Entscheidungsstichwort (Thema)
Interessenausgleich bei Zweifeln über die zuständige Arbeitnehmervertretung
Leitsatz (amtlich)
- Der Versuch eines Interessenausgleichs im Sinne von § 113 Abs. 3 BetrVG erfordert die Verhandlung mit dem zuständigen Betriebsrat oder Gesamtbetriebsrat. Der Arbeitgeber trägt die Initiativlast.
- Plant ein Arbeitgeber die Verlegung eines Betriebes und dessen Zusammenlegung mit einem anderen seiner Betriebe, so ist der Gesamtbetriebsrat für Verhandlungen über einen Interessenausgleich zuständig.
- Bei Zweifeln über den zuständigen Verhandlungspartner muß der Arbeitgeber die in Betracht kommenden Arbeitnehmervertretungen zur Klärung der Zuständigkeitsfrage auffordern. Weist er hingegen ohne weiteres einen der möglichen Verhandlungspartner zurück, so trägt er das Risiko, daß sein Verhandlungsversuch als unzureichend gewertet wird, wenn dieser zuständig gewesen wäre.
Normenkette
BetrVG § 50 Abs. 1, §§ 111-112, 113 Abs. 3
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 2. Februar 1995 – 5 Sa 1104/94 – wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten in erster Linie um einen Anspruch auf Nachteilsausgleich gem. § 113 Abs. 3 BetrVG, weil ein Interessenausgleich nicht versucht worden sei. Hilfsweise macht die Klägerin die Unwirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung und einen Anspruch nach §§ 9, 10 KSchG geltend.
Die ursprünglich verklagte F… GmbH (im folgenden: Beklagte) ist nach Erlaß des angefochtenen Urteils aufgrund Verschmelzungsvertrages vom 30. Mai 1995 mit der B… GmbH durch Aufnahme verschmolzen worden; die Eintragung in das Handelsregister der jetzigen Beklagten als übernehmender Gesellschaft erfolgte am 9. August 1995.
Die Klägerin war seit 1962 bei der Beklagten angestellt. Ihr Bruttogehalt lag zuletzt bei 3.606,-- DM bzw. – so die Klägerin – bei 3.859,-- DM. Die Beklagte produziert und vertreibt feuerfeste Massen. Die Produktionsstätte befindet sich in O… bei W…, wo die Beklagte im Jahre 1993 76 Arbeitnehmer beschäftigte. Die Verwaltung mit 25 Arbeitnehmern – unter ihnen die Klägerin – befand sich bis 1993 in Frankfurt am Main. Sowohl in O… wie in Frankfurt bestand ein Betriebsrat; die Betriebsräte hatten einen Gesamtbetriebsrat gebildet.
Am 2. April 1993 fand bei der Beklagten eine Gesellschafterversammlung statt. In dem hierüber errichteten Protokoll heißt es u.a.:
Einziger Punkt der Tagesordnung war die Verlegung der Verwaltung zum Werk nach O….
Der Beschluß wurde einstimmig gefaßt. Es wurde empfohlen, den Umzug schnellstmöglich, auf jeden Fall aber im Laufe des Jahres 1993, durchzuführen. Voraussetzung ist eine detaillierte Planung sowie die Benennung eines für die Durchführung Verantwortlichen.
Der Betriebsrat in Frankfurt wurde hierüber erstmals am 17. Mai 1993 unterrichtet. Ihm wurde zugleich der Entwurf eines Interessenausgleichs und eines Sozialplans vorgelegt. Am 28. Mai und 4. Juni 1993 fanden zwischen der Beklagten und dem Betriebsrat Frankfurt Verhandlungen statt, die jedoch ohne Ergebnis blieben. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts waren bei dem Gespräch am 28. Mai ein oder zwei Mitglieder des Gesamtbetriebsrats zugegen. Sie verhandelten jedoch nicht zur Sache, sondern verließen die Gesprächsrunde, nachdem die Vertreter der Arbeitgeberin die Unzuständigkeit des Gesamtbetriebsrats gerügt hatten.
