Entscheidungsstichwort (Thema)
Tarifliche Sonderzahlung. dauernde Arbeitsunfähigkeit. Bestätigung der Rechtsprechung des Zehnten Senats vom 5. August 1992 (– 10 AZR 88/90 – und – 10 AZR 171/91 –), vom 2. September 1992 (– 10 AZR 596/90 –) und vom 17. Dezember 1992 (– 10 AZR 427/91 –)
Leitsatz (amtlich)
Auch ein Arbeitnehmer, der während des gesamten Kalenderjahres arbeitsunfähig krank war, kann die betriebliche Sonderzahlung nach dem TV-Sonderzahlung beanspruchen.
Normenkette
BGB § 611; TV-Sonderzahlung Ziff. 2; TV-Sonderzahlung Ziff. 5 Buchst. c
Verfahrensgang
LAG Schleswig-Holstein (Urteil vom 02.04.1992; Aktenzeichen 4 Sa 283/91) |
ArbG Husum (Urteil vom 11.04.1991; Aktenzeichen 1 Ca 25/91) |
Tenor
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 2. April 1992 – 4 Sa 283/91 – aufgehoben.
Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Arbeitsgerichts Husum vom 11. April 1991 – 1 Ca 25/91 – abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger 2.213,02 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich daraus ergebenden Nettobetrag seit dem 17. Januar 1991 zu zahlen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen !
Tatbestand
Die Parteien streiten über eine betriebliche Sonderzahlung für das Jahr 1990 nach dem Tarifvertrag über die stufenweise Einführung eines 13. Monatseinkommens (Sonderzahlung) für die holz- und kunststoffverarbeitende Industrie in den Ländern Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, im Land Nordrhein-Westfalen für die Landesteile Westfalen und Lippe für die Arbeiter, Angestellten und Auszubildenden vom 10. Januar 1989, gültig ab 1. Januar 1989 (im folgenden: TV-Sonderzahlung).
Die jetzigen Kläger sind die Erben des am 21. April 1991 verstorbenen E…. Sie führen den Rechtsstreit nach dessen Tod weiter.
Der Verstorbene war seit dem 29. April 1969 bei der Beklagten als Holzfacharbeiter beschäftigt gewesen; sein Stundenlohn betrug bei einer 40-Stunden-Woche zuletzt 19,68 DM brutto.
Auf das Arbeitsverhältnis fand der TV-Sonderzahlung Anwendung. Dieser bestimmt – soweit hier von Bedeutung – folgendes:
- “
- Arbeitnehmer, die am 1. Dezember in einem Arbeitsverhältnis stehen und zu diesem Zeitpunkt dem Betrieb ununterbrochen mindestens 4 Monate angehören, haben je Kalenderjahr einen Anspruch auf betriebliche Sonderzahlungen als Teil eines 13. Monatsverdienstes nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen.
Die Sonderzahlung wird am 1. Dezember jeden Jahres fällig. Sie beträgt bei vollem Anspruch
eines durchschnittlichen Brutto-Monatsverdienstes bzw. einer monatlichen Ausbildungsvergütung.
- Der durchschnittliche Brutto-Monatsverdienst wird aus dem Gesamtverdienst der Monate Januar bis 30. September einschließlich (1. Januar bis 30. September) des laufenden Kalenderjahres berechnet.
Für die Berechnung des Gesamtverdienstes gelten folgende Grundsätze:
- zum Gesamtverdienst gehören Lohn oder Gehalt, Urlaubsentgelt, gesetzliche Lohn- und Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfalle sowie bei Kuren und Schonzeiten.
- …
- Dem Gesamtverdienst ist hinzuzurechnen Lohn- oder Gehaltsausfall für Fehlzeiten, die von dem Arbeitnehmer nicht zu vertreten sind; dazu gehören Kurzarbeit bis zu 15 Wochen und Ausfallzeiten, die durch Teilnahme an Schulungskursen nach den Bestimmungen des MTN sowie an Tarifverhandlungen entstanden sind. Bei Krankheit, die länger als 4 Monate dauert, wird Lohn- und Gehaltsausfall für dadurch bedingte weitere Fehlzeiten nicht mehr hinzugerechnet. Dies gilt nicht für durch unverschuldete Betriebsunfälle hervorgerufene Zeiten der Arbeitsunfähigkeit sowie nicht für Arbeitnehmer, die länger als 10 Jahre dem Betrieb ununterbrochen angehören.
