kündigungsfrist dafür sprechen, dass dem Arbeitgeber eine ordentliche Kündigung als milderes Mittel zumutbar ist. Die Mitteilungspflicht des Arbeitgebers im Rahmen von § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG reicht aber nicht so weit wie seine Darlegungslast im Prozess (BAG 21. November 2013 – 2 AZR 797/11 – Rn. 27, BAGE 146, 303; 19. Juli 2012 – 2 AZR 352/11 – Rn. 45, BAGE 142, 339). Die Anhörung des Betriebsrats soll diesem nicht die selbständige Überprüfung der Wirksamkeit der beabsichtigten Kündigung, sondern eine Einflussnahme auf die Willensbildung des Arbeitgebers ermöglichen (BAG 31. Januar 1996 – 2 AZR 181/95 – zu II 2 der Gründe; 22. September 1994 – 2 AZR 31/94 – zu II 2 der Gründe, BAGE 78, 39). Sinn und Zweck des § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG ist es, den Betriebsrat in die Lage zu versetzen, sachgerecht auf den Arbeitgeber einzuwirken, dh. die Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe zu überprüfen und sich über sie eine eigene Meinung zu bilden (BAG 27. Juni 1985 – 2 AZR 412/84 – zu II 1 b der Gründe, BAGE 49, 136). Im Streitfall war dies dem Betriebsrat nach Maßgabe der Angaben im Anhörungsschreiben vom 3. September 2012 möglich. Die Gewichtigkeit der Gründe für die beabsichtigte fristlose Kündigung und die Zumutbarkeit einer lediglich ordentlichen Kündigung konnte er trotz der unzutreffenden Angabe der Dauer der ordentlichen Kündigungsfrist sachgerecht beurteilen. Das Anhörungsschreiben konnte bei ihm nicht etwa eine vollkommen unzutreffende Vorstellung von der Länge der ordentlichen Kündigungsfrist der Klägerin bewirken. Der Unterschied zwischen der angegebenen Frist von sieben Monaten und der wirklichen Frist von fünf Monaten jeweils zum Monatsende ist nicht so beträchtlich, dass der Betriebsrat bei der Prüfung des Einwands, der Beklagten sei die Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar, von gänzlich falschen Annahmen ausgehen musste.
(3) Auch soweit die Dauer der Betriebszugehörigkeit für die Interessenabwägung im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB von Bedeutung sein kann, wurde der Betriebsrat mit der Angabe einer „Betriebszugehörigkeit gesamt” ab Oktober 1989 nicht an einer sachgerechten Einwirkung auf die Beklagte gehindert. Die Beklagte hatte zu verstehen gegeben, dass sie eine außerordentliche Kündigung selbst angesichts einer solchen Dauer der Betriebszugehörigkeit für gerechtfertigt hielt. Eine kürzere Dauer hätte sich allenfalls zu Lasten der Klägerin auswirken können. Durch die unzutreffende Angabe wurde dem Betriebsrat daher kein Einwand abgeschnitten. Er hatte bei längerer Betriebszugehörigkeit eher mehr Anlass zu prüfen, ob Bedenken gegen die fristlose Kündigung bestanden.
bb) Die Mitteilung, dass die Klägerin beurlaubte Beamtin sei, war für eine ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats nicht erforderlich. Ihr Status als beurlaubte Beamtin konnte sich als zusätzliche soziale Absicherung allenfalls zu Lasten der Klägerin auswirken – unabhängig davon, ob ihr wegen der ihr vorgeworfenen Pflichtverletzungen auch im Beamtenverhältnis Disziplinarmaßnahmen drohten. Erneut hatte der Betriebsrat ohne eine Kenntnis von diesem Umstand eher mehr Anlass, sich für die Klägerin einzusetzen. Es kann deshalb dahinstehen, ob ihm die Kenntnis dieses Umstands in der Person eines seiner Mitglieder nicht ohnehin zuzurechnen war.
2. Das Anhörungsverfahren war bei Einwurf des Kündigungsschreibens in den Briefkasten der Klägerin am 7. September 2012 nicht deshalb noch nicht abgeschlossen, weil die Beklagte dem Betriebsrat mit Schreiben vom 4. September 2012 ergänzende Informationen hat zukommen lassen. Die Frist zur Stellungnahme zu der beabsichtigten fristlosen Kündigung wurde dadurch nicht erneut in Gang gesetzt.
a) Die Beklagte hat mit dem Schreiben vom 4. September 2012 zum Ausdruck gebracht, es gehe ihr um eine Ergänzung der Berufsdaten der Klägerin, und hat ausgeführt, welche Bedeutung dem ihres Erachtens für die Interessenabwägung zukomme.
b) Daraus konnte der Betriebsrat nicht schließen, die Frist zur Stellungnahme zu der hier streitgegenständlichen außerordentlichen Kündigung habe mit Zugang dieses Schreibens neu beginnen sollen. Wird das Schreiben insgesamt in den Blick genommen, ergibt sich vielmehr, dass es bezüglich der fristlosen Kündigung ausschließlich der ergänzenden Information im Rahmen der schon in Gang gesetzten Anhörung dienen sollte. Diese Auslegung kann der Senat selbst vornehmen. Ein Anhörungsschreiben ist als Erklärung nicht typischer Art zwar grundsätzlich von den Tatsacheninstanzen auszulegen (vgl. BAG 15. Dezember 1994 – 2 AZR 327/94 – zu B I 2 der Gründe; 19. August 1975 – 1 AZR 565/74 – zu II 3 der Gründe, BAGE 27, 218). Die Auslegung durch das Revisionsgericht ist aber dann möglich, wenn das Berufungsgericht sie unterlassen oder wesentlichen Auslegungsstoff nicht herangezogen hat. So liegt der Fall hier. Das Landesarbeitsgericht hat das Schreiben vom 4. September 2012 nicht mit seinem Gesamtinhalt und deshalb ohne Rücksicht auf seine unterschiedliche Bedeutung für die Anhörung einmal zur außerordentlichen, das andere Mal zur hilfsweise ordentlichen Kündigung gewürdigt.
