Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Verfassungswidrigkeit des § 29 Abs. 3 HAG
Leitsatz (amtlich)
Es verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, daß der gesetzliche Kündigungsschutz bei Heimarbeitern schwächer ausgestaltet ist als bei Arbeitnehmern. Deshalb ist die Regelung des § 29 Abs. 3 Satz 2 HAG, wonach bei Heimarbeitern die Beschäftigungszeiten vor Vollendung des 35. Lebensjahres für die Berechnung der Kündigungsfristen unerheblich sind, mit der Verfassung vereinbar.
Normenkette
HAG § 29 Abs. 3 S. 2; GG Art. 3 Abs. 1; BGB § 622 Abs. 2 S. 2; AnKSchG § 2
Verfahrensgang
LAG Baden-Württemberg (Urteil vom 19.10.1984; Aktenzeichen 2 Sa 64/84) |
ArbG Freiburg i. Br. (Urteil vom 18.04.1984; Aktenzeichen 8 Ca 151/84) |
Tenor
- Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 19. Oktober 1984 – 2 Sa 64/84 – wird zurückgewiesen.
- Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte das Heimarbeitsverhältnis des Klägers fristgerecht gekündigt hat.
Der im Jahre 1938 geborene Kläger war seit August 1961 für die Beklagte, die chirurgische Instrumente herstellt, als Heimarbeiter tätig. Er wurde überwiegend von der Beklagten beschäftigt. Wegen Umsatzrückgangs kündigte diese das Heimarbeitsverhältnis am 28. März 1984 zum 31. Mai 1984.
Der Kläger vertritt die Auffassung, die Kündigung sei erst zum 30. Juni 1984 wirksam geworden. Da sein Beschäftigungsverhältnis mehr als 20 Jahre gedauert habe, betrage in seinem Falle die Kündigungsfrist drei Monate zum Ende eines Kalendervierteljahres.
Er hat beantragt
festzustellen, daß sein Heimarbeitsverhältnis aufgrund der Kündigung vom 28. März 1984 erst am 30. Juni 1984 geendet habe.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat auf § 29 Abs. 3 Satz 2 HAG verwiesen; danach müsse bei der Berechnung der Kündigungsfrist die Zeit vor Vollendung des 35. Lebensjahres außer Betracht bleiben. Das anrechenbare Beschäftigungsverhältnis des Klägers habe nach dieser Altersgrenze keine 20 Jahre, sondern nur rund 11 Jahre bestanden. Die Kündigungsfrist betrage dementsprechend nur zwei Monate zum Monatsende.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision des Klägers.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
I. Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt allein von der Frage ab, ob bei der Berechnung der Kündigungsfrist die vom Kläger vor Vollendung des 35. Lebensjahres erreichten Beschäftigungszeiten zu berücksichtigen sind. § 29 Abs. 3 Satz 2 HAG schließt die Anrechnung aus. Stellt die Vorschrift, die der Kläger für verfassungswidrig hält, geltendes Recht dar, so hat die Beklagte die gesetzliche Kündigungsfrist gewährt; der Kläger hat in diesem Falle nur rund elf Jahre anrechenbarer Beschäftigungszeiten aufzuweisen; die Kündigungsfrist beträgt dann gemäß § 29 Abs. 3 Satz 1 HAG nur zwei Monate zum Monatsende. Diese Frist hat die Beklagte mit ihrer Kündigung vom 28. März 1984 zum 31. Mai 1984 eingehalten.
II. Die Vorschrift des § 29 Abs. 3 Satz 2 HAG ist nach Auffassung des Senats nicht verfassungswidrig; sie verstößt insbesondere nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
1. § 29 HAG ist durch das Heimarbeitsänderungsgesetz vom 29. Oktober 1974 (BGBl I. 2879) eingeführt worden und wörtlich dem § 622 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 BGB nachgebildet (BT-Drucks. 7/975 Nr. 24 S. 18). Die Regelung sollte verhindern, daß Heimarbeiter bei Kündigungen im Vergleich zu den Arbeitern eines Betriebes dadurch bessergestellt würden, daß sich bei ihnen Beschäftigungszeiten bis zur Vollendung des 35. Lebensjahres auf die Länge der Kündigungsfristen auswirkten, bei den Arbeitern aber nicht (Maus/Schmidt, HAG, 3. Aufl., § 29 Rz 50 und 57). Die beiden neugeschaffenen und aufeinander abgestimmten Vorschriften begünstigen ältere Arbeiter und Heimarbeiter. Sie sollen die Anpassung an die veränderte berufliche Situation und die Suche nach einer anderen Arbeit erleichtern.