- Der volle Anspruch auf Sonderzahlung nach Ziffer 3 besteht jeweils für Arbeitnehmer, die am 1. Dezember des laufenden Jahres dem Betrieb mindestens 12 Monate ununterbrochen angehören.
- …
- …
- Anspruchsberechtigte Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis im Kalenderjahr kraft Gesetzes oder Vereinbarung ruht, erhalten keine Leistung; ruht das Arbeitsverhältnis im Kalenderjahr teilweise, so erhalten sie eine anteilige Leistung.
- …
- …
- …”
Der Verstorbene war vom September 1989 an arbeitsunfähig krank; er erbrachte im Jahr 1990 keine Arbeitsleistung für die Beklagte. Im Dezember 1990 verlangte er von der Beklagten die tarifliche Sonderzahlung für das Jahr 1990 in der dem Betrag nach unstreitigen Höhe von 2.213,02 DM brutto. Die Beklagte lehnte die Zahlung ab. Mit seiner Klage machte der Verstorbene die Sonderzahlung gerichtlich geltend.
Die Kläger sind der Auffassung, der tarifliche Anspruch auf die Sonderzahlung 1990 bestehe, weil die Dauer der tatsächlich erbrachten Arbeitsleistung keine Anspruchsvoraussetzung sei. Nach dem Tarifvertrag stehe Arbeitnehmern, die dem Betrieb länger als 10 Jahre angehörten, die tarifliche Sonderzahlung auch bei längerer Arbeitsunfähigkeit zu. Die tarifliche Sonderzahlung sei nicht in erster Linie Belohnung für tatsächlich erbrachte Arbeitsleistung, sondern werde für die Betriebstreue gezahlt. Dies folge insbesondere aus Ziffer 5 Buchst. c TV-Sonderzahlung.
Die Kläger haben beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.213,02 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich daraus ergebenden Nettobetrag seit dem 17. Januar 1991 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Auffassung, den Klägern stehe der Anspruch auf die Sonderzahlung nicht zu, da der Verstorbene keine Arbeitsleistung erbracht habe. Die Sonderzahlung habe im Zweifel auch Entgeltcharakter und stelle nicht nur eine Belohnung für Betriebstreue dar; aus dem Tarifvertrag ergebe sich nichts anderes. Die tarifvertragliche Regelung über krankheitsbedingte Fehlzeiten betreffe lediglich die Höhe, nicht aber den Bestand des Anspruchs auf die Sonderzahlung. Der Tarifvertrag könne auch nicht dahin ausgelegt werden, daß der Anspruch auf die Sonderzahlung Arbeitnehmern, die länger als 10 Jahre dem Betrieb ununterbrochen angehörten, ohne jegliche Arbeitsleistung zustehe. Dies würde dem Willen der Tarifvertragsparteien widersprechen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kläger blieb ohne Erfolg. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgen die Kläger den Zahlungsanspruch weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Kläger ist begründet. Sie führt zur Aufhebung und Abänderung der vorinstanzlichen Urteile und zur antragsgemäßen Verurteilung der Beklagten auf Zahlung der tariflichen Sonderzahlung in Höhe von 2.213,02 DM brutto an die Kläger.
