Entscheidungsstichwort (Thema)

Mitbestimmung des Betriebsrats bei der Anrechnung einer Tariflohnerhöhung auf Zulagen. Anrechnung einer Tariflohnerhöhung auf Zulagen. Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats. Arbeitslohn. Betriebsverfassungsrecht. Tarifrecht. Zulage

 

Orientierungssatz

  • Ist der Arbeitgeber aus Anlaß einer Tariflohnerhöhung auch zur Anhebung einer mit dem Arbeitnehmer vereinbarten Zulage gehalten, bilden diese rechtlichen Verpflichtungen eine Einheit. Rechnet der Arbeitgeber nur den auf die Zulage entfallenden Steigerungsbetrag auf eine weitere freiwillige Zulage an, ist das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG zu beachten.
  • Der Betriebsrat kann sein Mitbestimmungsrecht auch in Form einer Regelungsabrede ausüben.
 

Normenkette

BetrVG § 87 Abs. 1 Nr. 10; Lohnrahmenabkommen Metallindustrie Nordrhein-Westfalen § 9 Abs. 4

 

Verfahrensgang

LAG Düsseldorf (Urteil vom 12.07.2000; Aktenzeichen 4 Sa 623/00)

ArbG Wuppertal (Urteil vom 25.01.2000; Aktenzeichen 8 Ca 5203/99)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 12. Juli 2000 – 4 Sa 623/00 – aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Auswirkung einer Tariflohnerhöhung auf Zulagen.

Die Beklagte ist ein Unternehmen der metallverarbeitenden Industrie. Sie beschäftigt etwa 220 Arbeitnehmer. Es besteht ein Betriebsrat. Der Kläger ist bei der Beklagten seit 1989 als Schweißer tätig. Auf das Arbeitsverhältnis finden auf Grund beiderseitiger Verbandszugehörigkeit die Tarifverträge der Metallindustrie Nordrhein-Westfalen (NRW) Anwendung.

Der Kläger ist nach der Lohngruppe 7 des Lohnrahmenabkommens der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie NRW eingruppiert. Sein Stundenlohn belief sich bis zum März 1998 auf 19,62 DM brutto. Darüber hinaus erhielt er eine Leistungszulage in Höhe von 3,14 DM brutto und eine weitere Zulage von 2,04 DM brutto. Die Zulagen wurden einheitlich in der Lohnabrechnung mit einem Betrag von 5,18 DM brutto aufgeführt.

Nach dem Lohnrahmenabkommen Metall NRW wurden die Tarifentgelte zum 1. April 1998 um 2,5 % erhöht. Dementsprechend zahlte die Beklagte seitdem einen Stundenlohn von 20,11 DM brutto, jedoch eine der Höhe nach unveränderte Gesamtzulage.

Mit seiner Klage wendet sich der Kläger gegen die unterbliebene Erhöhung der Leistungszulage entsprechend der Tarifsteigerung. Er hat geltend gemacht, die Beklagte habe den sich aus der Tariferhöhung ergebenden Steigerungsbetrag der Leistungszulage auf die weitere übertarifliche Zulage angerechnet. Die teilweise Anrechnung der Tariflohnerhöhung sei mangels Beteiligung des Betriebsrats unwirksam.

Der Kläger hat beantragt,

  • die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger DM 153,48 brutto nebst 4 % Zinsen seit Klagezustellung zu zahlen,
  • die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ab Dezember 1998 einen Stundenlohn von DM 25,37 brutto zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat geltend gemacht, die Weitergabe der Tariflohnerhöhung sei in Absprache mit dem Betriebsrat erfolgt.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein ursprüngliches Klageziel. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht. Der vom Berufungsgericht festgestellte Sachverhalt läßt eine abschließende Entscheidung über die gestellten Anträge nicht zu.

  • Wie die gebotene Auslegung ergibt und der Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bestätigt hat, ist der Antrag zu 2) nicht auf eine Leistung, sondern auf die Feststellung gerichtet, daß der Kläger ab Dezember 1998 von der Beklagten einen Stundenlohn von 25,37 DM brutto beanspruchen kann. Dem Kläger geht es nicht um die Verurteilung der Beklagten zur fortlaufende Zahlung eines bestimmten Bruttolohns. Sein Ziel ist die grundlegende Klärung der Zahlungsverpflichtung der Beklagten aus Anlaß einer bestimmten Tariflohnerhöhung. Dafür besteht auch ein Feststellungsinteresse (§ 256 ZPO).
  • Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, dem Kläger stehe ein tariflicher Anspruch auf eine 16 %ige Leistungszulage bezogen auf den jeweiligen Bruttostundenlohn zu. Die darauf bezogene Tariferhöhung von 2,5 % zum 1. April 1998 habe die Beklagte vollständig und damit mitbestimmungsfrei auf eine weitere übertarifliche Zulage anrechnen können. Mit dieser Begründung kann die Klage nicht abgewiesen werden.

