Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausschlußfrist. Lohnrückforderung

 

Normenkette

TVG § 4 Ausschlußfristen (§ 14 Ziff. 2 RTV Poliere des Baugewerbes); BGB § 812 Abs. 1 S. 1

 

Verfahrensgang

LAG Niedersachsen (Urteil vom 25.09.1991; Aktenzeichen 5 Sa 581/91)

ArbG Hannover (Urteil vom 13.03.1991; Aktenzeichen 6 Ca 466/90)

 

Tenor

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 25. September 1991 – 5 Sa 581/91 – aufgehoben.

2. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 13. März 1991 – 6 Ca 466/90 – wird zurückgewiesen.

3. Die Beklagte hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

 

Tatbestand

Die Parteien streiten nur noch darüber, ob der Anspruch der Beklagten auf Rückzahlung des Gehalts, das die Beklagte dem Kläger nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses irrtümlich überwiesen hat, einer tariflichen Verfallfrist unterliegt.

Der Kläger war bei der Beklagten vom 5. Juni 1990 bis zum 3. Juli 1990 als Schachtmeister mit einem Monatsgehalt von 4.409,– DM beschäftigt.

Die Parteien unterliegen dem allgemeinverbindlichen Rahmentarifvertrag für die Poliere des Baugewerbes im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland und des Landes Berlin, dessen § 14 wie folgt lautet:

  1. „Alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden.
  2. Lehnt die Gegenpartei den Anspruch ab oder erklärt sie sich nicht innerhalb von zwei Wochen nach der Geltendmachung des Anspruchs, so verfällt dieser, wenn er nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Ablehnung oder dem Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird.”

Der Kläger hat der Beklagten mit Schreiben vom 3. Juli 1990 folgendes mitgeteilt:

„… Nach dem Telefongespräch mit Ihnen um 19.00 Uhr habe ich noch einen Anruf bekommen. Daher möchte ich mit sofortiger Wirkung das Arbeitsverhältnis mit der Fa. P. aufkündigen. Ich habe da ein Top-Angebot bekommen. Tut mir leid für Sie …”

Infolge eines Büroversehens hat die Beklagte dem Kläger für den Monat Juli anstelle von 430,– DM brutto (netto 401,42 DM) für seine Tätigkeit vom 1. bis 3. Juli 1990, ein volles Monatsgehalt in Höhe von 4.409,– DM brutto abgerechnet und dem Kläger einen Nettobetrag in Höhe von 3.281,60 DM überwiesen. Infolge eines weiteren Versehens ist das Nettogehalt für August 1990 in Höhe von 3.095,44 DM an den Kläger überwiesen worden, so daß der Kläger insgesamt in Höhe von 5.975,62 DM netto überzahlt worden ist.

Mit Schreiben vom 29. August 1990 forderte die Beklagte den Kläger vergeblich zur Rückzahlung dieses Betrages auf.

Der Kläger hat am 9. November 1990 die Beklagte zunächst auf Herausgabe seiner Arbeitspapiere und auf Zahlung von 300,– DM brutto verklagt. Daraufhin hat die Beklagte den Kläger Anfang Januar 1991 widerklagend auf Zahlung von 7.175,62 DM nebst 10 % Zinsen seit dem 6. September 1990 in Anspruch genommen. Außer der Lohnüberzahlung von 5.975,62 DM hat sie von dem Kläger Schadenersatz in Höhe von 1.200,– DM dafür verlangt, daß er am 3. Juli 1990 ein neues Nivelliergerät unverschlossen in einem Bauwagen zurückgelassen habe, aus dem es sodann entwendet worden sei. In der mündlichen Verhandlung am 30. Januar 1991 hat der Kläger die Klage zurückgenommen.

Die Parteien streiten jetzt noch darüber, ob der Anspruch der Beklagten gem. § 14 Ziff. 2 des Rahmentarifvertrages für die Poliere des Baugewerbes verfallen ist. Die Beklagte ist der Auffassung, die Berufung auf die tarifliche Ausschlußfrist stelle eine unzulässige Rechtsausübung dar. Der Kläger habe eindeutig gegen den Arbeitsvertrag verstoßen, indem er ohne Einhaltung der Kündigungsfrist sein Arbeitsverhältnis beendet habe. Soweit in den Monaten Juli und August 1990 der volle Lohn an den Kläger weitergezahlt worden sei, habe er ohne weiteres erkennen können, daß ihm ein entsprechender Lohnanspruch nicht mehr zugestanden habe. Nach den Grundsätzen von Treu und Glauben wäre der Kläger daher verpflichtet gewesen, die Überzahlung anzuzeigen und den überzahlten Betrag spätestens nach Erhalt des Aufforderungsschreibens vom 29. August 1990 zurückzuzahlen. Dabei könne es nicht darauf ankommen, ob die Überzahlung vom Arbeitgeber erkannt worden sei oder nicht. Das hänge in der Regel von Zufällen ab. Im Streitfall sei die Überzahlung nicht den vertretungsberechtigten Geschäftsführern der Beklagten, sondern lediglich dem Sachbearbeiter in der Buchhaltung aufgefallen. Infolge eines Versehens der Buchhaltung sei die Rückforderung des überzahlten Lohnes nach Ablauf der mit Schreiben vom 29. August 1990 gesetzten Frist nicht weiter betrieben worden. Die Überzahlung sei in Vergessenheit geraten und sei erst wieder entdeckt worden, als der Kläger wegen eines angeblichen restlichen Lohnanspruchs in Höhe von 300,– DM Klage erhoben hatte.