I. Das Landesarbeitsgericht hat ausgeführt, den Klägern stehe der Anspruch nicht zu, da der Verstorbene 1990 für die Beklagte nicht gearbeitet habe. Voraussetzung für den Anspruch auf die Sonderzahlung sei aber, daß der Arbeitnehmer im Bezugszeitraum eine nicht ganz unerhebliche Arbeitsleistung für den Arbeitgeber erbracht habe. Mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sei die tarifliche Sonderzahlung auch als zusätzliche Vergütung für geleistete Arbeit und nicht nur als Honorierung von Betriebstreue anzusehen; eine abweichende Regelung der Tarifvertragsparteien sei nicht getroffen worden. Die Ziffer 5 TV-Sonderzahlung betreffe lediglich die Berechnung des Anspruchs, nicht aber die Frage, ob überhaupt ein Anspruch bestehe; soweit dort bestimmt sei, daß bei Arbeitnehmern, die länger als 10 Jahre dem Betrieb ununterbrochen angehörten, auch über 4 Monate andauernde Krankheiten bei der Berechnung des für die tarifliche Sonderzahlung bedeutsamen Gesamtverdienstes nicht zu berücksichtigen seien, folge daraus nicht, daß dem Personenkreis der langjährig Beschäftigten trotz krankheitsbedingt völlig fehlender Arbeitsleistung im Bezugsjahr gleichwohl ein voller Anspruch auf die Sonderzahlung zustehe. Die Auslegung des TV ergebe vielmehr, daß die Tarifvertragsparteien die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts berücksichtigen wollten, nach der auch langanhaltende Krankheit den Arbeitgeber nicht von der Zahlung des zusätzlichen Entgelts befreie, solange der Arbeitnehmer im Bezugszeitraum eine nicht ganz unerhebliche Arbeitsleistung erbracht habe. Rückschlüsse dahin, daß ein Anspruch auf die Sonderzuwendung auch bei Fehlen jeglicher Arbeitsleistung bestehe, ließen sich aus der tariflichen Regelung nicht ziehen. Auch die Ziffer 9 des TV-Sonderzahlung, wonach bei Ruhen des Arbeitsverhältnisses kraft Gesetzes oder Vereinbarung anspruchsberechtigte Arbeitnehmer keine Leistung erhalten sollen, ergebe nichts anderes, da das Arbeitsverhältnis des erkrankten Arbeitnehmers nicht ruhe.
Diesen Ausführungen vermag der Senat nicht zu folgen.
II. Den Klägern steht als Erben des verstorbenen E… (§ 1922 BGB) der mit der Klage geltend gemachte Anspruch auf die betriebliche Sonderzahlung nach dem TV-Sonderzahlung in der unstreitigen Höhe zu; eine tatsächlich erbrachte Arbeitsleistung des Verstorbenen ist nicht Anspruchsvoraussetzung.
1. Der Verstorbene hatte nach Ziffer 2 des TV-Sonderzahlung einen Anspruch auf die betriebliche Sonderzahlung für das Jahr 1990 als Teil eines 13. Monatsverdienstes in der unstreitigen Höhe von 2.213,02 DM brutto, da er die tariflichen Voraussetzungen erfüllte. Er stand am 1. Dezember 1990 in einem Arbeitsverhältnis und gehörte zu diesem Zeitpunkt dem Betrieb ununterbrochen mindestens 4 Monate, nämlich seit 1969, an; nach Ziffer 6 des TV-Sonderzahlung konnte der Verstorbene die volle Sonderzahlung in Höhe von 65 % eines durchschnittlichen Bruttomonatsverdienstes verlangen, da er bereits mehr als 12 Monate ununterbrochen im Betrieb der Beklagten beschäftigt war.
2. Der durchschnittliche Monatsverdienst ist aus dem Gesamtverdienst der Monate Januar bis September des laufenden Kalenderjahres zu berechnen (Ziffer 4 des TV-Sonderzahlung); dabei sind Lohn oder Gehalt, Urlaubsentgelt, gesetzliche Lohn- oder Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall sowie bei Kuren einzubeziehen (Ziffer 5 Buchst. a des TV-Sonderzahlung). Nach Ziffer 5 Buchst. c Satz 2 des TV-Sonderzahlung sind bei Krankheiten bis zur Dauer von vier Monaten Lohn- und Gehaltsausfall für die dadurch bedingten Fehlzeiten hinzuzurechnen, nicht aber für eine längere Dauer. Bei Arbeitnehmern, die dem Betrieb länger als 10 Jahre ununterbrochen angehören, soll das nach Ziffer 5 Buchst. c Satz 3 des TV-Sonderzahlung nicht gelten; das bedeutet, daß in diesem Fall auch Lohnausfälle durch krankheitsbedingte Fehlzeiten über die Dauer von vier Monaten hinaus dem Gesamtverdienst hinzuzurechnen sind.