    • Die Beklagte ist nicht auf Grund einer Tarifnorm zur Zahlung der Leistungszulage verpflichtet. Ein darauf gerichteter Anspruch des Klägers folgt nicht aus § 9 Nr. 4 Lohnrahmenabkommen Metallindustrie Nordrhein-Westfalen. Nach § 9 Nr. 4 Satz 1 Lohnrahmenabkommen erhalten Zeitlohnarbeiter je nach Leistung eine in Prozenten auszuweisende Leistungszulage. Die Höhe der Zulage ist nach den Bestimmungen des Tarifvertrags Leistungsbeurteilung zu ermitteln. Diese sehen die Durchführung eines Beurteilungsverfahrens vor mit schriftlicher Bekanntgabe des Ergebnisses. Unterbleibt ein Beurteilungsverfahren, hat der Arbeitnehmer die Möglichkeit, die Durchführung eines Verfahrens zur Bestimmung der Höhe der Leistungszulage gerichtlich zu erzwingen. § 9 Nr. 4 Abs. 4 Lohnrahmenabkommen trifft weiter eine Bestimmung zur Mindesthöhe der Leistungszulage. Diese beträgt im Durchschnitt der Lohngruppen 7 – 10 für den Zeitraum vom 1. Januar 1978 bis zum 31. Dezember 1978 mindestens 16 % der tariflichen Lohnsummen der Zeitlohnarbeiter dieser Tarifgruppen. Nach diesem Verfahren liegt die Leistungszulage in der Regel oberhalb oder unterhalb von 16 % der individuellen Lohngruppe. Unabhängig davon, ob bei fehlender Leistungsbeurteilung überhaupt aus § 9 Nr. 4 Abs. 1 Lohnrahmenabkommen ein unmittelbarer Zahlungsanspruch folgt und sich dieser ausnahmsweise auch auf 16 % der Lohngruppe des Klägers beläuft, ist ein solcher Anspruch nach § 9 Nr. 4 Abs. 4 Lohnrahmenabkommen auf die Zeit bis zum 31. Dezember 1978 beschränkt. Für spätere Zeiträume trifft die Tarifbestimmung keine Regelung. Fehlt es danach überhaupt an einer Tarifnorm, auf die der Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Leistungszulage gestützt werden könnte, bedarf es keiner Entscheidung, ob das Lohnrahmenabkommen nach dem 31. Dezember 1978 nur noch kraft Nachwirkung gilt (vgl. BAG 22. Juli 1998 – 4 AZR 403/97 – BAGE 89, 241, zu 1 der Gründe) oder, wie der Kläger meint, von den Tarifvertragsparteien am 25. Januar 1979 im Wege von Änderungsvereinbarungen wieder in Kraft gesetzt worden ist.
    • Zwischen den Parteien ist aber nicht streitig, daß dem Kläger ein Anspruch auf Zahlung einer Leistungszulage zusteht. Dieser Anspruch beruht demnach auf einer individualrechtlichen Vereinbarung der Parteien. Zum Inhalt dieser Vereinbarung hat das Landesarbeitsgericht aus seiner Sicht folgerichtig keine Feststellungen getroffen. Es hat nicht geprüft, ob die Leistungszulage dynamisch ausgestaltet ist und sich überhaupt entsprechend der Tariflohnerhöhung ändert. Diese vom Landesarbeitsgericht noch nachzuholende Prüfung ist jedoch Voraussetzung für die Beurteilung, ob die Beklagte überhaupt eine Anrechnung auf eine übertarifliche Zulage vorgenommen haben kann.
    • Kommt das Landesarbeitsgericht in dem sich anschließenden Berufungsverfahren zu dem Ergebnis, daß dem Kläger nach der vertraglichen Vereinbarung ein Anspruch auf eine tarifdynamische Leistungszulage zusteht, war bei einer Anrechnung des 2,5 %igen Steigerungsbetrags von 0,08 DM brutto auf die darüber hinaus gezahlte weitere Zulage von 2,04 DM brutto das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG zu beachten.