Mit Aushang vom 7. Juni 1993 forderte die Beklagte die Mitarbeiter in Frankfurt auf, bis zum 14. Juni 1993 mitzuteilen, ob Interesse an einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses in O… bestehe. Niemand meldete sich. Am 15. Juni 1993 tagte die von der Beklagten angerufene Einigungsstelle. Laut Protokoll über die Sitzung der Einigungsstelle stellte der Vorsitzende nach vergeblichen Verhandlungen über einen Interessenausgleich fest, daß diese gescheitert seien. Die Beklagte hatte zuvor unter dem 11. Juni 1993 dem Vorsitzenden der Einigungsstelle nähere Informationen zukommen lassen. Dieses Schreiben nebst Anlagen erhielt der Betriebsrat am Morgen des 15. Juni vor der Verhandlung der Einigungsstelle. Am 16. Juni 1993 wurde der Betriebsratsvorsitzenden ein Anhörungsbogen zugeleitet, auf dem die in Frankfurt beabsichtigten Änderungskündigungen vermerkt waren. Auf der Liste der betroffenen Arbeitnehmer stand auch die Klägerin. Der Betriebsrat äußerte sich hierzu innerhalb Wochenfrist nicht. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit Schreiben vom 25. Juni (zugegangen am selben Tage) zum 31. Dezember 1993. Sie bot gleichzeitig die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses in O… ab dem 1. Januar 1994 an. Die Klägerin lehnte das Änderungsangebot ab. Am 9. Juli 1993 schlossen die Beklagte und der Betriebsrat in Frankfurt einen Sozialplan.
Nachdem die Klägerin sich zunächst nur gegen die Wirksamkeit der Änderungskündigung gewandt hatte, macht sie nunmehr in erster Linie einen Anspruch auf Nachteilsausgleich geltend. Sie hat die Auffassung vertreten, die Beklagte habe keinen hinreichenden Versuch eines Interessenausgleichs unternommen. Zuständig sei nicht der Betriebsrat in Frankfurt, sondern der Gesamtbetriebsrat gewesen. Durch die Verlegung der Verwaltung nach O… seien auch die Interessen des Produktionsbetriebes berührt worden. Die Verbindung zu einer organisatorischen Einheit habe zu einer Veränderung der Gesamtstruktur des Betriebes in O… geführt. Die Versetzung der Mitarbeiter von Frankfurt nach O… sei jedenfalls in der Planung nicht auszuschließen gewesen und wäre für die dortige Belegschaft nicht ohne Auswirkungen geblieben. In einer solchen Situation sei der Betriebsrat des verlegten Betriebes nicht in der Lage, das Mitbestimmungsrecht allein wahrzunehmen. Verhandele der Arbeitgeber mit dem falschen betriebsverfassungsrechtlichen Organ, sei dies gleichbedeutend mit der Unterlassung des Versuchs eines Interessenausgleichs.
Im übrigen sei der Versuch auch deshalb unzulänglich, weil die Beklagte den Betriebsrat in Frankfurt nicht rechtzeitig und sachgerecht informiert habe. Der Verlegungsbeschluß habe spätestens am 2. April 1993 abschließend festgestanden, so daß über das “Ob” der Betriebsverlegung gar nicht mehr verhandelt werden konnte. Im übrigen sei die Verlegung ohnehin nur Teil eines bereits seit 1992 verfolgten Gesamtplans, die Produktion an die B… GmbH zu veräußern. Daher hätte schon 1992 ein Interessenausgleich versucht werden müssen. Die Unterrichtung des Betriebsrats nur wenige Stunden vor Beginn der Sitzung der Einigungsstelle über das dortige Vorbringen sei in keinem Fall rechtzeitig. Im übrigen sei der entsprechende Vortrag auch unzutreffend gewesen. Einzelne Planungsschritte seien mit dem Betriebsrat nicht erörtert worden. Eine Stillegung vor dem 31. Dezember 1993 sei von Anfang an nicht beabsichtigt gewesen, weil sie technisch gar nicht möglich gewesen wäre.
Hilfsweise hat die Klägerin die Auffassung vertreten, die Kündigung sei unwirksam. Sie sei sozialwidrig, da keine dringenden betrieblichen Gründe vorgelegen hätten. Die Beklagte habe zu Unrecht geltend gemacht, ohne die Verlegung wäre sie in eine Existenzkrise geraten. Wegen der inzwischen erfolgten Stillegung des Betriebes in Frankfurt sei die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zumutbar; das Arbeitsverhältnis sei gegen Abfindung gem. §§ 9, 10 KSchG aufzulösen. Jedenfalls sei die Kündigung wegen nicht ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats unwirksam.
Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,
die Beklagte zur Zahlung einer angemessenen Abfindung gemäß den §§ 113 Abs. 3, Abs. 1, 111 BetrVG zu verurteilen,
hilfsweise:
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten durch die Kündigung vom 25. Juni 1993 nicht aufgelöst und beendet worden ist, sowie das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit der Beklagten zum 30. September 1994 aufzulösen und die Beklagte zur Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verurteilen,
hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit den Hilfsanträgen:
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch die Änderungskündigung der Beklagten vom 25. Juni 1993 nicht aufgelöst worden ist.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
Sie hat die Auffassung vertreten, einen Interessenausgleich hinreichend versucht zu haben. Zuständig gewesen sei nicht der Gesamtbetriebsrat, sondern der Einzelbetriebsrat in Frankfurt. Der Betrieb in O… sei durch die Maßnahme nicht berührt worden. Interessen der dort ausschließlich in der Produktion beschäftigten Arbeitnehmer seien durch den Aufbau der Verwaltung nicht beeinträchtigt. Wenn es zu Versetzungen von Mitarbeitern nach O… gekommen wäre, wäre der dortige Betriebsrat beteiligt worden. Es liege keine Verlegung vor. Vielmehr sei der Betrieb in Frankfurt stillgelegt worden, während sie in O… eine neue Verwaltung aufgebaut habe. Der Betriebsrat in Frankfurt sei in allen Phasen der Planung rechtzeitig und ausreichend unterrichtet worden. Die Gesellschafterversammlung habe sich am 2. April 1993 zunächst lediglich über die künftige Zielsetzung geeinigt. Ohne eine solche Übereinstimmung wäre gar nicht klar gewesen, worüber mit dem Betriebsrat gesprochen werden sollte. Im übrigen habe die Gesellschafterversammlung nur eine Empfehlung abgegeben und den Geschäftsführer mit der Planung beauftragt. Hierüber sei der Betriebsrat auch ordnungsgemäß informiert worden.
Die Kündigung sei wirksam. Sie sei betriebsbedingt. Die Stillegung des Betriebes in Frankfurt sei als unternehmerische Entscheidung hinzunehmen. Der Betriebsrat sei ordnungsgemäß angehört worden.
Das Arbeitsgericht hat auf den letzten Hilfsantrag die Unwirksamkeit der Kündigung festgestellt; den Hauptantrag und den vorangehenden Hilfsantrag hat es abgewiesen. Gegen diese Entscheidung haben beide Parteien Berufung eingelegt. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der Klägerin dem Hauptantrag stattgegeben und die Beklagte zur Zahlung einer Abfindung verurteilt. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der zugelassenen Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat einen Anspruch der Klägerin auf Nachteilsausgleich gem. § 113 Abs. 3 BetrVG zu Recht bejaht.
I. Die Beklagte war verpflichtet, über den erforderlichen Interessenausgleich mit dem Gesamtbetriebsrat zu verhandeln.
1. Gem. § 50 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der Gesamtbetriebsrat zuständig für die Behandlung von Angelegenheiten, die das Gesamtunternehmen oder mehrere Betriebe betreffen und nicht durch die einzelnen Betriebsräte innerhalb ihrer Betriebe geregelt werden können. Bei mitbestimmungspflichtigen Betriebsänderungen ist dies anzunehmen, wenn die Maßnahme sich auf alle oder mehrere Betriebe auswirkt und deshalb eine einheitliche Regelung notwendig ist. Das kann etwa der Fall sein bei einer Stillegung aller Betriebe oder der Zusammenlegung mehrerer Betriebe (Senatsurteil vom 17. Februar 1981 – 1 AZR 290/78 – BAGE 35, 80 = AP Nr. 11 zu § 112 BetrVG 1972; BAG Urteil vom 20. April 1994 – 10 AZR 186/93 – AP Nr. 27 zu § 113 BetrVG 1972; Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 50 Rz 22; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, BetrVG, 18. Aufl., § 50 Rz 42 und § 111 Rz 65; Trittin in Däubler/ Kittner/Klebe/Schneider, BetrVG, 4. Aufl., § 50 Rz 59 – alle m.w.N.). Von diesen Grundsätzen ist das Landesarbeitsgericht ausgegangen. Es hat zutreffend eine überbetriebliche Regelungsbedürftigkeit angenommen.
a) Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, daß die Beklagte eine Verlegung des Betriebes von Frankfurt nach O… sowie eine Zusammenschließung mit dem dortigen Produktionsbetrieb geplant hat. Hierin hat es einen mitbestimmungspflichtigen Tatbestand nach § 111 Satz 2 Nr. 2 wie auch Nr. 3 BetrVG gesehen. Dem ist zuzustimmen.