Aus dieser tariflichen Regelung folgt, daß längere krankheitsbedingte Ausfallzeiten bei langjährig beschäftigten Arbeitnehmern – wie dem Verstorbenen – bei der Berechnung der tariflichen Sonderzahlung unschädlich bleiben, weil der Lohn- bzw. Gehaltsausfall dem für die Berechnung maßgeblichen Gesamtverdienst hinzuzurechnen ist. Damit haben die Tarifvertragsparteien ausdrücklich geregelt, wie sich Zeiten einer Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers auf den Anspruch auf die tarifliche Sonderzahlung auswirken sollen. Im Regelfall mindert sich bei Arbeitnehmern, die länger als vier Monate arbeitsunfähig krank waren, der Gesamtverdienst, der der Berechnung der tariflichen Sonderzahlung zugrunde zu legen ist, um diese längeren Ausfallzeiten. Von diesem Grundsatz macht aber Ziffer 5 Buchst. c Satz 3 des TV-Sonderzahlung eine Ausnahme für diejenigen Arbeitnehmer, die dem Betrieb ununterbrochen länger als zehn Jahre angehören. Bei diesen Arbeitnehmern, zu denen der Verstorbene gehörte, sind die Lohnausfälle infolge der Arbeitsunfähigkeit auch über die Dauer der Krankheit von vier Monaten hinaus dem Gesamtverdienst hinzuzurechnen.
Mit dieser Regelung haben die Tarifvertragsparteien klargestellt, daß für die in Ziffer 5 Buchst. c Satz 3 des TV-Sonderzahlung genannten Arbeitnehmer längere Krankheitszeiten ohne Entgeltfortzahlung ohne Einfluß auf den Anspruch auf die tarifliche Sonderzahlung bleiben sollen. Angesichts dieser tariflichen Regelung für Zeiten einer längeren Arbeitsunfähigkeit verbietet sich die Annahme, die tarifliche Regelung setze unabhängig davon noch voraus, daß auch die in Ziffer 5 Buchst. c Satz 3 TV-Sonderzahlung genannten Arbeitnehmer mit einer Betriebszugehörigkeit von mehr als zehn Jahren im Bezugszeitraum eine nicht nur geringfügige tatsächliche Arbeitsleistung erbracht haben müssen, wenn ihnen ein Anspruch auf tarifliche Sonderzahlung zustehen soll.
3. Der Umstand, daß der Verstorbene seit September 1989 dauernd arbeitsunfähig krank war und daher keine Arbeitsleistung für die Beklagte erbracht hat, steht dem Anspruch auf die tarifliche Sonderzahlung daher nicht entgegen. Der Tarifvertrag verlangt eine tatsächliche Arbeitsleistung nicht.
So hat der Senat auch bereits mit den Urteilen vom 5. August 1992 (– 10 AZR 88/90 – NZA 1993, 130, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung des Gerichts vorgesehen; und – 10 AZR 171/91 – NZA 1993, 132) entschieden und mit Urteil vom 2. September 1992 (– 10 AZR 596/90 – n.v.) bestätigt, daß der früheren Rechtsprechung, die in Fällen von Sonderzahlungen mit Mischcharakter bei Fehlen einer ausdrücklichen Regelung eine nicht unerhebliche Arbeitsleistung von in der Regel zwei Wochen verlangt hat, nicht zu folgen ist. Wenn es an einer ausdrücklichen Regelung für Zeiten der Arbeitsunfähigkeit fehle, könne der Anspruch des Arbeitnehmers nicht allein mit der Überlegung, eine tarifliche Sonderzahlung werde auch mit Rücksicht auf die für den Betrieb erbrachte Arbeitsleistung gewährt, in den Fällen verneint werden, in denen der Arbeitnehmer nicht einmal eine nicht ganz unerhebliche Arbeitsleistung von zwei Wochen erbracht habe. Ein allgemeines Rechtsprinzip, daß der Anspruch entfalle, wenn während des Bezugszeitraums überhaupt keine oder keine nennenswerte Arbeitsleistung erbracht worden sei, gebe es nicht. Es stehe den Tarifvertragsparteien frei, zu bestimmen, ob und welche Zeiten ohne tatsächliche Arbeitsleistung den Anspruch auf die Sonderzahlung ausschließen oder mindern sollen.