Das Arbeitsgericht hat die Widerklage abgewiesen. Nachdem die Beklagte die Berufung mit Zustimmung des Klägers in Höhe von 1.375,62 DM (in diesem Betrag ist insbesonders die Schadenersatzforderung von 1.200,– DM enthalten) zurückgenommen hat, hat sie nur noch beantragt,

den Kläger zu verurteilen, an sie 5.800,– DM nebst 10 % Zinsen seit dem 6. September 1990 zu zahlen.

Der Kläger hat beantragt,

die Widerklage abzuweisen.

Nach seiner Auffassung hat er nicht gegen Treu und Glauben verstoßen. Die Anzeige der Überzahlung an die Beklagte sei überflüssig gewesen, da diese selbst von der Überzahlung Kenntnis gehabt habe, wie aus ihrem Schreiben vom 29. August 1990 hervorgehe.

Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen hat das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover abgeändert und den Kläger verurteilt, an die Beklagte 5.800,– DM nebst 4 % Zinsen seit dem 6. September 1990 zu zahlen. Dagegen richtet sich die Revision des Klägers, mit der er die Aufhebung des Urteils und die Zurückweisung der Berufung begehrt.

 

Entscheidungsgründe

Auf die Revision ist das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufzuheben und die Berufung der Widerklägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts zurückzuweisen. Der Rückforderungsanspruch ist entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nach § 14 Ziff. 2 RTV Poliere des Baugewerbes verfallen.

I. Das Berufungsgericht hat einen Anspruch der Beklagten gegen den Kläger auf Zahlung von 5.800,– DM gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB bejaht und dies im wesentlichen damit begründet, daß die tariflichen Ausschlußfristen nicht anwendbar seien, weil ein Tarifvertrag nur Anwendung finden könne, solange ein Arbeitsverhältnis bestehe. Werde das Arbeitsverhältnis gelöst, so könne für die erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstehenden gesetzlichen Ansprüche auf Rückzahlung irrtümlich gewährter Leistungen der Tarifvertrag nicht mehr gelten.

II. Dem ist weder im Ergebnis noch in der Begründung zu folgen.

1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gelten Ausschlußfristen, die – wie vorliegend – „Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis” erfassen, auch für Ansprüche des Arbeitgebers auf Rückzahlung überzahlten Arbeitsentgelts (vgl. dazu nur Senatsurteile vom 26. April 1978 – 5 AZR 62/77 – AP Nr. 64 zu § 4 TVG Ausschlußfristen; vom 28. Februar 1979 – 5 AZR 728/77 – AP Nr. 6 zu § 70 BAT; sowie vom 4. September 1991 – 5 AZR 647/90 – DB 1992, 1095 f.; BAG Urteil vom 13. Juni 1991 – 6 AZR 395/89 – nicht veröffentlicht), und zwar unabhängig davon, ob die Rückzahlungsansprüche aus Überzahlungen während oder aus solchen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses herrühren (vgl. BAG Urteil vom 11. Juni 1980 – 4 AZR 443/78 – AP Nr. 7 zu § 70 BAT; Senatsurteil vom 4. September 1991, a.a.O., zu II 1 der Gründe).

Es ist nicht ungewöhnlich, daß die Parteien des Arbeitsvertrages nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch vertragliche Ansprüche erfüllen. Wenn daher eine Partei des Arbeitsvertrages nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses an den Vertragspartner Leistungen erbringt, kann daraus nicht gefolgert werden, daß die Leistungen mit dem Arbeitsverhältnis nicht in Zusammenhang stehen. Vielmehr ist auch bei solchen Leistungen entscheidend, ob das Arbeitsverhältnis Anlaß und Sachgrund für die Leistung ist. Dies ist für Gehaltsüberzahlungen zu bejahen (vgl. nur BAG Urteil vom 11. Juni 1980, a.a.O.).

