Entscheidungsstichwort (Thema)

Fortzahlung der berufsbezogenen Zuwendung an Ballettmitglieder (DDR) über den 31. Dezember 1991 hinaus?

 

Leitsatz (redaktionell)

Parallelsache zu – 3 AZR 384/97 –

 

Normenkette

Einigungsvertrag Anl. II Kap. VIII Sachgebiet H Abschn. III Nr. 6; Grundgesetz Art. 14, 3

 

Verfahrensgang

LAG Sachsen-Anhalt (Urteil vom 25.02.1997; Aktenzeichen 4 Sa 780/95)

ArbG Magdeburg (Urteil vom 14.02.1995; Aktenzeichen 10 Ca 2777/94)

 

Tenor

1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Sachsen-Anhalt vom 25. Februar 1997 – 4 Sa 780/95 – wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darum, ob der Kläger von den Beklagten über den 31. Dezember 1991 hinaus Leistungen nach der Anordnung über die Gewährung einer berufsbezogenen Zuwendung an Ballettmitglieder in staatlichen Einrichtungen der DDR verlangen kann.

In der am 1. Juli 1983 in Kraft getretenen, vom Minister für Kultur der DDR erlassenen und nicht förmlich bekanntgemachten Anordnung, die an die Stelle einer im wesentlichen gleichlautenden Anordnung vom 1. September 1976 getreten ist, heißt es u. a.:

„In Verwirklichung des Beschlusses des Ministerrates vom 13. Mai 1976 über die weitere Entwicklung der Schaffensbedingungen der Ballettmitglieder in staatlichen Einrichtungen der DDR wird in Übereinstimmung mit dem Zentralvorstand der Gewerkschaft Kunst folgendes angeordnet:

§ 1

Geltungsbereich

Die Anordnung gilt für alle Tänzerinnen und Tänzer (im folgenden Ballettmitglieder genannt), die ihre Tätigkeit aus alters-, berufsbedingten oder gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben können und sich in einem Arbeits- bzw. Dienstverhältnis zu einem Theater, staatlichen Ensemble bzw. zum Fernsehen der DDR befinden, die dem Ministerium für Kultur, dem Ministerium für Nationale Verteidigung, dem Staatlichen Komitee für Fernsehen der DDR sowie den Räten der Bezirke, Kreise oder Städte unterstehen. …

§ 2

Berufsbezogene Zuwendung

(1) Alle Ballettmitglieder erhalten nach endgültigem Ausscheiden aus dem Tänzerberuf eine berufsbezogene Zuwendung, die nicht der Besteuerung und der Beitragspflicht zur Sozialversicherung unterliegt. …

(3) Die berufsbezogene Zuwendung beträgt 50 % der arbeitsvertraglich festgelegten monatlichen Brutto-Gage als Ballettmitglied auf der Grundlage der Gagentabelle des jeweils zutreffenden RKV der fünf zusammenhängenden verdienstgünstigsten Jahre, höchstens jedoch 800,– M monatlich.

(5) Bei Zahlung der Rente nach den Bestimmungen der Sozialversicherung wegen Erreichen der Altersgrenze oder Eintritt der Invalidität wird die berufsbezogene Zuwendung weiter gewährt. Sie beträgt dann 60 % der arbeitsvertraglich festgelegten monatlichen Brutto-Gage als Ballettmitglied (nach Gagentabelle des jeweils zutreffenden RKV) der fünf zusammenhängenden verdienstgünstigsten Jahre, höchstens jedoch 800,– M monatlich.

(6) Die berufsbezogene Zuwendung wird auch bei Ausübung einer anderen Tätigkeit, unabhängig von der Höhe des Einkommens, gewährt.

§ 3

Inanspruchnahme der berufsbezogenen Zuwendung

(1) Die Inanspruchnahme der berufsbezogenen Zuwendung setzt voraus, daß das ausscheidende Ballettmitglied das 35. Lebensjahr vollendet hat und den Tänzerberuf mindestens 15 Jahre auf der Grundlage eines Arbeitsrechtsverhältnisses als Ballettmitglied, unabhängig vom Qualifikationsgrad, ausgeübt hat.

§ 4

Zahlung und Finanzierung

(1) Die berufsbezogene Zuwendung wird von der Einrichtung an das Ballettmitglied gezahlt, zu der es bei Ausscheiden aus dem Tänzerberuf im Arbeitsrechtsverhältnis stand.