Die “Verlegung der Verwaltung zum Werk nach O…” war Inhalt des Gesellschafterbeschlusses vom 2. April 1993. Der “Umzug” sollte schnellstmöglich durchgeführt werden. Die Beklagte plante, die Mitarbeiter aus Frankfurt in O… zu beschäftigen. Sie hat in ihrem Schreiben vom 11. Juni 1993 an den Einigungsstellenvorsitzenden darauf verwiesen, daß die geplante Verlagerung der Arbeitsplätze keine Unzumutbarkeit darstelle. Dem entspricht ihr Schreiben, mit dem sie die Mitarbeiter aufforderte, die eventuelle Bereitschaft zur Weiterarbeit in O… mitzuteilen. Nachdem hierauf niemand reagierte, sprach die Beklagte gegenüber allen Arbeitnehmern Änderungskündigungen aus und bot gleichzeitig die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses in geänderter Form an, nämlich mit dem Erfüllungsort in O…. Sie mußte also die Weiterbeschäftigung der Arbeitnehmer mindestens als Möglichkeit einplanen und in Rechnung stellen.
Maßgebend für die Zuständigkeit des Betriebsrats bzw. Gesamtbetriebsrats ist nicht, wie sich die geplante Betriebsänderung im Laufe der Zeit realisiert, sondern die ursprüngliche Planung. Auf diese Planung soll die zuständige Arbeitnehmervertretung einwirken können. Geplant war aber nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts der “Umzug” der Verwaltung einschließlich der Mitarbeiter, also der Zusammenschluß der Verwaltung mit dem Betrieb in O…. Eine “Stillegung” des Betriebes in Frankfurt und die Neuerrichtung einer Verwaltung in O… mit einer neuen Belegschaft entsprach dieser Planung nicht.
b) Die gegen diese Feststellung des Landesarbeitsgerichts erhobenen Verfahrensrügen der Verletzung der §§ 286, 139 ZPO sind nicht begründet.
Soweit die Beklagte rügt, das Landesarbeitsgericht habe eine Stillegung des Betriebes in Frankfurt verneint, obwohl beide Parteien die gegenteilige Ansicht vertreten hätten, beanstandet sie nur die rechtliche Würdigung des Landesarbeitsgerichts. Dieses hat seine Annahme, daß ein Zusammenschluß beider Betriebe geplant gewesen sei, aus unstreitigen Tatsachen abgeleitet, nämlich daraus, daß die Gesellschafterversammlung die Verlegung der Verwaltung zum Werk O… beschlossen und die Beklagte allen Mitarbeitern die Weiterarbeit in O… angeboten hatte. Das Landesarbeitsgericht hat durchaus erkannt, daß es faktisch zur Neuerrichtung der Verwaltung gekommen ist, nachdem kein Mitarbeiter aus Frankfurt bereit war, den ihm angebotenen Wechsel nach O… zu vollziehen. Darauf kommt es aber hier nicht an. Maßgebend ist vielmehr, wie die Betriebsänderung geplant war.
Soweit die Beklagte weiter rügt, das Landesarbeitsgericht habe zu Unrecht angenommen, daß Verwaltung und Produktion in O… zu einer organisatorischen Einheit zusammengefaßt werden sollten, wird sie der Begründung nicht gerecht. Das Landesarbeitsgericht ist von einem tatsächlichen Zusammenschluß von Verwaltung und Produktion in einem einheitlichen Betrieb in O… ausgegangen. Es hat dabei als unerheblich offengelassen, ob die beiden Betriebe einen neuen Betrieb bilden sollten oder ob der Betrieb O… die verlagerte Verwaltung nur aufnehmen sollte. Die Beklagte rügt, das Landesarbeitsgericht habe keinerlei Feststellungen getroffen, die diese Eingrenzung rechtfertigten. Dies reicht als Verfahrensrüge schon deshalb nicht aus, weil die Beklagte hätte vortragen müssen, wie denn abweichend von den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts der Aufbau der Verwaltung in O… geplant gewesen sei. Daß die Verwaltung weiterhin räumlich und organisatorisch getrennt von der Produktion bleiben sollte, behauptet die Beklagte selbst nicht. Das wäre auch unverständlich im Hinblick auf den angegebenen Zweck der Maßnahme, nämlich die Kosten einzusparen, die durch die bisherige organisatorische und räumliche Trennung entstanden waren.