2. Die Tarifvertragsparteien können kraft der ihnen verliehenen Tarifautonomie Verfallfristen auch für gesetzliche Ansprüche begründen, denn diese beruhen nicht allein auf dem Gesetz, sondern auch auf dem durch das Gesetz gestalteten Arbeitsvertrag (vgl. dazu nur Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 7. Aufl., 1992, § 205 II 1, m.w.N.). Die Unabdingbarkeit gesetzlicher Ansprüche beinhaltet nur die Garantie von Art und Umfang, verhindert jedoch nicht die der Rechtsklarheit dienende zeitliche Beschränkung (ständige Rechtsprechung des BAG, vgl. bereits BAGE 10, 1 = AP Nr. 6 zu § 4 TVG Ausschlußfristen; BAGE 10, 133 = AP Nr. 81 zu § 611 BGB Urlaubsrecht; BAG Urteil vom 23. Juni 1961 – 1 AZR 239/59 – AP Nr. 27 zu § 4 TVG Ausschlußfristen; BAGE 13, 57, 60 = AP Nr. 28 zu § 4 TVG Ausschlußfristen, zu II 2 der Gründe; BAGE 30, 347 = AP Nr. 3 zu § 113 BetrVG 1972; vgl. ferner vom Ergebnis die oben unter II 1 aufgeführten Urteile; ebenso Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 7. Aufl., Bd. II/1, § 32 III 4, S. 634; Schaub, a.a.O.; jeweils m.w.N.).

3. Der Anwendung der Ausschlußfrist nach § 14 Ziff. 2 RTV Poliere des Baugewerbes steht auch nicht der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegen.

Zwar beherrscht der Grundsatz von Treu und Glauben das gesamte Privatrecht und gilt daher auch für die Anwendung der Ausschlußfristen (vgl. dazu nur Senatsurteil vom 28. Februar 1979 – 5 AZR 728/77 – AP, a.a.O., zu II der Gründe, m.w.N.; BAG Urteil vom 11. Juni 1980 – 4 AZR 443/78 – AP, a.a.O.). Die Berufung auf eine tarifliche Ausschlußfrist kann nicht nur treuwidrig sein, wenn eine Vertragspartei den Vertragspartner durch aktives Handeln von der Einhaltung der Ausschlußfrist abhält, sondern auch dann, wenn sie es pflichtwidrig unterläßt, dem Vertragspartner Umstände mitzuteilen, die diesen zur Einhaltung der Ausschlußfrist veranlassen können. Erkennt ein Arbeitnehmer, daß seinem Arbeitgeber bei der Überweisung der Vergütung ein Irrtum unterlaufen ist, der zu einer erheblichen Überzahlung geführt hat, ist es in der Regel geboten, dem Arbeitgeber die Überzahlung anzuzeigen. Dann obliegt es dem Arbeitgeber zu entscheiden, ob, wann und wie er Rückzahlungsansprüche geltend machen will. Eine Anzeigepflicht des Arbeitnehmers entfällt allerdings dann, wenn diejenige Stelle, die über die Geltendmachung der Rückzahlungsansprüche zu entscheiden hat, vor Ablauf der tariflichen Ausschlußfrist selbst Kenntnis von der Überzahlung erhält. Dann ist der Zweck, der mit der Anzeige der Überzahlung erreicht werden soll, bereits erfüllt (vgl. BAG Urteil von 11. Juni 1980 – 4 AZR 443/78 – AP, a.a.O.).

4. Der Kläger brauchte die Beklagte nicht mehr auf eine Überzahlung aufmerksam zu machen, weil ihr diese spätestens am 29. August 1990 ausweislich ihres Schreibens vom gleichen Tag bekannt war. Auf den Einwand der Beklagten, die Überzahlung wäre nur der Buchhaltung bekannt gewesen, kommt es aus zwei Gründen nicht an: Zum einen braucht sich der Kläger grundsätzlich nicht interne organisatorische Mängel der Beklagten entgegenhalten zu lassen, zum anderen ist aus dem Schreiben, welches mit dem Briefkopf der Beklagten versehen ist, auch nicht zu erkennen, daß sich nur die Buchhaltung der Beklagten an den Kläger wandte. Auf das zumindest anfangs – rechtswidrige Verhalten des Klägers durch die vorzeitige Vertragsauflösung kommt es in diesem Zusammenhang nicht an.

5. Da der Kläger sich nicht innerhalb von zwei Wochen nach Erhalt des Schreibens vom 29. August 1990 – dies dürfte spätestens die erste Septemberwoche 1990 gewesen sein – erklärte, verfiel der Anspruch gem. § 14 Ziff. 2 RTV Poliere des Baugewerbes spätestens in der ersten Novemberwoche 1990, die Erhebung der Widerklage am 2. Januar 1991 beim Arbeitsgericht Hannover erfolgte zu spät.

 

Unterschriften

Dr. Thomas, Dr. Olderog, Dr. Reinecke, Kessel, Buschmann

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1081334

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