2. Durch Beschluß vom 16. November 1982 (– 1 BvL 16/75 und 36/79 – BVerfGE 62, 256 = AP Nr. 16 zu § 622 BGB) hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, daß es mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar ist, bei der Berechnung der für die verlängerten Kündigungsfristen maßgeblichen Beschäftigungsdauer eines Arbeiters Zeiten nicht zu berücksichtigen, die vor Vollendung des 35. Lebensjahres liegen (§ 622 Abs. 2 Satz 1 BGB), während bei einem Angestellten bereits Zeiten nach Vollendung des 25. Lebensjahres mitgerechnet werden (§ 2 AnKSchG).
Zur Begründung hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, der allgemeine Gleichheitssatz sei dann verletzt, wenn eine Gruppe im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt werde, obgleich zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestünden, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten (BVerfGE 55, 72, 88; 58, 369, 373 f.; 60, 123, 133 f.; 60, 329, 346). Bei der Anwendung des Gleichheitsgebotes sei der jeweilige Lebens- und Sachbereich zu berücksichtigen (BVerfGE 35, 348, 357; 60, 123, 134; 6, 84, 91; 25, 269, 292). Dem gesetzgeberischen Gestaltungsraum seien dort engere Grenzen gezogen, wo Regelungen sich auf die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Freiheit der beruflichen Tätigkeit auswirkten (BVerfGE 37, 342, 353 f.). Hieraus folge, daß bei der Staffelung von Kündigungsfristen nach der Dauer des Arbeitsverhältnisses und dem Alter des Arbeitnehmers nicht außer acht gelassen werden dürfe, daß sie die berufliche Existenz der vom Arbeitsplatzverlust betroffenen, länger beschäftigten und damit in der Regel älteren Arbeitnehmer sichern sollten. Mache der Gesetzgeber diese Fristen von der Beschäftigungsdauer abhängig, so dürfe er bei deren Berechnung nicht ohne hinreichenden Grund zwischen einzelnen Gruppen von Arbeitnehmern differenzieren. Die Nichtberücksichtigung der Beschäftigungszeit zwischen dem 25. und 35. Lebensjahr bei Arbeitern wirke sich im Vergleich zu Angestellten erschwerend auf den Versuch aus, nach dem Verlust des Arbeitsplatzes eine neue Anstellung zu finden. Deswegen sei eine Gleichbehandlung der länger beschäftigten und damit in der Regel älteren Arbeitnehmer geboten, wenn keine sachlichen und einleuchtenden Gründe eine Benachteiligung gegenüber den vergleichbaren Angestellten rechtfertigten. Solche Gründe bestünden nicht. Der Gesetzgeber habe bei der Unterscheidung nicht an das Lebensalter angeknüpft, sondern allein an den Status der Arbeitnehmer als Arbeiter oder Angestellter. Auch die historisch gewachsenen Unterschiede rechtfertigten keine differenzierende Handhabung; einleuchtend sei nur eine einheitliche, für Arbeiter und Angestellte gleichermaßen geltende Regelung.
3. Die Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts gelten nach Auffassung des Senats nicht im Verhältnis von Arbeitnehmern und Heimarbeitern. Der rechtliche Status beider Gruppen ist nicht wie bei Arbeitern und Angestellten soweit angeglichen, daß eine differenzierende Regelung der Kündigungsfristen willkürlich erschiene.
a) Das Heimarbeitsverhältnis ist nach einhelliger Ansicht gekennzeichnet durch Merkmale sowohl des Arbeitsvertrages wie auch des Werkvertrages (vgl. die Darstellung des Meinungsstandes bei Maus/Schmidt, aaO, Anhang nach § 19 Rz 1 bis 11). Das Bundesarbeitsgericht hat in ständiger Rechtsprechung hervorgehoben, daß Unterschiede zwischen Heimarbeitern und Arbeitnehmern bestehen; es hat darauf hingewiesen, daß die Rechtsentwicklung zwar dahin geht, die Heimarbeiter den Arbeitnehmern anzugleichen (BAG 3, 23, 26 = AP Nr. 6 zu § 611 BGB Urlaubsrecht; 4, 262, 266 = AP Nr. 12 zu § 242 BGB Gleichbehandlung; 44, 124, 129 f. = AP Nr. 1 zu § 29 HAG, zu I 3a der Gründe), daß jedoch nach der derzeitigen Rechtslage keine Übereinstimmung erreicht ist.