(4) Bei Zahlung der Rente nach den Bestimmungen der Sozialversicherung wegen Erreichen der Altersgrenze oder wegen Eintritt der Invalidität übernimmt die weitere Zahlung der berufsbezogenen Zuwendung die Staatliche Versicherung der DDR. …

(5) Die finanziellen Mittel für die Gewährung der berufsbezogenen Zuwendung sind im Haushaltsplan der entsprechenden Einrichtungen beim Sachkonto 3550 – Sonstige Geldzuwendungen – zu planen.

§ 5

Inkrafttreten

(1) Diese Anordnung tritt am 1. Juli 1983 in Kraft. Sie ist den betroffenen Einrichtungen und Personen in ihrem Geltungsbereich in geeigneter Weise bekanntzumachen.

(2) Gleichzeitig tritt die Anordnung vom 1. September 1976 über die Gewährung einer beufsbezogenen Zuwendung an Ballettmitglieder in staatlichen Einrichtungen der DDR außer Kraft.

…”

Der am 28. Dezember 1934 geborene Kläger war von 1955 bis zum 31. Juli 1976 als Ballettänzer tätig, zuletzt beim Theater der Beklagten zu 1), das auch schon bei seinem Ausscheiden der Stadt M. unterstand. Vom 1. August 1976 bis zum 31. Juli 1992 war der Kläger in M. als Assistent, Choreograph und kommissarischer Ballettmeister tätig. Ab dem 31. Juli 1992 bis zum 31. Dezember 1994 bezog er Altersübergangsgeld, danach wegen Arbeitslosigkeit vorgezogene gesetzliche Altersrente. Von 1976 bis zum 31. Dezember 1991 erhielt der Kläger eine berufsbezogene Zuwendung in Höhe von zuletzt 404,79 DM monatlich. Danach erfolgten keine Zahlungen mehr. Dies beruhte auf einer Regelung in der Anlage II Kap. VIII Sachgebiet H (Gesetzliche Rentenversicherung) Abschnitt III Nr. 6 zum Einigungsvertrag:

„Folgendes Recht der Deutschen Demokratischen Republik bleibt mit folgenden Maßgaben in Kraft:

6. Anordnung über die Gewährung einer berufsbezogenen Zuwendung an Ballettmitglieder in staatlichen Einrichtungen vom Juni 1983

mit folgenden Maßgaben:

  1. Die Anordnung ist bis zum 31. Dezember 1991 anzuwenden.
  2. Von der Anordnung kann für die Zeit bis zum 31. Dezember 1991 durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung abgewichen werden.”

Der Kläger hat die Fortzahlung der Zuwendung über den 31. Dezember 1991 hinaus bis zum 31. Dezember 1994 in Höhe von insgesamt 14.572,44 DM verlangt. Die Einstellung der Zahlung sei rechtswidrig gewesen. Hierfür wäre ohnehin eine Verwaltungsentscheidung nach Art. 19 des Einigungsvertrages erforderlich gewesen. Im übrigen könne aber auch die einschlägige Regelung im Einigungsvertrag die Einstellung der Zahlung nicht rechtfertigen. Der Einigungsvertrag habe eine Kontinuität aller in der DDR erworbenen Rechte, Ansprüche und Anwartschaften sichern wollen. Die Beklagten als Rechts- oder Funktionsnachfolger der DDR müßten für die Weiterzahlung der Zuwendung einstehen, die der Kläger durch Arbeit, Qualifikation und Leistung erdient habe. Der Anspruch beruhe auf einem individualisierenden begünstigenden Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nach Maßgabe des Rechts der Bundesrepublik Deutschland, der nicht entschädigungslos zurückgenommen werden könne. Der Entzug der Zuwendung stelle eine gegen Art. 14 GG verstoßende Enteignung und eine Ungleichbehandlung gegenüber den in der alten Bundesrepublik in besonderer Weise gesicherten älteren Ballettmitgliedern dar.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an den Kläger 14.572,44 DM als berufsbezogene Zuwendung für die Zeit vom 1. Januar 1992 bis zum 31. Dezember 1994 zu zahlen.

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen. Sie haben die Auffassung vertreten, ab dem 1. Januar 1992 gebe es keine Rechtsgrundlage mehr für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch. Die Anordnung über die berufsbezogene Zuwendung sei nur bis zum 31. Dezember 1991 anzuwenden gewesen. Ansprüche und Anwartschaften auf Leistungen aus der zusätzlichen Altersversorgung der Ballettmitglieder wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, Alters und Todes seien zum 31. Dezember 1991 in die Rentenversicherung überführt worden. Eine Grundrechtsverletzung sei in der Einstellung der Zahlung der berufsbezogenen Zuwendung nicht zu sehen.