      • Das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG soll die Arbeitnehmer vor einer einseitig an den Interessen des Unternehmens orientierten oder willkürlichen Lohngestaltung schützen. Gesichert werden sollen die Angemessenheit und die Durchsichtigkeit des betriebsinternen Lohngefüges sowie die innerbetriebliche Lohngerechtigkeit. Damit dient das Mitbestimmungsrecht der Verteilungsgerechtigkeit im Betrieb (BAG 19. September 1995 – 1 ABR 20/95 – AP BetrVG 1972 § 87 Lohngestaltung Nr. 81 = EzA BetrVG 1972 § 87 Betriebliche Lohngestaltung Nr. 53, zu B II 3b der Gründe mwN). Nach den vom Großen Senat aufgestellten Grundsätzen besteht ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Anrechnung von Tariflohnerhöhungen auf übertarifliche Zulagen, wenn sich durch die Anrechnung die bisherigen Verteilungsgrundsätze ändern. Das ist bei einer prozentual gleichmäßigen Anrechnung stets der Fall, wenn die Zulagen nicht in einem einheitlichen und gleichmäßigen Verhältnis zum jeweiligen Tariflohn stehen. Bei einer Änderung der Verteilungsgrundsätze ist die Anrechnung nur dann mitbestimmungsfrei, wenn die Tariferhöhung im Rahmen des rechtlich und tatsächlich Möglichen vollständig und gleichmäßig auf die übertarifliche Zulage angerechnet wird. Denn mehr als die Tariferhöhung kann der Arbeitgeber nicht anrechnen, weil die einzelnen Arbeitnehmer einen Anspruch darauf haben, daß ihnen nach der Tariflohnerhöhung jedenfalls die um die Erhöhung gekürzte Zulage verbleibt. Insoweit fehlt dem Arbeitgeber jeglicher Spielraum, der Voraussetzung des Mitbestimmungsrechts ist (BAG 3. Dezember 1991 – GS 2/90 – BAGE 69, 134, 164 ff., zu C III 4 – 6 der Gründe; 26. Mai 1998 – 1 AZR 704/97 – BAGE 89, 31, zu II 2a der Gründe).
      • Aus Anlaß der Tariferhöhung zum 1. April 1998 war die Arbeitgeberin zu einer 2,5 %igen Anhebung des Tariflohns verpflichtet. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat die Beklagte die Erhöhung des tariflichen Grundlohns nicht auf die übertarifliche Zulage angerechnet. Soweit die Beklagte nach der noch zu treffenden Feststellung des Landesarbeitsgerichts entsprechend der vertraglichen Vereinbarung auch zu einer der Tariferhöhung entsprechenden Anhebung der Leistungszulage gehalten ist, bilden die Verpflichtungen aus Tarifvertrag und Einzelvertrag mitbestimmungsrechtlich eine Einheit. Hat die Beklagte den auf die Leistungszulage entfallenden Steigerungsbetrag auf die übertarifliche Zulage angerechnet, handelt es sich nicht um eine vollständige, sondern nur um eine teilweise Anrechnung der Tariferhöhung auf die übertarifliche Zulage, die deshalb zwangsläufig das Verhältnis der Zulagen zueinander ändert. Durch die Nichtanrechnung der auf den Tariflohn entfallenen Steigerung verbleibt der Arbeitgeberin ein Gestaltungsspielraum für die Verteilung des Zulagenvolumens. An dieser Verteilungsmöglichkeit setzt das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats an. Dieses soll gerade die Nutzung eines bestehenden Verteilungsspielraums durch den Arbeitgeber für dessen Lohnpolitik im Interesse der innerbetrieblichen Lohngerechtigkeit beeinflussen können.
    • Unzutreffend ist die Annahme des Landesarbeitsgerichts, bei der Zulage handele es sich um eine auf einer Betriebsvereinbarung beruhende Prämie, die neben dem tariflichen Grundentgelt einen eigenständigen Entlohnungsgrundsatz darstelle, weshalb eine Änderung der Verteilungsgrundsätze bezogen auf jeden Entgeltbestandteil gesondert geprüft werden müsse. Über einen solchen Sachverhalt ist nicht zu befinden. Vielmehr hat das Landesarbeitsgericht insoweit einen Sachverhalt entschieden, der von keiner der Parteien vorgetragen war. Das beanstandet die Revision zu Recht. Der Kläger erhält keinen Prämienlohn nach einer Betriebsvereinbarung vom 17. März 1998.
    • Ist nach diesen Grundsätzen eine Anrechnung des Steigerungsbetrags der Leistungszulage auf die übertarifliche Zulage mitbestimmungspflichtig, hat das Landesarbeitsgericht auf Grund des streitig gebliebenen Vorbringens der Beklagten zu prüfen, ob der Betriebsrat sein Mitbestimmungsrecht ausgeübt hat. Nach dem unter Beweis gestellten Vortrag der Beklagten hat sie ihre Vorgehensweise Anfang März 1998 mit dem damaligen Betriebsrat abgestimmt. In diesem Vorbringen liegt zumindest die Behauptung einer Regelungsabrede. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist es dem Betriebsrat nicht verwehrt, sein Mitbestimmungsrecht in Form einer Regelungsabrede auszuüben (BAG 10. März 1992 – 1 ABR 31/91 – AP BetrVG 1972 § 77 Regelungsabrede Nr. 1 = EzA BetrVG 1972 § 77 Nr. 47, zu B I 2a der Gründe mwN). Ob die Betriebsparteien eine formlose Regelungsabrede getroffen haben und deshalb eine Anrechnung auch wirksam ist, wird das Landesarbeitsgericht in dem sich anschließenden Berufungsverfahren erforderlichenfalls noch festzustellen haben.
 

Unterschriften

Wißmann, Hauck, Schmidt, Spiegelhalter, Mandrossa

 

Fundstellen

Haufe-Index 901885

NZA 2002, 55

SAE 2002, 75

EzA

NJOZ 2002, 121

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