Entscheidungsstichwort (Thema)
Anfechtung eines deklaratorischen Schuldanerkenntnisses
Orientierungssatz
§ 123 Abs 1 BGB setzt voraus, daß der Erklärende widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist, die Willenserklärung abzugeben. Widerrechtlich ist die Drohung dann, wenn entweder das angestrebte Verhalten oder der angestrebte Erfolg, das heißt die vom Bedrohten abzugebende Willenserklärung, für sich allein gesehen verboten bzw sittenwidrig ist. Beides ist vorliegend zu verneinen. Ein Gläubiger darf vermeintliche Schadenersatzansprüche unabhängig davon geltend machen, ob er sie beweisen kann. Auch der erstrebte Zweck, die Sicherung dieser Ansprüche durch Schuldanerkenntnis, ist - für sich betrachtet - nicht rechtswidrig.
Normenkette
BGB §§ 138, 123; ZPO § 543 Abs. 2
Verfahrensgang
LAG Niedersachsen (Entscheidung vom 15.09.1987; Aktenzeichen 13 Sa 440/87) |
ArbG Hannover (Entscheidung vom 04.02.1985; Aktenzeichen 6 Ca 342/86) |
Tatbestand
Die Klägerin war seit 1980 als Verkäuferin und Kassiererin bei der Beklagten beschäftigt.
In der Filiale, in der die Klägerin arbeitete, war es im Jahre 1986 zu Inventurdifferenzen von ca. 75.000,-- DM gekommen. Im Juli 1986 führte die Beklagte dort Testkäufe durch. Dabei wurde festgestellt, daß die Klägerin und eine Arbeitskollegin Pfandgeld für Mehrwegflaschen nicht gebont hatten.
In einem Gespräch vom 28. Juli 1986 mit Mitgliedern der Geschäftsleitung der Beklagten wurden der Klägerin diese Feststellungen und die Inventurdifferenzen vorgehalten. Der Klägerin wurde vorab erklärt, daß unabhängig vom Ausgang des Gesprächs Strafanzeige gegen sie erstattet und sie aus dem Arbeitsverhältnis entlassen werde. Ihr wurde auch angeboten, eine Person ihres Vertrauens, ein Betriebsratsmitglied oder einen Rechtsanwalt zum Gespräch zuzuziehen.
Nachdem die Klägerin im Verlauf des Gesprächs zugegeben hatte, über zwei Jahre ca. 400,-- DM wöchentlich unterschlagen zu haben, unterzeichnete sie noch am 28. Juli 1986 bei dem örtlichen Notar folgende Urkunde:
"Die Erschienene bat um die Beurkundung des
folgenden
Schuldanerkenntnisses
---------------------
und erklärte:
Ich erkenne hiermit an, der Firma R
oHG, L ,
A Weg, einen Betrag von
36.000,-- DM
(i. W. sechsunddreißigtausend Deutsche Mark) zu
schulden. Ich verpflichte mich, diesen Betrag
zurückzuzahlen. Der Betrag ist zur Zahlung fällig.
Wegen dieser Forderung unterwerfe ich mich hier-
mit gegenüber der Gläubigerin der sofortigen
Zwangsvollstreckung in mein gesamtes Vermögen.
Der Notar soll der Gläubigerin sogleich eine
vollstreckbare Ausfertigung dieser Urkunde
erteilen.
Die Kosten dieser Urkunde trage ich.
Die Niederschrift wurde der Erschienenen vorge-
lesen, von ihr genehmigt und eigenhändig unter-
schrieben:
gez. C S geb. K "
Mit der am 11. August 1986 erhobenen Klage hat die Klägerin die Anfechtung des Schuldanerkenntnisses erklärt und beantragt
1. festzustellen, daß der Beklagten aus dem
Schuldanerkenntnis vom 28. Juli 1986 gegen-
über der Klägerin keinerlei Ansprüche
zustehen;
2. die Beklagte zu verurteilen, die Urkunde
mit dem Schuldanerkenntnis zu Ziffer 1)
des Klageantrages an die Klägerin heraus-
zugeben;
3. die Zwangsvollstreckung aus der notariellen
Urkunde des Notars A v. W
vom 28. Juli 1986 Urkundennummer 67 der Urkunden-
rolle Jahrgang 1986 für unzulässig zu erklären.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
Gemäß Teilvergleich vom 5. Dezember 1986 betreibt die Beklagte die Zwangsvollstreckung aus der notariellen Urkunde in Höhe von 13.630,52 DM nicht mehr, da sie insoweit befriedigt wurde.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Klage weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Das notarielle Schuldanerkenntnis vom 28. Juli 1986 ist wirksam.