Das beklagte Land hat im übrigen den Standpunkt eingenommen, es sei in keinem Falle zur Zahlung verpflichtet. Es habe zwar nach der Übergangsregelung des Einigungsvertrages die Fortzahlung der Zuwendung bis zum 31. Dezember 1991 übernommen. Insgesamt gehöre die berufsbezogene Zuwendung jedoch zum einzelnen Arbeitsverhältnis. Dessen Vertragspartner sei der Träger des betreffenden Theaters gewesen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter. Er hat mit Schriftsatz vom 15. März 1998 darüber hinaus erstmals beantragt, die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, die Leistungen nach der Anordnung über die berufsbezogene Zuwendung ab dem 1. Juli 1990 nach den gleichen Sätzen an die veränderten wirtschaftlichen Verhältnisse anzupassen, wie das für die Anpassung der Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung durch die Rentenanpassungsverordnungen festgelegt worden ist.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers bleibt erfolglos.

A. Die Revision ist unzulässig, soweit der Kläger mit ihr erstmals in der Revisionsinstanz beantragt hat, die an ihn gezahlte berufsbezogene Zuwendung entsprechend der Entwicklung bei den gesetzlichen Renten anzupassen. Der Kläger hat diesen Angriff gegen den Inhalt des angefochtenen Urteils nicht innerhalb der am 14. Mai 1997 abgelaufenen Revisionsbegründungsfrist und damit verspätet vorgebracht. Es kommt damit nicht mehr darauf an, ob vorliegend eine fristgerechte Klageerweiterung in der Revisionsinstanz ausnahmsweise zulässig gewesen wäre.

B. Die Revision im übrigen ist unbegründet, weil das Landesarbeitsgericht dem Kläger zu Recht keinen Anspruch darauf zuerkannt hat, über den 31. Dezember 1991 hinaus die berufsbezogene Zuwendung zu erhalten.

I. Der Kläger hat im Jahre 1976 einen Anspruch auf berufsbezogene Zuwendung nach der Anordnung über die berufsbezogene Zuwendung an Ballettmitglieder in staatlichen Einrichtungen der DDR (im folgenden: Anordnung bbZ) erworben. Grundlage seines Anspruchs ist die Anordnung bbZ selbst, nicht der Arbeitsvertrag. Entstehung des Anspruchs war weder von einer einzelvertraglichen Umsetzung noch von einem begünstigenden Verwaltungsakt abhängig. Der Anspruch entstand, wenn die Voraussetzungen der Anordnung bbZ erfüllt waren.

1. Nach ihrem eindeutigen Wortlaut richtete sich die Anordnung nicht nur an die Betriebsleitungen, um diese zu bestimmten vertraglichen Zusagen zu veranlassen. Nach ihrer Präambel sollte die Anordnung vielmehr für die in ihren Geltungsbereich fallenden Tänzerinnen und Tänzer unmittelbar Rechte und Pflichten begründen. Dementsprechend war die Anordnung auch nur „in geeigneter Weise bekanntzumachen”.

2. Bei der vom Minister für Kultur erlassenen Anordnung handelte es sich um eine arbeitsrechtliche Bestimmung nach § 10 Abs. 2 AGB-DDR 1977 und nicht um eine Rechtsvorschrift i. S. von Art. 89 der Verfassung der DDR. Nach § 10 Abs. 2 AGB-DDR 1977 waren die Minister und die Leiter der anderen zentralen Staatsorgane berechtigt, in Übereinstimmung mit dem Bundesvorstand des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes bzw. den Zentralvorständen der Industriegewerkschaften und Gewerkschaften arbeitsrechtliche Bestimmungen, die über ihren Verantwortungsbereich hinaus gelten, zu erlassen, wenn das in Rechtsvorschriften vorgesehen war oder sie durch den Ministerrat hierzu besonders beauftragt waren. Von einer entsprechenden Ermächtigung hat der Minister für Kultur der DDR ausweislich der Präambel der Anordnung bbZ bei deren Erlaß Gebrauch gemacht. Deshalb steht der unmittelbar rechtsbegründenden Wirkung der Anordnung der Umstand nicht entgegen, daß sie nicht in der Form veröffentlicht worden ist, wie dies in Art. 89 der Verfassung der DDR für Gesetze und andere allgemeinverbindliche Rechtsvorschriften der DDR vorgeschrieben war.