Das gilt vor allem für den Bestandsschutz. Erstmals in der Fassung des Gesetzes vom 14. März 1951 (BGBl I. 191) wurde ein Abschnitt über die Kündigung des Heimarbeitsverhältnisses eingeführt. Die Neuregelung betraf aber nur diejenigen Heimarbeiter, die mindestens ein Jahr ausschließlich oder überwiegend für einen Auftraggeber oder Zwischenmeister tätig waren und hieraus überwiegend ihren Lebensunterhalt bezogen. Bei den nach älterem Recht oder nur kürzere Zeit beschäftigten Heimarbeitern konnte das Heimarbeitsverhältnis jederzeit, auch stillschweigend durch die Beendigung der Arbeitsausgabe aufgelöst werden (Brecht, BArbBl. 1974, 677, 680 bei Nr. 21; Herschel, BArbBl. 1951, 13, 14 f.). Erst die Neufassung des § 29 HAG durch das Heimarbeitsänderungsgesetz vom 29. Oktober 1974 (BGBl I, 2879) führte die jetzt umstrittene Kündigungsregelung ein. Auch nach ihr kann aber von einem Kündigungsschutz im üblichen Sinne keine Rede sein. Die Kündigung des Heimarbeitsverhältnisses setzt eine soziale Rechtfertigung nicht voraus, sondern schützt den Betroffenen nur vor der sofortigen Beendigung des Rechtsverhältnisses. Schon hieraus wird deutlich, daß die Neuregelung eine Gleichstellung der Heimarbeiter mit den Arbeitnehmern nicht erstrebte. Das gilt sogar für die Entgeltssicherung bei gekündigtem Heimarbeitsverhältnis (BAG 44, 124, 129 f. = AP Nr. 1 zu § 29 HAG, zu I 3a) der Gründe und Maus/Schmidt, aaO, Anhang nach § 19 Rz 11).
b) Der Revision ist zuzugeben, daß die Heimarbeiter in besonderer Weise eines sozialen Schutzes bedürfen. Obwohl organisatorisch weitgehend von Weisungen des Auftraggebers frei, stehen sie doch regelmäßig in wirtschaftlicher Abhängigkeit. Daraus folgt aber nicht, daß der Gesetzgeber von Verfassungs wegen verpflichtet wäre, die vorhandenen und bewußt aufrechterhaltenen rechtlichen Unterschiede zwischen Heimarbeitern und Arbeitnehmern zu beseitigen. Selbst gemessen an den strengen Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht in dem Beschluß vom 16. November 1982 an die gesetzliche Gleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten stellt, erscheint es nicht willkürlich, daß die Kündigungsfristen bei Heimarbeitern ungünstiger ausgestaltet sind als bei Arbeitnehmern. Aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Ungleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten läßt sich entgegen der Auffassung der Revision nicht schließen, daß ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vorliegt, wenn die Kündigungsfristen älterer Arbeiter länger sind als bei vergleichbaren Heimarbeitern.
c) Dem Kläger ist allerdings zuzugeben, daß der Gesetzgeber bei der Neufassung des § 29 Abs. 3 HAG eine Angleichung an die Regelung des § 622 BGB erreichen wollte. Dieses Regelungsziel wird verfehlt, nachdem sich § 622 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 BGB als verfassungswidrig erwiesen hat. Daraus folgt aber nicht mittelbar auch die Verfassungswidrigkeit des § 29 Abs. 3 Satz 2 HAG, weil eine verfassungsrechtliche Pflicht, die Gleichstellung von Arbeitern und Heimarbeitern herbeizuführen, nunmehr also auch wiederherzustellen, nicht besteht.
Unterschriften
Dr. Dieterich, Schaub, Griebeling, Lichtenstein, Weinmann
Fundstellen
Haufe-Index 872413 |
BAGE, 238 |
BB 1987, 477 |
NJW 1987, 1358 |
JR 1987, 220 |
RdA 1987, 61 |