A. Das Berufungsurteil ist nicht mangels ausreichenden Tatbestands aufzuheben. Die Revision rügt zu Unrecht einen Verstoß gegen § 543 Abs. 2 ZPO. Das angefochtene Urteil enthält den nach dieser Vorschrift erforderlichen Tatbestand mit einer gedrängten Darstellung des Sach- und Streitstandes, so daß eine revisionsrechtliche Überprüfung möglich ist.
Die Rüge, die die Klägerin insoweit unter ausdrücklicher Nennung des § 543 Abs. 2 ZPO erhebt, zielt jedoch auch in eine andere Richtung. Die Klägerin macht geltend, die vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen reichten für die revisionsrechtliche Überprüfung des Berufungsurteils nicht aus. Falls dies zuträfe, fehlte es jedoch nicht an einem Urteilstatbestand. Vielmehr wäre dann mangels jeglicher Prozeßrügen der Klägerin eine fehlerhafte Anwendung des materiellen Rechts durch das Berufungsgericht zu beanstanden.
B. Die Klage ist unbegründet.
I. Es kann dahingestellt bleiben, ob es bereits am Rechtsschutzinteresse für den Feststellungsantrag zu 1) fehlt (§ 256 ZPO), weil die Klägerin Vollstreckungsabwehrklage erheben konnte - Klageantrag zu 3) -. Der Feststellung steht jedenfalls entgegen, daß das notarielle Schuldanerkenntnis wirksam ist. Steht aber fest, daß ein umstrittener Anspruch nicht besteht, so kann offen bleiben, ob das Rechtsschutzinteresse für die Feststellung dieses Anspruchs gegeben wäre (vgl. OLG Köln, MDR 1968, 332 im Anschluß an BGH Urteil vom 27. November 1957 - IV ZR 121/57 - LM § 256 ZPO Nr. 46; Zöller/Stephan, ZPO, 15. Aufl., § 256 Rz 7).
II. Das Schuldanerkenntnis ist wirksam.
1. Bei der Erklärung der Klägerin vom 28. Juli 1986 handelt es sich um ein sog. deklaratorisches Schuldanerkenntnis, in dem die Klägerin indirekt Unkorrektheiten eingeräumt und damit das Bestehen des Anspruchs dem Grunde nach bestätigt hat. Durch die vergleichsweise Verpflichtung zur Bezahlung eines bestimmten Betrages wird die Klägerin mit dem Einwand ausgeschlossen, der Schaden sei in Wahrheit geringer. Von dieser Wirkung des notariellen Schuldanerkenntnisses vom 28. Juli 1986 ist offenbar auch das Landesarbeitsgericht ausgegangen.
2. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, daß das Schuldanerkenntnis von der Klägerin nicht wirksam wegen Drohung (§ 123 Abs. 1 BGB) angefochten worden ist.
a) Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, die Klägerin sei nicht durch Drohung mit Strafanzeige und/oder mit Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses zur Abgabe der Erklärung bestimmt worden. Der Klägerin sei nur indirekt durch Mitteilung der Inventurdifferenzen gedroht worden, sie müsse für diese ganz oder teilweise haften. Auf der Grundlage dieser Feststellungen, die, wie bereits erwähnt (A), von der Revision nicht mit Verfahrensrügen angegriffen worden sind, hat das Landesarbeitsgericht die Nichtigkeit des Anerkenntnisses nach § 142 Abs. 1 i.V. mit § 123 Abs. 1 BGB zu Recht verneint.
b) § 123 Abs. 1 BGB setzt voraus, daß der Erklärende widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist, die Willenserklärung abzugeben. Widerrechtlich ist die Drohung dann, wenn entweder das angestrebte Verhalten oder der angestrebte Erfolg, d. h. die vom Bedrohten abzugebende Willenserklärung, für sich allein gesehen verboten bzw. sittenwidrig ist. Beides ist vorliegend zu verneinen. Ein Gläubiger darf vermeintliche Schadenersatzansprüche unabhängig davon geltend machen, ob er sie beweisen kann. Auch der erstrebte Zweck, die Sicherung dieser Ansprüche durch Schuldanerkenntnis, ist - für sich betrachtet - nicht rechtswidrig.
Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht auch angenommen, daß das Verhältnis von Mittel (Drohung mit Schadenersatzansprüchen) und Zweck (Sicherung der Forderung) im vorliegenden Fall nicht widerrechtlich ist.
Eine Drohung kann grundsätzlich auch dann widerrechtlich sein, wenn zwar mit Hilfe eines erlaubten Mittels ein nicht verbotener Zweck erreicht werden soll, das Mittel im Verhältnis zum Zweck aber unangemessen ist. Die Frage, ob zwischen Mittel und Zweck eine von der Rechtsordnung mißbilligte Verknüpfung besteht, ist nach den Kriterien von Treu und Glauben zu beurteilen, wobei eine umfassende Würdigung aller Umstände des Falls vorzunehmen ist (BAG Urteile vom 30. März 1960 - 3 AZR 201/58 - AP Nr. 8 zu § 123 BGB; vom 3. Mai 1963 - 1 AZR 136/62 - AP Nr. 1 zu § 781 BGB; vom 20. November 1969 - 2 AZR 51/69 - AP Nr. 16 zu § 123 BGB; vom 5. April 1978 - 4 AZR 621/76 - BAGE 30, 214 = AP Nr. 20 zu § 123 BGB und vom 16. November 1979 - 2 AZR 1041/77 - BAGE 32, 194 = AP Nr. 21 zu § 123 BGB). Ein Mißverhältnis zwischen Mittel und angestrebtem Erfolg hat das Landesarbeitsgericht zutreffend verneint.
Der Vorhalt der Inventurdifferenzen war der Klägerin gegenüber nicht unangemessen. Diese hatte gegen die Kassenanweisung verstoßen und dadurch den Verdacht auf sich gezogen, Straftaten in Form von Unterschlagungen oder Diebstahlshandlungen begangen zu haben. Die Drohung, die Klägerin auf Schadenersatz in Anspruch zu nehmen, um sie zu veranlassen, den Schaden jedenfalls teilweise wiedergutzumachen, war damit nicht inadäquat. Dem steht nicht entgegen, daß die Beklagte keinen Anspruch auf die Abgabe des Schuldanerkenntnisses hatte (BGHZ 2, 287 und 25, 217; BAG Urteil vom 20. November 1969 - 2 AZR 51/69 - aaO). Der Umstand, daß die Beklagte in einem Schadenersatzprozeß möglicherweise Beweisschwierigkeiten gehabt hätte und befürchten müßte, beweisfällig zu bleiben, läßt die Drohung nicht als unangemessen und damit rechtswidrig erscheinen.
Auch die Höhe des Betrags, den die Klägerin gegenüber der Beklagten anerkannt hat, begründet die Widerrechtlichkeit nicht. Nach den Feststellungen hat die Klägerin eingeräumt, daß sie über zwei Jahre wöchentlich 400,-- DM unterschlagen habe. Auf dieser Grundlage haben die Parteien die Vergleichssumme mit 36.000,-- DM (90 Wochen x 400,-- DM) errechnet. Die Inventurdifferenzen der Beklagten lagen demgegenüber mit jährlich ca. 100.000,-- DM erheblich höher als der von der Klägerin anerkannte Betrag, der sich immerhin auf zwei Jahre bezieht. Bei dieser Sachlage fehlt jeder Anhaltspunkt für ein auffälliges Mißverhältnis des beiderseitigen Nachgebens, das eine Sittenwidrigkeit des Schuldanerkenntnisses zur Folge haben könnte (vgl. BAG Urteil vom 11. September 1984 - 3 AZR 184/82 - AP Nr. 37 zu § 138 BGB m.w.N.).
Schließlich sind auch keine Umstände dafür ersichtlich, daß die Klägerin zu einer überstürzten Entscheidung gezwungen und ihr jede Überlegungsfrist genommen worden ist. Dagegen sprechen nicht nur die Erklärungen, die die Repräsentanten der Beklagten zu Beginn des Gesprächs gegenüber der Klägerin abgegeben hatten, sondern auch, daß die Klägerin das Schuldanerkenntnis im Anschluß an das Gespräch mit der Geschäftsleitung der Beklagten vor einem Notar, also einem neutralen Amtsträger gegenüber, abgab.
Michels-Holl Dr. Peifer Dr. Wittek
Dr. Weiss Rheinberger
Fundstellen