3. Auch die tatsächliche Umsetzung der Anordnung bbZ, wie sie sich aus dem vorliegenden Rechtsstreit und den Parallelverfahren erschließt, bestätigt deren unmittelbar rechtsbegründende Wirkung. In keiner der vorliegenden Rechtsstreitigkeiten gibt es Anhaltspunkte für vertragliche Vereinbarungen. Voraussetzung für die Leistung der berufsbezogenen Zuwendung war allein die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen, die von der Betriebsleitung festgestellt wurden. Danach stand dem Ballettmitglied ohne weiteres der Anspruch zu. Die Höhe wurde lediglich noch nachrichtlich mitgeteilt.

4. Rechtsgrundlage für den individuellen Anspruch auf die berufsbezogene Zuwendung war entgegen der Auffassung des Klägers auch kein begünstigender Verwaltungsakt. Eine Mitwirkung von Staatsorganen war in der Anordnung bbZ selbst nicht vorgesehen. Aus der vom Kläger vorgelegten Korrespondenz, die einer Gewährung der berufsbezogenen Zuwendung vorausgegangen war, läßt sich zwar entnehmen, daß das Ministerium für Kultur der DDR tatsächlich eingeschaltet worden ist. Hier handelte es sich jedoch nur um einen internen Vorgang im Verhältnis zwischen Betriebsleitung und dem Ministerium für Kultur der DDR. Hintergrund war der Umstand, daß die Mittel für die berufsbezogene Zuwendung über das Durchgangskonto 3550 im Ergebnis vom Staatshaushalt aufgebracht werden mußten. Deshalb wurde die Gewährung der berufsbezogenen Zuwendung seitens der Betriebsleitungen von einer vorherigen Zustimmung des Ministeriums abhängig gemacht. Eine entsprechende Erklärung des Ministeriums, die man mit einem Verwaltungsakt vergleichen könnte, gab es im Verhältnis zum begünstigten einzelnen Ballettmitglied jedoch nicht. Die Rolle des Ministeriums für Kultur stellt sich danach lediglich als eine Art Rechtsaufsicht dar. Wenn der Betrieb von seiten des Ministeriums die Zustimmung zur Gewährung der berufsbezogenen Zuwendung erhalten hatte, wandte er sich offenbar ohne weiteres an das Ballettmitglied, vereinbarte das Ausscheiden aus dem Tänzerberuf und händigte eine Bestätigung über die Höhe der gewährten Zuwendung aus. In der tatsächlichen Ausgestaltung war damit die berufsbezogene Zuwendung eine betriebliche, allein von der Erfüllung der in der Anordnung genannten Voraussetzungen abhängige Leistung (ebenso BSG Beschluß vom 24. August 1994 – 4 BS 4/93 – AP Nr. 27 zu § 2 ArbGG 1979; Beschlüsse vom 14. Juli 1995 – 4 BS 1, 3, 6/94 –, n.v.).

II. Der Anspruch des Klägers ist gem. Anl. II Kap. VIII Sachgebiet H Abschn. III Nr. 6 zum Einigungsvertrag mit Ablauf des 31. Dezember 1991 erloschen.

1. Die Regelung des Einigungsvertrages ist nach ihrem Wortlaut nicht eindeutig. Mit der Festlegung, daß die Anordnung bbZ nur noch bis zum 31. Dezember 1991 angewendet werden soll, sind zwei Regelungsinhalte vereinbar. Es kann damit bestimmt sein, daß alle Rechte aus der Anordnung bbZ mit Ablauf des 31. Dezember 1991 erlöschen sollen. Der Regelungsinhalt der Bestimmung kann sich aber auch darauf beschränken, einen Rechtserwerb aus der Anordnung bbZ nach dem 31. Dezember 1991 auszuschließen, vorher erworbene Vollansprüche auf die berufsbezogene Zuwendung aber aufrechtzuerhalten.

2. Aus den Besonderheiten der Anordnung bbZ und den im Zusammenhang damit stehenden Bestimmungen des Einigungsvertrages folgt, daß nach dem 31. Dezember 1991 Ansprüche auf berufsbezogene Zuwendung weder fortbestehen noch neue entstehen sollten. Die unmittelbaren Wirkungen der Anordnung bbZ sollten insgesamt beendet werden. Ihre Regelungen paßten nur in das System der Deutschen Demokratischen Republik. Ihre Weitergeltung in einem System, das durch die grundsätzliche Trennung des privatrechtlich gestalteten Rechts der Arbeitsverhältnisse von den öffentlich-rechtlichen Versorgungssystemen gekennzeichnet ist, mußte ausgeschlossen werden.