aa) Die Beklagte nimmt in ihrem Schreiben zunächst ausdrücklich auf das vorausgegangene Schreiben vom 3. September 2012 Bezug, mit welchem der Betriebsrat „zu unserer Kündigungsabsicht (…) beteiligt und um Stellungnahme gebeten” worden sei. Es heißt sodann, die Darstellung der Berufsdaten solle „im Rahmen der Beteiligung” ergänzt werden. Diese Ausführungen lassen nicht erkennen, dass die Frist zur Stellungnahme für den Betriebsrat erneut hätte in Gang gesetzt werden sollen. Der Formulierung, die Beklagte wolle die beruflichen Daten der Klägerin „ergänzen”, lässt sich ein solches Verständnis entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht eindeutig entnehmen. Eine „Ergänzung” über das Notwendige einer ordnungsgemäßen Information hinaus kann vielmehr durchaus innerhalb der schon laufenden Frist zur Stellungnahme erfolgen.
bb) Das Schreiben vom 4. September 2012 enthält Angaben, die für die Anhörung zur fristlosen Kündigung – wie ausgeführt – nicht erforderlich waren. Der Betriebsrat konnte es deshalb mit Blick auf die beabsichtigte außerordentliche Kündigung nicht dahin verstehen, die Beklagte wolle mit ihm die Frist zur Stellungnahme erneut beginnen lassen. Die ergänzenden Angaben stellen insoweit keine notwendigen Richtigstellungen dar. Dass dies für die hilfsweise beabsichtigte ordentliche Kündigung anders zu beurteilen sein könnte, weil sich erst aus dem Schreiben vom 4. September 2012 ergab, dass die ordentliche Kündigung nunmehr mit einer Frist von fünf Monaten zum Monatsende erklärt werden sollte, ist für die Anhörung zur außerordentlichen Kündigung ohne Belang.
cc) Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass die Beklagte im Schreiben vom 4. September 2012 auf die ihres Erachtens gegebene Bedeutung des Beamtenstatus der Klägerin für die Interessenabwägung hingewiesen hat. Daraus durfte der Betriebsrat nicht schließen, sie habe sich für eine außerordentliche Kündigung erst aufgrund dieses Umstands entschieden. Nach ihren Ausführungen hielt sie den Beamtenstatus der Klägerin vielmehr lediglich für einen weiteren zu deren Lasten gehenden Umstand. Das lässt nicht den Schluss zu, sie habe sich entgegen ihrem Schreiben vom 3. September 2012 in Wirklichkeit erst angesichts dieses Umstands und nicht schon unabhängig davon zur außerordentlichen Kündigung entschlossen.
II. Ob die fristlose Kündigung wirksam ist, steht noch nicht fest. Das Landesarbeitsgericht wird bei der neuen Verhandlung und Entscheidung zu prüfen haben, ob ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB gegeben war und ob die Beklagte die Frist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt hat. Hierfür fehlt es bislang an Feststellungen.
Die Unwirksamkeit der Kündigung unter einem dieser Gesichtspunkte ergibt sich nicht bereits aus dem eigenen Vorbringen der Beklagten. Diese beruft sich ua. darauf, die Klägerin habe zwecks Vorspiegelung einer Steigerung des Shop-Ergebnisses und des entgeltwirksamen Grades ihrer Zielerreichung eine Vielzahl von Kunden unberechtigt in Rahmenverträge buchen und nur für Mitarbeiter vorgesehene Rabatte auch an Kunden weitergeben lassen. Solche Pflichtverletzungen kommen als erhebliche Verstöße gegen die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Beklagten gemäß § 241 Abs. 2 BGB und damit „an sich” als wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB in Betracht; sie können geeignet sein, die fristlose Kündigung eines Arbeitsverhältnisses auch ohne vorherige Abmahnung zu rechtfertigen. Sollten kündigungsberechtigte Personen – wie von der Beklagten geltend gemacht – trotz zügiger Ermittlungen erst am 24. August 2012 ausreichende Kenntnis von dem Kündigungssachverhalt gehabt haben, wäre bei einem Zugang der Kündigung noch am 7. September 2012 auch die zweiwöchige Frist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt.
Unterschriften
Kreft, Niemann, Rachor, Frey, Torsten Falke
Fundstellen
Haufe-Index 7682216 |
DB 2015, 1051 |
NJW 2015, 1469 |
FA 2015, 158 |
NZA 2015, 476 |
ZTR 2015, 293 |
AP 2015 |
EzA-SD 2015, 3 |
EzA 2015 |
AA 2015, 153 |
AUR 2015, 197 |
ArbR 2015, 207 |
GWR 2015, 171 |
NJW-Spezial 2015, 211 |