c) Die festgestellte Betriebsverlegung erfüllt nach der zutreffenden Ansicht des Landesarbeitsgerichts zugleich den Tatbestand des § 111 Satz 2 Nr. 4 BetrVG. Die Einfügung der Verwaltung in den Produktionsbetrieb in O… führt zwangsläufig zu einer grundlegenden Änderung der Organisation und des Zweckes dieses Betriebes. Produktion und Verwaltung stellen unterschiedliche arbeitstechnische Zwecke dar. Tritt in einem bisher nur produzierenden Betrieb der arbeitstechnische Zweck “Verwaltung” hinzu, ändert sich der Betriebszweck (vgl. Senatsbeschluß vom 17. Dezember 1985 – 1 ABR 78/83 – BAGE 50, 309 = AP Nr. 15 zu § 111 BetrVG 1972; zum Gegenstück der Abspaltung eines Betriebsteils als Änderung des Betriebszweckes s. Senatsbeschluß vom 16. Juni 1987 – 1 ABR 41/85 – BAGE 55, 356 = AP Nr. 19 zu § 111 BetrVG 1972).
Es ist hier auch nicht zu beanstanden, daß das Landesarbeitsgericht von einer grundlegenden Änderung ausgegangen ist. Dem Betrieb O… sollte ein ganz neuer arbeitstechnischer Zweck zuwachsen und nicht nur der bisherige Zweck (Produktion) unwesentlich erweitert werden. Dieser neue Zweck ist für den Betrieb in O…, der ohne eine Verwaltung gar nicht existieren kann, außerordentlich wichtig. Das macht auch schon das im Zeitpunkt des Zusammenschlusses bestehende Zahlenverhältnis der Belegschaften von etwa 1 zu 3 deutlich.
2. Für die Wahrnehmung des sich danach ergebenden Beteiligungsrechts war der Gesamtbetriebsrat zuständig. Der geplante Zusammenschluß war eine Maßnahme, die beide Betriebsstätten betraf und die daher auch nur einheitlich geregelt werden konnte. Daß auch die betrieblichen Interessen in O… betroffen waren, ergibt sich schon aus der grundlegenden Änderung des Betriebszweckes. Das Landesarbeitsgericht weist zu Recht darauf hin, daß sich die gesamte Personalstruktur dieses Betriebes änderte, indem sich die Belegschaftsgröße deutlich erhöhte und das Verhältnis von Angestellten zu Arbeitern stark verschob. Daß auch Arbeitsplätze in O… als Folge der Umstrukturierung und Kostenminderung wegfielen, ist zwar nicht konkret festgestellt, war aber als Möglichkeit im allein maßgebenden Planungsstadium aufgrund der gegebenen Sachlage nicht von vornherein auszuschließen. Auch insoweit waren also die Interessen der Belegschaft in O… berührt.
Daraus folgt, daß ein einheitlicher Interessenausgleich erforderlich war. Die im Planungsstadium beabsichtigte Verlegung bei gleichzeitigem Zusammenschluß mit dem Betrieb in O… war ein einheitlicher Vorgang, der bei seiner Würdigung nicht auseinandergerissen werden darf. Das macht schon die Notwendigkeit der zeitlichen Koordination deutlich. Da ein unternehmenseinheitliches Konzept zugrunde liegt, ist die Beurteilung und Mitgestaltung Aufgabe des Gesamtbetriebsrats. Im anzustrebenden Interessenausgleich hat er u.a. auch darüber zu befinden, ob und inwieweit das Konzept gebilligt wird, ob ihm etwa eine andere Konzeption besser, sinnvoller oder interessengerechter erschiene. Diese Entscheidung kann nicht von den einzelnen Betriebsräten getroffen werden (vgl. auch BAG Urteil vom 20. April 1994 – 10 AZR 186/93 – AP Nr. 27 zu § 113 BetrVG 1972, zu III der Gründe; Fitting/Kaiser/ Heither/Engels, aaO, § 50 Rz 42).