Die berufsbezogene Zuwendung hatte eine andere Funktion als eine Betriebsrente nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland. Sie wurde nicht als Gegenleistung für erbrachte Betriebstreue, sondern wegen eines besonderen persönlichen Versorgungsbedarfs in Aussicht gestellt. Die in § 3 Abs. 1 Anordnung bbZ genannte 15-jährige Wartezeit mußte nicht in einer der in § 1 Anordnung bbZ genannten Einrichtungen zurückgelegt werden. Voraussetzung dafür, den Anspruch auf die berufsbezogene Zuwendung zu erwerben, war allein eine im Beruf der Ballettänzerin oder des Ballettänzers zurückgelegte Beschäftigungszeit. War diese Voraussetzung erfüllt und ein bestimmtes Mindestalter erreicht, ging die Anordnung bbZ davon aus, daß typischerweise aus gesundheitlichen Gründen ein Ausscheiden aus dem Tänzerberuf erforderlich wurde. Trat dieses vom Minister für Kultur der DDR als Versorgungsfall bewertete Ereignis in einer der in § 1 Anordnung bbZ genannten Einrichtungen ein, hatte die Einrichtung die berufsbezogene Zuwendung als vom Staat zu refinanzierende Ausgleichsleistung unabhängig davon zu erbringen, ob und welche Verdienste der frühere Tänzer in einem Anschlußarbeitsverhältnis erzielte.

Die in der Anordnung bbZ in Aussicht gestellte atypische Ausgleichsleistung war damit im Ordnungssystem der Bundesrepublik Deutschland einer sozialversicherungsrechtlichen Leistung weitaus ähnlicher als eine Betriebsrente. Die bis zum 31. Dezember 1991 entstandenen Ansprüche hätten unter diesen Bedingungen nur nach erheblichen inhaltlichen Veränderungen in das Recht der Bundesrepublik Deutschland überführt werden können. Da der Einigungsvertrag solche Inhaltsänderungen nicht vorgenommen hat, kann die Regelung über die zeitlich beschränkte Weiteranwendung der Anordnung bbZ nur bedeuten, daß nach dem Willen der Parteien des Einigungsvertrages mit dem 31. Dezember 1991 alle Rechte aus der Anordnung bbZ erloschen sind.

3. Diese Feststellung steht nicht im Widerspruch zur Senatsrechtsprechung über die Rechte aus der Anordnung über die Einführung einer Zusatzrentenversorgung für die Arbeiter und Angestellten in den wichtigsten volkseigenen Betrieben vom 9. März 1954 (Anordnung 54).

a) Der Senat hat mehrfach entschieden, daß ein Arbeitnehmer, der bis zum 31. Dezember 1991 die Voraussetzungen für den Bezug einer Zusatzrente nach der Anordnung 54 erfüllt hat, den Anspruch hierauf auch über den 31. Dezember 1991 hinaus behält. Nur derjenige, der bis zum 31. Dezember 1991 die Voraussetzungen eines Anspruchs noch nicht erfüllt hatte, konnte sie auch in der Folgezeit nicht mehr erfüllen. Für ihn scheidet jeder Anspruch aus der Anordnung 54 aus (Senatsurteile vom 27. Februar 1996 – 3 AZR 242/95BAGE 82, 203 = AP Nr. 4 zu Einigungsvertrag Anlage II Kap. VIII; vom 17. Dezember 1996 – 3 AZR 800/95 – AP Nr. 5 zu Einigungsvertrag Anlage II Kap. VIII; vom 29. Juli 1997 – 3 AZR 72/97 – AP Nr. 6 zu Einigungsvertrag Anlage II Kap. VIII).

b) Diese Rechtsprechung ist nicht auf die Rechte aus der Anordnung bbZ zu übertragen, auch wenn der Einigungsvertrag in der Anlage II Kap. VIII Sachgebiet H Abschn. III Nr. 4 eine Regelung enthält, wonach auch die Anordnung 54 nur noch bis zum 31. Dezember 1991 anzuwenden ist.