Eine ausdrückliche Regelung, daß der Anspruch auf die Sonderzahlung entfallen solle, wenn der Arbeitnehmer keine oder nur eine unerhebliche Arbeitsleistung infolge krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit während des Bezugszeitraums erbracht habe, enthält der TV-Sonderzahlung jedoch nicht.
4. Mit diesem Ergebnis wird auch der Wertungswiderspruch vermieden, daß nach Ziffer 5 Buchst. c Satz 3 des TV-Sonderzahlung zwar bei langjährig beschäftigten Arbeitnehmern der Verdienstausfall bei langandauernder Arbeitsunfähigkeit zur Berechnung der tariflichen Sonderzahlung hinzugerechnet wird, andererseits aber gar kein Anspruch auf die tarifliche Sonderzahlung besteht, wenn der Arbeitnehmer im Bezugszeitraum wegen der Arbeitsunfähigkeit eine nicht ganz unerhebliche Arbeitsleistung nicht erbringen konnte.
5. Die Ausführungen der Revisionsbeklagten, die Tarifvertragsparteien hätten bei Abschluß des TV-Sonderzahlung am 10. Januar 1989 die bis dahin aufgrund der früheren Rechtsprechung zum Erfordernis einer nicht ganz unerheblichen Arbeitsleistung gegebene Rechtslage zum Inhalt des Tarifvertrag gemacht, führt zu keinem anderen Ergebnis. Ein solcher Wille der Tarifvertragsparteien kommt im Tarifvertrag nicht zum Ausdruck. Bei der Auslegung von Tarifverträgen – die entsprechend der Gesetzesauslegung erfolgt – kann neben dem Tarifwortlaut der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der von ihnen beabsichtigte Sinn und Zweck der Tarifnorm nur insoweit mitberücksichtigt werden, wie er in der Tarifvorschrift zum Ausdruck kommt (BAG Urteil vom 12. September 1984 – 4 AZR 336/82 – BAGE 46, 308 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung; Urteil vom 24. November 1988 – 6 AZR 243/87 – BAGE 60, 219 = AP Nr. 127 zu § 611 BGB Gratifikation). Insbesondere kann entgegen der Auffassung der Beklagten Ziffer 9 TV-Sonderzahlung nicht entnommen werden, daß die Tarifvertragsparteien die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Inhalt des Tarifvertrags gemacht haben.
Angesichts der eindeutigen tariflichen Regelung kann eine anderweitige Tarifübung nicht herangezogen werden. Unabhängig davon, ob eine solche besteht, spricht gegen ihre Berücksichtigung, daß bereits der Sechste Senat gegen einen ungeschriebenen Rechtssatz, wie er in den Urteilen des Fünften Senats (z.B. Urteile vom 29. August 1979 – 5 AZR 763/78 – und – 5 AZR 511/79 – AP Nr. 102 und 104 zu § 611 BGB Gratifikation) zum Ausdruck kommt, Bedenken geltend gemacht und in seiner Entscheidung vom 24. Oktober 1990 (– 6 AZR 341/89 – AP Nr. 2 zu § 1 TVG Tarifverträge: Glasindustrie) den Rechtssatz aufgestellt hat, daß bei einer tariflichen Sonderzahlung, die sowohl die Entlohnung im Bezugszeitraum geleisteter Arbeit als auch die Belohnung erwiesener Betriebstreue bezweckt, es einer ausdrücklichen Quotenregelung bedürfe, wenn die Gratifikation für Zeiten gekürzt werden sollte, in denen das Arbeitsverhältnis ruhte. Enthalte der Tarifvertrag für diese Tatbestände keine Regelung, könne eine am Umfang der jährlichen Arbeitsleistung orientierte Kürzung der Gratifikation nicht mit einem allgemeinen Rechtsprinzip begründet werden.
6. Die tarifliche Sonderzahlung ist der Höhe nach unstreitig; der Zinsanspruch ergibt sich aus § 284 Abs. 1, § 288 Abs. 1 BGB.
III. Die Kosten des Rechtsstreits trägt nach § 91 ZPO die Beklagte.
Unterschriften
Matthes, Dr. Freitag, Hauck, Stabenow
Der ehrenamtliche Richter Grimm ist wegen Beendigung der Amtszeit an der Unterschrift verhindert.
Matthes
Fundstellen
Haufe-Index 845849 |
NZA 1993, 1042 |