II. Die bis in die Einigungsstelle geführten Verhandlungen mit dem Einzelbetriebsrat in Frankfurt stellen keinen ordnungsgemäßen Versuch eines Interessenausgleichs im Sinne des § 113 Abs. 3 BetrVG dar, weil sie nicht mit dem zuständigen betriebsverfassungsrechtlichen Organ geführt worden sind. Bei dieser Sachlage schuldet die Beklagte die Zahlung einer Abfindung als Nachteilsausgleich.
1. Gem. § 113 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 und Abs. 2 BetrVG haben Arbeitnehmer, die infolge einer Betriebsänderung entlassen werden, einen Anspruch auf Zahlung einer Abfindung, wenn der Arbeitgeber die Betriebsänderung durchführt, ohne zuvor einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben. Mit dieser Sanktion soll die vorgeschriebene Beteiligung des Betriebsrats bei unternehmerischen Maßnahmen abgesichert werden (vgl. Begründung zum Regierungsentwurf BT-Drucks. VI/1786 S. 55). Die Beklagte hat zwar vergeblich über einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat in Frankfurt verhandelt. Dieser Versuch entsprach aber schon deshalb nicht den gesetzlichen Voraussetzungen, weil die Verhandlung mit dem falschen betriebsverfassungsrechtlichen Organ geführt wurde.
a) Wenn § 113 Abs. 3 BetrVG die Wahrung der Mitbestimmungsrechte “des Betriebsrats” sichern will, soll damit erreicht werden, daß das zuständige Gremium seine Rechte wahrnehmen kann. Es reicht nicht aus, daß überhaupt mit einem betriebsverfassungsrechtlichen Organ verhandelt wird. Das kann schon deshalb nicht genügen, weil der Arbeitgeber es sonst in der Hand hätte, nur das ihm genehmste Organ zu beteiligen. Die Zuständigkeitsverteilung zwischen Gesamtbetriebsrat und Einzelbetriebsräten nach § 50 Abs. 1 BetrVG stünde zur Disposition des Arbeitgebers. Verhandlungen mit dem “falschen” Betriebsrat genügen daher grundsätzlich nicht, um der Sanktion des § 113 Abs. 3 BetrVG zu entgehen. Auf ein Verschulden des Unternehmers kommt es dabei nicht an. Entscheidend ist allein das objektiv betriebsverfassungswidrige Verhalten (Senatsurteil vom 4. Dezember 1979 – 1 AZR 843/76 – AP Nr. 6 zu § 111 BetrVG 1972; Senatsurteil vom 29. November 1983 – 1 AZR 523/82 – BAGE 44, 260 = AP Nr. 10 zu § 113 BetrVG 1972; Fabricius, GK-BetrVG, 5. Aufl., § 113 Rz 24).
b) Die Revision wendet ohne Erfolg ein, der Gesamtbetriebsrat hätte seinerseits initiativ werden und Verhandlungen über den Interessenausgleich verlangen müssen, wenn er selbst von seiner Zuständigkeit ausgegangen wäre. Richtig daran ist, daß auch der Betriebsrat aktiv werden muß, wenn Zuständigkeitszweifel erkennbar werden. Bei unklarer Rechtslage genügt der Arbeitgeber seinen betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten, wenn er in geeigneter Weise versucht, den richtigen Partner für die Verhandlungen um einen Interessenausgleich zu finden.
Die Abgrenzung der Zuständigkeit zwischen Einzelbetriebsrat und Gesamtbetriebsrat ist unscharf. Wollte man dem Arbeitgeber die fehlerhafte Wahl des Verhandlungspartners in jedem Fall als unterbliebenen Versuch anlasten, läge hierin ein nicht zumutbares und vom Sanktionszweck der Regelung auch nicht gefordertes Risiko. Eine Vorabklärung der Zuständigkeit in einem gerichtlichen Verfahren ist oft nicht ohne weiteres möglich, weil Betriebsänderungen vielfach schnelle Entscheidungen fordern. Für die Annahme des hinreichenden Versuchs eines Interessenausgleichs muß daher bei unklarer Zuständigkeit ausreichen, daß der Arbeitgeber alles ihm Zumutbare unternimmt.