Bei der Zusatzversorgung nach der Anordnung 54 handelt es sich anders als bei der berufsbezogenen Zuwendung um eine betriebliche Zusatzleistung, die für eine bereits erbrachte Gegenleistung, die Betriebstreue der Arbeitnehmer in einem der wichtigsten volkseigenen Betriebe, versprochen wurde. Hier bestand eine derartige Nähe zu den in der Bundesrepublik Deutschland bekannten betrieblichen Zusatzversorgungssystemen, daß eine eindeutige Regelung erwartet werden mußte, wenn der für das Betriebsrentenrecht der Bundesrepublik Deutschland entwickelte Schutz von erdienten Besitzständen für Rechte aus der Anordnung 54 nicht gelten sollte. Eine solche Regelung konnte der Senat der angesprochenen Bestimmung des Einigungsvertrags nicht entnehmen.

Umgekehrt verhält es sich bei den Ansprüchen auf berufsbezogene Zuwendung. Bei dieser systemfremden Ausgleichsleistung, die zudem, anders als die Ansprüche aus der Anordnung 54, teilweise in das allgemeine Sozialversicherungsrecht der Bundesrepublik Deutschland überführt worden sind, hätte es einer eindeutigen Regelung im Einigungsvertrag über das Fortbestehen von Ansprüchen bedurft.

4. Der Kläger kann nicht mit Erfolg darauf verweisen, auf seiten der letzten Regierung der Deutschen Demokratischen Republik und der Volkskammer habe die Vorstellung bestanden, die Ansprüche auf die berufsbezogene Zuwendung bestünden über den 31. Dezember 1991 hinaus fort.

Auch solche Gesetze, die auf völkerrechtliche Verträge zurückgehen, sind objektiv auszulegen. Es kommt nicht auf die Vorstellungen einer beim Zustandekommen des völkerrechtlichen Vertrages beteiligten Partei, sondern darauf an, welcher Regelungswille der Norm und dem Normzusammenhang entnommen werden kann. Für den vom Kläger geltend gemachten Regelungswillen fehlen ausreichende Anhaltspunkte im Einigungsvertrag.

III. Die Festlegung im Einigungsvertrag, wonach alle Rechte aus der Anordnung bbZ mit dem 31. Dezember 1991 erlöschen, ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden. Sie verstößt entgegen der Auffassung des Klägers nicht gegen die Verfassung.

1. Der Einigungsvertrag und der daran anknüpfende Gesetzgeber der Bundesrepublik Deutschland haben auf die in der Deutschen Demokratischen Republik entstandenen Rechte aus der Anordnung bbZ differenzierend reagiert. Die Anordnung ist zwar mit Wirkung zum 31. Dezember 1991 insgesamt aufgehoben worden. Alle Rechte, die sich unmittelbar aus ihr ergaben oder ergeben konnten, sind erloschen. Soweit sich aus der Anordnung jedoch ein Anspruch auf eine Zusatzrente neben der allgemeinen gesetzlichen Rente ergab (§ 2 Abs. 5 Anordnung bbZ), hat der Gesetzgeber dies berücksichtigt. Entsprechend der Vorgabe in der Anlage II Kap. VIII Sachgebiet H Abschn. III Nr. 9 zum Einigungsvertrag, welche die Anordnung bbZ dem Recht der sozialen Sicherheit zugewiesen hat, ordnen § 2 Abs. 2 des Gesetzes zur Überführung der Ansprüche und Anwartschaften aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen des Beitrittsgebiets vom 25. Juli 1991 (BGBl. I S. 1677) in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 11. November 1996 (BGBl. I S. 1674) und § 252 a SGB VI eine beschränkte Überführung dieses Versorgungssystems in das Sozialversicherungssystem der Bundesrepublik Deutschland und damit zugleich eine Entlastung des letzten Arbeitgebers an (vgl. hierzu auch BSG Urteil vom 29. April 1997 – 4 RA 98/95 – SozR 3-8120 Kap VIII H III Nr 6 Nr 2).

Der Teil der Anordnung allerdings, welcher die Zuwendung für die Zeit zwischen dem Ausscheiden aus dem Tänzerberuf und dem Bezug einer gesetzlichen Rente betrifft, und dessen Weitergeltung der Kläger für sich in Anspruch nimmt, ist mit Ablauf des 31. Dezember 1991 aufgrund der Bestimmungen des Einigungsvertrages ersatzlos weggefallen.

2. Diese gesetzliche Anordnung verstößt nicht gegen das Grundrecht auf Eigentum nach Art. 14 Abs. 1 GG.

a) Es ist schon zweifelhaft, ob die Bundesrepublik Deutschland verfassungsrechtlich verpflichtet war, das besondere Zusatzversorgungssystem der Deutschen Demokratischen Republik durch inhaltsbestimmende Gesetze i. S. von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG in Eigentumsansprüche mit Grundrechtsschutz umzuwandeln. Es spricht einiges dafür, daß die vom Bundesgesetzgeber vorgefundenen Vermögenspositionen aus Zusatz- und Sonderversorgungssystemen der Deutschen Demokratischen Republik von vornherein keinen Eigentumsschutz aus Art. 14 GG genossen. Sie waren nach Maßgabe des rechtsbildenden Willens der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik entstanden, die nicht an die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG gebunden war. Für den Gesetzgeber hätte sich hiernach nicht die Frage nach einer Rechtfertigung von Eingriffen in Zusatzversorgungssysteme, sondern die nach einer erstmaligen Schaffung von Rechtspositionen als Reaktion auf die bisherige Ordnung gestellt. Die Gesetzgebung, welche die Überleitung und Anpassung dieser Versorgungssysteme geregelt hat, könnte damit wegen ihres konstitutiven, rechtsbegründenden Charakters nicht an Art. 14 GG gemessen werden (so Papier, DtZ 1996, 43 f.; ähnlich BSG Urteil vom 29. April 1997 – 4 RA 98/95 – aaO, zu B 3 der Gründe; a.A. Simon, DtZ 1996, 41 f.).

Dem kann jedenfalls nicht entgegengehalten werden, der Einigungsvertrag habe die Anordnung bbz zunächst in das Recht der Bundesrepublik Deutschland überführt und erst dann beschränkt, so daß er bei dieser beschränkenden Regelung dann dem Eigentumsschutz aus Art. 14 GG unterstellt gewesen wäre. Der Einigungsvertrag hat das Recht der Deutschen Demokratischen Republik im hier interessierenden Zusammenhang nicht transformiert, sondern es für einen Übergangszeitraum als solches weitergelten lassen. Für die Parteien des Einigungsvertrages stand von Anfang an fest, daß die Anordnung bbZ nur noch für eine Auslauffrist bis zu ihrem endgültigen Erlöschen weitergelten sollte.

b) Auch dann, wenn man einen Eigentumsschutz aus Art. 14 GG für solche Versorgungsansprüche für möglich hält, die auf dem Recht der Deutschen Demokratischen Republik beruhen, kann doch nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß dieser Schutz auch für die der Sache nach sozialrechtlichen Versorgungsansprüche aus der Anordnung bbZ gilt.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Eigentumsschutz öffentlich-rechtlich begründeter vermögenswerter Positionen des Sozialversicherungsrechts ergibt sich der Eigentumscharakter einer Rechtsposition vor allem daraus, daß die Rechtsposition zumindest auch auf eigenen Leistungen beruht. Je höher dann der einem öffentlich-rechtlichen Anspruch zugrundeliegende Anteil eigener Leistung sei, desto stärker trete der verfassungsrechtlich wesentliche personale Bezug hervor und bewirke einen erhöhten verfassungsrechtlichen Schutz, so daß an die Rechtfertigung eines Eingriffs strengere Anforderungen zu stellen seien als an die Änderung einer Rechtslage, die mit der eigenen Leistung des Versicherten nichts zu tun habe (BVerfGE 53, 257, 291 ff.; Wieland in H. Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 1, 1996, Art. 14 Rz 54).

Die von der Anordnung bbZ Begünstigten mußten keine eigenen Beiträge leisten, um den Anspruch auf die berufsbezogene Zuwendung zu erwerben. Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, daß die Tänzerinnen und Tänzer im Vergleich zu den übrigen Beschäftigten in der Deutschen Demokratischen Republik im Hinblick auf ihre besondere Zusatzversorgung auf Teile des ihnen an sich zustehenden Entgelts verzichtet hätten.

c) Der zuletzt angesprochene Gesichtspunkt spricht mitentscheidend dafür, daß die Regelung im Einigungsvertrag, aufgrund deren die Anordnung bbZ mit Ablauf des 31. Dezember 1991 erloschen ist, selbst dann wirksam ist, wenn man die sich aus ihr ergebende Rechtsposition dem Schutz des Art. 14 GG unterstellt.

aa) Aufgrund der besonderen Umstände bei der Entstehung und Gewährung der berufsbezogenen Zuwendung in der Zeit bis zum Ausscheiden aus dem Erwerbsleben genießt diese Rechtsposition jedenfalls nur geringeren verfassungsrechtlichen Schutz.