Der Arbeitgeber trägt allerdings im Rahmen des § 113 BetrVG die Initiativlast (Fabricius, aaO, § 113 Rz 24). Diese erstreckt sich auch auf die Ermittlung des richtigen Verhandlungspartners. Bestehen Zweifel, ob Einzelbetriebsräte oder der Gesamtbetriebsrat zuständig sind, muß der Arbeitgeber die in Betracht kommenden Gremien zur Klärung der Zuständigkeitsfrage auffordern. Einigen sich Gesamtbetriebsrat und Einzelbetriebsräte auf die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats, ist dieser in der Regel schon deshalb der richtige Verhandlungspartner, weil dann zumindest eine Beauftragung des Gesamtbetriebsrats nach § 50 Abs. 2 BetrVG anzunehmen ist. Einigen sich Gesamtbetriebsrat und Einzelbetriebsräte auf die Zuständigkeit eines oder mehrerer Einzelbetriebsräte, ist diese Einigung allerdings rechtlich nicht bindend, falls in Wahrheit die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats gegeben wäre; das Gesetz sieht eine entsprechende Delegation nicht vor. Verhandelt der Arbeitgeber aber dennoch mit derjenigen Arbeitnehmervertretung, die ihm gegenüber von den in Betracht kommenden betriebsverfassungsrechtlichen Organen übereinstimmend als zuständig bezeichnet wurde, liegt hierin regelmäßig ein dem Sanktionszweck des § 113 Abs. 3 BetrVG genügender Versuch eines Interessenausgleichs. Das gleiche gilt, wenn sich die Arbeitnehmervertretungen nicht einigen und der Arbeitgeber daraufhin eine Entscheidung trifft, die unter Berücksichtigung der Entscheidungssituation nachvollziehbar erscheint.
2. Ein derartiger Versuch, mit dem richtigen betriebsverfassungsrechtlichen Partner zu verhandeln, fehlt hier, wie das Landesarbeitsgericht richtig gesehen hat. Die Beklagte hat selbst nicht vorgetragen, daß sie den Gesamtbetriebsrat als möglichen Partner angesprochen und informiert hätte. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts waren zwar ein oder zwei Vertreter des Gesamtbetriebsrats bei dem Gespräch am 28. Mai 1993 zeitweise anwesend. Sie verließen aber die Runde, nachdem die Arbeitgebervertreter deutlich gemacht hatten, daß sie keine Verhandlungen mit dem Gesamtbetriebsrat wünschten. Bei dieser Sachlage kann nicht gesagt werden, daß der Gesamtbetriebsrat – etwa nach dem in § 2 BetrVG niedergelegten Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit – verpflichtet gewesen wäre, die Arbeitgeberin auf Bedenken gegen die Zuständigkeit des Einzelbetriebsrates hinzuweisen oder gar selbst die Initiative zu ergreifen, um seine Beteiligungsrechte durchzusetzen. Insoweit übernahm die Arbeitgeberin das Risiko, den falschen Verhandlungspartner gewählt zu haben.
Dem Landesarbeitsgericht ist auch darin zuzustimmen, daß die zeitweilige Anwesenheit von Mitgliedern des Gesamtbetriebsrates ohne Beteiligung am Inhalt der Gespräche als ausreichender Versuch eines Interessenausgleichs gemäß § 113 Abs. 3 BetrVG nicht gelten kann. Der Fehler wurde auch nicht dadurch geheilt, daß die Einigungsstelle ohne weiteres von ihrer Zuständigkeit ausging. Auch an der Einigungsstelle war der Gesamtbetriebsrat nicht beteiligt.
Die Voraussetzungen des § 113 Abs. 3 BetrVG sind mithin erfüllt. Die Klägerin ist infolge der mitbestimmungspflichtigen Betriebsänderung entlassen worden. Gegen die Höhe des festgesetzten Betrages hat die Revision keine Einwendungen erhoben.
Unterschriften
Dieterich, Wißmann, Rost, Breier, Lappe
Fundstellen
Haufe-Index 873896 |
BAGE, 79 |
BB 1996, 1511 |
BB 1996, 2093 |
NZA 1996, 1107 |
ZIP 1996, 1391 |