Die Begünstigten hatten nicht nur keine Gegenleistung für die berufsbezogene Zuwendung zu erbringen. Sie erwarben ihren Anspruch auch in einer Rechtsordnung, die keinen individualrechtlichen Schutz für ihn bereithielt. Es war für die Begünstigten auch nicht von existenzieller Bedeutung, sich im Rahmen ihrer Lebensplanung auf die erworbene Rechtsposition verlassen zu können. Es geht bei dem Eingriff in die Rechte aus der Anordnung bbZ für die Zeit bis zum Ausscheiden aus dem Erwerbsleben nicht um einen Eingriff in Altersversorgungsleistungen, deren der einzelne bedarf, dessen Leistungsfähigkeit für die Existenzsicherung durch Erwerbsarbeit nicht mehr ausreicht. Der Eingriff betrifft Zuwendungen, die nach dem Ausscheiden aus dem Tänzerberuf neben den Einkünften aus sonstiger Erwerbsarbeit gezahlt werden sollten und deren es zur Existenzsicherung nicht bedurfte.

bb) Auf der anderen Seite war ein Eingriff des Gesetzgebers in die besondere Zusatzversorgung während fortbestehender Erwerbsfähigkeit nach der Anordnung bbZ geboten, um eine im Arbeits- und Sozialrechtssystem der Bundesrepublik Deutschland nicht hinnehmbare Begünstigung einer besonderen Personengruppe in einem Teil der neuen Bundesrepublik auszuschließen. Ein Fortbestand der Zusatzversorgung in der bisherigen Form einer betrieblichen Leistung unter staatlicher Refinanzierung war im System der Bundesrepublik Deutschland ausgeschlossen. Eine Übertragung der Belastungen aus der Anordnung bbZ auf die neuen, unterschiedlich leistungsfähigen Träger der kulturellen Einrichtungen in den neuen Bundesländern hätte bei diesen vorhersehbar zu wirtschaftlichen Schwierigkeiten und Wettbewerbsnachteilen im Verhältnis zu entsprechenden westdeutschen Einrichtungen geführt.

3. Aus den gleichen Gründen scheidet auch ein Verstoß der Regelung im Einigungsvertrag gegen das Rechtsstaatsprinzip aus. Soweit in der Regelung der Anlage II Kap. VIII Sachgebiet H Abschn. III Nr. 6 zum Einigungsvertrag eine unechte Rückwirkung enthalten ist, ist dies von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Bei den Begünstigten konnte aus den genannten Gründen kein schützenswertes Vertrauen darauf entstehen, daß auch unter den grundsätzlich geänderten Bedingungen die in der Vergangenheit erdienten Besitzstände in jedem Falle und in vollem Umfang erhalten bleiben würden.

4. Die Regelung im Einigungsvertrag verstößt auch nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Sie führt nicht zu einer Schlechterbehandlung früherer Tänzerinnen und Tänzer im Beitrittsgebiet gegenüber ihren Berufskollegen im Westen Deutschlands.

Eine vergleichbare Leistung wie die berufsbezogene Zuwendung kennt das Arbeits- und Sozialrecht für Ballettmitglieder in Westdeutschland nicht. Der Kläger verweist in diesem Zusammenhang zu Unrecht auf § 36 der Satzung der Versorgungseinrichtung für Bühnenangehörige. Diese im übrigen nicht auf gesetzlicher, sondern auf tarifvertraglicher Grundlage entstandene Versorgungseinrichtung gibt für Ballettmitglieder lediglich die Möglichkeit, einen besonderen Abfindungsanspruch zu wählen, der aber nichts anderes ist, als eine vorzeitige Rückerstattung von in der Vergangenheit bei der Versorgungsanstalt eingezahlten Versorgungsbeiträgen. Diese Leistung ist nicht vergleichbar mit der berufsbezogenen Zuwendung, einer laufenden Zahlung in Höhe der Hälfte des günstigsten Durchschnittsverdienstes während des gesamten auf das Ausscheiden aus dem Tänzerberuf folgenden Arbeitslebens.

IV. Der Kläger kann nach alledem nicht verlangen, von einem der Beklagten über den 31. Dezember 1991 hinaus die berufsbezogene Zuwendung zu erhalten.

 

Unterschriften

Dr. Heither, Kremhelmer, Bepler, Schmidt, Lohre

 

Fundstellen

Dokument-Index HI951785

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